Eines Nachts nun hebt sie das Bild ein wenig auf und sieht neben dem Königssohne, der auf seinem Lager ausgestreckt war, einen angezündeten zierlichen Kronleuchter. Da fragt sie leise:
Goldner Leuchter, Silberleuchter, sag‘ mir doch:
Schläft der Sohn des Königs, oder wacht er noch?
Und der Leuchter antwortet:
Schönes Fräulein, schöne Maid, tritt sicher ein,
Denn er schläft, magst ohne Fürchten sein.
Da trat sie ein und legte sich leise zur Seite des Königssohnes nieder. Wie der erwachte, umarmte er sie und küßte sie und sprach:
Schönes Mädchen, sag‘, wer bist du, wer?
Und aus welchem Lande kommst du her?
Da lachte sie mit ihrem silbernen Stimmchen und antwortete:
Königssohn, Ihr fragt mich da vergebens,
Schweiget stille und genießt des Lebens.
Da er aufs neue erwachte und seine schöne Göttin nicht mehr fand, kleidete er sich eilend an und rief alle Räthe zusammen und erzählte ihnen die Geschichte, so da geschehen war, und fragte: »Jetzt sagt mir, was muß ich thun, um sie zu halten?« – »Heilige Krone«, antworteten die Räthe, »wenn Ihr sie umarmt, bindet Euch ihre Haare an Euerm Arme fest; will sie dann fort, muß sie Euch ja wol aufwecken.«
Die Nacht kommt und mit ihr die junge Gräfin. Wieder fragt sie:
Goldner Leuchter, Silberleuchter, sag‘ mir doch:
Schläft der Sohn des Königs, oder wacht er noch?
Und der Kronleuchter antwortet:
Schönes Fräulein, schöne Maid, tritt sicher ein,
Denn er schläft, magst ohne Fürchten sein.
So schlüpft sie hinein und legt sich wiederum leise neben den Schlafenden nieder. Wie er erwacht, fragt er:
Schönes Mädchen, sag‘, wer bist du, wer?
Und aus welchem Lande kommst du her?
Da lacht sie heimlich und spricht:
Königssohn, Ihr fragt mich da vergebens,
Schweiget stille und genießt des Lebens.
So schliefen sie ein; vorher aber hatte der Königssohn die schönen Haare der jungen Gräfin um seinen Arm gewickelt. Da nimmt die Gräfin eine Schere, schneidet das Goldhaar durch und entflieht. Der Königssohn erwacht, findet sich wieder allein und ruft seinen Rath: »Hört, meine Göttin hat mir die Haare zurückgelassen, sie selbst ist verschwunden. Was soll ich thun?« Der Rath sprach: »Heilige Krone, bindet ein Ende der Goldkette, die sie am Halse trägt, um Euern Hals, so kann sie Euch nicht entfliehen.«
In der nächsten Nacht guckte die junge Gräfin durch das Loch, der Goldleuchter brannte, und sie fragte wieder die gleiche Frage und erhielt die gleiche Antwort. Und wie sie der Königssohn in seinen Armen hielt, wollte er wiederum wissen, wer sie wäre, und wieder wurde ihm die gleiche Antwort:
Königssohn, Ihr fragt mich da vergebens,
Schweiget stille und genießt des Lebens.
Da wand sich der Königssohn ihre Kette um den Hals und schlief ein. Sie aber schneidet die Kette mitten durch und entflieht. Ganz verzweifelt ruft er am andern Morgen den Rath zusammen und erzählt ihm, wie auch dies Mittel fehlgeschlagen. Da sprach der Weisesten einer: »Heilige Krone, setzt ein Becken mit Safranwasser unter das Bett, so wird sie mit der Schleppe ihres Kleides hineintauchen und muß, wenn sie fortgeht, eine Spur am Boden zurücklassen, der folgt Ihr dann.«
Der Königssohn bereitete das Becken mit Safranwasser und legte sich nieder. Um Mitternacht lauschte die junge Gräfin herein und rief:
Goldner Leuchter, Silberleuchter, sag‘ mir doch,
Schläft der Sohn des Königs, oder wacht er noch?
Und wie sie der Kronleuchter beruhigt, schlüpft sie hinein und legt sich leise neben den Prinzen nieder. Er erwacht, fragt sie wieder nach ihrem Kommen, und sie antwortet wie immer. Als der Königssohn entschlummert war, erhebt sie sich leise und will entfliehen. Da taucht ihre Schleppe in das Becken mit Safranwasser. Sie aber merkt es, windet die Schleppe säuberlich aus und entflieht, ohne eine Spur zurückzulassen.
Und nun kam sie nicht wieder. Vergebens erwartete er sie Nacht für Nacht, sie war verschwunden. Viele Monde gingen hin, da erwacht er eines Morgens und findet neben sich ein rosiges Kindlein liegen, so schön wie ein Engel vom Himmel. Eilend kleidet er sich an und ruft die Räthe zusammen. Die Räthe kommen, er zeigt ihnen das Kindlein und sagt: »Das ist mein Kind! Woran aber erkenne ich jetzt die Mutter?« Der Rath hat geantwortet: »Heilige Krone, laßt verkünden, das Kindlein sei gestorben, laßt es in der Mitte des Domes ausstellen und verordnet, alle Frauen der Stadt sollen kommen, es zu beweinen. Dann seht wohl, die, welche am meisten weint, ist seine Mutter.«
So geschah es. Alle Frauen der Stadt kamen, sagten und klagten etwas und gingen wieder, wie sie gekommen waren. Endlich kommt auch die junge Gräfin. Wie sie das Kind sieht, fängt sie heftig zu weinen an, zerrauft sich das Haar und ruft in einem fort: »Mein Kind, o, mein Kind!«
Weil, ach, gar zu schön ich war,
Schnitt ich durch mein goldnes Haar.
Weil ich meint‘, die Schönst‘ zu sein,
Riß mein Kettchen ich entzwei.
Weil zu schön ich mich gedäucht,
Ward mein Saum von Safran feucht.
Wie der Königssohn und die Räthe dies hörten, fingen sie an zu schreien: »Dies ist die Mutter! Diese und keine andere!« Da tritt der Graf mit gezücktem Schwerte hervor und will die Schwester tödten. Aber der Königssohn springt dazwischen und ruft:
Wo ist hier Schmach? Zurück den Stahl!
Schwester des Grafen und Königs Gemahl!
So wurde sie die Gattin des Königs. –
So lebten jene zufrieden im Glück,
Wir aber bleiben leer zurück.
[Italien: Waldemar Kaden: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen]