Irgendwo in einem Zarenreich, nicht in unserem Reich, lebte einst ein gewaltiger Zar, ein mächtiger König, der hatte zwei Kinder: einen Sohn Iwan-Zarewitsch und eine Tochter, Helene, die Wunderschöne. Eines Tages erschien in seinem Reich der Bär Eisenfell und fing an die Untertanen zu fressen. Und während er die Leute fraß, zerbrach sich der Zar den Kopf darüber, wie er wohl seine Kinder retten könne. Er befahl, eine hohe Säule zu erbauen, setzte Iwan-Zarewitsch und Helene, die Wunderschöne, dort hinauf und ließ ihnen Vorräte auf fünf Jahre hinschaffen. Der Bär fraß alle Menschen auf, lief in den Zarenpalast und machte sich voll Ärger daran, einen Rutenbesen zu benagen. »Nage nicht an mir, du Bär Eisenfell!« sagte der Rutenbesen, »sondern geh lieber aufs Feld, dort wirst du eine Säule erblicken, und auf dieser Säule sitzen Iwan-Zarewitsch und Helene, die Wunderschöne!« Der Bär lief hin und begann sofort an der Säule zu rütteln. Iwan-Zarewitsch erschrak und warf ihm Essen hinunter, der Bär fraß sich voll und legte sich schlafen. Doch während er so in festem Schlafe lag, liefen Iwan-Zarewitsch und Helene, die Wunderschöne, fort, ohne sich umzusehen. Am Wege sahen sie ein Roß stehen und riefen: »Roß, Roß, rette uns!« Kaum aber hatten sie sich aufgesetzt, so holte sie der Bär ein. Das Roß zerriß er in Stücke, doch die Zarenkinder nahm er in den Rachen und trug sie zu der Säule zurück. Wieder gaben sie ihm Essen, und er fraß sich voll und schlief wieder ein. Während er in festem Schlafe lag, liefen Iwan-Zarewitsch und Helene, die Wunderschöne, fort, ohne sich umzusehen. Da sahen sie Gänse auf dem Wege gehn und riefen: »Gänse, Gänse, rettet uns!« Sie setzten sich auf die Gänse und flogen davon, aber der Bär erwachte, versengte die Gänse mit lodernden Flammen und brachte die Zarenkinder zu der Säule zurück. Sie gaben ihm wieder zu essen, und er fraß sich voll und schlief wieder ein. Während er in tiefem Schlafe lag, liefen Iwan- Zarewitsch und Helene, die Wunderschöne, fort, ohne sich umzusehen. Auf dem Wege aber stand ein dreijähriger Stier. »Stierchen, Stierchen, rette uns: der Bär Eisenfell jagt hinter uns her!« – »Setzt euch nur auf; du aber, Iwan-Zarewitsch, setz dich mit dem Rücken nach vorn, und wenn du den Bären erblickst, so sag es mir.« Als dann der Bär sie erreichte, schiß der Stier ihn an und verkleisterte ihm die Augen. Dreimal holte der Bär sie ein, und dreimal verkleisterte ihm der Stier die Augen. Doch als sie über einen Fluß setzen mußten, rannte der Bär hinter ihnen her und ertrank.
Hernach wollten die Zarenkinder essen; sprach der Stier zu ihnen: »Schlachtet mich und eßt mich auf, aber sammelt meine Knochen und schlagt auf sie drauf, dann wird aus ihnen das Bäuerlein Faustgroß herauskommen, der Däumling mit dem ellenlangen Bart. Es wird alles tun, was ihr wollt.« Die Zeit verging, den Stier hatten sie aufgegessen und wurden wieder hungrig; sie schlugen leicht auf die Knochen, und das Bäuerlein Faustgroß kam hervor. Darauf gerieten sie in einen Wald, und in diesem Wald stand ein Haus, es war aber ein Räuberhaus. Faustgroß schlug die Räuber und den Hauptmann tot und warf sie in eine Kammer; er befahl aber der Zarentochter, niemals dort hineinzugehen. Sie hielt es jedoch vor Neugierde nicht aus, schaute hinein und verliebte sich in den Kopf des Anführers. Sie bat Iwan-Zarewitsch, ihr das Wasser des Lebens und des Todes zu verschaffen. Kaum hatte er ihr diesen Wunsch erfüllt, als sie den Hauptmann lebendig machte und mit ihm verabredete, Iwan-Zarewitsch umzubringen. Zuerst beschlossen sie, ihn nach Wolfsmilch auszuschicken. Iwan-Zarewitsch ging mit dem Bäuerlein Faustgroß fort, und sie fanden endlich eine Wölfin. »Gib uns deine Milch!« sprachen sie zu ihr. Sie ließ ihnen ihre Milch und bat sie, auch ihr Junges mitzunehmen, weil es bloß scheißt und pißt, unnütz Brot nur frißt. Sie nahmen die Milch und das Wölflein mit und kehrten um; die Milch gaben sie Helenen, der Wunderschönen, das Wölflein aber behielten sie für sich. So war es also nicht gelungen, den Bruder zu verderben; da schickte ihn die Schwester nach Bärenmilch, und Iwan-Zarewitsch ging mit dem Bäuerlein Faustgroß fort, um Bärenmilch zu holen. Sie fanden eine Bärin und sprachen zu ihr: »Gib uns deine Milch!« Sie ließ ihnen ihre Milch und bat sie, auch ihr Junges mitzunehmen, weil es bloß scheißt und pißt, unnütz Brot nur frißt. Da nahmen sie die Milch und das Bärchen mit und kehrten um; die Milch gaben sie Helenen, der Wunderschönen, das Bärchen aber behielten sie für sich. Also auch auf diese Art hatten sie nicht vermocht, Iwan-Zarewitsch umzubringen; da schickten sie ihn nach Löwenmilch, und er ging mit dem Bäuerlein Faustgroß fort. Sie fanden eine Löwin und erhielten ihre Milch; sie bat, auch ihr Junges mitzunehmen, weil es bloß scheißt und pißt, unnütz Brot nur frißt. Dann kehrten sie zu Helenen, der Wunderschönen, zurück, gaben ihr die Milch, und behielten das Löwenjunge für sich.
Jetzt sahen der Räuberhauptmann und Helene, die Wunderschöne, daß sie auch auf diese Weise Iwan- Zarewitsch nicht verderben konnten, und schickten ihn nun aus, Eier des Feuervogels zu holen. Iwan-Zarewitsch machte sich mit dem Bäuerlein Faustgroß auf; sie fanden den Feuervogel und wollten ihm seine Eier fortnehmen, er geriet aber in Zorn und verschluckte das Bäuerlein Faustgroß; Iwan-Zarewitsch ging ohne Eier nach Hause. Er kam zur Schwester Helene, der Wunderschönen, und erzählte ihr, daß er die Eier nicht habe erlangen können, und daß der Feuervogel das Bäuerlein Faustgroß verschlungen habe. Da freuten sich Helene, die Wunderschöne, und der Hauptmann und meinten, daß Iwan-Zarewitsch ohne den Faustgroß nichts würde ausrichten können; und sie befahlen, ihn zu töten. Iwan-Zarewitsch aber hatte das mit angehört und bat sich aus, vor dem Tode noch einmal baden zu dürfen. Da ließ Helene, die Wunderschöne, die Badstube heizen, und Iwan-Zarewitsch ging hinein. Die Schwester schickte aber zu ihm und ließ ihm sagen, er solle sich beeilen. Doch Iwan-Zarewitsch gehorchte ihr nicht und wusch sich ohne jede Eile. Plötzlich kamen das Wölfchen, das Bärchen und das Löwchen zu ihm gelaufen und sagten ihm, daß das Bäuerlein Faustgroß sich vor dem Feuervogel gerettet habe und gleich hierher käme. Iwan-Zarewitsch befahl den Tieren, sich auf die Schwelle zu legen und wusch sich ruhig weiter. Helene, die Wunderschöne, schickte wieder zu ihm und ließ ihm sagen, er solle sich beeilen, und käme er nicht gleich, so würde sie ihn selbst holen. Iwan-Zarewitsch gehorchte ihr aber nicht und kam nicht aus der Badstube heraus. Helene, die Wunderschöne, wartete und wartete, konnte sich jedoch nicht länger gedulden und ging mit dem Hauptmann hin, um zu sehen, was der Bruder dort treibe. Sie kam hin und sah, daß er sich wusch und ihrem Befehl nicht gehorchte; sie ward zornig und gab ihm eine Backpfeife. Hast du nicht gesehen! war das Bäuerlein Faustgroß da und befahl dem Wölfchen, dem Bärchen und dem Löwchen, den Räuberhauptmann in Stücke zu reißen; Helene, die Wunderschöne, aber band er nackt an einen Baum, damit ihr Leib von Mücken und Fliegen zerfressen würde; dann machte er sich mit Iwan-Zarewitsch auf und wanderte über Weg und Steg. Und als sie einen großen Palast erblickten, sprach das Bäuerlein Faustgroß: »Willst du nicht heiraten, Iwan-Zarewitsch? Hier in diesem Hause wohnt eine Heldenjungfrau; sie sucht einen starken Burschen, der sie zu überwinden vermag.« Sie gingen auf das Haus zu. Kurz davor setzte sich Iwan- Zarewitsch auf ein Pferd und das Bäuerlein Faustgroß hinter ihn, und sie forderten die Heldenjungfrau zum Kampf heraus. Sie schlugen und schlugen sich, und die Heldenjungfrau traf Iwan-Zarewitsch auf die Brust; fast wäre er gefallen, aber Faustgroß hielt ihn fest. Dann traf jedoch Iwan-Zarewitsch die Heldenjungfrau mit der Lanze, und die Jungfrau stürzte sogleich vom Pferde. Als Iwan-Zarewitsch sie aus dem Sattel geworfen hatte, sprach sie zu ihm: »Nun kannst du mich zur Frau nehmen, Iwan-Zarewitsch!«
Rasch wird das Märchen erzählt, langsam die Tat getan. Iwan-Zarewitsch vermählte sich mit der Heldenjungfrau. Das Bäuerlein Faustgroß sagte aber zu ihm: »Hör mich an, Iwan-Zarewitsch: wird dir in der ersten Nacht schlecht zumute, so komm zu mir heraus, ich werde dir beistehn.« Iwan-Zarewitsch legte sich mit der Heldenjungfrau schlafen. Plötzlich legte sie ihm die Hand auf die Brust, und ihm ward schlecht zumute; da bat er, hinausgehen zu dürfen. Und als er hinausgegangen war, rief er das Bäuerlein Faustgroß und erzählte ihm, daß die Heldenjungfrau ihn ersticken wolle. Das Bäuerlein Faustgroß ging zur Heldenjungfrau hinein, fing an sie zu prügeln und sprach dazu: »Ehre deinen Mann!« Und von der Zeit ab lebten sie glücklich und in Frieden.
Danach bat die Heldenjungfrau Iwan-Zarewitsch, er möge Helene, die Wunderschöne, losbinden und sie bei sich wohnen lassen. Da schickte er sogleich hin und ließ sie losbinden und zu ihm führen. Lange lebte Helene, die Wunderschöne, bei ihm. Eines Tages aber sprach sie zu Iwan-Zarewitsch: »Bruder, laß mich dich lausen!« Und sie begann ihn zu lausen und steckte ihm einen Todeszahn in den Kopf, davon kam Iwan-Zarewitsch das Sterben an. Das Löwchen sah, daß Iwan-Zarewitsch im Sterben lag, und zog ihm den Todeszahn heraus; da kam Iwan-Zarewitsch wieder zu sich, aber das Löwchen lag im Sterben. Nun zog das Bärchen dem Löwchen den Zahn heraus, und das Löwchen kam zu sich, aber das Bärchen begann zu sterben. Der Fuchs sah es sterben und zog ihm den Todeszahn heraus, aber da er schlauer war als sie alle, so warf er ihn sofort auf eine Pfanne, wovon der Zahn in Stücke sprang. Dafür ließ Iwan- Zarewitsch Helene, die Wunderschöne, an den Schweif eines starken Rosses binden und auf dem freien Felde zu Tode schleifen.
Ich bin dort gewesen,
Met hab ich getrunken;
Übern Schnurrbart floß er mir,
In den Mund nicht kam er mir.
[Rußland: August von Löwis of Menar: Russische Volksmärchen]