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Vom Halberbschen

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Es war einmal eine arme Frau, die hatte viele Kinder, und darunter war eines nicht größer als eine halbe Erbse. Als sie nun eines Tags Brot knetete, da riefen die Kinder alle zusammen: »auch für mich eine Bretzel, auch für mich eine Bretzel!« und darüber wurde ihre Mutter so zornig, daß sie sie alle tot schlug bis auf den kleinen Halberbs, der sich in ihren Schuh versteckte. Darauf fing die Mutter an zu weinen, daß sie nun kein Kind mehr habe, mit dem sie das Essen ihrem Manne auf den Acker schicken könne, und als das der kleine Halberbs hörte, hüpfte er aus dem Schuh heraus und rief: »wenn du mich nicht tot schlägst, so will ich das Essen auf den Acker tragen.« Da schickte ihn die Mutter mit dem Essen und dem Weine auf den Acker, und als er in die Nähe kam, rief er seinem Vater zu, als ob er den Weg nicht wisse: »Vater, von wo soll ich beikommen?« und dieser sagte: »Von dem Rande aus.« Da fing Halberbs an das Brot vom Rande anzubeißen und aß es auf. Dann fragte er wieder: »Vater, von wo soll ich beikommen?« – »Von der Mitte aus.« – Da aß er auch das Essen auf, indem er mitten hinein langte, und als er damit fertig war, rief er wieder: »Vater, von wo soll ich beikommen?« und jener sagte: »Von dem Quellchen aus.« Da setzte er auch die Weinflasche an und trank sie aus. Darauf ging Halberbs zu seinem Vater auf den Acker, und als ihn der fragte: »wo hast du das Essen und den Wein?« antwortete er: »damit habe ich verfahren, wie du befohlen hast, denn als ich dich fragte, von welcher Seite ich dem Brote beikommen sollte, sprachst du: ‚vom Rande aus‘, und da aß ich es vom Rande aus auf; als ich dich fragte, von welcher Seite ich dem Essen beikommen sollte, sprachst du: von der Mitte aus, und da griff ich mitten hinein und aß es auf, und als ich dich fragte, von welcher Seite ich dem Weine beikommen sollte, sprachst du: von dem Quellchen aus, und da setzte ich den Hals der Flasche an den Mund und trank sie aus.«
Der Vater lachte und sprach: »du bist ein Schelm, bleibe aber hier, bis ich wieder komme, denn ich will selbst nach Hause und Brot holen, und wirf den Ochsen Heu vor, damit sie dich nicht fressen.« Als nun Halberbs den Ochsen Heu vorwarf, fraß ihn der eine mit hinein; der Vater aber suchte nach ihm vergebens bis zum Abend und zog dann mit den Ochsen heim.
Als nun die Ochsen in ihrem Stande standen und Vater und Mutter zu Abend aßen, rief Halberbschen aus dem Bauche des einen: »ich will mein Teil, ich will mein Teil.« Da schlachtete der Vater den Ochsen und gab die Därme einer alten Frau zum auswaschen, und als sie diese beim Brunnen aufschneiden wollte, rief Halberbschen aus ihnen heraus: »Alte, stich mir nicht die Augen aus, sonst stech ich dir die deinen aus.« Da erschrak die Alte so sehr, daß sie die Därme hinwarf und fortlief.
Darauf kam die Füchsin zum Brunnen und fraß von den Därmen und schluckte dabei auch den Halberbs hinunter.
Als sie nun am Abend auf Hühner ausging und sich schon in den Stall geschlichen hatte, da rief Halberbs aus ihrem Bauche: »he ihr Hausleute, die Füchsin ist da und will eure Hühner fressen«, und rief so lange, bis es die Hausleute hörten, und die Füchsin flüchten mußte. So oft aber die Füchsin auf Hühner ausging, geschah ihr immer wieder dasselbe, so daß sie vor Hunger und Kummer ganz herunter kam. Da begegnete ihr eines Tags der Wolf und sprach: »Frau Marja, Frau Marja, warum siehst du so schlecht aus? was hast du denn für einen Kummer?« und die Füchsin antwortete: »ach Herr Nikolas, ich habe etwas in meinem Leibe, das, so oft ich nach Hühnern gehe, zu schreien anfängt, bis es die Hausleute hören und ich ohne Hühner flüchten muß; weißt du keinen Rat dafür?« Darauf antwortete der Wolf: »höre Frau Marja, was ich dir rate: steige auf jenen Birnbaum und stürze dich herunter und von dem Sprunge wirst du heil werden.« Da ging die Füchsin hin, stieg auf den Baum, stürzte sich herunter und war tot; und als der Wolf das sah, ging er hin, fraß sie auf und schluckte auch den Halberbs mit.
So oft er nun von da an Schafe stehlen wollte, da schrie der Halberbs aus seinem Bauche: »he Hirten, Hirten! der Wolf frißt euch die Schafe«, und so mußte der Wolf wieder fort. Er nahm sich aber das so zu Herzen, daß er nicht länger leben wollte und sich von einem Felsen herunterstürzte, der bei der Tenne der Eltern des Halberbs lag.
Als nun der Wolf tot war, da kroch das Kind aus seinem Rachen und versteckte sich unter einen Stein der Tenne. Am andern Morgen kam seine Mutter zur Tenne, um dort Brot zu kneten; sie wehklagte über den Verlust ihres Kindes und sprach: »Oi! Oi! wenn ich doch noch Halberbschen hätte, damit es von diesem Brote mit essen könnte«, und als Halberbs das hörte, rief er: »auch für mich eine Bretzel, Mutter! auch für mich eine Bretzel!« Da lief die Mutter zu ihrem Mann und erzählte ihm, was sie gehört hatte; sie gingen nun zusammen auf die Tenne, rissen die Steine auf, fanden unter einem den Halberbs sitzen und trugen ihn vergnügt nach Hause.

[Griechenland: Johann Georg von Hahn: Griechische und Albanesische Märchen]

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