Ich will euch heute von einer Nacht erzählen, wie sie ein Dichter oft erleben kann – die ist weder besonders schön, noch besonders traurig, sie ist nur sehr vergnügt und ganz, ganz anders als die anderen Menschen sich das denken.
Ihr müsst aber alles glauben, was ich euch sage, denn was ich euch erzähle, ist ein richtiges Märchen und alle Märchen sind wahr und wirklich. Man kann sich das gar nicht ausdenken. Nur der Teekessel in meinem Zimmer denkt, dass es keine Märchen gibt und dass ich mir das alles ausdenke, und so wie der Teekessel denken sehr viele Menschen. Seid also nicht so, wie der Teekessel, wenigstens heute nicht. Damit ihr nun wisst, wie ihr nicht sein sollt, will ich euch sagen, wie mein Teekessel ist. Er ist dick und groß und von glänzendem Kupfer. Er hat eine große Schnauze und es ist gar nichts in ihm drin, denn er wird schon lange nicht mehr benutzt. Er tut nichts und auf seinem kupfernen Leibe setzt sich ein feiner grüner Ton an, den die Gelehrten Patina nennen und der sehr vornehm ist. Er hat auch eine schöne Linie, und zwar gerade bei der Schnauze. Bloß Feuer hat er nicht mehr in sich. Findet ihr nicht auch, dass viele Leute so sind wie mein Teekessel?
Also die Sache ging so an, dass ich in meinem Bett lag und an gar nichts dachte. Ich wollte gerne schlafen, aber der Mond schien zum Fenster herein, besah sich in meinem Spiegel und behauptete, ich habe jetzt kein Recht zu schlagen, ich solle lieber aufpassen. Das tat ich denn auch und das erste, was ich sah, war ein kleines Teufelchen, das auf meinem Bettrand saß und Turnübungen machte. Es war ein sehr niedliches kleines Teufelchen, sozusagen ein Teufelchen in den besten Jahre, so groß als ein Zeigefinger, und es hatte einen sehr langen Schwanz – alles ganz schwarz natürlich. Nur ein Ohr war rot – es hatte überhaupt nur ein Ohr und das war dafür auch rot. Recht hatte es! Warum soll man zwei Ohren haben? Das ist ganz überflüssig, und außerdem ist es Geschmackssache.
„Ich komme gerade aus der Hölle“ ,sagte das Teufelchen und turnte. – „Das ist mir gleichgültig“ ,sagte ich, „ich habe schon viele schöne Hexen gekannt. Da stört mich ein kleines Teufelchen gar nicht, auch wenn es eben aus der Hölle kommt und turn.“ Das Teufelchen machte Kopfsprung und schlug den Schwanz graziös um die Beine. „Ich habe auch eine Tante, die hexen kann“ ,sagte es, „meine Tante nimmt nichts dafür, sie tut es aus laute Liebe zur Sache.“ – „Die Hexen, die ich kannte, waren nicht meine Tanten“ ,sagte ich, „aber das ist ja einerlei.“
Das Teufelchen erwärmte sich bei der Unterhaltung, wenn man überhaupt sagen kann, dass sich jemand erwärmt, der aus der Hölle kommt, wo es ja an sich schon sehr warm ist. „Ich habe auch einen Onkel“ ,sagte das Teufelchen eifrig, „mein Onkel röstet die sündigen Seelen. Er röstet sie so lange, bis sie ganz knusprig sind.“ – „Pfui“ ,sagte ich, „Sie haben ja eine scheußliche Verwandtschaft. Im übrigen will ich Ihnen etwas sagen: Halten Sie Ihren Schwanz ruhiger, wenn Sie turnen. Sonst werden Sie sich den Schwanz noch einmal klemmen. Sie sehen, ich gebe Ihnen noch gute Ratschläge, obwohl Ihr Herr Onkel andere Leute röstet, bis sie knusprig sind.“
Das kleine Teufelchen zog den Schwanz ein und schämte sich. „Ich habe auch sehr nette Verwandte“ ,sagte es, „meine Schwester, die schleicht sich unter die Liebespaare der Menschen und setzt ihnen Dummheiten in den Kopf. Dann kommen sie nachher in die Hölle.“ Das Teufelchen rieb sich die Hände vor Vergnügen. „Seien Sie nicht so albern“ ,sagte ich. „Wenn zwei sich lieben, dann kommen sie nicht in die Hölle, sondern in den Himmel. Und die Dummheiten haben sie auch so schon im Kopf – die braucht ihnen kein Teufelchen mehr in den Kopf zu setzen. Das weiß ich nun einmal besser als Sie.
Wenn man anfängt, von der Liebe zu sprechen, so ist das eine sonderbare Sache: es ist, als ob es heimlich Mitternacht schlägt in allen Seelen. Die Dinge sind keine Dinge mehr, es fängt alles an zu leben und es geht wie ein innerliches Weinen und wie ein innerliches Jubeln durch alles was es gibt. – Bloß durch die Teekessel nicht.
Die anderen Gegenstände aber wurden sehr lebendig. Ganz zuerst natürlich das Äffchen und die kleine Kolombine (weibliche Maskenfigur der italienischen Stegreifbühne, Gegenstück zum Harlekin), die auf meinem Tisch standen und beide aus Porzellan waren. Denn sie liebten sich schon lange – und es ist kein Wunder, dass sie gleich lebendig wurden, wie das geschwänzte Teufelchen und ich anfingen, von der Liebe zu sprechen. Warum das Äffchen und die Kolombine auf meinem Tisch standen, werde ich euch nicht sagen, denn das ist mein Geheimnis und das geht niemand etwas an.
„Mein Äffchen“ ,sagte die Kolombine und küsste das Äffchen auf den Mund. Es war sehr rührend. Der strenge bronzene Buddha nebenbei lächelte. Es war ein verstehendes und verzeihendes Lächeln. Er dachte an die schlanken Glieder der braunen Mädchen in Indien und an die Blumen in ihrem Haar. Er dachte auch an ein anderes Mädchen, das auch „mein Äffchen“ sagte zu dem, den es lieb hatte, obwohl das gar kein richtiger Affe war. Aber der bronzene Buddha verstand das alles sehr gut. Nur der Teekessel verstand das nicht, denn der hatte kein Feuer im Leibe, sondern bloß eine Schnauze und die vornehme Patina.
Es geschah aber noch viel mehr, was der Teekessel nicht verstand, denn wenn man von der Liebe spricht, dann geschehen die sonderbarsten Dinge. Aus einer großen kristallenen Schale, die hinter dem Buddha stand, kamen lauter kleine kristallene Geisterchen hervor. Das waren die Kristallgeisterchen, die immer aufgeweckt werden, wenn man von der Liebe spricht. Die kleinen Geisterchen fingen an zu tanzen und es wurden immer mehr und mehr – immer wieder kamen welche aus der tiefen kristallenen Schale hervor und erfüllten das ganze Zimmer.
Es gab einen leise singenden Ton, wenn sich die Kristallgeisterchen berührten, wie von feinen gläsernen Glocken. Der bronzene Buddha lächelte, die kleine Kolombine sagte „mein Äffchen“ und die Blumen in den Vasen neigten ihre Kelche im Mondlicht. Die Kommode sperrte vor Staunen ihren Schubladenmund ganz weit auf und das kleine Teufelchen setzte sich auf den Mund der Kommode, um besser sehen zu können. Das war doch interessanter als der Onkel in der Hölle, der die sündigen Seelen knusprig röstete, ober als die Tante, die hexen konnte.
Es war schon sehr schön und es war so schön, dass ein Muff, den ein kleines Mädchen in meinem Zimmer vergessen hatte, bis ins letzte Haar davon gerührt wurde. Warum das kleine Mädchen den Muff bei mir vergessen hatte, weiß ich selbst nicht zu sagen. Ein Muff ist ein so sehr nützlicher und auch sehr, sehr vielseitiger Gegenstand – das hatten das kleine Mädchen und ich schon oft erfahren. Wie gefällig hatte er uns zum Beispiel die Hände gewärmt, und zwar unser beider Hände zusammen. Abe wir hatten wohl sehr viel Wichtiges miteinander zu besprechen und bei wichtigen mündlichen Verhandlungen kann man sich so sehr vertiefen, dass man sogar einen Muff vergisst.
Wie der Muff nun alle die vielen Kristallgeisterchen sah und bis ins letzte Haar gerührt wurde – er neigte so schon zur Rührung, weil er so viel erlebt hatte – da kam er auf mein Bett gekrochen, seufzte tief auf und kriegte Kinder. Lauter kleine, süße, weiche Muffkinderchen … – Und ihr alle seid Teekessel, wenn ihr das nicht glaubt.
Der Teekessel glaubte das auch nicht und sah es auch nicht, denn er machte die große Schnauze auf und begann zu reden, lauter langweiliges Zeug von seiner vornehmen Patina, von seiner schönen Linie und dem kupfernen Leibe, in dem kein Feuer mehr war. Das war sehr schade. Denn wenn ein Teekessel mit seiner großen Schnauze zu reden anfängt, dann verkriechen sich alle die Kristallgeisterchen der Liebe und alle Märchen gehen schlafen. Die Kristallgeisterchen gingen in die kristallene Schale zurück, aus der sie gekommen waren, der Buddha sah ernst und verdrießlich aus und nur die Kolombine seufzte noch einmal „mein Äffchen“ – dann stand sie steif und still da und niemand sah mehr, wie viel Liebe und Leben sie eigentlich im Leibe hatte. Die Kommode machte den Schubladenmund so schnell und ärgerlich zu, dass sie dem Teufelchen den Schwanz ein bisschen einklemmte. Der Muff steckte besorgt und behutsam alle die süßen, kleinen , weichen Muffkinderchen wieder in sich hinein. Denn für einen Teekessel hatte er diese Kinder nicht zur Welt gebracht!
Ich selbst aber schlief ein, denn ich weiß es aus Erfahrung, dass es unsagbar langweilig ist, wenn ein Teekessel mit seiner großen Schnauze zu reden anfängt.
Am andern Morgen war alles so wie immer. Nur das kleine Teufelchen saß auf dem Rande meines Wasserglases und kühlte sich den geklemmten Schwanz. Da nahm ich es und steckte es ganz ins Wasser hinein. Vielleicht wäre es gut, wenn man alle die kleinen Teufelchen in kaltes Wasser steckte und sie abkühlte. Dann würde die Welt am Ende ein bisschen besser werden. Wir wollen es aber lieber nicht tun. Denn die großen Teufel würden wir dadurch doch nicht los und ohne die kleinen Teufel würde die Welt wohl ein ganz klein wenig besser werden – aber dafür auch sehr, sehr viel langweiliger und die Leute würden am Ende alle Teekessel.
Nein, ich will das Teufelchen wieder aus dem Wasser nehmen und es dem kleinen Mädchen in den Muff setzen. Freilich wird das Teufelchen dem kleinen Mädchen dann sagen, dass es in die Hölle kommt, wenn es mich lieb hat. Aber das tut nichts. Das kleine Mädchen weiß es besser und es weiß, dass man durch die Liebe nicht in die Hölle kommt, sondern in den Himmel. Und der Muff wird das ganz gewiss bestätigen, denn er ist oft mit uns zusammen gewesen – und er wird dem kleinen Mädchen erzählen, dass er Kinder gekriegt hat, lauter kleine, süßte, weiche Muffkinderchen. Und es schadet gar nichts, wenn er ihm das erzählt!
Quelle:
Manfred Kyber