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Märchenbasar

Vom weißen und vom roten Kaiser

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Petru, der einzige Sohn eines sehr strengen Mannes, träumte einmal, er werde dereinst viel vornehmer werden als sein Vater, ja bis zum Kaiser steigen. Als ihn am anderen Morgen sein Vater fragte, warum er so ausgelassen heiter sei, wollte er es nicht sagen, denn er kannte den Vater wohl und wußte, daß er über so hochfahrende Hoffnungen unwillig sein, ihn vielleicht sogar bestrafen werde. Das half ihm aber nichts, denn der Alte wurde nun über die Weigerung so aufgebracht, daß er seinen Sohn mit einer tüchtigen Tracht Schläge bedrohte, wenn er nicht mit der Sprache herausrücke. So blieb dem armen Petru keine Wahl, als das väterliche Haus mit dem Rücken anzusehen und in die weite Welt zu gehen. Damit er nicht erwischt werde, lief er einem nahen Walde zu, durch den sich an einem kleinen Fluß eine Landstraße hinzog. Als der Flüchtling sich nun weit genug vom Hause seines Vaters entfernt glaubte, setzte er sich bei einem Gebüsch nieder und fing an zu weinen, denn es rückte schon der Abend heran und der arme Knabe wußte noch nicht, wo er für die Nacht ein Obdach finden sollte.
Eben als die letzten Strahlen der Sonne die Zweige der Bäume vergoldeten, erhob sich von der einen Seite der Straße her eine Staubwolke, und ehe sich der betrübte Petru recht umschauen konnte, war schon ein Trupp Reiter an ihm vorübergesprengt, welchem ein prächtiger, mit acht milchweißen Rossen bespannter Wagen folgte. In diesem saß ein sehr vornehm aussehender Mann, dessen feine Gewänder ebenfalls weiß wie Schnee waren, und an der Krone, die er auf dem Haupte trug, sah Petru, daß er ein Kaiser sein müsse. Als der vornehme Mann den weinenden Knaben sah, ließ er halten und fragte, was ihm fehle. Sowohl die heitere, freimütige Weise, mit der Petru Bescheid gab, als auch die Neugierde, den geheimnisvollen Traum zu erfahren, bewogen den Kaiser, daß er dem Knaben anbot, er solle mit ihm in sein Schloß kommen und, wenn er ein treuer Diener sein wolle, bei ihm bleiben. »Ich bin der weiße Kaiser«, so schloß er seine Rede, »und kann dich groß machen, wenn du mir folgst!« Was konnte sich Petru mehr und besseres wünschen? Er fühlte sich überaus glücklich und küßte den Saum von des Kaisers Mantel; darauf durfte er in den Wagen steigen und mit in das herrliche Schloß fahren. Als man in demselben angekommen war, erhielt Petru die Erlaubnis, es zu durchwandern und mit allen seinen Herrlichkeiten genau zu betrachten. Von allem aber, was er sah, gefiel ihm nichts besser als des Kaisers schöne Tochter, von deren blonden Locken er bald kein Auge mehr abwenden konnte. Bald gewöhnte sich auch die Prinzessin an Petru’s Anblick, sie sah ihn so gern, daß er es wohl bemerken konnte, und natürlich war er darüber gar nicht böse.
Eines Tages nun begab sichs, daß der Kaiser nach der Tafel mit einem seiner Gelehrten in ein tiefsinniges Gespräch über Träume geriet. Da fiel von ungefähr sein Blick auf Petru; er erinnerte sich, was ihm dieser beim Anfang ihrer Bekanntschaft von einem denkwürdigen Traum erzählt hatte und wie er um dessentwillen von zu Hause entlaufen sei. Der Kaiser verlangte nun, der Jüngling solle sein Traumgesicht erzählen, aber Petru dachte: Diesen Traum kannst du dem Kaiser noch weniger erzählen als deinem Vater, denn der ließe dich sogleich hängen, weil er dächte, du trachtest nach seiner Krone. Er sprach daher zum Kaiser: »O großmächtiger Herr, verlange nicht zu wissen, was ich meinem eigenen Vater habe verschweigen müssen!« Wie früher Petru’s Vater, so wurde nun der weiße Kaiser unwillig über die Weigerung und verlangte nochmals dringend, Petru solle seinen Traum erzählen. Aber Petru bat wieder: »Sei gnädig, Herr, und erlaß mir die Erzählung.« Als der Kaiser drauf zum drittenmal und wieder umsonst sein Begehren ausgesprochen hatte, wurde er ganz bleich vor Zorn und rief seinen Dienern: »Nehmt diesen eigensinnigen Trotzkopf und sperrt ihn in die Ruinen der weißen Burg! Dort mag er in Hunger und Elend verschmachten!« Als die Prinzessin dies hörte, sank sie vor Schrecken in Ohnmacht; da hob der Kaiser die Tafel schnell auf, seine Tochter aber hieß er auf ihr Zimmer bringen. Petru, dem ohnehin schon alle Diener im Schlosse gram waren, weil ihm der weiße Kaiser stets Gnade widerfahren ließ, wurde nun schnell ergriffen und nach den Ruinen der weißen Burg gebracht, wo er dem Hunger und Elend preisgegeben werden und langsam ums Leben kommen sollte.
So wollte es der Kaiser, der ihn bald vergessen hatte, aber Gott wollte es nicht so. Denn die schöne Prinzessin vergaß ihn nicht so schnell wie ihr Vater, sondern als es Abend war und der volle Mond seinen Silberschein über die Fluren ergoß, schlich sie zu dem Orte hin, wo ihr armer Geliebter gefangen saß, brachte ihm zu essen und zu trinken und blieb einige Stunden bei ihm, so daß Petru über das Elend seiner Gefangenschaft schnell getröstet war. Sie hatten sich gar viel zu erzählen und zu sagen, so daß die Zeit schneller verging, als ihnen lieb war, daher versprach die Prinzessin beim Abschied, sie wolle morgen um dieselbe Stunde wiederkommen.
Mehrere Male hatte sie so ihren geliebten Gefangenen durch ihre Besuche beglückt, da kam sie eines Abends mit rotgeweinten Augen und war sehr niedergeschlagen. Als Petru sie nach der Ursache ihrer Traurigkeit fragte, sprach sie: »Ach Petru, der rote Kaiser hat heute meinem Vater einen Stock zugeschickt, welcher oben und unten gleich dick ist, und hat ihm durch seine Gesandten sagen lassen, wenn er nicht binnen drei Tagen errate, welcher Teil des Stockes der obere und welcher der untere sei, so werde er ihn und sein Volk mit Krieg überziehen, unser Land verheeren und uns alle töten. Darüber ist mein armer Vater in Verzweiflung, denn wie kann er erraten, was an dem Stock oben und was unten ist, da er an beiden Enden dieselbe Dicke hat! Heute sitzt er schon den ganzen Tag mit seinen Räten zusammen, aber keiner von allen hat ihm die Aufgabe zur Zufriedenheit lösen können.« Wie sie also geendet hatte, fing sie wieder an zu weinen, Petru aber fragte: »Und ist denn weiter keine Aufgabe zu lösen als die mit dem Stock!« worauf ihn die Prinzessin groß ansah, denn sie hielt diese Frage für Spott. Als ihr Geliebter sie nochmals fragte, sagte sie: »Nein, ist es denn nicht genug, o Hartherziger, an der einzigen, die niemand zu lösen versteht, kein einziger von meines Vaters alten, weisen Ratgebern!« – »Wenn es dies ist und sonst nichts«, erwiderte Petru auf den Vorwurf, den ihm die Geliebte machte, »so tröste dich und gehe schnell nach Hause, damit du in das Haus deines Vaters Freude bringst. Lege dich für heute schlafen, und morgen, wenn du aufstehst, so sprich also zu deinem Vater: ‚Vater, liebster Vater, mir hat heute etwas sehr Wichtiges geträumt.‘ Er wird alsdann fragen, was? Dann rede weiter: ‚Mir hat geträumt, wenn man den geheimnisvollen Stock, den der rote Kaiser an deinen Hof sandte, in die Höhe wirft, so zeige sich im Herabfallen das als das untere Ende desselben, welches zuerst den Boden wieder berührt.’« Freudig und voll Vertrauen auf die Güte dieses Rates umarmte die Prinzessin ihren geliebten Petru und eilte nach Hause. Des anderen Morgens tat sie so, wie ihr geraten war, und der Kaiser, welcher alles auf tiefsinnige Träume gab, ließ es sogleich angesichts der Gesandten des roten Kaisers mit dem Stocke so machen, wie seine Tochter geträumt haben wollte. So wurde natürlich die ungeheure Aufgabe, an welche sämtliche Räte und Gelehrte des kaiserlichen Hofes ihre Weisheit verschwendet hatten, auf eine einfache, leichte Weise gelöst. Alsbald reisten auch die fremden Gesandten ab, um ihrem Kaiser Bericht abzustatten.
Nicht lange dauerte es, so schickte der rote Kaiser dem weißen wieder eine Gesandtschaft; die überbrachte drei Pferde von ganz gleicher Farbe, Gestalt und Stärke. Eines derselben war ein Fohlen, und der weiße Kaiser sollte wieder binnen drei Tagen, ohne einem oder dem andern ins Maul zu sehen, erraten, welches von den dreien das Fohlen sei. Könne er dieses nicht, so würde der rote Kaiser sofort mit großer Heeresmacht in sein Reich einfallen und alles zerstören und ums Leben bringen.
Der weiße Kaiser erschrak heftig über diese Botschaft, rief sogleich wieder alle seine Gelehrten und Räte zusammen und trug ihnen auf, das Fohlen von den beiden anderen Pferden zu unterscheiden, damit es die fremden Gesandten ihrem Herrn berichten könnten. Die Gelehrten und Räte sahen sich an, keiner aber wußte genügende Auskunft, so daß der weiße Kaiser in große Angst verfiel und sich vor Betrübnis nicht zu helfen wußte. Abends ging die Prinzessin wieder zu den Ruinen der weißen Burg, wo ihr Geliebter schmachtete, und erzählte ihm von der Not, in welcher sich ihr Vater abermals durch die Zumutung des kriegslustigen, blutdürstigen roten Kaisers befinde. Als Petru alles wohl vernommen hatte, streichelte er der Prinzessin die Wangen, die wieder von Tränen etwas feucht waren, und sagte: »Teure Prinzessin, wenn du morgen aufstehst, so geh wieder zu deinem Vater und sag ihm, du habest geträumt, es sei den drei Pferden mitten auf dem Platze vor dem kaiserlichen Palast, vor dem ganzen Hof und vor den Gesandten des roten Kaisers, Heu und eine Schüssel mit süßer Milch vorgesetzt worden. Du selbst habest bei der Schüssel mit Milch gestanden, und als man die drei Pferde losgelassen, so seien zwei nach dem Heu, das dritte aber nach der Milch gelaufen, und dies sei das Fohlen gewesen. Wenn das dein Vater hört, so wird er schnell nach deinem Traum die Frage lösen und den fremden Gesandten die Antwort an den verhaßten roten Kaiser auftragen.« Die Prinzessin verabschiedete sich von ihrem klugen Geliebten nicht minder entzückt als das erstemal und tat am folgenden Tage so, wie er ihr geraten hatte. Der Kaiser war natürlich über diesen Traum seiner Tochter wieder hoch entzückt und ließ, wie sie ihm riet, auf den freien Platz vor dem Palaste, in Anwesenheit des ganzen Hofstaates und der Gesandten, Heu und eine Schüssel mit süßer Milch bringen. Nachdem dies geschehen war, gab er das Zeichen: die Pferde wurden herbeigeführt und freigelassen, worauf dann zwei, der Neigung ihres reifen Alters folgend, sich zu dem Heu wandten, das dritte dagegen auf die Milch zuging. Darauf sprach der Kaiser zu den Gesandten vom Hofe des roten Kaisers: »Geht hin, nehmt das Pferd, welches die Milch getrunken hat, und sagt eurem Herrn, dies sei das Fohlen.« Die Gesandten nahmen die Tiere, beurlaubten sich und gingen, indem sie die Klugheit des weißen Kaisers und seiner Räte nicht genug bewundern konnten. Die Prinzessin aber konnte die Nacht kaum erwarten, in der sie zu ihrem geliebten Petru eilen und ihm um den Hals fallen durfte, vor Freude, daß er der weiseste Mann am Hofe ihres Vaters war.
Der rote Kaiser wütete vor Zorn, daß der weiße Kaiser auch seine zweite Frage beantwortet hatte. Er war nämlich der Meinung gewesen, das vermöge niemand, und er hatte sich im Herzen gefreut, daß es ihm nun nicht mehr an einem Vorwand fehle, den weißen Kaiser zu bekriegen und sein Reich zu erobern. »Geht hin«, sprach er zu seinen Gesandten, »und redet also zum weißen Kaiser: ‚Der Herr des roten Reiches läßt dir sagen, du möchtest ihm binnen drei Wochen zu wissen tun: Erstens, um welche Stunde er am Ostersonntag aus dem Bett steigen, zweitens, um welche Stunde er dann in die Kirche gehen und drittens, wann er bei seiner Tafel den ersten Becher zum Mund führen werde. Wenn du, weißer Kaiser‘, so sollt ihr weiter zu ihm sagen, dies alles weißt, so magst du am Ostersonntag in der Burg des roten Kaisers erscheinen oder einen Gesandten schicken, um ihm den Pokal, aus dem er trinken will, aus der Hand zu schlagen.« Diese Dinge, dachte der rote Kaiser bei sich, werde der weiße sicher nicht erraten, drum setzte er noch frohlockend hinzu: »Nun geht, meine Gesandten, und kündigt meinem Feind an, daß ich ihn unverweilt mit Krieg überziehen werde, wenn er nicht beantworten kann, was ich ihn durch euch frage.«
Als die Gesandten zum drittenmal am Hofe des weißen Kaisers erschienen und ihn mit ihren Aufträgen bekanntmachten, wurden wieder alle Gelehrten und Räte zusammenberufen, um unter dem Vorsitze des Kaisers zu beraten, was zu tun sei. Aber auch diesmal wußte keiner ein Auskunftsmittel, weshalb aufs neue die größte Bestürzung am ganzen Hof herrschte. Die Prinzessin allein ließ den Mut nicht sinken, weil sie fest auf die Klugheit ihres Geliebten, des gefangenen Petru, baute. Ungesehen ging sie wieder, als es Nacht war, zu den Ruinen der weißen Burg. Nachdem sie ihrem Freund alles mitgeteilt hatte, besann er sich eine Weile und sprach dann: »Liebste Prinzessin, sage morgen deinem hohen Vater, du habest wieder einen Traum gehabt und durch denselben erfahren, daß hier nur der arme Petru, in den Ruinen der weißen Burg, Auskunft geben könne.« – »Was fällt dir ein, Liebster«, entgegnete hierauf die Prinzessin, »mein Vater könnte ja dadurch entdecken, daß ich dich besucht und am Leben erhalten habe; das kann nicht sein!« – »Geh nur und tu so, wie ich dir sage, geliebteste Prinzessin«, sprach Petru, »denn dein hoher Vater wird es, samt seinen Räten und Gelehrten, für ein göttliches Wunder halten, daß ich noch am Leben bin, und daher meinem Rat um so mehr Glauben beimessen.« Dies leuchtete der Prinzessin ein, und sie ging getröstet voll Vertrauen auf Petru nach Hause.
Am anderen Tage sprach sie zu ihrem Vater: »Mein Herr und Kaiser! Diese Nacht hat mir geträumt, der arme Petru, der wohl schon längst in den Ruinen der weißen Burg verschmachtet und vermodert ist, wenn ihn nicht ein göttliches Wunder am Leben erhalten hat, könnte uns und das ganze Reich von der Bedrängnis erretten, mit welcher uns der böse rote Kaiser bedroht.« Darauf sprach der weiße Kaiser: »Meine Tochter, du hast uns mit deinen Träumen, welche gewiß von Gott kommen, schon zweimal aus großen Nöten errettet, und ich will daher auch diesen deinen heutigen Traum nicht verachten. Darum sollen sogleich einige Männer nach den Ruinen der weißen Burg gehen und nachsehen, ob vielleicht jener Petru durch ein göttliches Wunder am Leben erhalten ist.« So geschah es, und bald kehrten die Boten mit der unglaublichen Nachricht zurück, daß Petru frisch und gesund noch am Leben sei. Als dies in der Stadt bekannt wurde, strömte alles Volk hinaus zu den Ruinen der weißen Burg, um sich selbst von dem geschehenen Wunder zu überzeugen und den längst vergessenen Petru wiederzusehen. »Wunder über Wunder!« tönte es, »Petru ist von Gott erhalten, uns zur Befreiung aus tödlicher Not.« Unter lautem Jubel wurde der Held vor den Kaiser gebracht, der ihn erstaunt und in seinem Innern hocherfreut anredete: »Armer Petru, Gott der Allmächtige hat dich vor dem schmachvollen Tode beschützt, den ich dir zugedacht hatte. An dir hat Gott ein Wunder gewirkt, und ich setze daher das Vertrauen auf dich, daß du mein Reich vom Verderben retten kannst, wenn du ernstlich willst. Gelingt es dir, uns zu retten, so will ich dich zu den höchsten Ehren bringen und dir meine Tochter selbst zur Gemahlin geben. Sprich, was du bedarfst, um mir und meinem Reich aus der großen Bedrängnis zu helfen.« Petru sann eine Weile nach, dann beugte er sich demütig vor dem Kaiser, küßte ihm die Hände und begann hierauf: »Großmächtigster Kaiser, ich lege meine Seele zu deinen Füßen und danke dir sowohl für die Gnaden, die du mir früher erzeigt hast, als auch für die unverhoffte Befreiung aus meiner Haft und für den köstlichen Preis, den du mir versprichst für den Fall, daß es mir gelingt, dich und dein Reich vor dem Zorn des roten Kaisers zu beschützen. Zuerst bitte ich nur, daß in der Nähe des Schlosses, welches der rote Kaiser bewohnt, eine hohe Warte gebaut werde; alsdann laß mir ein gutes Fernrohr verfertigen, und wenn ich dies habe, so soll alles übrige meine Sorge sein.«
Was Petru wünschte, geschah. An der äußersten Grenze des weißen Reiches wurde ein hoher fester Turm erbaut, von dessen Zinnen aus er mit seinem Fernrohr in das Schloß des roten Kaisers sehen konnte. Der festgesetzte Ostersonntag brach an, und Petru stand schon, als der erste Morgen graute, auf dem Turm, sein Fernrohr in der Hand, zu seiner Seite einige von den Räten des weißen Kaisers. In demselben Augenblick, als sich die Morgensonne durch die purpurnen Wolken am Horizonte heraufdrängte, stieg auch der rote Kaiser aus seinem Bett. Petru nahm dies durch sein Fernrohr sogleich wahr und ließ die Stunde und Minute durch die Räte aufzeichnen. Als er den roten Kaiser näher betrachtete, erschrak er über dessen fürchterliches Aussehen, denn es soll derselbe der grausamste Wüterich seiner Zeit gewesen sein. Sofort sprach er zu einem von den Räten, die bei ihm standen: »Gehe hin zu unserem Herrn, dem weißen Kaiser, und sage ihm, er möge eine Schar der auserlesensten Krieger unter der Führung eines vertrauten Hauptmannes bereithalten, damit sie mich, wenn ich heute mittag nach dem Schloß des roten Kaisers aufbreche, begleiten und sich nahe bei der Stadt in ein Versteck legen.« Dies tat Petru aus Vorsicht, denn er mißtraute den blutgierigen Launen des roten Kaisers. Der weiße Kaiser gab auch, als er Petru’s Botschaft erhielt, sogleich Befehl, es sollten sich fünfhundert Krieger mit einem tüchtigen Hauptmann fertigmachen. Während dies geschah, ging der rote Kaiser mit seinem ganzen Hofstaat zur Kirche, und wieder ließ Petru auf seiner Warte Stunde und Minute genau verzeichnen; zum Kaiser sandte er aber den anderen Rat und ließ ihn um das schnellste Pferd aus dem kaiserlichen Stalle bitten, welches ihm auch alsbald geschickt wurde. Als der Gottesdienst, welchem der rote Kaiser beiwohnte, zu Ende war, begab sich derselbe mit seinem glänzenden Hofstaat wieder in den Palast, wo alles aufs prächtigste zu einem großen Fest bereitet war. Nachdem er sich zur Tafel gesetzt hatte, bestieg Petru das für ihn bereitgehaltene Pferd und flog mit verhängtem Zügel dem Palaste zu, dort trat er eben in den Speisesaal, als der Kaiser seinen Edelknaben den Befehl erteilt hatte, ihm seinen Festpokal mit Wein zu füllen. Dies geschah, und als ihn der Herrscher des roten Reiches an die Lippen führen wollte, rief Petru mit gewaltiger Stimme: »Hoch, hoch! Der rote Kaiser will trinken!« Damit riß er einem der Bewaffneten die Lanze aus der Hand stieß dem roten Kaiser den Pokal vom Munde. Dies alles war das Werk eines Augenblicks.
Wütend über diesen Frevel fuhr der rote Kaiser auf und befahl seinen Kriegern, den frechen Gast, dessen weiße Kleidung seinen Grimm nur noch vermehrte, zu ergreifen und niederzuhauen. Aber Petru geriet hierdurch nicht in Verwirrung, sondern sah den roten Kaiser dreist an. Dieser besann sich jetzt, daß von der Lösung der drei Aufgaben die Rede sei, die er dem weißen Kaiser gestellt hatte, und fragte Petru, wo er erfahren habe, daß er jetzt den Becher zum Munde führe. Petru antwortete hierauf gelassen: »Großmächtigster Herr, mein Gebieter, der weiße Kaiser, hat eine Warte bauen lassen, von welcher aus ich heute in deinen Palast geschaut und die Zeiten aufgezeichnet habe, sowohl da du aufstandest, als da du zur Kirche gingst; von dort hab ich auch wahrgenommen …« – »Halt ein!« rief hierauf der erzürnte Kaiser, für die Lösung der dritten Frage sollst du hängen, frecher Bursche. Am Galgen wirst du, überkluger Taugenichts, so hoch sein wie auf deiner Warte!« Damit befahl er seinen Dienern, sie sollten sich Petru’s bemächtigen und ihn zum Galgen führen. Es geschah, und spottend sagte der Kaiser zu seinem Gefolge: »Seht her, das weiße Osterlamm, das uns der weiße Kaiser zugesandt hat.« Hierüber entstand ein schallendes Gelächter.
Der Zug war bald bei dem Richtplatz angekommen, und dem armen Petru schlug das Herz beim Anblick des roten Galgens bänger, denn er dachte, was wäre, wenn der Überfall der im Versteck liegenden Bewaffneten des weißen Kaisers zu spät käme. Schon sollte er die Leiter hinauf, da erweckte ihn der Schrei des roten Kaisers, welcher von einem Pfeile durchbohrt vom Pferde gesunken war, aus seinen Todesgedanken. Kaum sah er seinen Feind am Boden liegen, so schwirrten von allen Seiten Pfeile, und unter dem Ruf: »Hoch lebe der weiße Kaiser!« brachen die weißen Krieger aus ihrem Versteck über die roten her. In der Verwirrung des Kampfes war Petru bald zu einem Schwerte gekommen, drängte sich zu dem roten Kaiser, der noch lebend am Boden lag, und mit den Worten: »Nimm hin den Lohn für deine Blutgier und deinen Verrat!«, spaltete er ihm den Kopf. Sodann rief er die weißen Krieger zusammen, hieß einige von ihnen dem weißen Kaiser die Nachricht bringen, daß der rote Kaiser tot sei, und führte sie dann gegen die rote Stadt.
Der Überfall gelang, und nicht lange danach begrüßte Petru den weißen Kaiser im Palaste des roten, als Beherrscher des roten sowie des weißen Reiches. Der weiße Kaiser nahm aber die Würde des roten Kaisers nicht an, sondern hieß Petru niederknien und setzte ihm die Krone des roten Kaisers aufs Haupt, indem er ihn als Beherrscher des roten Reiches ausrief und ihm seine Tochter zur Frau gab.
Einige Zeit später starb aber der weiße Kaiser, nachdem er seinem Sohne Petru noch auf dem Sterbebett auch Krone und Zepter des weißen Reiches übergeben und ihn zum Herrscher desselben ernannt hatte. So beherrschte nun Petru die beiden Reiche, seine Weisheit und Tapferkeit leiteten sie trefflich, und er selbst lebte mit seiner geliebten Gattin, der Tochter des weißen Kaisers, noch lange Jahre im höchsten Glück.

[Rumänien: Arthur und Albert Schott: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat]

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