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Märchenbasar

Vom treuen Pferd Lurdscha

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Es war einmal ein Turm, der Turm war so hoch, daß er fast bis zu den Wolken reichte.
Der Turm hatte ein einziges Fenster, aus dem
Fenster schaute Marina. Diese war schön wie die Sonne, die zwischen den Wolken am Himmel strahlte. Aber Marina durfte nicht einen Schritt hinaus tun. nur dem alten Diener war es erlaubt, den Turm zu betreten.
Auch wenn Marina vor der Welt verborgen wurde, konnte sie oftmals doch vom Fenster aus ihre Pflegeeltern sehen, den König und die Königin. Sie hatten ihrem königlichen Vater am Krankenlager versprochen, Marina nach seinem Tode zu sich zu nehmen. Aber als es an der Zeit war, ihr Versprechen einzulösen, ließen sie das schöne Mädchen holen und in den Turm sperren. Mittlerweile war die Prinzessin zu einer schönen Jungfrau herangewachsen, und ihre Sehnsucht, die Welt hinter den dicken Mauern des Turmes kennenzulernen, nahm von Tag zu Tag zu. Hinter der Mauerseite, in der es keine Fenster gab, sangen die Mägde, wenn sie aufs Feld gingen, plauderten sie fröhlich auf dem Heimweg mit den Knechten. Die Prinzessin aber war allein und traurig, hatte niemanden, der mit ihr lachte und plauderte.
Eines Morgens jedoch befahlen der König und die Königin dem alten Diener, von nun an die Turmtür nicht mehr zu verschließen und das Mädchen in den Palast zu bringen. Froh war Marina. Aber wie ihr niemals gesagt worden war, warum man sie in den Turm gesperrt hatte, so sagte man ihr auch jetzt nicht, warum man sie herausließ. warum die Turmtür fortan unverschlossen bleiben sollte. Kaum hatte die schöne Prinzessin Marina aber den Turm verlassen, kaum hallte sie sich einen Augenblick über die Freiheit gefreut, kaum hatten ihre Blicke das weite Land gestreift, da näherte sich mit weiten Sprüngen ein Pferd.
Das lief dreimal um den Turm herum und blieb dann vor Marina stehen. Es war das Pferd Lurdscha, die rote Flamme. Lurdscha sah das Mädchen mit gütigen Augen an und begann mit menschlicher Stimme zu sprechen:
„Freue dich nicht zu früh, Prinzessin, der König und die Königin rufen dich nicht aus Sehnsucht und Zärtlichkeit, sie rufen dich, weil sie dein Herz und dein Haar wollen.
beides soll ihnen nach den Worten einer alten Hexe ihre Jugend wiedergeben. Aber vertraue mir, dir wird kein Leid geschehen!“
Und dann sagte Lurdscha der Prinzessin was sie tun solle: „Bevor sie dich zu töten gedenken, wirst du die Erlaubnis erhalten, einen Wunsch auszusprechen. Wünsche, als Knabe verkleidet einmal um das Schloß reiten zu dürfen. Wenn du in dem Sattel sitzt, schlage das Pferd. Beim dritten Schlag, aber halte dich fest!“ Marina wußte nicht, wie ihr geschah.
In den Tod wollten der König und die Königin sie schicken. Und das sagten sie ihr auch frei heraus. „Aber, wenn du willst, kannst du noch einen letzten Wunsch aussprechen“, sagte der König. Als Marina ihren Wunsch bleich und unter Tränen geäußert hatte, befahl er, die Knabenkleidung zu bringen, einen Mantel, eine Hose und eine Mütze. Dann befahl er, den Rappen zu satteln, der vor dem Palast auf der Wiese weidete. Und das war Lurdscha, das treue Pferd. Kaum saß Marina als Knabe verkleidet im Sattel, da schlug sie auf das Pferd ein. Als sie zum dritten Mal geschlagen hatte, bäumte es sich auf, wieherte, galoppierte auf das Tor zu und setzte mit einem gewaltigen Sprung darüber hinweg. Es flog mit der Prinzessin wie ein Vogel dahin, flog über neun Berge, flog über Flüsse, die wie silberne Schwerter glänzten, flog über Stromschnellen, die wie weiße Perlen glitzerten, flog, bis seine Kräfte erlahmten.
Inmitten eines grünen Waldes blieb es stehen.
Dort brachen zwei Rehe aus dem Gebüsch, auf der Flucht vor den Jägern, vor den Jagdhörnern, vor einer Meute Hunde.

Einer der Jäger war der Königssohn. Er wunderte sich sehr über das liebliche Antlitz und das lange, glänzende Haar des Knaben.
Aber war das wirklich ein Knabe? War es nicht etwa ein Mädchen, das seinem Pferd über die Mähne strich und Anstalten machte, weiterzureiten. Der Königssohn wollte seiner Sache sicher sein, drum lud er Marina in sein Schloß ein. „Bist du ein Mädchen, so wirst du dich sicher verraten“, dachte er bei sich.
Im Schloß angekommen, eilte der Prinz zu seiner Mutter und sagte:

„Ich weiß nicht, ist es ein Mädchen schön,
das ich zuerst im Wald gesehen,
in Kleidern eines Knaben,
wer weiß es, kann es sagen?“

Da riet ihm die alte Königin: „Stelle ihn auf die Probe. Ist dein Gast ein Mädchen, wird es niemals ohne Sattel reiten, wenn es aber ein Jüngling ist, wird er es mühelos können.“
Marina hatte alles mitangehört. Sie eilte zu Lurdscha, und Lurdscha beruhigte sie, obwohl das Pferd wußte, daß Marina noch kein einziges Mal ohne Sattel geritten war.
„Halte dich nur ganz fest. Ich werde dir helfen.“ Lurdscha brauchte nicht einmal einen guten Reiter auf seinem Rücken, um selbst den Wind zu überholen. Seine Augen sprühten Feuer, als er mit Marina, die ohne Sattel auf seinem Rücken saß, das Pferd des Königssohnes überholte. Weit hinter ihm blieb der Königssohn mit seinem Schimmel zurück.
Enttäuscht kam der Prinz wieder zu seiner Mutter und sagte:

„Ich weiß nicht, ist ein Mädchen schön,
das ich zuerst im Wald gesehen,
in Kleidern eines Knaben,
wer weiß es, kann es sagen?“

Da riet ihm die Königin: „So führe unseren Gast in deine Gemächer. Behänge die Wände mit kostbaren Teppichen, lege Schmuck, Perlen und Edelsteine auf den Tisch und auf die Truhe Seide und Goldbrokat. Dann lade ihn ein, er möge sich ein Geschenk auswählen, und wir werden sehen.“ Der Königssohn wollte Marina in seine Gemächer führen. Aber Marina eilte in den Pferdestall: „Lurdscha, was gefällt einem Mann am meisten? Was soll ich wählen?“ „Nimm das Schwert“, antwortete Lurdscha. Und Marina griff im Gemach des Königssohnes zum Schwert, das an der Wand hing, griff nach ihm mit Bewunderung, zog es aus der Scheide und sagte: „Ein gutes Schwert, ein altes Schwert, flink und scharf. Seine Klinge ist wie eine Flamme.“ Die herrlichen Stoffe, Teppiche, Perlen, Vasen würdigte sie keines Blickes. Marina erhielt das Schwert, an dem ihr nichts lag, mit dem sie nicht umzugehen wußte. Der enttäuschte Königssohn aber ging zu seiner Mutter und sagte:

„Ich weiß nicht, ist es ein Mädchen schön.
das ich zuerst im Wald gesehen,
in den Kleidern eines Knaben,
wer weiß es, kann es sagen?

Die alte Königin dachte erneut darüber nach, wie sich das Rätsel lösen lasse. Lange dachte sie nach, und schließlich sprach sie: „Stellen wir unseren Gast noch ein letztes Mal auf die Probe. Fordere ihn auf, einen bis zum Rand gefüllten Becher bis zum Grund austrinken.
Einem Jüngling kann davon der Kopf nicht schwindeln.“ Als es Abend wurde, reichte der Königssohn Marina einen Becher mit schwerem Wein, bat sie, mit ihm auf Freundschaft für alle Zeit anzustoßen.
Nun stand es schlecht um Marina, die noch nie einen Tropfen Wein zu sich genommen hatte.
Nun konnte sie nicht nur die Lippen benetzen.
Sie mußte den Becher bis zum Grunde leeren, wenn sie sich nicht verraten wollte.
Kaum aber hatte sie einen Schluck getrunken, drehte sich ihr Kopf, kaum hatte sie den Becher bis zur Hälfte geleert, fiel er ihr aus der Hand, und sie sank wie ohnmächtig zur Erde.
„Es war, wie du siehst, eine gute Probe“, sagte die alte Königin zu ihrem Sohn. Dann ließ sie zwei Mägde rufen. Die trugen das schöne Mädchen in sein Gemach und legten kostbare Kleider und mit Perlen besetzte Schuhe bereit. Als Marina die Augen aufschlug, sah sie sich erstaunt in dem Gemach um. Was war geschehen? Hatte sie nicht eben noch mit dem Königssohn einen Becher Wein geleert und auf Freundschaft für ein ganzes Leben getrunken? Da sah sie die kostbaren Kleider, die mit Perlen besetzten Schuhe. Und wie im Traum legte sie ihre Kleider ab, wie im Traum zog sie an, was die Mägde bereitgelegt hatten.
Und als sie ihr Haar gekämmt und die Spange hineingesteckt hatte, eilte sie in den Stall, ihrem treuen Pferd Lurdscha zu erzählen, was geschehen war. Uns als sie ihr alles erzählt hatte, seufzte das Mädchen: „Wenn ich nur wüßte, was nun aus mir werden soll!“
„Eine Braut“, sagte Lurdscha, und seine Augen sprühten, während er dies sagte, wie Feuer. Marina sah auf, lachte, strich über die weiche Mähne des Pferdes und lief ins Schloß
zurück. „Es sei, wie du es willst“, sprach sie zu dem überraschten Königssohn, „ich werde deine Frau.“ Und bald darauf war Hochzeit, die dauerte drei Tage und einen Tag dazu. Und es kamen alle, die geladen waren und auch die, die nicht geladen waren. Und für alle gab es reichlich zu essen und zu trinken. Als die Hochzeit zu Ende war, gingen die, die geladen waren und auch die, die nicht geladen waren, wieder nach Haus, und jeder dachte für sich:
„So eine Hochzeit gibt’s nicht alle Tage.“

Ein Jahr lebten der Königssohn und Marina glücklich und zufrieden, ein Jahr lang trennten sie sich keinen Tag. Dann dankte der alte König ab, und sein Sohn mußte ihm auf den Thron folgen. Es war aber Brauch, daß ein neuer König den Königen der Nachbarländer bald nach seiner Thronbesteigung einen Besuch abstattete. Und so mußte Marina allein im Schloß zurückbleiben. Sie bat ihren Mann jedoch, statt seines Pferdes Lurdscha zu nehmen. Und der willigte ein. „Vergiß aber nicht, daß Lurdscha niemals angebunden darf“, sagte Marina, bevor sie sich von dem Mann, dem jungen König, verabschiedete.
„Ich werde an alles denken“, antwortete dieser.

Bald darauf die Königin einen Knaben. Die Nachricht von der Geburt des Kindes verbreitete sich schnell im ganzen Land und gelangte selbst über die Grenzen, denn die alte Königin hatte ihrem Sohn in einem Brief von der Geburt des Knaben berichtet. Der Brief wurde jedoch vertauscht. Der Bote, der ihn in seinem Wams stecken hatte, übernachtete in dem Gesindehaus, das zum Schloß des Königs und der Königin gehörte, die Marina in den Turm hatten sperren lassen, die dem schönen Mädchen nach dem Leben getrachtet hatten.
Kaum hatten sie vernommen, wo der Bote herkam und wo er hinwolle, beschlossen sie, Marina zu schaden. Sie beauftragten einen der Knechte, deren Lachen und Scherzen Marina im Turm oft gehört hatte, dem Boten den Brief aus dem Wams zu nehmen, und dafür einen anderen hineinzustecken. In diesem Brief stand, seine Frau habe weder einen Knaben noch ein Mädchen, sie habe ein Ungeheuer zur Welt gebracht. Als der junge König das las, erschrak er, und seine Stirn legte sich in tiefe Falten. Doch dann dachte er an seine schöne Frau, und schon verflogen die düsteren Gedanken wie Gewitterwolken vor der Sonne, und so schrieb er nur: Sorgt euch um die Königin! Der Bote steckte das Schreiben in seinen Wams, sprang aufs Pferd und ritt zurück. Nach drei Tagen und drei Nächten hatte er die Hälfte seines Weges hinter sich. Weil er sich aber kaum noch in seinem Sattel halten konnte, stieg er vor seinem Pferd und ging ins Gesindehaus, das zum Schloß des bösen Königs und der bösen Königin gehörte.
Dort streckte er sich aus und schlief ein, daß er auch nicht aufgewacht wäre, wenn ihn einer an den Beinen genommen und fortgeschleift hätte. Kaum aber hatten der König und die Königin vernommen, daß der Bote wieder im Gesindehaus sei, beauftragten sie einer der Knechte, das, was sie geschrieben hatten, mit dem, was der Bote in seinem Wams trug, zu vertauschen. In diesem Brief hatten sie geschrieben: Heizt den Ofen, laßt ihn drei Tage brennen und werft am dritten Tag Mutter und Kind hinein. Der Bote ahnte nicht, welche schlimme Nachricht er die zweite Hälfte des Weges bei sich trug. Aber er sollte es bald erfahren, denn im schloß hub ein Weinen und Wehklagen an, Aber weil niemand es anders gewohnt war, weil man schon immer eines Königs Befehlen gehorcht hatte, weil ein König mächtig war und selbst die eigene Mutter und den eigenen Vater in den Turm werfen konnte, ohne daß er selbst bestraft würde, taten alle, was in dem Brief, den die alte Königin erhalten hatte, geschrieben war.
Also heizten die Diener drei Tage den Ofen und als der dritte Tag zu Neige ging, als die Nacht angebrochen war, und Marina und der Knabe schliefen, schickten sie einen von ihnen, Mutter und Kind zu holen und in den Ofen zu werfen. Indessen stand Lurdscha auf einer großen Wiese, fest an einen Pfahl gebunden. Und Lurdscha witterte Rauch, der nichts Gutes verhieß. Er riß an dem Strick, den die Knechte des Königs, bei dem der junge Könige gerade zu Gast war, um eines seiner Beine gebunden hatten. Als aber der Strick nicht nachgeben wollte, sich nur noch fester spannte, schlug Lurdscha so heftig mit den Hufen aus, daß er sich das Bein aus dem Leibe riß. Noch ehe Marina begriff, was mit ihr und ihrem Kind geschehen sollte, sprengte das Pferd die Schlosstreppe hinauf, noch ehe die Diener die Augen weit aufgerissen hatten und ein Schrei des Erstaunens aus ihrem Mund gekommen war, trug das treue Pferd die junge Königin und den Knaben mit dem goldenen Haar auf seinem Rücken davon.

Sieben Tage vergingen, sieben Tage, an denen im Schloß alle bange der Rückkehr des Königs harrten. Und als dieser am achten Tag vom Pferd stieg, daß der König des Nachbarlandes ihm für den vermeintlichen Verlust von Lurdscha zum Geschenk gemacht hatte, gab es im Schloß ein großes Wehklagen. Der stolze König und die Königin, alle mußten begreifen, daß der junge König niemals einen solchen Befehl erteilt hatte. Und welche Erklärungen sie auch gaben, wieviel Sorgen sie auch für ihn trugen, der junge König sagte fortan kein einziges Wort, blieb stumm. Was sie auch herbeitrugen, ihm Freude zu bereiten, der junge König sah es mit leeren Blicken an.
Und so trugen sie’s wieder hinaus und sagten:
„Der König ist krank.“ Da ließ der alte König alle Ärzte des Landes kommen, die berühmten und die weniger berühmten. „Denn“, sagte der König, „manchmal weiß einer, der weniger berühmt ist, mehr als der Berühmte.“
Aber werde die berühmten noch die weniger berühmten Ärzte vermochten den jungen König zu heilen. Da beschloß der alte König, sein Pferd zu satteln und in die Welt zu reisen, Marina und den Knaben mit dem goldenen Haar zu suchen. Und das tat er. Wohin hatte das treue Pferd Lurdscha sie gebracht?
Auf einen hohen, weißen Felsen, der inmitten grüner Wälder zum Himmel emporragte.
„Hierher gelangt keines Menschen Bosheit.
Hier Marina, kannst du mit deinem Sohn bleiben“, sagte er dabei und schlug solange mit den Hufen an den Fels, bis ein Messer aufblitzte. „Mit drei Beinen kann ich dich fortan nicht mehr schützen. Nimm dieses Messer und spalte mich, das ist ein Befehl!“
„Das werde ich niemals tun!“ rief Marina, und sie weinte, wollte lieber ihr Leben geben, als das seine zu nehmen. „Ich befehle dir zu tun, was getan werden muß“, sagte Lurdscha, „denn geschieht es nicht, wirst du und auch dein Kind in der Einöde sterben. Und nun merke: Wenn du getan hast, was getan werden muß, stelle meine Füße in drei Richtungen, meinen Kopf lege in die Mitte, auf ihn trete und rufe: „Im Namen meines treuen Pferdes Lurdscha stehe hier ein Haus.“ Da nahm Marina das Messer auf und hieb, und es wollte ihr schier das Herz brechen, das Pferd mittendurch. Dann stellte sie seine drei Füße in drei Richtungen, legte seinen Kopf in die mitte, trat auf ihn und rief, was Lurdscha ihr zu rufen befohlen hatte. Und siehe da, kaum war ihr Ruf verhallt, da wuchs auf dem Berg ein großes Haus, das von drei Säulen getragen wurde. Und alsbald sprang eine Quelle aus dem Felsen und Vögel sangen und Blumen erblühten, und Damhirsch, Wolf und Reh kamen, der jungen Königin und ihrem Kind zu dienen. Der Knabe aber wuchs an einem einzigen Tag gleichviel wie andere Kinder in einem Monat.

Der alte König aber, der sein Pferd gesattelt hatte, Marina und den Knaben zu suchen, ritt durch Städte und Dörfer, überquerte Flüsse und Berge, und gute Leute wiesen ihm den Weg, der weiter und immer weiter führte, bis er vor einem hohen. weißen Felsen endete, aus dem das Quellwasser, funkelnden Kristallen gleich, sprang. Als er sein Pferd an der Quelle getränlt und sich selbst erfrischt, seine Stirn gekühlt hatte, erblickte der König einen Knaben mit goldenem Haar, der, von einem Damhirsch begleitet, einen Krug in den Händen, leichtfüßig von einer Felskante auf die andere sprang. Und als er bei hm war, streckte der alte König die Hände nach dem Knaben aus und sagte: „Sieh den Ring an meinem Finger. Er zeigt das Wappen eines Königs. Nimm den Ring und zeige ihn deiner Mutter. Sie wird das Wappen erkennen.“
Und der Knabe ließ den Krug stehen, nahm den Ring und kletterte behände den Fels hinauf. Als Marina den Ring sah, strich sie dem Knaben über das Haar und bat ihn, noch einmal hinunterzugehen und den alten König den Fels hinaufzubegleiten. „Ihr hattet Böses mit mir und meinem Sohn im Sinn“, sagte Marina, als der König vor ihr stand, „und es wäre besser gewesen, Ihr wäret umgekehrt, bevor mein Sohn begriff, wer Ihr seid. Nun aber wird er nicht ruhen, wird immer andere Fragen haben, wird wissen wollen, warum Euch Euer Weg hier hergeführt hat. Wie aber soll ich dies beantworten, wenn ich es selbst nicht weiß. Darum sagt mit Euer Anliegen.“
Der alte König brauchte lange, bis er die rechten Worte fand. Marina, die fröhliche junge Königin, hier erschein ihm ernst und erhaben. „Kehre zurück“, sagte der alte König, „denn Leere und Trauer erfüllen das Schloß seit du fort bist. Dein Mann, der König, sagt aus Gram über den Verlust seiner Frau und seines Kindes kein einziges Wort, bleibt stumm, und das Volk murrt schon, denn ein König muß etwas zu sagen haben. Und dieser, mein Sohn, gab niemals den schrecklichen Befehl, den auszuführen dein treues Pferd Lurdscha verhindert hat.“ Als der König geendet hatte, sagte Marina: „Ich will Euch glauben, und im Namen meines treuen Pferdes, das in meiner Erinnerung lebendig bleiben wird, rufe ich: „Verbinde dieses Haus mit dem Schloß, in dem ich soviel Freude und soviel Leid erfahren habe.“ Da begann der Fels zu beben, da öffnete sich eine Wand, da wurde ein Gang frei, der zum Schloß der jungen Königin führte.
Und weiter geht es wie im Märchen:

Da gab es ein frohes Wiedersehen
und ein Fest,
das erst nach sieben Tagen aus war.
Alle bekamen sie Wein,
aus meiner Kanne aber
floß literweise Wasser heraus.
*
Märchen aus Grusinien

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