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Vom Schafhirten und dem Drachen

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Es war ein Schafhirt, und als Schafhirt weidete er Schafe. Wenn er die Schafe weidete, blies er sich gewöhnlich eins auf seiner Hirtenpfeife, oder lag auf dem Boden, und sah nach dem Himmel, nach den Bergen, auf die Schafe und auf den grünen Rasen.
Eines Tages – es war im Herbst, zu der Zeit, wo die Schlangen in die Erde schlafen gehen – lag der liebe Schafhirt auf dem Boden, den Kopf auf den Ellnbogen gestützt, und schaute vor sich hin den Berg hinab.
Da sah er sein Wunder. Eine große Menge Schlangen kroch von allen Seiten zu dem Felsen heran, der gerade vor ihm stand; als sie bei dem Felsen angekommen, nahm jede Schlange ein Kraut, das dort wuchs, auf die Zunge und berührte mit dem Kraut den Felsen; dieser öffnete sich, und eine Schlange nach der andern verschwand im Felsen.
Der Schafhirt erhob sich vom Boden, befahl seinem Hunde Dunaj die Schafe zu weiden, und ging zu dem Felsen, indem er bei sich dachte: »Muß doch sehen, was das für ein Kraut ist, und wohin die Schlangen kriechen!« Es war ein Kraut, er kannt‘ es nicht; als er’s aber abriß, und den Felsen damit berührte, öffnete sich der Felsen auch ihm.
Er ging hinein und befand sich in einer Höhle, deren Wände von Gold und Silber strahlten. In der Mitte der Höhle stand ein goldner Tisch; auf dem Tische lag, kreisförmig in sich gewunden, eine ungeheure alte Schlange. Um den Tisch herum lagen lauter Schlangen; alle schliefen so fest, daß sie sich nicht rührten, als der Schafhirt eintrat.
Dem Schafhirten gefiel die Höhle, so lang‘ er in ihr herum ging; dann bekam er lange Weile, erinnerte sich an die Schafe, und wollte zurück, indem er bei sich dachte: »Hab‘ geseh’n, was ich wollte, will jetzt geh’n.« Es war leicht zu sagen. »Will jetzt geh’n!« – aber wie hinaus? Der Felsen hatte sich hinter dem Schafhirten geschlossen, als er in die Höhle trat; der Schafhirt wußte nicht, was zu thun, was zu sprechen, damit sich ihm der Felsen öffne, und so mußte er in der Höhle bleiben.
»Ei, wenn ich nicht hinaus kann, will ich schlafen,« sagte er, hüllte sich in seine Kotze, legte sich auf den Boden und schlief ein.
Es schien ihm, daß er nicht lange geschlafen, als ihn ein Rauschen und Flüstern weckte. Er blickt um sich und meint, daß er in seiner Hütte schlafe; da sieht er über sich, um sich die strahlenden Wände, den goldnen Tisch, auf dem Tische die alte Schlange, und um den Tisch eine Menge Schlangen, die den goldenen Tisch lecken, indem sie dazwischen fragen: »Ist’s schon Zeit?«
Die alte Schlange läßt sie reden, bis sie langsam den Kopf erhebt und sagt: »S‘ ist Zeit!«
Als sie dies gesprochen, streckte sie sich vom Kopf bis zum Schwanze wie eine Ruthe, kroch vom Tisch auf den Boden, und begab sich zum Eingang der Höhle. Alle Schlangen krochen ihr nach.
Der Schafhirt streckte sich gleichfalls, wie sich’s gehört, gähnte, stand auf, und ging den Schlangen nach, indem er bei sich dachte: »Wo sie gehen, will ich auch gehen.« Es war leicht zu sagen: »Will ich auch geh’n« – aber wie?
Die alte Schlange berührte den Felsen; der öffnete sich und die Schlangen, eine nach der andern, schlüpften hinaus. Als die letzte Schlange draußen war, wollte auch der Schafhirt hinaus, allein, der Felsen schloß sich ihm vor der Nase, und die alte Schlange zischte ihm mit pfeifendem Tone zu: »Du, Menschlein, mußt da bleiben!«
»Ei, was sollt ich da bei Euch machen? Gesellschaft habt Ihr keine, und schlafen werd‘ ich nicht in einem fort. Laßt mich hinaus, hab‘ die Schafe auf der Weide und zu Hause ein schlimmes Weib, das mich auszanken würde, käm‘ ich nicht zur Zeit nach Hause,« sagte der Schafhirt.
»Du darfst nicht von hier, bevor Du nicht einen dreifachen Eid ablegst, daß Du Niemandem sagst, wo Du gewesen, und wie Du zu uns gekommen,« pfiff die Schlange.
Was sollte der Schafhirt thun? Gern schwor er einen dreifachen Eid, nur um hinaus zu kommen.
»Hältst Du aber den Eid nicht, wird’s Dir schlimm ergehen!« drohte die alte Schlange, als sie den Schafhirten hinaus ließ. –
Doch welche Verwandlung draußen! Dem Schafhirten begannen vor Schrecken die Knie zu zittern, als er sah, wie sich die Jahreszeit verändert habe, daß anstatt Herbstes Frühling sei.
»O ich Aermster, was hab‘ ich gethan, daß ich den Winter im Felsen verschlief! Je, je, wo find‘ ich meine Schafe, und was wird mein Weib sagen!« So wehklagte er, indem er traurig zu seiner Hütte hinauf schritt.
Er sah von weitem sein Weib, das womit beschäftigt war. Noch nicht vorbereitet auf ihre Vorwürfe, versteckte er sich in eine Hürde. Als er in der Hürde saß, sah er, daß ein hübscher Herr zu seinem Weibe trat und er hörte, daß er sie fragte, wo sie ihren Mann habe.
Das Weib begann zu weinen, und erzählte, wie eines Tags im Herbste der Hirt die Schafe auf die Weide getrieben, und nicht mehr wiedergekommen. Der Hund Dunaj habe die Schafe gebracht, der Schafhirt, der sei dahin. »Vielleicht haben ihn die Wölfe gefressen,« schloß sie, »vielleicht die Kobolde in Stücke zerrissen!«
»Wein‘ nicht!« rief ihr der Schafhirt aus der Hürde zu. »Ich bin am Leben, mich haben nicht die Wölfe gefressen, noch die Kobolde in Stücke zerrissen, ich hab‘ den Winter in der Hürde verschlafen.« Allein das bekam dem Schafhirten übel.
Sobald sein Weib die Worte vernommen, hörte sie auf zu weinen und fing an zu zanken: »Daß Dich das Wetter, Du fauler Schlingel! Bist Du ein ordentlicher Mensch? Bist Du ein Schafhirt? Emphielt die Schafe dem lieben Herrgott, legt sich in die Hürde, und schläft wie die Schlangen im Winter!«
Der Schafhirt gab seinem Weibe im Stillen Recht; weil er aber nicht verrathen durfte, was mit ihm vorgegangen, schwieg er und muckste nicht. Der schöne Herr aber sagte zu dem Weibe, ihr Mann habe nicht in der Hürde geschlafen, er sei wo anders gewesen, und wenn ihm der Schafhirt seine Frage beantworte, wolle er ihm viel Geld geben.
Das Weib giftete sich furchtbar über ihren Mann, daß er sie belogen, und wollte mit aller Gewalt wissen, wo er gewesen. Der schöne Herr aber schickte sie fort, und versprach ihr Geld, wenn sie schweige. Er selbst gedachte den Schafhirten zu packen.
Als das Weib sich entfernt hatte, nahm der schöne Herr seine natürliche Gestalt an, und da sah der Schafhirt einen Zauberer aus den Bergen vor sich stehen. Er erkannte ihn, weil ein Zauberer drei Augen im Kopf hat. Der Zauberer war ein gewaltiger Mann, er konnte sein Aeußres nach Belieben wechseln, und wer sich ihm widersetzt hätte, den hätte er zum Beispiel in einen Widder verwandelt.
Der Schafhirt erschrak entsetzlich vor dem Zauberer; er hatte noch größere Furcht vor ihm, als vor seinem Weibe. Der Zauberer fragte ihn, wo er gewesen, was er gesehen? Der Schafhirt erbebte bei der Frage. Was sagen? Er fürchtete sich vor der alten Schlange und vor dem Eidbruch, und vor dem dreiäugigen Zauberer fürchtete er sich auch.
Als ihn aber der Zauberer zum dritten Male fragte, und zwar mit furchtbarer Stimme, wo er gewesen, und was er gesehen, und als seine Gestalt, wie es ihm schien, immer größer und größer ward – da vergaß der Schafthirt des Eidschwurs. Er bekannte, wo er gewesen, und wie er in den Felsen gekommen.
»Gut,« sprach der Zauberer, »jetzt komm‘ mit mir, und zeig‘ mir den Felsen und das Kraut!« Der Schafhirt mußte geh’n.
Als sie zu dem Felsen kamen, riß der Schafhirt das Kraut ab, legte es auf den Felsen, und der Felsen öffnete sich. Der Zauberer wollte aber nicht, daß der Schafhirt hinein gehe, noch ging er selbst weiter, sondern zog ein Buch hervor, und begann daraus laut zu lesen. Der Schafhirt ward blaß vor Angst.
Da erzitterte auf einmal die Erde, aus dem Felsen ließ sich ein Zischen und Pfeifen hören, und heraus kroch ein riesiger Drache, in welchen sich die alte Schlange verwandelt hatte. Aus dem Rachen loderte Feuer, der Kopf war riesengroß, mit dem Schwanze schlug er links und rechts, und berührte er einen Baum, so schmetterte er ihn nieder.
»Wirf ihm die Halfter um den Hals!« befahl der Zauberer, indem er dem Schafhirten eine Art Zaum reichte, ohne die Augen vom Buche zu wenden. Der Schafhirt nahm den Zaum, fürchtete sich aber dem Drachen zu nahen; erst als ihm der Zauberer zum zweiten und dritten Male gebot, war er bereit, zu gehorchen. Doch ach des armen Schafhirten! Der Drache drehte sich hin und her, und eh‘ sich’s der Schafhirt versah, saß er auf des Drachen Rücken, und der Drache flog mit ihm in die Luft empor. In dem Augenblicke ward es pechfinster; nur das Feuer, das der Drache aus Rachen und Augen spie, leuchtete auf den Weg. Die Erde zitterte, die Steine kollerten von den Bergen in die Thäler. Zornig schlug der Drache mit seinem Schwanze links und rechts, und rechts und links, und die Buchen, die Tannen, die er traf, zerbrachen wie Rüthlein – und er sprudelte so viel Wasser nieder, daß es von den Bergen strömte, dem Wagfluß gleich. Das war etwas Schreckliches, Entsetzliches: der Schafhirt war halbtodt.
Allmählig aber schien sich die Wuth des Drachen zu dämpfen; er schlug nicht mehr mit dem Schwanze, er sprudelte kein Wasser, er spie kein Feuer mehr. Der Schafhirt kam zur Besinnung, und meinte, der Drache werde sich hinunter lassen. Doch dieser hatte nicht genug, er wollte den Schafhirten noch ärger strafen. Höher und immer höher stieg der Drache in die Luft, beständig höher und höher, bis dem Schafhirten die riesigen Berge und Wälder wie Ameisenhaufen erschienen, und immer noch höher stieg er, und als der Schafhirt nichts als Sonne, Sterne und Wolken erblickte, blieb der Drache mit ihm in der Luft hangen.
»Je, je, du lieber Gott, was fang‘ ich an! Da hang‘ ich in der Luft. Spring‘ ich hinunter, schlag‘ ich mich todt, und in den Himmel hinauf kann ich nicht fliegen,« wehklagte der Schafhirt, und begann bitter zu weinen. Der Drache muckste nicht. »O Drache, großmächtigster Herr Drache, habt Erbarmen mit mir!« bat er. »Fliegt mit mir wieder hinunter! Mein‘ Lebtag‘ will ich Euch nie mehr in Zorn bringen!« Ein Stein hätte sich über den armen Schafhirten erbarmt; der Drache schnaubte und geiferte, sprach nicht eine Silbe und rührte sich auch nicht.
Da schlägt auf einmal an’s Ohr des Schafhirten Lerchengesang. Der Schafhirt freute sich. Näher und näher flog die Lerche zu ihm, und als sie über ihm schwebte, bat sie der Schafhirt: »O Lerche, du gottgefällig Vöglein, ich bitte Dich, flieg‘ zum himmlischen Vater, und klag‘ ihm meine Noth! Sag‘ ihm, daß ich ihn schön grüßen lasse, und ihn um seine Hilfe fleh‘!«
Die Lerche flog zum himmlischen Vater und richtete die Bitte des Schafhirten aus. Und der himmlische Vater erbarmte sich über den Schafhirten, schrieb etwas mit goldener Schrift auf ein Birkenblatt, steckte das Blatt der Lerche in den Schnabel, und befahl ihr, es auf das Haupt des Drachen niederzulassen.
Die Lerche flog, ließ das Blatt, das mit goldner Schrift beschriebne, auf des Drachen Haupt fallen, in dem Augenblicke stieg der Drache mit dem Schafhirten zur Erde hinab.
Als der Schafhirt zur Besinnung kam, sah er, daß er bei seiner Hütte stand, sah den Hund Dunaj, wie er die Schafe weidete, nahm’s Betglöcklein wahr – und die Geschichte ist alle.

[Slowakei: Joseph Wenzig: Westslawischer Märchenschatz]

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