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Von der Mutter und ihrem Sohne

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Es war eine Mutter und hatte einen Sohn. Diesen Sohn säugte sie zweimal sieben Jahre. Als sie ihn zweimal sieben Jahre gesäugt, nahm sie ihn in den Wald, und befahl ihm, einen Fichtenbaum sammt der Wurzel auszureißen. Allein der Knabe konnte den Fichtenbaum nicht ausreißen. »Noch bist Du nicht stark genug,« sagte die Mutter und säugte ihn noch sieben Jahre. Als sie ihn dreimal sieben Jahre gesäugt, führte sie ihn wieder in den Wald, und befahl ihm, einen Buchenbaum sammt der Wurzel auszureißen. Der Bursche faßte den Buchenbaum, und riß ihn sammt der Wurzel aus. »Jetzt bist Du stark genug, jetzt kannst Du schon für mich sorgen,« sagte die Mutter. – »Ei versteht sich, daß ich für Dich sorgen will, Mutter! Befiehl nur, was ich zuerst für Dich thun soll!« – »Zuerst wirst Du eine ordentliche Wohnung für mich suchen und dann zu mir kommen,« befahl die Mutter und ging nach Hause. Der Jüngling aber nahm statt eines Stockes den ausgerissenen Buchenbaum in die Hand, sammt allen Aesten, so wie ihn der liebe Gott hatte wachsen lassen, und begab sich auf den Weg, um für die Mutter eine Wohnung zu suchen.
Er ging und ging, und kam zu einem Schlosse. In dem Schlosse hausten Drachen, und als der Jüngling dahin kam, wollten sie ihn nicht einlassen. Der Jüngling aber fragte nicht lange, ob sie ihn einlassen wollten oder nicht, brach sich ein Thor, ging in das Schloß, als ob er dessen Herr wäre, und erschlug die Drachen. Als er sie erschlagen, schleuderte er die Leiber über die Mauer, und ging, sich das Schloß zu besehen. Ueberall gefiel es ihm, die Zimmer waren schön, und neun standen offen, das zehnte war verschlossen. Als er die neun offenen Zimmer durchschritten, öffnete er das zehnte verschlossene, und trat hinein. Er sah dort einen Drachen sitzen, der mit drei eisernen Reifen an die Wand geschmiedet war. »Was machst Du da?« fragte der Jüngling. – »Ich sitze da; meine Brüder haben mich angeschmiedet. Mach‘ mich frei, ich will Dich reich belohnen!« – »Ei, haben Dich Deine Brüder angeschmiedet, wird nicht viel Gutes an Dir sein. Sitz‘ nur da!« entgegnete der Jüngling, schlug die Thüre zu, und ging zu der Mutter, um sie in die neue Wohnung zu führen. Als er sie gebracht, führte er sie durch alle Zimmer und zeigte ihr Alles, nur das zehnte Zimmer öffnete er nicht, und warnte die Mutter, es zu betreten, sonst werde es ihr übel ergehen. Dann nahm er seinen Buchenbaum in die Hand, und begab sich auf die Jagd, um der Mutter irgend einen Braten zu bringen. Kaum war der Jüngling aus dem Schlosse, so ließ es der Mutter keine Ruhe; sie ging so lange bei der Thür des zehnten Zimmers umher, bis sie hinein trat. Wen sah sie da sitzen? Den Drachen. »Was machst Du da, und wer bist Du?« – »Ich bin ein Drache, und meine Brüder haben mich aus Zorn hier angeschmiedet. Sie können mich nicht mehr frei machen, weil sie Dein Sohn erschlagen. Mach‘ mich frei, ich will Dich reich belohnen und will Dich zum Weibe nehmen,« bat der Drache. – »Was würde mein Sohn dazu sagen!« meinte die Mutter. – »Den schaffen wir aus der Welt und Du wirst dann Herrin sein.« Lange bedachte sich die Mutter, bis sie endlich den Drachen fragte, wie sie ihn frei machen könnte. »Geh‘ in den Keller, und bring‘ mir aus dem hintersten Faß einen Becher Wein!« Die Mutter ging in den Keller, füllte aus dem hintersten Faß einen Becher Wein, und gab ihn dem Drachen zu trinken. Als dieser den ersten Becher ausgetrunken, fiel krachend ein Reif von seinem Leibe. Er bat, sie möchte ihm noch einen Becher bringen. Die Mutter brachte den zweiten Becher, und als ihn der Drache ausgetrunken, fiel krachend der zweite Reif von seinem Leibe. Er bat um den dritten Becher, und als die Mutter auch den dritten gebracht, fiel auch der dritte Reif von des Drachen Leibe, und er war frei. »Aber was werd‘ ich dem Sohne sagen, wenn er kommt?« fragte die Mutter mit Bangen. – »Ich will Dir einen Rath geben,« sprach der Drache. »Stell Dich krank, und wenn er Dich fragt, was Dir helfen könnte, sag ihm: ein Ferkel von der Erdsau. Wenn er darnach geht, wird ihn die Erdsau zerreißen.« – »Gut!« Der Jüngling kam von der Jagd und brachte der Mutter einen Rehbock. Aber die Mutter stöhnte und seufzte, indem sie sprach: »Ach, mein lieber Sohn, Du hast Dich umsonst abgemüdet, bringst mir umsonst gute Speise; ich kann nicht essen, ich werde sterben.« – »O Mutter, stirb nicht, sag‘ mir lieber schnell, was Dir helfen kann, ich will gern Alles thun!« rief besorgt der gute Jüngling, der die Mutter ungemein liebte. »Ich kann nur gesund werden, wenn ich ein Ferkel von der Erdsau habe,« sagte die Mutter. Und der Jüngling säumte nicht, nahm seinen Buchenbaum in die Hand, und ging, die Erdsau zu suchen.
Der Arme ging ins Kreuz und in die Quere; denn er wußte nicht, wo die Erdsau zu finden. Da sah er eine Hütte, und als er hineintrat, fand er dort die heilige Nedelka.5 »Wohin gehst Du?« fragte ihn die Heilige. »Zur Erdsau, um ein Ferkel zu holen für meine Mutter, die krank ist, und davon gesund werden wird.« – »Mein Sohn,« sprach die Heilige; »Du wirst das Ferkel schwerlich bekommen; allein ich will Dir behilflich sein. Doch mußt Du gehorchen, und thun wie ich Dir sage.« Der Jüngling versprach zu gehorchen. Die Heilige gab ihm einen langen, scharfen Spieß und sagte: »Geh‘ in den Pferdestall und setz‘ Dich auf mein Roß Tatoschik; es wird Dich dorthin tragen, wo die Erdsau sich aufhält, eingewühlt in die Erde. Kommst Du hin, so stich mit dem Spieß ein Ferkel; es wird quieken, und wenn es quiekt, wird die Erdsau wüthend auffahren, und im Flug die Welt umrennen. Dich aber wird sie nicht gewahren, noch wen anders, und da wird sie zu den Ferkeln sagen, wenn sie noch einmal quiekten, so werde sie sie zerreißen. In diesem Augenblicke mußt Du das Ferkel zum zweiten Male stechen, aufspießen und davonreiten. Das Ferkel wird sich fürchten, nicht quieken die Erdsau wird sich nicht rühren, und Tatoschik wird Dich davon tragen.« Der Jüngling versprach zu gehorchen, nahm den Spieß, setzte sich auf Tatoschik, und dieser trug ihn pfeilschnell weit, weit weg, bis dorthin, wo die Erdsau in der Erde eingewühlt war. Der Jüngling stach mit dem Spieß ein Ferkel, daß es furchtbar quiekte. Die Erdsau fuhr auf und umrannte die Welt im Flug. Aber Tatoschik rührte sich nicht von der Stelle, und die Erdsau gewahrte ihn nicht, noch wen anders, und sagte zu den Ferkeln: »Wenn Ihr noch einmal quiekt, so zerreiß‘ ich Euch.« Dann wühlte sie sich wieder ein. Da spießte der Jüngling das Ferkel auf, und es schwieg und gab keinen Laut von sich, und Tatoschik begann zu rennen, und sogleich waren sie bei der Heiligen. »Nun, wie war’s?« – »So wie Du sagtest. Hier ist das Ferkel,« erwiderte der Jüngling. – »Wohl, nimm’s und bring‘ es der Mutter!« Der Jüngling übergab den Spieß, führte Tatoschik in den Stall, nahm seinen Buchenbaum in die Hand, hängte das Ferkel daran, dankte der Heiligen und eilte zur Mutter. Die Mutter tafelte mit dem Drachen. Sie dachten, der Jüngling werde nicht zurückkehren, indessen war er schon da. Sie erschraken, als sie ihn kommen sahen, und beriethen sich, wie sie ihn aus der Welt schaffen könnten. »Wenn er Dir das Ferkel giebt, stell‘ Dich noch einmal krank,« sprach der Drache zu ihr, »und wenn er Dich fragt, was Dir helfen könnte, sag‘ ihm: das Wasser des Lebens und des Todes. Geht er darnach, wird er seinen Untergang finden.« Der Jüngling kam freudenvoll in das Schloß geeilt, und gab der Mutter das Ferkel. Aber sie stöhnte und seufzte, daß sie sterben müsse, und daß ihr das Ferkel nicht helfen werde. »O stirb nicht, Mutter, und sag‘ mir lieber, was Dir helfen kann, ich will es Dir bringen!« rief besorgt der Jüngling. »Ach, mein lieber Sohn, wie wär‘ es möglich, daß Du mir’s brächtest! Mir hilft nur noch das Wasser des Lebens und des Todes,« klagte die Mutter. Der Jüngling säumte nicht, nahm seinen Buchenbaum in die Hand, und gerade zur heiligen Nedelka.
»Wohin gehst Du?« fragte ihn die Heilige. »Zu Dir geh‘ ich, mich zu berathen, wo ich das Wasser des Lebens und des Todes fände. Die Mutter ist noch krank und wird davon gesund werden.« – »Du wirst das Wasser schwerlich bekommen, mein Sohn; allein ich will Dir behilflich sein. Da hast Du zwei Krüge, setzt‘ Dich auf mein Roß Tatoschik und es wird Dich zu zwei Bergen tragen. Unter ihnen entspringt das Wasser des Lebens und des Todes. Der rechte Berg öffnet sich Mittags, dort sprudelt das Wasser des Lebens; der linke Berg öffnet sich Mitternachts, dort steht das Wasser des Todes. Wenn sich der Berg öffnet, spring‘ schnell mit dem Kruge hinzu, und schöpfe Wasser. Hast Du Wasser von beiden Bergen, so komm‘ zu mir. Gehorche jedoch, und thu‘ genau, wie ich Dir sage.« So sprach die Heilige, und gab dem Jüngling die Krüge; dieser setzte sich mit ihnen auf Tatoschik und verschwand. – Irgendwo in weitentfernter Gegend waren zwei Riesenberge, und zu diesen trug Tatoschik den Jüngling. Es war Mittag, da erhob sich der erste Berg, Wasser des Lebens sprudelte hervor, der Jüngling sprang hinzu, schöpfte in den Krug, und krachend fiel der Berg wieder zu, so daß er dem Jüngling bald die Fersen abgeschlagen. Dieser schwang sich mit dem Krug auf Tatoschik, und jagte zu dem linken Berg. Sie harrten bis Mitternacht; Mitternachts erhob sich der Berg, und unter ihm stand das Wasser des Todes. Der Jüngling schöpfte schnell in den Krug, und krachend fiel der Berg wieder zu, so daß er dem Jüngling bald die Hände abgeschlagen. Dieser schwang sich auf Tatoschik, Tatoschik begann zu rennen, und sogleich waren sie bei der Heiligen. »Nun, wie erging’s?« fragte die Heilige, als er zurück war. »Gut, hier hast Du Wasser des Lebens und des Todes,« entgegnete der Jüngling, und gab ihr das Wasser. Die Heilige bewahrte das Wasser, gab dem Jüngling zwei Krüge gewöhnlichen Wassers, und befahl ihm, diese der Mutter zu bringen. Der Jüngling bedankte sich und ging. Die Mutter tafelte mit dem Drachen. Sie dachten, der Jüngling werde nimmer wiederkehren, indessen war er schon da. Sie erschraken, als sie ihn kommen sahen, und beriethen sich, wie sie ihn aus der Welt schaffen könnten. »Stell‘ Dich noch einmal krank,« rieth der Drache, »und sag‘ ihm, Dir würde nicht besser werden, wenn Du nicht den Vogel Pelikan sähest. Geht er, ihn zu holen, so wird es sein Verderben sein.« Der Jüngling brachte der Mutter mit Freuden das Wasser; aber die Mutter stöhnte und seufzte, es werde ihr auch dies nicht helfen, sie müsse sterben. »O stirb nicht, Mutter, und sag‘ mir, wie ich Dir helfen kann, ich will Dir Alles bringen,« rief besorgt der gute Jüngling. »Mir wird nicht besser werden, wenn ich nicht den Vogel Pelikan sehe. Doch wie könntest Du mir diesen schaffen!« sagte die Mutter. Der Jüngling nahm wieder seinen Buchenbaum, und ging gerade zur heiligen Nedelka.
»Wohin gehst Du?« fragte ihn die Heilige. »Zu Dir geh‘ ich, daß Du mir rathest. Die Mutter wurde auch von dem Wasser nicht gesund; sie muß den Vogel Pelikan sehen. Wo aber find‘ ich den Vogel?« – »O mein lieber Sohn,« sprach die Heilige, »Du wirst den Vogel schwerlich bekommen, allein ich will Dir behilflich sein. Der Pelikan ist ein furchtbarer Vogel; er hat einen ungeheuer langen Hals, und macht mit den Flügeln einen Wind, daß die Bäume umstürzen. Da hast Du eine Büchse, setz‘ Dich auf mein Roß Tatoschik, und es wird Dich dorthin tragen, wo sich der Vogel Pelikan aufhält. Gieb Acht, von welcher Seite der Wind auf Dich wehen wird! Nach dieser Seite ziele, und hörst Du den Hahn klappen, stoß den Ladestock in die Büchse und reite schnell davon, in die Büchse aber sieh nicht hinein!« Der Jüngling nahm die Büchse, setzte sich auf Tatoschik, und sie flogen pfeilschnell dahin, bis sie auf eine große Haide kamen, wo sich der Vogel Pelikan aufhielt; dort blieb Tatoschik stehen. Der Jüngling fühlte, daß ein starker Wind auf seine rechte Wange wehe. Er zielte nach dieser Seite, der Hahn klappte: schnell stieß der Jüngling den Ladestock in die Büchse und warf sie über die Schulter. Tatoschik begann zu rennen, und sogleich waren sie bei der Heiligen. »Wie steht’s?« fragte die Heilige. – »Ich weiß nicht, ob gut, ob schlimm; ich that blos so, wie Du mir befahlst,« erwiederte der Jüngling, und gab ihr die Büchse. – »Gut, da ist er!« sprach die Heilige, als sie in die Büchse geblickt. Dann bewahrte sie den Vogel Pelikan, gab dem Jüngling eine andere Büchse, und zeigte ihm auf einem Baum einen Adler; den solle er schießen, und der Mutter statt des Vogels Pelikan bringen. Der Jüngling gehorchte der guten Heiligen in Allem, und als er den Adler geschossen, hängte er ihn an den Buchenbaum und ging nach Hause. Der Drache tafelte wieder mit der Mutter. Sie dachten, der Jüngling werde nie mehr sichtbar werden, und schon war er nah‘. Sie erschraken sehr, als sie ihn kommen sahen, und beriethen sich, was zu thun sei. »Stell‘ Dich noch einmal krank, und sag‘ ihm, Dir könnten nur goldene Aepfel aus dem Drachengarten helfen! Gelangt er hin, so werden ihn, die Drachen zerreißen, denn sie sind erbost über ihn.« Der Jüngling gab der Mutter mit Freuden den Vogel; allein die Mutter stöhnte und seufzte, das nütze ihr Alles nichts; ihr könnten nur goldene Aepfel aus dem Drachengarten helfen. »Du sollst sie haben, Mutter!« sagte der Jüngling, und begab sich wieder aus dem Schlosse gerade zur heiligen Nedelka.
»Wohin gehst Du denn nochmals?« fragte ihn die Heilige. »Ach, meiner Mutter ist noch nicht geholfen, sie ist noch krank, und nur Aepfel aus dem Drachengarten können sie gesund machen.« – »Nun bleibt nichts übrig, mein Sohn, als daß Du kämpfst. Und wärst Du noch so stark, es würde Dir schlimm ergehen; allein ich will Dir behilflich sein.« sprach die Heilige. »Da hast Du einen Ring, steck‘ ihn an den Finger; sobald Du den Ring drehst, und dabei an mich gedenkst, wird Dich Kraft von hundert Männern erfüllen. Setz‘ Dich nun auf Tatoschik, er wird Dich an Ort und Stelle tragen.« Der Jüngling setzte sich auf Tatoschik, und dieser trug ihn weit weg bis zu einem Garten, um den eine hohe Mauer lief. Nimmer wäre der Jüngling über die Mauer gekommen, wenn nicht Tatoschik gewesen wäre; der flog über sie, wie ein Vogel. Im Garten stieg der Jüngling ab, und ging, sich nach dem Baum mit goldenen Aepfeln umzusehen. Da begegnete ihm ein schönes Mädchen und fragte ihn, was er suche. Der Jüngling erwiederte, daß er goldene Aepfel suche für seine kranke Mutter, und bat das Mädchen, es möchte ihm sagen, wo der Apfelbaum sei. »Den Apfelbaum hüte ich,« sprach das Mädchen, »und ich darf von ihm Niemandem Obst geben, sonst würde mich der Drache tödten. Ich bin eine Königstochter, von dem Drachen in diesen Garten getragen, um ihn zu hüten. Kehr‘ um, Jüngling! Der Drache ist furchtbar stark, und wen er hier gewahrt, den tödtet er gleich einer Fliege.« Allein der Jüngling ließ sich nicht abhalten, und eilte weiter in den Garten. Da zog die Prinzessin einen kostbaren Ring vom Finger, und gab ihn dem Jüngling mit den Worten: »Steck‘ den Ring an, und dreh’st Du ihn und gedenkst dabei an mich, wird Dich Kraft von hundert Männern erfüllen. Auf andere Weise würdest Du den Drachen nicht besiegen.« Der Jüngling nahm den Ring, steckte ihn an einen Finger der linken Hand – an der rechten hatte er den Ring der Heiligen – bedankte sich schön, und schritt muthig weiter. Da erblickte er in der Mitte des Gartens goldene Aepfel auf einem Baume, und unter dem Baume einen furchtbaren Drachen. »Was willst Du hier, Du Mörder meiner Brüder und Gefährten?« brüllte der Drache ihn an. »Ich komme, um goldene Aepfel von diesem Baume zu holen,« entgegnete der Jüngling unerschrocken. »Du wirst keine goldenen Aepfel pflücken, sondern mit mir ringen.« – »Wohlan, wenn Du Lust hast! Komm!« sagte der Jüngling, drehte den Ring an der rechten Hand, gedachte an die Heilige, spreizte die Füße auseinander, und sie begannen zu ringen. Zuerst brachte der Drache den Jüngling aus seiner Stellung, doch dieser preßte ihn dann bis über die Knöchel in die Erde. Da rauschten plötzlich Flügel über ihnen, und ein schwarzer Rabe flog herbei und krächzte: »Wem soll ich helfen, Dir oder Dir?« – »Hilf mir,« rief der Drache. – »Und was giebst Du mir?« – »So viel Geld, als Du begehrst.« – »Mir hilf!« rief der Jüngling. »Ich geb‘ Dir Alle Pferde, die dort auf der Wiese weiden.« – »Dir will ich helfen,« krächzte der Rabe, »doch wie soll ich Dir helfen?« fragte er. – »Kühl mich, weil mir heiß wird!« erwiederte der Jüngling. Es ward ihm heiß, denn der Drache hauchte ihn mit seinem feurigen Athem an. Sie rangen weiter. Der Drache faßte den Jüngling und preßte ihn bis unter die Knöchel in die Erde. Jetzt rasteten sie. Der Rabe netzte seine Flügel im Brunnen, setzte sich auf des Jünglings Haupt und sprengte ihm Tropfen auf das Antlitz, das von dem Feuer des Drachen glühte. So kühlte er ihn. Der Jüngling drehte den andern Ring, gedachte des schönen Mädchens, und sie faßten sich wieder. Der Drache preßte den Jüngling bis über die Knöchel in die Erde; doch dieser faßte den Drachen, preßte ihn bis an die Schultern in die Erde, griff zum Schwert, das er gleichfalls von der Heiligen erhalten, und hieb dem Drachen das Haupt mit einem Hiebe ab. Da kam die Prinzessin, pflückte ihm selbst goldene Aepfel, und bedankte sich schön, daß er sie befreit habe; sie sagte ihm auch, sie wolle seine Gemahlin werden, er möchte sich mit ihr zu ihrem Vater begeben. »Ihr gefallt mir gleichfalls,« sagte der Jüngling, »und wenn ich könnte, ging‘ ich wohl mit Euch. Wollt Ihr ein Jahr meiner harren, komm‘ ich zu Euch.« Die Prinzessin reichte ihm die Hand darauf, daß sie ein Jahr lang seiner harren wolle. Der Jüngling nahm Abschied von ihr, setzte sich auf Tatoschik, sprang mit ihm über die Mauer, tödtete auf der Wiese einen Haufen Pferde für den Raben, und ritt dann zur Heiligen. »Nun, wie erging’s?« fragte die Heilige. »Gut,« erwiederte der Jüngling. »Allein hätte mir die Prinzessin nicht einen zweiten Ring gegeben, wär‘ es schlimm gewesen.« Hierauf erzählte er der Heiligen Alles. Die Heilige befahl ihm, er solle sich zur Mutter begeben, und Tatoschik mit sich nehmen. Der Jüngling gehorchte. Der Drache und die Mutter tafelten, und erschraken sehr, als sie den Jüngling heran reiten sahen; sie hatten nicht geglaubt, daß er aus dem Drachengarten wiederkehren werde. Die Mutter fragte, was sie thun solle; aber der Drache wußte keinen Rath mehr, und ging, sich in dem zehnten Zimmer zu verbergen.
Der Jüngling gab der Mutter die goldenen Aepfel, und die Mutter stellte sich, als ob ihr Anblick sie gesund gemacht. Sie bewirthete ihn, liebkoste ihn, so zärtlich sie konnte, und der Jüngling hatte große Freude, daß die Mutter wieder gesund sei. Da nahm die Mutter eine lange, dicke Schnur, und sagte dem Jüngling: »Leg‘ Dich, ich will die Schnur um Dich winden, wie ich’s Deinem Vater zu thun pflegte, und will sehen, ob Du so stark bist, als er, und sie zerreißest.« Der Jüngling lachte, legte sich, und die Mutter wand die Schnur um ihn, wie um ein Wickelkind; allein er drehte sich plötzlich und zerriß die Schnur in Stücke. »Du bist stark,« sagte die Mutter, »aber wart‘, ich will noch eine dünne Schnur um Dich winden, und sehen, ob Du sie zerreißest.« Sie brachte eine dünne, seidene Schnur, und wand diese um ihn. Der Jüngling dehnte sich und dehnte sich, doch je mehr er sich dehnte, desto tiefer schnitt die Schnur in sein Fleisch ein. Als die Mutter dies sah, rief sie den Drachen, und der Drache lief herbei, hieb ihm den Kopf ab, und zerhieb den Leib in Stücke. Hierauf nahm die Mutter das Herz heraus, band den Leib zusammen, und hängte das Bündel Tatoschik um, indem sie sprach: »Hast Du ihn als Lebenden getragen, trag‘ ihn auch als Todten, wohin es Dir beliebt.« Tatoschik säumte nicht, begann zu rennen, und war sogleich zu Hause bei seiner Herrin. Die Heilige harrte bereits auf ihn, denn sie wußte Alles voraus, was und wie es geschehen werde. Alsbald fügte sie den Leib zusammen und wusch ihn mit dem Wasser des Todes, dann mit dem Wasser des Lebens; der Jüngling gähnte, streckte sich und stand lebend und gesund auf. »Ach, wie lange hab‘ ich geschlafen!« sagte er. – »Du hättest in Ewigkeit geschlafen, wenn ich Dich nicht aufgeweckt. Wie ist Dir?« fragte ihn die Heilige. – »Gut, aber sonderbar, mein Herz schlägt nicht.« – »Wie soll es schlagen, da Du keins hast!« – »Und wo ist es?« fragte der Jüngling verwundert. – »Es hängt im Schlosse an der Schnur, festgebunden an die Decke,« erwiederte die Heilige, und erzählte ihm alles Uebrige, was mit ihm geschehen war. Der Jüngling gerieth nicht in Zorn und weinte nicht, denn er hatte kein Herz. Dann befahl ihm die Heilige, Bettlerkleider anzuziehen, gab ihm eine Sackpfeife, und schickte ihn in das Schloß, daß er dort pfeife, und für die Musik zum Lohne das Herz begehre; mit diesem solle er zu ihr zurückkehren. Der Jüngling ging, und da er bemerkte, daß die Mutter zum Schlosse heraussehe, stellte er sich unter das Fenster, und begann gar schön zu pfeifen. Der Mutter gefiel die Musik ungemein, und sie rief den alten Sackpfeifer in das Schloß, daß er ihr da vorspiele. Der Jüngling pfiff und pfiff, und die Mutter tanzte mit dem Drachen den Tag und die Nacht durch, bis sie ganz müde war. Sie gab dem Sackpfeifer zu essen und zu trinken, und als sie sich satt getanzt, gab sie ihm auch goldenes Geld. Allein der Sackpfeifer sagte: »Wozu soll mir das Geld! Ich bin schon alt.« – »Nun, was soll ich Dir geben! Erbitte Dir etwas!« entgegnete die Mutter. – »Was Ihr mir geben sollt?« sagte der Jüngling und blickte in dem Zimmer umher. »Gebt mir das Herz, das dort von der Decke hängt.« – »Ei, das will ich Dir gern geben,« erwiederte die Mutter, nahm das Herz herab, und gab es dem Jüngling. Dieser bedankte sich schön, und ging aus dem Schlosse zu der Heiligen. »Gut, daß wir es wieder haben!« sagte die Heilige, nahm das Herz, wusch es mit dem Wasser des Todes und des Lebens, gab es dem Vogel Pelikan in den Schnabel, und befahl ihm, es dem Jüngling an der rechten Stelle einzusetzen. Der Vogel Pelikan streckte seinen langen, dünnen Hals aus, setzte dem Jüngling das Herz an der rechten Stelle ein, und der Jüngling fühlte sogleich, daß es ihm fröhlich schlage. Dafür schenkte die Heilige dem Vogel Pelikan die Freiheit. Hierauf verwandelte sie den Jüngling in einen Tauber, und befahl ihm, in das Schloß zu fliegen, und sich zu überzeugen, was die Mutter mache. »Wirst Du wieder ein Mensch sein wollen, gedenk‘ an mich, und alsbald wirst Du einer sein!« fügte sie hinzu. Der Jüngling flog also als Tauber in das Schloß, und durch das Fenster in das Zimmer, wo die Mutter wohnte. Da sah er sie mit dem Drachen buhlen. Die Mutter aber gewahrte den Tauber sogleich, und schickte den Drachen, daß er die Büchse nehme und ihn todtschieße. Bevor jedoch der Drache die Büchse nehmen konnte, flog der Tauber herab, verwandelte sich in einen Menschen, griff zum Schwerte und hieb dem Drachen mit einem Hieb das Haupt ab. »Und was soll ich mit Dir beginnen, Unwürdige?« wandte er sich zur Mutter. Die Mutter fiel vor ihm auf die Knie, und bat um Erbarmen. »Fürchte Dich nicht, ich will Dir nichts zu Leide thun! Gott richte selbst!« Er faßte die Mutter bei der Hand, führte sie in den Schloßhof, und dort sprach er zu ihr: »Sieh Mutter, dies Schwert schleud’re ich in die Luft: Wer schuldig ist, den wird Gott richten.« Das Schwert pfiff durch die Luft, blitzte, und fuhr um des Jünglings Haupt herum gerade in das Herz der Mutter. Der Jüngling begrub die Mutter, dann kehrte er zur heiligen Nedelka zurück, bedankte sich schön für alles ihm erwiesene Gute, gürtete sein Schwert um, nahm seinen Buchenbaum in die Hand, und ging zu der holden Prinzessin. Diese war schon bei ihrem Vater, und sollte mehrmals Prinzen und Könige freien, allein sie wollte sich nicht vermählen, bevor nicht ein Jahr verflossen sei. Und noch war das Jahr nicht verflossen, als eines Tages der Jüngling in das königliche Schloß trat. »Das ist mein erkorener Bräutigam!« rief sie, als sie ihn erblickte, und sogleich willigte sie in die Hochzeit. Da war ein großes Fest, der Vater gab dem Jüngling das Königreich, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch.

[Slowakei: Joseph Wenzig: Westslawischer Märchenschatz]

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