Suche

Märchenbasar

Von der Schwester des Muntifiuri

1
(1)
Es waren einmal ein Bruder und eine Schwester, die hatten weder Vater noch Mutter, und lebten allein mit einander, und hatten sich von Herzen lieb. Der Bruder war ein schöner Jüngling und hieß Muntifiuri, die Schwester aber war schöner als die Sonne.
Nun begab es sich, daß eines Tages der König einen neuen Kammerdiener suchte, da erzählte man ihm von Muntifiuri, der ein so schöner Jüngling sei; also schickte er ihm eine Botschaft, er solle an den Hof kommen, der König wolle ihn zu seinem Kammerdiener machen. Ehe Muntifiuri nun verreiste, ließ er ein Bild von seiner Schwester machen, und nahm es mit sich. Der König gewann seinen Diener bald sehr lieb, hielt ihn gut und wollte ihn immer um sich haben. Wenn aber Muntifiuri nichts zu thun hatte, ging er oft in seine Kammer, betrachtete das Bild seiner Schwester und weinte. Die anderen Diener waren neidisch auf die Gunst, die der König dem Muntifiuri zeigte, und dachten, wie sie ihn verderben könnten. Darum gingen sie zum König und sprachen: »Muntifiuri sitzt immer in seiner Kammer, und kein Mensch weiß, was er darinnen thut, denn er läßt niemals Jemanden hereinkommen.« Der König wurde neugierig, schlich sich zur Kammer seines Dieners, und schaute durch das Schlüsselloch. Da sah er, daß Muntifiuri immer ein Bild anschaute und dazu weinte. Als nun Muntifiuri aus seiner Kammer heraustrat, frug ihn der König: »Wessen ist das Bild, das du immer anschaust? Zeige es mir einmal.« Er wollte es aber nicht zeigen, denn seine Schwester war sehr schön. Da drohte ihm der König: »Wenn du mir nicht sogleich das Bild zeigst, so lasse ich dir den Kopf abhauen,« und so mußte denn Muntifiuri das Bild herbeiholen. Als der König nun das Bild gesehen hatte, frug er: »Wer ist das?« »Königliche Majestät, das ist meine Schwester,« antwortete Muntifiuri. »Ist sie wirklich so schön?« frug der König. »Noch tausendmal schöner,« sprach Muntifiuri. »Wenn sie wirklich noch tausendmal schöner ist,« rief der König, »so laß sie herkommen; denn ich will sie zu meiner Gemahlin machen.«
Da machte sich Muntifiuri auf, und kam zu seiner Schwester, und sprach: »Denke dir, liebe Schwester, der König will dich zu seiner Gemahlin erheben. Nun ist dein Glück gemacht.« »Ach,« antwortete sie, »wie kann ich denn zum König kommen? Ich darf nicht über das Meer; denn als ich noch ein kleines Kind war, verwünschte mich eine böse Zauberin, und sprach: Möge dich die Sirene des Meeres holen.« Da ließ der Bruder ein großes Schiff bauen, das war von allen Seiten geschlossen, und sprach: »Siehe, liebe Schwester, in diesem Schiff kannst du sicher fahren, denn es hat kein Fenster und keine Oeffnung, also kann auch die Sirene nicht hereinkommen, und dich holen.«
Neben den Geschwistern nun wohnte eine böse Frau, die sah mit neidischen Augen das Glück, das die schöne Schwester des Muntifiuri getroffen hatte. Sie hatte auch eine Tochter, die war aber häßlicher als die Schulden. Da ging sie zu Muntifiuri und sprach: »Wir sind doch immer gute Freunde gewesen, Muntifiuri. So thu mir nur den Gefallen, und laß meine Tochter deine Schwester begleiten. Sie kann ja bei ihr im Dienst bleiben.« Muntifiuri war es zufrieden, schiffte seine Schwester und ihre häßliche Begleiterin ein, und ließ dann auch von oben das Schiff schließen, damit seine Schwester sicher zum König käme. Die böse Nachbarin aber hatte ihrer Tochter einen Bohrer gegeben und gesagt: »Wenn ihr euch auf dem Meere befindet, so bohre ein Loch in die Wand des Schiffes, damit die Sirene des Meeres komme, und die zukünftige Königin hole, so wirst du Königin werden.« Das that das häßliche Mädchen, bohrte ein Loch in die Wand des Schiffes, und alsobald kam die Sirene, und nahm die schöne Schwester des Muntifiuri mit. Die Tochter der Nachbarin aber legte die Kleider der Schönen an. Da nun das Schiff im Hafen einfuhr, ließ Muntifiuri das Verdeck auseinanderschlagen, um seine Schwester heraus zu holen; er fand aber nur die häßliche Tochter der Nachbarin, die in den schönen Kleidern noch viel häßlicher aussah.
Da ging Muntifiuri zum König, fiel ihm zu Füßen, und sprach: »Königliche Majestät, unterwegs ist meine Schwester ins Wasser gefallen, und gestorben, und ich habe nur die Tochter meiner Nachbarin mitgebracht.« Da ward der König sehr betrübt, und sprach: »Wenn denn deine Schwester gestorben ist, so will ich die Tochter deiner Nachbarin heirathen.« Also wurde die Tochter der Nachbarin hereingeführt, und als der König sie sah, entsetzte er sich vor ihrem häßlichen Gesicht. Weil er aber versprochen hatte, sie zu heirathen, wollte er sein königliches Wort nicht brechen, sondern feierte eine glänzende Hochzeit und heirathete das häßliche Mädchen.
Die junge Königin aber sann nur darüber nach, wie sie den Muntifiuri tödten könne, den der König so lieb hatte. Da kam sie zu ihrem Gemahl, und sprach: »Muntifiuri rühmt sich großer Dinge; er hat sich unterfangen, in einer Nacht einen wunderschönen Brunnen auf dem großen Platz vor dem Schloß zu errichten, mit springendem Wasser und schön gearbeitet.« Da ließ der König seinen treuen Diener kommen, und sprach zu ihm: »Muntifiuri, du hast dich gerühmt in einer Nacht auf dem Platz vor dem Schloß einen schönen Brunnen zu errichten, mit springendem Wasser und schön gearbeitet. So führe das nun aus, sonst jage ich dich aus meinem Dienst.« Da ward Muntifiuri sehr betrübt, und ging an den Meerestrand, weinte bitterlich und klagte: »O, Schwester, meine Schwester, wie schlimm ergeht es mir!« Auf einmal erhob sich eine schöne Gestalt aus den Wellen, das war seine Schwester, die war noch viel schöner als bisher, und hatte drei schöne Mädchen zu ihrer Rechten, und drei zu ihrer Linken, sie war aber doch die Schönste. An dem Fuß aber trug sie eine goldne Kette, an der hielt die Sirene sie fest, daß sie nicht entfliehen konnte. »Was weinst du so bitterlich, mein lieber Bruder?« frug sie. Da klagte er ihr sein Leid, sie aber sprach: »Gehe nur ruhig nach Hause, und schlafe; morgen früh soll der Brunnen fertig sein.« Da ging Muntifiuri getröstet nach Haus; und in der Nacht kam seine Schwester mit ihren sechs Mädchen, und im Augenblick war ein wunderschöner Brunnen fertig, mit springendem Wasser und schön gearbeitet. Sie trug am Fuße aber immer die goldne Kette, an der zog sie die Sirene immer wieder ins Meer hinunter.
Als der König nun am Morgen erwachte, und den schönen Brunnen erblickte, ward er hoch erfreut und lobte seinen treuen Diener. Die junge Königin aber dachte wieder, wie sie dem Muntifiuri schaden könne, und sprach zum König: »Muntifiuri rühmt sich ja großer Kunst; er hat sich unterfangen, in einer Nacht um den Brunnen herum einen wunderschönen Garten zu pflanzen, in dem alle Bäume und alle Blumen der ganzen Erde zu sehen wären.« Da ließ der König wieder seinen treuen Diener rufen, und befahl ihm, in einer Nacht um den Brunnen herum einen Garten anzulegen, in dem alle Bäume und alle Blumen der Erde zu sehen seien, sonst werde er ihn ins Gefängniß werfen lassen. Muntifiuri ging aber wieder an den Meeresstrand, weinte und rief seine Schwester. Da erschien sie über dem Wasser und frug, was er wolle. Als er ihr sein Leid geklagt hatte, antwortete sie: »Gehe nur ruhig nach Haus und schlafe, morgen früh soll der Garten fertig sein.« In der Nacht aber kam sie mit ihren sechs Mädchen, und errichteten einen Garten, der war so schön, wie der König keinen schönern hatte, und darin waren alle Bäume und alle Blumen der Erde zu sehen.
Als nun am anderen Morgen der König erwachte, erstaunte er über den schönen Garten und erfreute sich daran. Die junge Königin aber sprach wieder zu ihm: »Muntifiuri läßt nicht nach, sich seiner Kunst zu rühmen, und hat sich vermessen, in einer Nacht in dem Garten alle Vögel, die es auf Erden gibt zu versammeln.« Da befahl der König dem armen Muntifiuri in einer Nacht alle Vögel die es auf Erden gibt in dem Garten zu versammeln, sonst ließe er ihm den Kopf abschneiden. Muntifiuri ging wieder zum Meeresstrand, rief seine Schwester und klagte ihr sein Leid. »Gehe nur nach Hause und schlafe,« sprach sie, »morgen soll der König zufriedengestellt sein.« Da kam sie in der Nacht mit ihren sechs Mädchen, und alsbald bevölkerten sich die Bäume mit allen Vogelarten, die es auf Erden gibt, die sangen so lieblich, daß man nichts Schöneres hören konnte.
Die junge Königin aber ergrimmte, daß Muntifiuri immer Alles ausführte, und sie ihm nichts anhaben konnte. Da nahm sie zwölf Enten, rief den Muntifiuri, und sprach: »Jeden Morgen mußt du die Enten über Land führen, und wenn dir Abends Eine fehlt, so kostet es deinen Kopf.«
Muntifiuri nahm die zwölf Enten, trieb sie an den Meeresstrand und rief wieder seine Schwester. Da erhob sie sich über den Wellen und frug ihn, was er wolle. »Ich soll diese zwölf Enten auf die Weide führen,« sprach er, »gib du ihnen zu fressen, so brauche ich nicht so weit zu laufen.« Da schüttelte sie ihre schönen Flechten, daß Perlen und Goldkörner herausfielen, und die Enten pickten sie begierig auf. Als es nun Abend war, und Muntifiuri die Enten nach Hause trieb, fingen sie an zu singen:

»O Koch, o Koch, wir kommen vom Meer,
Perlen die Fülle tragen wir her,
Schön ist die Sonne mit hellem Schein,
Doch schöner muß Muntifiuri’s Schwester wohl sein.«

Als die Königin das hörte, erschrak sie, und sperrte schnell die Enten ein, damit niemand ihr Lied hören sollte. Am nächsten Morgen nahm sie eine Ente, und tödtete sie, und gab dem Muntifiuri nur elf Enten mit. Weil er aber seinen traurigen Gedanken nachhing, vergaß er, die Enten zu zählen, und ging geradewegs zum Meeresstrand, und rief seine Schwester; die schüttelte wieder ihre schönen Flechten, daß Perlen und Goldkörner herausfielen, und die Enten sich satt fraßen. Als Muntifiuri sie nach Hause trieb, fingen sie wieder an zu singen:

»O, Koch, o Koch, wir kommen vom Meer,
Perlen die Fülle tragen wir her,
Schön ist die Sonne mit hellem Schein,
Doch schöner muß Muntifiuri’s Schwester wohl sein.«

Da kam die Königin eilends heruntergelaufen, und sperrte die Enten ein, und als sie sie zählte, waren es nur elf. Da eilte sie zum König, und sprach: »Muntifiuri hat mir eine meiner Enten verloren, dafür muß ihm der Kopf abgehauen werden.« Der König aber mußte ihr den Willen thun, ließ seinen treuen Diener rufen, und sprach: »Muntifiuri, du hast der Königin eine Ente verloren, dafür mußt du sterben.« »Wohl,« antwortete Muntifiuri, »gewähret mir nur die eine Bitte, und laßt mich noch ein einzigesmal an den Meeresstrand gehen.« Der König gewährte ihm die Bitte, und Muntifiuri ging an den Meeresstrand, rief die Schwester, und klagte ihr sein Leid. »Du armer Bruder,« antwortete sie, »nun kann ich dir nicht mehr helfen. Laß dich aber in dem Garten bei dem schönen Brunnen begraben, so will ich drei Nächte hindurch kommen, und dir die Todtengesänge singen; das ist das Einzige, was ich für dich thun kann.« Da kam Muntifiuri zum König, und sprach: »Wenn man mir den Kopf abgehauen hat, so lasset mich in drei Särge thun, einen bleiernen, einen silbernen und einen goldenen, und lasset mich im Garten bei dem schönen Brunnen begraben, den ich für euch errichtet habe.« Das versprach der König, und als der Scharfrichter dem armen Muntifiuri den Kopf abgehauen hatte, ließ er ihn in drei Särge legen, wie er gewünscht hatte, und ließ ihn im Garten bei dem Brunnen begraben.
In der Nacht aber kam seine Schwester mit ihren sechs Mädchen, und setzte sich auf das Grab, und sang die Todtengesänge, und es klang so lieblich, daß die Gärtner des Königs sich gar nicht satt hören konnten. Aber als die Sirene an der goldnen Kette zog, mußte das schöne Mädchen ins Meer zurück.
In der nächsten Nacht ging es ebenso, da erzählten es die Gärtner dem Könige und sprachen: »Königliche Majestät, in diesen zwei letzten Nächten sind im Garten sieben Mädchen erschienen, die sind alle sehr schön; die mittelste aber ist schöner als die Sonne, und trägt eine goldne Kette am Fuß, die setzt sich auf das Grab eures Dieners Muntifiuri und singt so schön, daß man nichts Schöneres hören kann. Nach einer Weile aber zieht Jemand an der Kette, wir wissen nicht wer, und die schöne Gestalt verschwindet.« Da ward der König neugierig und sprach: »Diese Nacht will ich mit euch wachen.«
Als es nun Abend war, versteckte sich der König im Garten, und bald erschien die Schwester des Muntifiuri zum letztenmal, setzte sich auf das Grab, und sang noch viel schöner, als die beiden ersten Nächte. Da sprang der König hinzu, und zerhaute mit seinem Schwerte die goldne Kette, und sprach: »Wer bist du, schönes Mädchen?« Da antwortete sie: »Ich bin die Schwester von dem armen Muntifiuri, und bin nicht in dem Meere ertrunken, sondern die böse Tochter der Nachbarin, die nun eure Frau ist, hatte ein Loch in die Wand des Schiffes gebohrt, daß die Sirene des Meeres kam, und mich in den Grund des Meeres holte, und mich mit einer goldnen Kette gefesselt hielt. Ihr aber habt mich erlöst, indem ihr die goldne Kette durchhauen habt.« »Wenn dem so ist,« rief der König, »so sollst du meine Gemahlin sein.«
Da ließ er der falschen Königin den Kopf abhauen, und ließ sie in lauter Stücke schneiden und in einem Faß einsalzen. Zu unterst ließ er ihre Hand legen, an der sie einen Ring trug, den hatte sie von ihrer Mutter bekommen. Das Faß aber schickte er der bösen Nachbarin, und ließ ihr sagen: »Eure Tochter, die Königin, schickt euch diesen schönen Thunfisch, daß ihr ihn ihr zu Liebe essen möget.« Da war die Mutter sehr erfreut, und öffnete sogleich das Faß, und fing an, ein Stück zu essen. Als sie aber einmal angefangen hatte, mußte sie immer weiter essen, bis sie auf den Grund des Fasses kam. Nun hatte sie eine Katze und einen Hund, die sprangen immerfort an ihr hinauf, und baten: »Gib uns ein Stückchen mit, so helfen wir dir auch nachher weinen.« Sie aber jagte sie fort, und wollte ihnen nichts mitgeben. Als sie nun auf den Grund des Fasses kam, und die Hand mit dem Ringe fand, da erkannte sie, daß sie ihre eigne Tochter gegessen hatte, und in ihrem Schmerze rannte sie mit dem Kopf gegen die Mauer, daß sie starb. Der Hund und die Katze aber tanzten im ganzen Haus herum, und sangen: »Du hast uns nichts mitgegeben, so helfen wir dir auch nicht weinen.«
Der König aber ließ eine glänzende Hochzeit feiern, und heirathete die schöne Schwester des Muntifiuri; und sie lebten glücklich und zufrieden, wir aber sind leer ausgegangen.

[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]

Wie hat dir das Märchen gefallen?

Zeige anderen dieses Märchen.

Gefällt dir das Projekt Märchenbasar?

Dann hinterlasse doch bitte einen Eintrag in meinem Gästebuch.
Du kannst das Projekt auch mit einer kleinen Spende unterstützen.

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß

Skip to content