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Verstand bringt Nutzen

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Ein reicher Kaufmann hatte einen klugen und ungemein lernbegierigen Sohn, gestattete ihm aber aus Geiz nicht, sich mit den Wissenschaften oder gar den schönen Künsten zu befassen. Im Gegenteil, wenn er seinen Sohn zufällig einmal mit einem Buch oder einer Flöte in der Hand erblickte, geriet er außer sich vor Zorn. „Bücher bringen kein Brot!“ schimpfte er. „Flöten schaffen keinen Reichtum! Arbeiten mußt du, nichts als arbeiten, verstanden?“
Einmal wurde unweit der Stadt, in der sie wohnten, Markt gehalten. Soll der Junge zeigen, was in ihm steckt, beschloß der Kaufmann und schickte ihn zum Wareneinkauf hin. Doch der Sohn dachte nicht daran, Geschäfte zu machen, sondern ging geradewegs zu einem Schriftkundigen, den er bat, ihm lesen und schreiben beizubringen. Und da er begabt und fleißig war, lernte er es in wenigen Tagen. So kam er zwar mit leeren Händen nach Hause, aber klüger, als er fortgegangen war. „Wo hast du dich so lange herumgetrieben?“ schimpfte der Vater. „Wo sind die Waren? Hast du mein Geld zum Fenster hinausgeschmissen?“ — „Ich habe keine Waren mitgebracht, Vater“, erwiderte der Sohn. „Doch ich habe nützliche Kenntnisse erworben, mit denen ich späterhin alles kaufen kann, was dein Herz begehrt.“ — „Ach, du Dummkopf!“ schimpfte der Vater. „Kennst du nicht das Sprichwort: Bis das Gras gewachsen ist, verreckt das Pferd.“
Ein Jahr verging, wieder wurde Markt gehalten. In der Hoffnung, daß der Sohn diesmal sein Vertrauen nicht enttäuschen würde, händigte der Kaufmann ihm viel Geld ein, versah ihn mit guten Lehren und schickte ihn hin. Aber der Sohn dachte wiederum nicht ans Geschäftemachen, sondern begab sich zu den fahrenden Musikanten und ließ sich ihre Künste beibringen. Er war so begabt und lernte so schnell, daß er in Kürze seine Lehrer überflügelte, und kehrte dann, ohne Waren eingekauft zu haben, nach Hause zurück. Als sein Vater das sah, wurde er grün vor Wut und schimpfte, was das Zeug hielt. Er hätte seinen Sohn wohl windelweich geschlagen, wenn die Mutter nicht dazwischengetreten wäre.
Im dritten Jahr bat der Sohn wieder, auf den Markt geschickt zu werden. „Und falls ich noch einmal dein Geld verbrauche, Vater, kannst du mich ja verkaufen, um den Verlust zu decken!“ — „Gut!“ sagte der Kaufmann. „Ich will dir zum letztenmal mein Geld anvertrauen. Aber reiß dich zusammen, Sohn. Wenn du das Geld vertust, verkaufe ich dich wirklich, obgleich du mein Einziger bist. Teuer ist mir mein Sohn, doch teurer ist mir mein Geld!“ Er zog den Beutel hervor, zählte das Geld ab und händigte es ihm ein.
Auf dem Markt angelangt, schlenderte der Kaufmannssohn eine Weile durch die Ladenstraßen, um sich über die Preise der Waren zu unterrichten, denn er hatte die feste Absicht, seinem Vater gehorsam zu sein. Bald wurde er aber müde und ging in ein Kaffeehaus, um sich zu erfrischen. Dort sah er mehrere Männer Karten spielen, und weil es ihn reizte, auch diese Kunst zu erlernen, gesellte er sich ihnen zu. Er verspielte im Laufe weniger Stunden alles Geld, das sein Vater ihm mitgegeben hatte, lernte jedoch dabei alle Listen und Feinheiten des Kartenspiels kennen und ward zu einem Meisterspieler, der jeden anderen besiegte, vorausgesetzt, er besaß genügend Geld, um den ersten Einsatz zu machen.
Als er nun zum dritten Male ohne Waren und ohne Geld zu seinem Vater zurückkehrte, spuckte dieser dermaßen Gift und Galle, daß sich eine Giftschlange an ihm vergiftet hätte. Er schrie und schimpfte und weinte. Und dann packte er den Sohn am Arm und zerrte ihn auf den Markt Seine Frau flehte ihn mit gerungenen Händen an, doch den eigenen Sohn nicht in die Sklaverei zu verschachern, doch er hörte weder auf sie noch auf die Versicherungen seines Sohnes, daß er seinem Vater nun das Hundertfache von dem verdienen würde, was er verbraucht hätte. „He, Leute!“ rief er, „mein Sohn hat mein Vermögen vergeudet, deshalb verkaufe ich ihn! Ich will soviel Geld für ihn haben, wie er von mir erhielt! Kauft ihn!“ — „He, Leute!“ rief der Sohn dagegen. „Wer mich kauft, wird es bereuen, und wer mich nicht kauft, wird es auch bereuen !“
Viele Leute wollten ihn erhandeln, aber wenn sie ihn rufen hörten: >Wer mich kauft, wird es bereuen, und wer mich nicht kauft, wird es auch bereuen!< ließen sie von ihrem Vorhaben ab. Und damit hätte es sein Bewenden gehabt, wäre nicht zufällig ein steinreicher Kaufmann aus der Hauptstadt über den Markt geschlendert. Er ärgerte sich über die anmaßenden Rufe des Kaufmannssohnes, ging hin und kaufte ihn seinem Vater ohne zu feilschen ab. „Du wirst ja sehen, wie ich bereue!“ höhnte er. „Du sollst bei mir die Gänse hüten!“ Er befahl seinem Diener, den Kaufmannssohn in die Herberge zu bringen und in der Kammer einzuschließen, und schrieb seiner Frau abends diesen Brief: „Liebe Frau, auf dem hiesigen Markt habe ich einen jungen Burschen gekauft. Ich schicke ihn dir, stell Jan zur Arbeit an, gib ihm nur einmal am Tage zu essen und laß ihn bei den Gänsen schlafen. Er soll den Abort reinigen, den Abfall wegschaffen, eben die schwerste und schmutzigste Arbeit verrichten. Übrigens kannst du dem König bestellen, daß ich in einem Monat zurückkehre und er mich mit einem Kanonensalut begrüßen soll.“ Dann brachte er den Kaufmannssohn auf ein Schiff, übergab den Brief dem Schiffseigentümer und bat ihn, auf den Burschen aufzupassen und den Brief seiner Gemahlin einzuhändigen.
Mit dem Schiff fuhren viele Leute, eine Seefahrt dauert ihre Zeit, und keiner hatte etwas zu tun. So begannen sie, Karten zu spielen, anfangs ohne Geld, dann mit kleinen und schließlich mit großen Einsätzen, denn das Kartenspiel ist ein klebrig Ding, das, keinen so leicht wieder losläßt. Auch der Schiffseigentümer nahm teil, und da er ein ungeübter Spieler war, wurde ihm das Fell über die Ohren gezogen. Er verspielte sein Hab und Gut, sogar sein Schiff. Und als er vor Verzweiflung nicht mehr ein noch aus wußte, kam der verkaufte Kaufmannssohn zu ihm. „Gib mir ein wenig Geld“, sagte er, „vielleicht gewinne ich dir einen Teil deines Besitzes zurück.“ Und als der Schiffseigentümer ihm vertrauensvoll das Geld überließ, setzte er sich an den Spieltisch.
Schon nach einer Stunde hatte er den Mitspielern das Schiff wieder abgenommen und obendrein einen hohen Geldgewinn erzielt, den er dem überglücklichen Schiffseigentümer überreichte. „Nimm das“, sagte er, „ich will keinen Lohn, ich möchte dich nur bitten, mich. den Brief lesen zu lassen, den mein Herr dir in Verwahrung gab.“ Bereitwillig überließ der Schiffseigentümer ihm den Brief, den er mit sich nahm. In einem stillen Winkel entsiegelte er ihn, las ihn, nahm ein neues Blatt Papier und schrieb in der gleichen Handschrift: „Liebe Frau, ich wünsche Dir Gesundheit. Diesen Brief überbringt Dir der reichste und klügste von allen Leuten, die ich in der neuen Stadt kennengelernt habe. Es ist mein Wunsch, daß er unser Schwiegersohn. wird. Kaufe ihm neue Kleider und verheirate ihn mit unserer Töchter. Die Hochzeit feiern wir nach meiner Heimkehr, aber so, daß selbst dem König die Augen übergehen werden. Nun führe diese Anordnung gehorsam aus, liebe Frau, und tu dem jungen Mann keinesfalls etwas zuleide, denn das würde ich Dir niemals verzeihen.“ Anschließend faltete der Kaufmannssohn den neuen Brief ebenso zusammen wie den alten, versiegelte ihn und händigte ihn dem Schiffseigentümer aus.
Nach der Ankunft in der Hauptstadt brachte letzterer den Jüngling verabredungsgemäß zur Frau des reichen Kaufmanns und übergab ihr auch das Schreiben. Sie wollte ihren Augen nicht trauen, als sie es las; da es aber in der Handschrift ihres Gatten abgefaßt war, kamen ihr nicht die geringsten Zweifel an der Richtigkeit, und sie hielt es als gehorsame Ehefrau für ihre Pflicht, die darin enthaltenen Aufträge sofort auszuführen. Also kleidete sie den Kaufmannssohn in ein prächtiges Festgewand, verheiratete ihn mit ihrer Tochter und übergab ihm sämtliche Schlüssel zu Truhen und Speichern, weil er nun der Herr des Hauses geworden war.
Eines Morgens sah er, daß sich im gegenüberliegenden Königspalast ein Fenster öffnete und der König mit gelangweiltem Gesicht hinausblickte. Ich will ihm etwas vorspielen! sagte sich der Kaufmannssohn. Vielleicht heitert es ihn auf. Er stimmte die Geige, und als er den Bogen über die Saiten führte, erschollen so berückende Klänge, daß alles Volk zusammenströmte und atemlos lauschte. Auch der König blieb wie angewurzelt am Fenster stehen, lächelnd vor Entzücken, und als der Kaufmannssohn sein Spiel beendet hatte, ließ er ihn zu sich holen. „Spiele weiter, noch nie habe ich Ähnliches vernommen!“ bat er und lauschte so hingerissen, daß er seine Regierungsgeschäfte schier vergaß.
Von diesem Tage an ließ er den Kaufmannssohn nicht mehr von seiner Seite und gewann ihn wegen seines Geigenspiels, aber nicht minder wegen Seiner klugen Ratschläge so lieb, daß er ihn zu seinem ersten Würdenträger ernannte.
Nach Ablauf eines Monats machte sich der reiche Kaufmann, der ihn auf dem Markt gekauft hatte, auf den Heimweg in die Hauptstadt. Vorher aber sandte er dem König einen Brief mit der Aufforderung, ihn nach Verdiensten zu empfangen. „Da ich Dein höchster Würdenträger bin“, so schrieb er, „müssen die Kanonen krachen, wenn ich in die Hauptstadt einziehe.“ — „Dein Schwiegervater kehrt in Bälde zurück, lieber Freund“, sagte der König zum Kaufmannssohn, „und will mit einem Kanonensalut empfangen werden. Zwar war er bisher tatsächlich mein erster Würdenträger, doch jetzt hast du ihn abgelöst. Wie soll ich mich verhalten?“ — „Herr!“ antwortete der Kaufmannssohn. „Zeige ihm, daß er nicht mehr dein erster Würdenträger ist, und empfange ihn ohne Kanonensalut.“ — „Einverstanden!“ sagte der König.
Nun, und dann kam der reiche Kaufmann auf seinem Schiff angesegelt, wartete auf den Salut, aber keine Kanone krachte. Das ärgerte ihn mächtig, und als das Schiff im Hafen angelegt hatte, ging er spornstreichs zum König, um sich zu beschweren. Doch dieser empfing ihn kühl, obendrein saß ein neuer Günstling an seiner Seite. Da begriff der reiche Kaufmann, daß er ausgespielt hatte, und machte sich niedergeschlagen auf den Weg zu seinem Hause. Merkwürdig! dachte er, der junge Mann, der neben dem König saß, glich aufs Haar dem Burschen, den ich vor einem Monat auf dem Markt gekauft habe. Falls er es wirklich ist, trägt er die Schuld daran, daß mich der König verstieß, und demnach hatte er recht mit seinen Worten: Wer mich kauft, wird es bereuen. Doch auf welche Weise hat er es in dieser kurzen Zeit fertiggebracht, sich beim König Liebkind zu machen? Das muß ich herausbekommen!
Nachdenklich ging er weiter.
An der Haustür wurde er von Frau und Tochter begrüßt, und er sah zu seiner Verwunderung, das letztere als verheiratete Frau gekleidet war. Ob das etwa auch ein Streich jenes verfluchten Burschen ist? fragte er sich. „Weshalb trägt unsere Töchter dieses Kleid?“ rief er empört. „Sie ist ja noch gar nicht verheiratet!“ — „Aber doch!“ widersprach seine Frau erstaunt. „Und zwar auf deine Anordnung. Hier ist dein Brief, überzeuge dich selbst, daß es seine. Richtigkeit damit hat.“ Der Kaufmann nahm den Brief und las ihn fassungslos durch. Wie ging das zu? Dort stand in seiner eigenen Handschrift, daß er den Burschen zum Schwiegersohn haben wollte, obgleich er doch genau wußte, das Gegenteil geschrieben zu haben, daß nämlich der Bursche die Gänse hüten sollte.
Drei Stunden lang grübelte der Kaufmann über die sonderbare Verwandlung des Briefes sowie über die sonstigen Veränderungen in seinem Leben nach, und dabei wurde ihm klar, daß der Jüngling recht gehabt hatte, als er rief: >Wer mich kauft, wird es bereuen. Und wer mich nicht kauft, wird es auch bereuen.< „Ja“, sagte er zu Frau und Tochter, „ich bereue, daß ich ihn kaufte, andererseits bereue ich es aber nicht, denn einen klügeren Schwiegersohn kann ich mir schwerlich wünschen. Es ist eine Meisterleistung, sich ohne fremde Hilfe aus dem Sklavenstand zu befreien und sich in derart kurzer Zeit beim König mehr Ansehen zu verschaffen, als ich in meinem ganzen Leben genossen habe!“ Und als sein neugebackener Schwiegersohn wenig später aus dem Königspalast heimkehrte, machte er gute Miene zum bösen Spiel und empfing ihn in allen Ehren. Sodann traf er alle Vorbereitungen, um eine fröhliche Hochzeit zu feiern, und lud auch die Eltern des Jünglings dazu ein.
Diese staunten gar sehr über die Einladung, machten sich aber gleich auf die Reise und trafen auch bald in der Hauptstadt ein. „Siehst du es ein, Vater, daß ich recht hatte?“ fragte der Sohn. „Schon jetzt besitze ich mehr Geld, als ich während meiner Lehrzeit verbrauchte, und es besteht alle Aussicht, daß ich reicher werde, als du es jemals warst.“ — „Ja, Söhnchen, das sehe ich ein“, erwiderte der Vater und weinte vor Reue. „In Zukunft werde ich dir für alle deine Unternehmungen meinen väterlichen Segen erteilen. Und jetzt bitte ich dich, mir mein Unverständnis und meine Grausamkeit zu verzeihen.“ — „Vergessen wir die Vergangenheit“, sagte der Sohn. „Ich weiß: Ohne das Schlechte gibt es nicht Gutes. Worüber du heute weinst, das freut dich morgen.“

Quelle:
(Märchen aus Jugoslawien)

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