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Die sieben Schwestern Meamei

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Wurunnah war den ganzen Tag über auf der Jagd gewesen und kam abends müde und hungrig nach Hause ins Lager zurück. Er bat seine alte Mutter um etwas Grassamenbrot, doch sie antwortete, es wäre nichts mehr übrig geblieben. Nun sagte er zu den andern schwarzen Gesellen, sie möchten ihm einigen Grassamen geben, damit er sich selber ein Brot backen könne. Sie wollten ihm jedoch nichts abgeben. Da wurde er zornig und sagte: »Wenn meine eigenen Verwandten mich hungern lassen, will ich von euch fortgehen, ich will in ein anderes Land ziehen und fortan bei fremden Leuten leben.«
Und weil er so wütend war, ging er auch wirklich fort. Er nahm seine Waffen und zog zum Lager hinaus, um sich eine neue Heimat zu suchen.
Als er eine Zeitlang gewandert war, bemerkte er in weiter Ferne einen alten Mann, der Bienennester ausnahm und Honig sammelte. Der alte Mann wandte sich zu Wurunnah und beobachtete sein Kommen. Und als Wurunnah ganz nahe bei ihm war, sah er, daß der alte Mann gar keine Augen hatte, und er schien sein Kommen doch schon viel eher bemerkt zu haben, als er es hätte hören können. Da erschrak Wurunnah und wunderte sich über den fremden Mann, der keine Augen hatte und ihm trotzdem das Gesicht zuwandte, als ob er ihn die ganze Zeit über gesehen hätte. Doch er wollte seine Angst verbergen und ging geradenwegs auf ihn zu. Als er dicht bei ihm war, sagte der Fremde, er hieße Murunumildah, und sein Stamm würde ebenso genannt, denn sie hätten keine Augen, sondern sähen mit den Nasenlöchern. Wurunnah empfand dies höchst sonderbar und war nicht wenig erschrocken, obwohl Murunumildah nett und freundlich war. Er gab dem Wurunnah ein Schüsselchen mit Honig und meinte, er wäre wohl ganz verhungert; er zeigte ihm den Lagerplatz und lud ihn ein, dahin mitzukommen und bei ihm zu bleiben. Wurunnah nahm den Honig und tat so, als ob er zu dem Lagerplatz hinginge; als er jedoch außer Sicht des Alten war, hielt er es doch für besser, den Weg nach einer anderen Richtung hin einzuschlagen.
So marschierte er eine Weile fort und kam schließlich an einen großen Teich. Dort wollte er übernachten. Er trank erst einmal gehörig Wasser und legte sich dann zum Schlafen hin. Als er am nächsten Morgen erwachte, schaute er nach dem Teich aus, aber an seiner Stelle erblickte er nur eine weite Ebene. Er meinte noch im Traum zu sein, rieb seine Augen und sah nochmals hin.
»Das ist ja eine komische Gegend,« sagte er, »erst treffe ich einen Mann, der keine Augen hat und doch sehen kann. Dann komme ich gestern abend an einen großen Teich, schlafe ein, wache wieder auf, und nun ist er verschwunden. Und ich weiß bestimmt, daß darin Wasser gewesen ist, ich habe ja selber welches getrunken, und jetzt ist weit und breit kein Tropfen mehr zu finden!« Und während er sich noch darüber wunderte, wie das Wasser wohl verschwunden war, sah er ein schweres Unwetter heranziehen. Da stand er schleunigst auf und lief, um im dichten Buschwerk Schutz zu suchen. Er war erst ein kleines Stückchen in den Busch eingedrungen, als er dort mit einem Male einige Rindenstücke am Boden liegen sah.
»So, das gefällt mir,« sagte er, »jetzt brauche ich mir nur noch ein paar Pfähle zu suchen, dann kann ich mir damit und mit der Rinde eine kleine Hütte bauen, um darin vor dem herannahenden Sturm unterzuschlüpfen.«
Er schnitt sich rasch einige Pfosten zurecht, schlug sie in den Boden und setzte die Rindenstücke dagegen. Als er das letzte Stück aufhob, stand plötzlich ein ganz eigentümliches Wesen vor ihm, wie er es vordem noch nie gesehen hatte.
Das fremde Wesen rief: »Ich bin Bulgahnunnu!« es rief mit solch fürchterlicher Stimme, daß Wurrunnah das Rindenstück fallen ließ, seine Waffen vom Boden aufnahm und sich eiligst auf und davon machte. Den Sturm vergaß er völlig und hatte nur den einen Gedanken, so schnell wie möglich aus dem Bereich des Bulgahnunnu zu kommen.
Er rannte immer geradeaus und kam schließlich an einen großen Fluß, der seinen Weg an drei Seiten hemmte. Weil nun der Fluß zu breit war, und er ihn nicht durchwaten konnte, mußte er wieder umkehren. Doch ging er nicht denselben Weg zurück, sondern wandte sich nach einer anderen Richtung. Als er sich umdrehte und den Fluß verließ, sah er eine Herde Emus ans Wasser gehen. Die eine Hälfte war mit Federn bedeckt, die andere nicht, doch hatte sie gleichwohl die Gestalt von Emus.
Wurrunnah wollte einen speeren, um ihn zu verzehren. Er kletterte daher auf einen Baum, damit sie ihn nicht sehen konnten; dann hielt er seinen Speer bereit, um einen der federlosen Vögel zu töten. Als sie an ihm vorüberliefen, suchte er sich ein Opfer aus, schleuderte den Speer und tötete einen. Dann stieg er vom Baum herab, um ihn sich zu holen.
Als er auf den toten Emu zulief, bemerkte er, daß es nicht lauter Emus waren, sondern Eingeborene von einem fremden Stamm. Sie standen um ihren toten Gefährten herum und machten wilde Gebärden, als ob sie sich an ihm rächen wollten. Wurunnah sah ein, daß ihm die Entschuldigung wenig nützen würde, den schwarzen Gesellen versehentlich getötet zu haben, weil er ihn für einen Emu gehalten hatte; sein einziges Heil lag in der Flucht. Da nahm er die Beine in die Hand, rannte fort und wagte vor Furcht, die Feinde möchten hinter ihm herstürmen, nicht sich umzugucken. So eilte er weg, bis er schließlich an eine Lagerstätte kam. Und er war schon eher dort, als er es überhaupt selber gemerkt hatte; er hatte nur an die ihm drohende Gefahr gedacht und gar nicht auf das geachtet, was ihm in den Weg kam.
Als er die Lagerstätte betrat, brauchte er jedoch keine Angst mehr zu haben; denn als er hineinkam, befanden sich nur sieben junge Mädchen darin. Sie flößten ihm keinen Schrecken ein, nur schienen sie noch etwas überraschter zu sein als er. Sie waren zu ihm ganz freundlich, als sie sahen, daß er allein und hungrig war. Sie gaben ihm zu essen und erlaubten ihm, während der Nacht dort zu bleiben. Er fragte sie, wo denn der übrige Stamm wäre, und wie sie hießen. Da antworteten sie, sie würden Meamei genannt, und ihr Stamm wäre weit weg in einer anderen Gegend. Sie wären nur einmal hierhergekommen, um sich das Land zu besehen und würden eine Weile hierbleiben und dann wieder in ihre Heimat zurückkehren.
Am nächsten Tage setzte Wurunnah seine Reise fort und verließ die Lagerstätte der Meamei; er tat so, als ob er nie wieder zurückkommen wollte. Aber im stillen dachte er daran, sich in der Nähe zu verstecken und sie zu beobachten; wenn die Gelegenheit günstig war, wollte er sich eine von ihnen greifen und zur Frau nehmen. Er war des Alleinseins müde. Da sah er, wie die sieben Schwestern mit ihren Grabstöcken fortgingen. Er folgte ihnen von weitem und achtete darauf, daß sie ihn nicht sehen konnten.
Sie blieben an einem Nest fliegender Ameisen stehen. Sie gruben mit den Stöcken in dem Ameisenhügel herum; und als sie die Ameisen alle ausgegraben hatten, warfen sie die Stöcke beiseite, setzten sich hin und wollten sich einen guten Schmaus leisten, denn diese Ameisen waren für sie vorzügliche Leckerbissen.
Während die Schwestern sich nun ein herrliches Mahl herrichteten, schlich Wurunnah leise nach den Grabstöcken und nahm davon zwei fort. Dann schlich er vorsichtig mit der Beute in sein Versteck zurück. Als die Meamei schließlich ihren Hunger gestillt hatten, holten sie ihre Grabstöcke und gingen zur Lagerstätte. Aber nur fünf fanden ihre Stöcke wieder; die gingen fort und ließen die beiden anderen zurück, um die fehlenden Stöcke zu suchen. Sie meinten, die würden schon in der Nähe liegen; und wenn sie ihr Eigentum wieder hätten, würden sie sie bald wieder einholen. Die beiden Mädchen durchsuchten den ganzen Ameisenhügel, doch konnten sie keine Stöcke finden. Als sie dabei einmal Wurunnah den Rücken zukehrten, kroch er aus dem Versteck heraus und steckte die beiden Stöcke in seiner Nähe in den Boden. Dann schlüpfte er wieder in das Versteck zurück. Als die beiden Mädchen sich umwandten, sahen sie mit einemmal ihre Stöcke vor sich. Freudig eilten sie darauf zu und zogen sie aus dem Boden heraus, in den sie recht fest hineingesteckt waren. Als sie das taten, stürzte Wurunnah aus dem Versteck hervor, faßte beide Mädchen um die Hüften und hielt sie gehörig fest. Sie sträubten sich und schrieen, doch vergebens. Niemand konnte sie hören, denn niemand war da; und je mehr sie sich wehrten, um so fester hielt sie Wurunnah. Als sie merkten, daß alles Sträuben und Schreien vergeblich war, beruhigten sie sich, und Wurunnah sagte zu ihnen, sie brauchten keine Angst zu haben, er wolle für sie sorgen. Er wäre allein, sagte er, und möchte zwei Frauen haben. Sie sollten nur ruhig mit ihm gehen, und sie würden es gut haben. Doch müßten sie alles tun, was er ihnen sagen würde. Wenn sie nicht ruhig sein wollten, würde er sie schnell mit seinem Knüppel zur Ruhe bringen. Aber wenn sie ruhig mit ihm kämen, wolle er gut zu ihnen sein. Da die jungen Mädchen einsahen, daß jeder Widerstand nutzlos war, taten sie ihm den Gefallen und gingen ruhig mit Wurunnah. Sie sagten ihm, daß ihr Stamm sie eines Tages schon wiederholen würde; um dem vorzubeugen, schritt er rasch vorwärts und glaubte so, allen Nachstellungen aus dem Wege zu gehen.
Einige Wochen waren ins Land gegangen, und, dem äußeren Anschein nach, hatten sich die beiden Meamei in ihre neue Lage gefunden und waren auch ganz zufrieden damit. Doch wenn sie allein waren, redeten sie oft von ihren Schwestern und malten sich aus, was die wohl getan hatten, als sie ihr Fehlen bemerkten. Sie besprachen sich, ob die fünf Schwestern etwa nach ihnen suchten, oder ob sie in die Heimat zurückgekehrt waren, um Hilfe zu holen. Aber in keinem Augenblick kam ihnen der Gedanke, daß man sie vielleicht längst vergessen hatte, und sie immer bei Wurunnah bleiben mußten.
Als sie eines Tages im Lager beieinander saßen, sagte Wurunnah: »Das Feuer will nicht ordentlich brennen. Geht und holt mir dort drüben von den beiden Tannen etwas Rinde.«
»Nein,« antworteten sie, »wir dürfen keine Tannenrinde abschneiden. Wenn wir das tun, siehst du uns niemals wieder.«
»Geht! Und tut, was ich euch sage. Holt mir Tannenrinde. Seht ihr denn nicht, wie matt das Feuer brennt?«
»Wurunnah! Wenn wir gehen, kommen wir niemals wieder. Du wirst uns nie wieder sehen. Wir wissen es.«
»Geht, Weiber, und schwatzt nicht! Habt ihr jemals gesehen, daß man mit Redereien ein Feuer unterhalten kann? Was schwätzt ihr denn? Geht, und tut, was ich euch sage. Redet nicht solch dummes Zeug; wenn ihr fortlauft, werde ich euch schon wieder kriegen, und wenn ich euch dann zu fassen habe, bekommt ihr gehörige Prügel. Geht! kein Wort mehr!«
Die Meamei gingen darauf fort und nahmen Steinbeile mit, um die Rinde abzuschälen. Jede ging an eine andere Tanne und hieb tüchtig mit dem Beile in die Rinde hinein. Als sie das getan hatten, stiegen die Tannen höher und immer höher aus dem Boden heraus und nahmen die beiden mit. Immer höher wuchsen die Tannen empor und immer weiter entfernten sich die beiden Mädchen damit von der Erde. Als dem ersten Schlag kein weiterer folgte, ging Wurunnah nach den Tannen und wollte sehen, warum die beiden Meamei nicht wiederkämen. Als er zu den Bäumen kam, sah er, daß sie viel größer geworden waren, und hoch, hoch oben in den Wipfeln schwebten seine beiden Frauen. Er rief ihnen zu, sie möchten doch gefälligst herunterkommen, aber sie antworteten nicht. Je höher sie stiegen, um so dringlicher rief er, doch sie gaben keine Antwort. Auch die Tannen wuchsen immer höher, bis ihre Spitzen schließlich den Himmel berührten. Als das geschah, schauten die anderen fünf Meamei aus dem Himmel heraus. Sie riefen ihre beiden Schwestern an und sagten zu ihnen, sie sollten nur keine Angst haben und hereinkommen. Und als die beiden die Stimmen ihrer Schwestern vernahmen kletterten sie rasch in den Himmel hinein. Die streckten ihnen die Hände entgegen, zogen sie in den Himmel hinein und lebten dort mit ihnen weiter.
Und wenn du jetzt zum Himmel hinaufschaust, kannst du die sieben Schwestern beieinander sehen. Wir Schwarzen nennen sie Meamei und ihr Weißen die Plejaden.

[Australien: Märchen der Welt]

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