Es war einmal ein Rentierjäger, der ging auf Jagd und zog die Küste des Meeres entlang. Er ging weiter und immer weiter, bis er an die Mündung eines großen und schäumenden Flusses kam. Hier hörte er eine liebliche Stimme, die ein Lied sang, und er lauschte, bis er die Worte unterscheiden konnte:
Komm, komm,
einsamer Jäger,
in der Dämmerung Stille,
Komm, komm,
ich habe
vermisst dich, vermisst dich,
nun will ich
umarmen dich, umarmen dich!
Komm, komm,
nahe ist mein Nest, mein Nest.
Komm, komm.
einsamer Jäger,
gerade jetzt
in der Dämmerung Stille!
Der Rentierjäger hörte den Gesang und wurde von Sehnsucht überwältigt, der er nicht widerstehen konnte. Und so rannte er dem Liede nach, mit aller Kraft lief er das Ufer des Flusses entlang, lief wie ein Mann, der seinen Verstand verloren hat – bis er eine wunderschöne junge Frau sah, die auf einer Klippe am anderen Ufer des Flusses saß und ihm zuwinkte. Aber der Fluss war groß und breit und schäumend, und der Jäger stand ratlos still, bis die Frau wieder zu singen begann:
Komm, komm.
einsamer Jäger,
gerade jetzt
in der Dämmerung Stille!
Sofort warf er alle seine Kleider von sich und sprang in den Fluss, wurde von der Strömung ergriffen, kämpfte verzweifelt bald über, bald unter dem Wasser, bis er halbtot vor Kälte, bewusstlos und erstarrt am anderen Ufer landete und der Frau entgegenlief, die noch immer winkend und lächelnd oben auf der Klippe saß. Aber in demselben Augenblick, da er sie erreichte, brach sie in ein höhnisches Gelächter aus und verwandelte sich in eine Nachteule, die lachend ihres Weges flog.
Halbtot vor Kälte taumelte der Jäger wieder zum Fluss hinunter; seine Kleider lagen am anderen Ufer. Er musste wieder in das kalte Wasser. Und er schwamm und kämpfte abermals gegen die Strömung und erreichte das andere Ufer. Aber in dem Augenblick, als er seinen Fuß an Land setzte, brach er zusammen und konnte nicht mehr. Er verlor das Bewusstsein und erfror.
Hier fanden ihn seine Kameraden. Und niemand ahnte, was dem großen und berühmten Rentierjäger begegnet war. Denn er lag nackt und erfroren da, und unmittelbar neben ihm lagen seine warmen Kleider.
Alle glaubten, er hätte den Verstand verloren. Niemand wusste, was für ein Wild es war, das er gejagt hatte.
Ein Eskimo-Märchen, von Knud Rasmussen in Alaska gesammelt