Einst lebte in einem Dorf ein weiser Häuptling. Er war schon aus vielen Schlachten als Sieger hervorgegangen und als der stärkste und mutigste aller Krieger, die damals gelebt hatten.
Einmal sah er den Kindern zu, die vor den Wigmans ihr fröhliches Spiel trieben.
Was mochte wohl dereinst aus ihnen werden? Die Knaben würden tüchtigen Jägern und tapferen Kriegern heranwachsen, wie er selbst, aber welchem von ihnen wird es wohl vergönnt sein, auch ein so hohes Alter zu erreichen wie er, um die gesammelten Erfahrungen in abgeklärter Weise
zu verwandeln? Gewiß, sie werden herrliche Siege erringen und eine Menge Skalpe erbeuten, aber es wird auch manche unter ihnen geben, die, vom Feinde bezwungen, selber werden ihren Skalp hergeben müssen……..
Und die Mädchen? sie werden heiraten und ihren jungen Männern in den Krieg folgen, und viele von ihnen werden fern der Heimat sterben. Es mag sein, daß manchem im Leben ein kurzes Glück begegnet, bald aber werden Alter und Sorge in ihre Stirne und Wangen tiefe Furchen des Leidens, und der Sehnsucht nach ihren Männern und Söhnen engegraben haben, die auf einem der vielen Kriegszüge ums Leben gekommen sind.
So dachte der Krieger Tag und Nacht über die Zukunft seines Volkes nach.
Schließlich kam er zu der Erkenntnis, daß das Streben der Indianer nicht auf Krieg und Tod gerichtet sei, sondern auf ein Leben in Frieden und Arbeit………………. Und in seinem Hirn wurde ein großer Gedanke geboren.
Um ihn in der Tat umzusetzen, berief er eine große Versammlung ein.
Als alle beisammen waren, erhob sich der Häuptling und begann mit ihnen
vom Krieg zu sprechen, der den Indianern noch nie etwas Gutes gebracht hatte. Er sprach über die Skalpjäger, die manch einsamen Krieger nur deshalb überfielen, um ein Beutestück mehr heimzubringen.
„Der erste Indianer, der den Tomahawk gegen seinen rothäutigen Bruder erhob, war ein schlechter Indianer“, sagte er. „Und wenn das Skalpieren bei uns zur Gewohnheit wurde, so ist es eine schlechte Gewohnheit, mit der endlich einmal aufgeräumt werden muß!“
So sprach der weise Häuptling, und alle gaben ihm recht. Sie beschlossen, nur dann ihre Gesichter mit Kriegsfarben zu bemalen und den Kriegspfad zu beschreiten, wenn sie angegriffen würden.
„Und wer soll unseren Nachbarstämmen die Friedensbotschaft überbringen?“ fragten die Indianer. „Leichter Mokassin und Schneller Hirsch“, entschied der Häuptling. Die beiden waren hochgewachsene und wohlgestaltete Jünglinge und die besten Läufer des ganzen Stammes.
Sie strahlten vor Freude, als ihnen der Häuptling mitteilte, was für eine Aufgabe sie zu erfüllen hätten, und trafen schon ihre Vorbereitungen.
Am frühen Morgen, als kaum die ersten Sonnenstrahlen über die Tannenzweige glitten, begannen die beiden Gefährten ihren ersten Friedenslauf.
Als sie eine Weile gelaufen waren, kamen sie in einen tiefen Wald, in den trotz des klaren Himmels nicht ein einziger Sonnenstrahl drang. Gefallene Stämme, Dickicht und Sümpfe versperrten ihnen den Weg. Aber es gab nichts, was die Jünglinge von ihrem Vorhaben abbringen konnte.
Der eine nahm die Gestalt eines Wolfes an, der andere verwandelte sich zur Eule, und so gelang es ihnen, alle Hindernisse zu überwinden. Als sie in die Nähe des ersten Dorfes kamen, nahmen sie wieder ihre ursprüngliche Gestalt an und gruben ihre Waffen ein. In der Siedlung wurde es lebendig. Alles, was Beine hatte, kam aus den
Wigwams gestürzt und schaute nach dem Waldrand, wo zwei ihrer Erzfeinde standen. Aber da die Jünglinge keine Waffen bei sich trugen und ihre Gesichter nicht bemalt waren, ließen sie sie bis an das Dorf herankommen, und beide richteten dem Häuptling ihre Friedensbotschaft aus.
Der alte Indianer hörte aufmerksam zu, und dann sprach er: „Der Vorschlag eures Volkes
gefällt mir, und ich bin bereit, ihn anzunehmen, aber ich muß mich zuerst mit meinen Kriegern beraten. Bis dahin sollt ihr meine Gäste sein.“
Während seiner Rede hatten sich die Krieger um ihn geschart und stimmten dem Vorschlag,
im ganzen Indianerland die Streitaxt ruhen zu lassen, mit Freuden zu. Nur einige, denen die Kampfeslust Hirn und Herz getrübt hatte, waren dagegen. Aber die entschlossenen Worte des Häuptlings brachten ihre murrenden Stimmen zum Schweigen:
Ich weiß allzu gut, was Krieg heißt. Wenn die Tränen der erschlagenen Männer und Söhne beweinenden Indianerfrauen alle zusammenfließen könnten, würden sie zu einem einzigen Meer der Trauer; wenn das vergossene Blut der Krieger sich zu einem einzigen Strom verbände, würden davon alle Flüsse und Bäche rot und träten aus ihren Ufern. Würden die Männer statt der Pfade des Krieges, die Pfade der Jagd begehen, finde das Elend in die Lager der Indianer keinen Einlaß mehr. Krieg bedeutet Untergang, Vernichtung und Tod. Das habe ich nach vielen, auf dem Kriegspfad vergeudeten Jahren klar und deutlich erkannt. Daher möge mich niemand einen Feigling schelten, wenn ich unserem Nachbarstamm die folgende Antwort überbringen lasse:
“ Ich, der Häuptling meines Volkes, nehme eure Botschaft wortwörtlich an. Wir treffen uns in vier Tagen auf halbem Wege zwischen unseren Lagern auf der großen Wiese am Fluß. Dort graben wir eine Grube, werfen alle Kriegswaffen hinein, reichen uns die Hände und leben fortan wie Brüder.“
Leiser Mokassin und Schneller Hirsch vernahmen die Rede des Häuptlings voll Freude, und nachdem ihnen die anmutigsten Mädchen des Stammes noch ein paar neue Mokassins an die Füße gezogen hatte, traten sie in großer Eile den Rückweg an.
Daheim angekommen, wurden sie mit unvorstellbarem Jubel empfangen. Die drei folgenden Tage lebten die Indianer nur noch in der ungeduldigen Erwartung, des bedeutsamen Zusammentreffens der beiden Stämme. Am vierten Tag fanden sich alle in Festkleidung vor dem Wigwam des Häuptlings ein. Nachdem sich alle versammelt hatten, zogen sie singend und tanzend nach der großen Wiese, in deren Mitte eine tiefe Grube gähnte. Sie sahen das versammelte Volk des Nachbarstammes, von dem sie auf der gegenüberliegende Wiese bereits erwartetet wurden. Als erste traten die beiden Häuptlinge vor, warfen ihre Streitäxte in die Grube und drückten einander brüderlich die Hände.
Ihrem Beispiel folgten die anderen Krieger, und als sich auch der letzte Krieger seiner Waffe entledigt hatte, war der Platz mit einem Mal kaum wiederzuerkennen. Männer und Frauen, Jünglinge und Mädchen hatten zu tanzen begonnen, und die fröhlichen Melodien kehrten, von einem zauberhaften Echo wiederholt, aus dem Flußtal und aus der Tiefe des Waldes zurück, woher sie gekommen waren. An jenem Abend wurde nicht einmal die Sonnes dieses einzigartigen Schauspiels müde. Anstatt schlafen zu gehen, verweilte sie noch lange, im Abendrot verborgen, am Himmel und sah dem freudigem Treiben der glücklichen Indianer wohlgefällig zu. Dann schloß sie selig lächelnd die Augen und ließ sich jenseits des Horizontes auf ihr goldenes Lager fallen. Das Lächeln aber ist ihr bis heute geblieben.
Märchen der Cochiti -Indianer Nordamerika