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Wie die Maus eine Braut für ihren Sohn sucht

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Wer weiß, wann das war, und wo es war, wissen wir auch nicht. Kurzum, es war einmal. . . es war einmal eine Maus. Die Maus besaß ein Häuschen, das sie mit den Pfoten gegraben hatte; bei Großmutter mauste die Maus Wolle aus dem Körbchen und richtete sich ein weiches Bett. Sie hatte eine Vorratskammer mit Korn, sehr viel Haselnüssen und Bucheckern.
Einmal kam eine Zeit, da die Maus nicht mehr ins Freie ging, dafür kamen aber die benachbarten Mäuse oft zu Besuch. Die Maus sollte nämlich Junge kriegen. Obschon nur ein einziges Mäuslein zur Welt kam, beglückwünschten sie alle Mäuse, sowohl die Verwandten als auch Fremde. „Ein Söhnchen hat unsere Nachbarin zur Welt gebracht! Ein Söhnchen!“ Die Mäusemutter behielt den Kleinen immer im Auge, säugte und fütterte ihn, brachte ihm bei, wie eine brave Maus sich zu verhalten hat, wie sie laufen, essen und pfeifen muß. Schon bald hieß es bei allen Mäusen, daß es noch nie ein schöneres und besseres Mäuslein gegeben habe und auch nie geben würde. „Der Tüchtigste aller Tüchtigen!“ rief eine Maus begeistert. „Da hast du recht; ich schwöre, aus ihm wird einmal ein kühner Beschützer aller Mäuse!“ versicherte eine andere. „Aber ja! Er ist in jeder Hinsicht ein Muster!“ sprach eine Dritte. „Und erst sein Äußeres! Wie schlank von Gestalt! Wie klug! Und wie bescheiden dabei!“ unterbrach eine Vierte. Die fünfte Maus sagte: „Ja, er ist der beste Mäuserich, den es geben kann. Kein anderer hat ein so feines Gehör: Er ist stets der erste, der es miauen hört. Und niemand kann sich besser verstecken als er.“ — „Er lauft wie der Blitz, und die Arbeit flutscht bei ihm!“ wußte eine sechste Maus zu berichten. „Ehe ich mich’s versah, hatte er einen neuen Korb durchgenagt und soviel Weizen weggetragen, daß es für drei Mäuslein den ganzen Winter reicht.“ Die siebente Maus kraute sich mit dem rechten Pfötchen hinterm Ohr und sagte: „Mit uns ist er nach Nüssen in den Wald gelaufen. Das ist aber ein Mäuschen! Wirklich wahr: Er hat mehr gesammelt als alle anderen. Die besten Nüsse hat er in seine Vorratskammern getragen.“
So lobten alle das Mäuslein. Die Mäusemutter freute sich natürlich über diese Worte.
Allmählich rückte die Zeit heran, da das Mäuslein heiraten sollte. Viele Mäusemütter gaben zu verstehen, daß sie mit einem solchen Schwiegersohn gern einverstanden wären. In jenen Zeiten war es höchst schmeichelhaft, sich mit dem Reichsten, Stärksten und Namhaftesten zu verschwägern. Nicht nur bei den Menschen war das Brauch, sondern auch bei den Mäusen. Darum beschloß die Mäusemutter, sich mit der Sonne zu verschwägern und die Tochter der Sonne in ihr Mauseloch heimzuführen. Ringsum hieß es, daß niemand auf der Welt stärker sei als die Sonne. Im Winter erfröre alles, die Kälte schlage die Flüsse in Bann, alles Lebende komme um oder verstecke sich, aber sobald die Sonne im Frühjahr die Erde erwärme, sprenge sie auch die Eisfesseln, alles erwache, neue Blumen und Pflanzen bedeckten die Erde.
So begab sich also die Mäusemutter zur Sonne. Welchen Weg sie nahm, weiß ich nicht zu sagen. Wie lange sie wanderte, weiß auch niemand. Aber eines Tages langte sie doch bei der Sonne an und sagte ihr: „Mögest du in allen Dingen erfolgreich sein, o goldne Sonne, du Sonne aller Sonnen!“ — „Guten Tag, flinke Maus, sei mein Gast. Ich freue mich über deinen Besuch. Ich vermute, du wirst erzählen, was dich zu mir führt“, erkundigte sich die Sonne. „Friede sei mit dir, Sonne aller Sonnen. Ich habe ein Söhnchen, und das ist von himmlischer Schönheit. Nun ist es Zeit für den Sohn zu heiraten. In unserem Mäuseland reißen sich alle um ihn, aber ich weise jede ab. Meinem Sohn möchte ich die Tochter des Allerstärksten vermählen. Du sollst die Allerstärkste in der Welt sein. Gib deine Tochter meinem Sohn zur Frau. Ich will dir eine würdige Verwandte werden. Ihr werdet es nicht zu bereuen haben, weder du noch deine Tochter.“ — „Kraft habe ich schon“, antwortete die goldene Sonne. „Aber es gibt jemanden, der stärker ist als ich.“ — „Wer denn?“ — „Der Nebel.“ — „Wie ist denn das möglich?“ fragte die Maus erstaunt. „Der Nebel legt sich zwischen mich und die Erde, und dann kann ich nicht einmal meine Kinder sehen.“ — „Dann leb wohl, du paßt mir nicht als Verwandte.“ — „Ich wünsche dir Erfolg, flinke Maus.“
Die Maus kam zum grauen Nebel. „O Nebel, ich bin gekommen, um dein Töchterchen für meinen Sohn zu freien. Ich wollte mich mit der Sonne verschwägern, weil ich glaubte, sie sei die Stärkste in der Welt. Die Sonne aber sagt, du seist stärker. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als ihr Glauben zu schenken. Du bist es, dem wir unser Leben auf der Erde verdanken, ohne dich wären wir alle verdurstet.“ — „Da kann ich dir keinen Vorwurf machen, aber die Sache ist die, daß ich mich nicht für so mächtig halte, wie du es behauptest, das schickt sich nicht für mich. Vielleicht bin ich wirklich stärker als die Sonne, aber es gibt jemand, der stärker ist als ich.“ — „Wer mag das sein?“ — „Der Wind. Wenn der Wind bläst, dann weht er mich, wohin er will. Für ihn bin ich ein Spielball, er schlägt mich gegen die Felsen und treibt mich durch die Luft.“ — „Ich danke dir für deine Offenherzigkeit. Leb wohl.“ — „Glückliche Reise.“
Laufend, hüpfend, mal auch langsam dahintrottend, langte die Maus endlich beim Wind an. „Nein“, sagte der Wind. „Es gibt jemand, der stärker ist als ich.“ — „Stärker? Wer denn?“ — „Der Stier.“ — „Du sagst, der Stier?“ — „Jawohl, der Stier! Wenn der Stier auf der Wiese weidet und das saftige Gras zupft, dann kann ich blasen, soviel ich will, er bewegt nicht mal den Schwanz! Selbst einer Fliege gibt er mehr Ehre als mir.“
Nun wanderte die Maus weiter und traf einen gewaltigen Stier auf der Wiese. Bis an die Flanken im Grase stehend, suchte der Stier mit seiner rauhen Zunge das seidigste Gras aus und zermalmte es mit den breiten Zähnen. Der mächtige schwarze Stier hob den Kopf aus dem üppigen Gras, sah die Maus mit seinen freundlichen Augen an und sagte: „Mmu-uh! Dein Vertrauen ehrt mich, aber ich glaube, du übertreibst meine Vorzüge. Ich bin tatsächlich stark, da hat der Wind recht. Aber wenn du glaubst, ich bin der Stärkste, dann irrst du dich.“ — „Wer ist denn stärker als du?“ — „Der Pflug. Wenn gepflügt wird, dann wird er von acht solchen kräftigen Stieren geschleppt wie ich, und schon nach wenigen Tagen schält sich unsere Haut unter dem Joch, und der Nacken beginnt zu jucken. Noch gut, wenn man uns die wunden Stellen mit Hammelfett einreibt, denn sonst leiden wir schlimme Schmerzen! Möge deinem Feinde der Hals so weh tun! Wir magern ab und sind zum Umfallen müde.“ — „Dann paßt du mir nicht. Leb wohl!“ sagte die Maus. „Möge deine Straße über Watte führen, beste Freundin“, wünschte ihr der Stier, lenkte den schweren Kopf zum seidigen Gras und warf den Schwanz träge auf den Rücken.
Nun begann die Maus nach dem Pflug zu suchen. Er war auf dem Acker. Der Bauer hatte ihn soeben aus der Erde gezogen, gesäubert und gerichtet. Der Pflug ruhte sich am Rain aus. Dort sah ihn die Maus. „O Pflug, in der ganzen Welt suche ich nach dem Stärksten. Ich möchte, daß er meinem Sohn die Tochter zur Frau gibt. Ich habe mit der Sonne gesprochen, mußte aber erfahren, daß der Nebel stärker sei als die Sonne. Ich habe um die Tochter des Nebels gefreit, aber der Wind soll stärker sein. Ich freite um die Tochter des Windes, aber der Stier ist stärker als der Wind. Und nun schickt mich der Stier zu dir.“ — „Wollte ich behaupten, es gäbe niemanden, der stärker wäre als ich, so müßte ich lügen; und das dürfte jenen mißfallen, die einen Kopf auf den Schultern haben, sie würden mich auslachen. Ich liebe die Wahrheit, sage die Wahrheit und lebe rechtschaffen, weil ich meiner Arbeit lebe.“ — „Wie ist das möglich?“ rief die Maus. — „Wer ist’s, der dich bezwingen könnte?“ — „Hör aufmerksam zu, selbst wenn meine lange Rede dich langweilen sollte.“ — „Sei so gut und sprich“, sagte die Maus. „Klugen Reden zuzuhören, ist ein Genuß. Du bist alt und weise, hast viel Gutes und Schlechtes erlebt. Vielleicht werde ich durch das Zuhören klüger.“ — „Ich habe dir von meiner Kraft erzählt. Jetzt will ich dir von meiner Schwäche erzählen. Acht kräftige Stiere werden mir vorgespannt. Der Mann, der den Pflug lenkt, das ist der geschickteste Bauer im Dorf. Die Stiere ziehen, brechen die Erde um, daß die Scholle der Sonne die untere Seite zeigt. Aber wenn wir ein Stoppelfeld voller Unkraut pflügen, dann bleiben mir die Halme im Halse stecken, und ich muß andauernd stolpern. Wenn wir Neuland pflügen, liegen die Furchen reihenweise wie Zwillinge da, aber plötzlich kommt uns eine Wurzel in die Quere, und dann kann ich mich nicht rühren. Gäbe es niemanden, der stärker wäre als ich, könnte mich dann eine Wurzel lahmen?“
Die Maus verließ den Pflug. Ehe man jenen trifft, der als der Stärkste gilt, begreift man nicht, wie stark man selber ist, überlegte die Maus. Wer hätte das gedacht! Die Sonne ist stark, aber der Nebel ist stärker, der Wind ist stärker als der Nebel, und stärker als der Wind ist der Stier. Er ist stark, aber der Pflug ist noch stärker! Der Pflug ist stark, aber stärker als der Pflug ist die Wurzel, eine einfache Wurzel. Und nun stellt sich heraus, daß ich die Allerstärkste bin. Nun ja doch! Die Wurzel, die von allen für die Stärkste gehalten wird, kann ich im Nu durchnagen!
Da suchte die Maus nicht länger nach dem Stärksten, kehrte nach Hause zurück und freite in ihrem Mäusegeschlecht für den einzigen Sohn eine schöne, bescheidene, kräftige Maus.

Quelle:
(ossetisches Märchen)

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