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Zwergenmützchen

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Es war einmal ein Müller, der hatte drei Söhne und eine Tochter. Die Tochter hatte er sehr gerne, die Söhne konnte er nicht leiden. Sie konnten ihm nie etwas recht machen, und er war immer unzufrieden mit ihnen. Die Brüder waren deshalb sehr traurig und wünschten oft, sie wären weit weg von zu Hause und von ihrem Vater. Manchmal saßen sie zusammen, klagten und seufzten und wußten nicht, was sie anfangen sollen. Eines Tages, als sie wieder einmal traurig beisammen saßen, sagte einer von ihnen betrübt: „Ach wenn wir nur ein Zwergenmützchen hätten, dann ginge es uns besser.“ – „Wie meinst du daß?“, fragte einer der beiden anderen Brüder.
„Die Zwerge, die in den grünen Bergen wohnen“, erklärte der Bruder, „haben Mützchen, die man auch Nebelkäppchen nennt. Wenn man sie aufsetzt, wird man unsichtbar. Das ist eine schöne Sache, man kann Leuten , die einem Böses wollen, aus dem Weg gehen und hingehen, wohin man will und kein Mensch sieht es, solange man das Zwergenmützchen auf dem Kopf trägt.“
„Die Zwerge“, antwortete der älteste, „sind ein drolliges und verspieltes Volk. Oft spielen sie auch mit ihren Mützchen. Sie werfen es in die Luft und wupps sind die sichtbar. Nun muß man nur gut aufpassen, wenn ein Zwerg sein Mützchen in die Luft wirft, sich den Zwerg packen und das Mützchen selber fangen. Dann muß er sichtbar bleiben und man wird Herr über die Zwergensippschaft. Man kann dann entweder das Mützchen behalten und auf diese Weise sich selbst unsichtbar machen oder von den Zwergen soviel dafür verlangen, daß man für sein Leben ausgesorgt hat
Die Zwerge sind nämlich ein reiches Volk. Sie haben Macht über alles Metall in der Erde und kennen alle Geheimnisse und Wunderkräfte der Natur. Durch ihre Lehren können sie aus einem Dummen einen Klugen machen und aus einem faulen Studenten einen hochgelehrten Professor.“
„Das wäre wunderbar“, sagten die Brüder.
„Kannst du nicht hingehen“, sagte der ältere Bruder. Und bald machte er sich auf dem Weg nach den grünen Bergen. Der Weg war weit und der gute Junge kam erst gegen Abend bei den Zwergenbergen an. Dort legte er sich in das grüne Gras an eine Stelle, wo sich noch Spuren der Zwergentänze im Mondlicht zeigten. Und siehe da, nach kurzer Zeit tauchten schon einige Zwerge ganz in seiner Nähe auf, warfen ihre Mützchen in die Luft und hopsten und purzelten durcheinander. Bald fiel ein Zwergenmützchen ganz in seiner Nähe zu Boden. Er griff schnell danach, aber der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, war viel flinker wie er und erhaschte das Mützchen selber. Laut schrie der Zwerg: „Diebe, Räuber“, und bei diesem Ruf stürzten sich alle Zwerge auf den armen Knaben. Der war gegen diese große Übermacht hilflos und mußte es geschehen lassen, daß diese Zwerge ihn gefangen nahmen und ihn in ihre unterirdische Wohnung schleppten. Die Zeit verging und die beiden jüngeren Brüder sorgten sich, weil der ältere nicht zurückkehrte. Auch ihre Schwester, die sanft und gut war, hatte Angst um den Bruder

Nur der Vater knurrte: „Von mir aus soll der Bursche doch zum Teufel sein, dann haben wir wenigstens einen unnützen Esser weniger, aber er wird wohl wieder auftauchen, Unkraut vergeht nicht.
Aber es verging Tag um Tag, ohne daß der ältere Bruder zurückkehrte. Der Vater wurde gegen die beiden zu Hause gebliebenen Brüder immer gröber und härter. Die Söhne immer trauriger und eines Tages sagte der mittlere: „Weißt du was, Bruder, ich werde mich jetzt selber auf dem Weg zu den grünen Berge machen. Vielleicht gelingt es mir, ein Zwergenmützchen zu bekommen, ich denke nämlich, daß unser älterer Bruder schon lange so ein Mützchen ergattert hat und in die weite Welt gegangen ist, um sein Glück zu machen. Darüber hat er uns bestimmt vergessen. Ich aber komme ganz bestimmt zurück, wenn ich ein solches Mützchen habe. Wenn ich aber nicht zurückkomme, dann habe ich kein Glück gehabt. In diesem Fall, lebe du wohl. Traurig trennten sich die beiden Brüder und der mittlere machte sich auf dem Weg zu den grünen Bergen.

Aber es erging ihm genau so, wie es seinem ältesten Bruder ergangen war. Er sah die Zwerge mit ihren Mützchen spielen, wollte eine erhaschen, wurde aber vorher entdeckt und von den Zwergen gefesselt und in ihre unterirdische Wohnung geschleppt. Sehnsüchtig wartete derweil der jüngste Bruder daheim in der Mühle, doch nach einiger Zeit war ihm klar, daß sein Bruder auch kein Glück gehabt hatte. Darüber wurde er sehr traurig. Auch die Schwester war betrübt. Nur der Vater blieb gleichgültig. Hin ist hin brummte er: „Wem es zu Hause nicht gefällt, der soll sich gefälligst aus dem Staub machen. Was macht ihr euch Sorgen um den Kerl, aus den Augen, aus dem Sinn.“
Der jüngste Bruder war untröstlich und er sagte zu seiner Schwester: „Liebe Schwester, auch ich werde jetzt fortgehen, selbst wenn es mir so ergeht wie meinen Brüdern. Ich kann es nicht mehr ertragen, wie der Vater mich behandelt. Lebe wohl und lasse es dir gut gehen.“
Die Schwester wollte ihren jüngsten Bruder erst gar nicht gehen lassen, denn ihn hatte sie besonders gern. Er aber machte sich trotzdem auf den Weg und überlegte wie er es anstellen könnte, ein Zwergenmützchen zu bekommen. Bald kam er in den grünen Bergen an und erkannte an den Spuren im Gras schnell die Wiese, auf der die Zwerge nachts ihre Tänze vollführten. Ruhig legte er sich hin und wartete.

Bald kamen auch die Zwerge und trieben ihre Späße. Ein Mützchen fiel ganz in der Nähe zu Boden, doch der kluge Junge griff noch nicht danach. Erst als ihm ein drittes Mützchen genau in die Hände fiel, hielt er es fest und sprang auf.
„Diebe, Räuber!“, schrie der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, mit greller Stimme. Sofort liefen alle Zwerge herbei, aber sie konnten den Jungen nicht sehen und ihm nichts anhaben, weil er das Mützchen hatte. Die Zwerge heulten, zeterten und jammerten, er solle ihnen doch um alles in der Welt das Käppchen zurückgeben.
„Um alles in der Welt?“, fragte der kluge Knabe. Aus dem Handel könnte etwas werden, nur will ich vorher hören, worin? Wo sind meine Brüder?“
„Die sind unten im Inneren der grünen Berge“, antwortete der Zwerg, dem das Mützchen gehört hatte.
„Und was tun sie da?“
„Sie dienen.“
„So, sie dienen. Und ihr dient jetzt mir! Los, schnell zu meinen Brüdern. Ihr Dienst ist nun zu Ende und eurer fängt an.“ Die Zwerge mußten nun gehorchen, ob sie wollten oder nicht, denn gegen den Menschen mit dem Mützchen waren sie machtlos. Die Wirkung des Mützchens war unbeschreiblich. Die bestürzten und bekümmerten Zwerglein führten ihren Gebieter an die Stelle, wo sich die Öffnung zum Inneren der Berge befand. Rasch traten alle ein und es ging hinunter in die Wohnungen der Zwerge. Welcher Glanz tat sich ihnen auf: riesige Hallen, große und unermäßliche Räume, aber auch kleine Zimmer und Kämmerchen.

Nun verlangte der Knabe seine Brüder zu sehen. Diese wurden herbeigebracht und der jüngste sah, daß sie Dienerkleidung trugen. Wehmütig und traurig riefen sie: „Ach, kommst du auch, unser jüngster Bruder? So sind wir drei in der Gewalt der Zwergen. Nie wieder werden wir das Tageslicht und die grünen Wälder sehen.“
„Liebe Brüder, seid beruhigt, das Blatt hat sich gewendet“, sprach der jüngste und herrschte die Zwerge an. „Bringt Herrenkleider und Prunkgewänder für meine Brüder und mich.“ Dabei hielt er das Mützchen ganz fest in seiner Hand. Mit Hilfe der Diener kleideten sich die Brüder nun fürstlich und ließen dann den Tisch decken mit den erlesensten Speisen und Getränken. Zum Essen mußten die Musikanten aufspielen und Theaterspieler und Pantomimen auftreten. In diesen Künsten besaßen die Zwerge eine hohe Fertigkeit…

Dann suchten sich die Brüder die besten Gemächer aus, ließen eine gläserne Kutsche mit prächtigen Pferden bespannen und besichtigen das hell erleuchtete Reich. Sie sahen Edelsteingrotten, herrliche Wasserspiele, silberne Lilien, goldene Sonnenblumen, kupferne Rosen und alles strahlte von Glanz, Pracht und Herrlichkeit.
Später begann der jüngste Bruder mit den Zwergen zu verhandeln und nannte seine Bedingungen. Erstens sollten die Zwerge einen Trank aus köstlichen Heilkräutern brauen. Der sollte für das kranke Herz des Vaters sein, damit es sich umkehre und Liebe zu den Söhnen empfindet. Zweitens mußten viel Gold, Silber und Edelstein her, damit die liebe Schwester mit einem Brautschatz ausgestattet werden konnte, der so reich war, wie der einer Königstochter. Drittens mußte auch für die Brüder ein Wagen mit Edelsteinen und Kunstgeräten, wie sie nur Zwerge so kunstvoll und herrlich anfertigen konnten, beladen werden. Außerdem noch ein Wagen voll mit Goldmünzen

Dazu kam noch ein bequemer Wagen mit Glasfenstern, indem die Brüder selber fahren wollten. Zu allen drei Wagen verlangten sie alles Nötige: Kutscher, Pferde, Geschirr und Riemenzeug. Die Zwerge wanden und krümmten sich, weil sie der Meinung waren, diese Bedingungen seien viel zu hart. Aber es half ihnen nichts.
„Wenn ihr nicht wollt“, so sagte der jüngste Bruder, „so ist es mir auch recht. Dann bleiben wir bei euch. Hier ist es ja ganz nett. Aber dann werde ich jedem sein Mützchen wegnehmen und dann könnt ihr mal sehen, was das gibt. Dann seid ihr nämlich nicht mehr unsichtbar. Die Menschen werden jeden von euch totschlagen, den sie entdecken. Außerdem werde ich jede Menge Kröten sammeln und sie jedem von euch beim Schlafengehen mit ins Bett geben.“ In dem Moment wo das Wort Kröte ausgesprochen war, sanken alle Zwerge auf die Knie nieder und riefen: „Gnade, Gnade nur das nicht, denn Kröten sind für Zwerge das Abscheulichste, das man sich denken kann.
„Ihr dummen Zwerge“, rief der jüngere Bruder aus, „meine Forderungen sind doch sehr bescheiden. Ich hätte noch viel, viel mehr verlangen können aber ich bin ein guter Mensch. Wenn ich wollte, könnte ich euch alles wegnehmen und das Mützchen dazubehalten. Dann würde ich für immer und ewig über euch herrschen, denn mit dem Mützchen würde ich, wie ihr wisst, nicht sterben. Wollt ihr mir also meine drei kleinen Bedingungen nicht doch lieber erfüllen?“ Da endlich erklärten die Zwerge sich bereit, den Forderungen nachzukommen, weil sie einsahen, daß es das Beste für sie wäre. Sie machten sich daran, alles herbeizuschaffen, was der Herrscher verlangt hatte.

In der Mühle des alten griesgrämigen Müllers ging es zu der Zeit auch recht traurig zu. Als auch der jüngste Sohn auf und davon gegangen war, knurrte der Alte: „Nun ist auch der fort. Soll er bleiben wo er ist. Das hat man davon, wenn man Kinder großzieht. Nun ist nur noch meine Tochter da, mein Augapfel, mein Liebling.“ Aber die Tochter saß dort und weinte bittere Tränen. Glaubst du schon wieder, ich soll wohl denken, du weinst um deine Brüder. Aber ich weiß es besser, du weinst um deinen Liebhaber, der dich heiraten will. Dieser Habenichts besitzt nichts, genau wie du auch. Ich habe nichts, was ich euch geben könnte. Meine Mühle steht still, kein Rad dreht sich und schlechter kann es um eine Mühle nicht stehen. Ich kann nicht mahlen und du kannst nicht heiraten.“
Solche Reden mußte sich das arme Mädchen jeden Tag anhören und sie verging fast vor stillem Leid. Da hielt eines schönen Morgens eine prächtige Kutsche vor der Mühle. Kleine Diener öffneten die Tür und heraus stiegen drei hübsche Herren in kostbaren Gewändern. Die Diener rannten um die Begleitwagen und luden Kisten, Kasten und schwere Truhen aus.
„Guten Morgen Vater! Guten Morgen Schwester! Da sind wir wieder“, riefen die drei Brüder. Diese starrten die Ankömmlinge verwundert an.
„Trink mit uns ein Willkommenstrunk, lieber Vater“, rief der Älteste und nahm einem der Diener einen Flasche aus der Hand. Dann schenkte er einen kunstvoll gearbeiteten Goldpokal voll und ließ den Vater trinken. Dieser trank und gab den Pokal weiter, so daß dieser die Runde machte.
Sofort strömte dem Vater Wärme in das kalte Herz und die Wärme wurde zum Feuer, zum Feuer der Liebe. Er weinte vor Rührung und Freude, fiel seinen Söhnen in die Arme, küsste sie und segnete sie. Da kam auch der Geliebte der Tochter. Auch er durfte trinken und seine zukünftige Frau in die Arme schließen. Vor Freude fingen die Mühlräder, die so lange stillgestanden hatten, sich zu drehen und sie drehten sich schneller und schneller und schneller.

Quelle: Ludwig Bechstein

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