Es war vor langer Zeit in einem kleinen Dorf, da lebten ein Jüngling namens Veit und ein Mädchen mit Namen Thekla. Sie liebten sich von ganzem Herzen und nichts, aber auch gar nichts hätte sie auseinanderreißen können, wenn nicht eines Tages das Mädchen vom Heiraten gesprochen hätte und nicht mehr aufhörte. Doch Veit wollte nichts davon hören. Damit sie endlich mit der lästigen Fragerei aufhörte, gab er ihr das große Versprechen, sie zu heiraten, wenn der Tag gekommen wäre. Thekla wartete und wartete, die Zeit wurde ihr lang und das Herz schwer.
Eines Tages war sie verschwunden. Veit fragte alle, die ihm begegneten, ob sie seine Thekla gesehen hätten. Doch alle sagten das gleiche: „Nein!“ Nun machte er sich auf die Suche. Er irrte Wochen und Monate umher, doch von seiner Liebsten fand er keine Spur. Veit wollte schon aufgeben, da hörte er von einer seltsamen Königin, die ganz in Schwarz gekleidet wäre und jedem, der in Not geriet, gerne half. Man sagte auch, sie sei sehr weise, doch lachen sah man sie nie. Nachts hörte man sie nur weinen. Von den vielen Tränen sei sie schon fast erblindet. „Vielleicht kann sie mir helfen“, dachte Veit. Er nahm seinen Mut zusammen und machte sich auf den Weg. Im Schloss wurde Veit vorgelassen. Jedoch durfte niemand die Herrscherin ansehen. Im Thronsaal verneigte er sich tief vor der Königin und wagte kaum zu atmen.
„Was willst du, Fremder?“, fragte sie mit gequälter Stimme.
„Majestät, ich suche meine Liebste und kann sie nirgends finden. Seit Monaten bin ich unterwegs, ich bin am Ende. Kein Mensch konnte mir bisher helfen, keiner hat sie gesehen. Darum komme ich zu Euch, Majestät.“
„Sag mir Fremder, warum ist sie nicht mehr bei dir?“
„Ach, ich war ein Narr! Als sie noch bei mir war, schätzte ich sie nicht genug und gab ihr ein Versprechen. Das hielt ich nicht, und so war sie plötzlich verschwunden. Nun fehlt sie mir.“
„Was hast du ihr versprochen?“
„Die Ehe“, sagte Veit verlegen.
„So, so, die Ehe. Da wunderst du dich, dass sie nicht mehr bei dir ist, wenn du so ein Versprechen nicht hältst?“, schluckte die Königin bekümmert.
Während des ganzen Gespräches hielt er seinen Blick gesenkt. Nun aber nahm er allen Mut zusammen und schaute zur Königin auf. Er traute seinen Augen nicht. Vor ihm saß seine liebste Thekla. Er wollte schreien und sich zu erkennen geben. Gleichzeitig fiel ihm auf, wie blicklos sie in den Saal schaute. Benommen, nur von ferne hörte er seine Thekla sprechen: „Wenn du ihr die Ehe versprochen hast, dann heirate sie! Auch mir versprach einmal ein Jüngling die Ehe und hielt sich nicht daran. Käme er eines Tages durch diese Tür, wäre er zu spät und wie schon viele des Todes.“
Als Veit das hörte, spürte er einen dicken Kloß im Hals. Er dankte kurz und ging traurig aus dem Schloss. Er bemerkte nicht, dass ihm ständig jemand folgte. Als er sich weit genug vom Schloss entfernt hatte, fing Veit bitterlich zu weinen an. Nach einer Weile beruhigte er sich wieder, da hörte er neben sich ein Schniefen und Schluchzen. Er schaute um sich und sah ein kleines Mädchen, dem auch die Tränen über das Gesicht liefen.
„Warum bist du so traurig, und wer bist du?“, fragte Veit verwundert.
„Ich bin eine Elfe und weine mit dir. Du hast mich angesteckt! Warum bist du denn so niedergeschlagen?“
Veit hatte wieder Tränen in den Augen, während er sprach: „Ich war gerade bei der schwarzen Königin. Ich hoffte und glaubte, dass sie mir helfen könnte. Als ich sie anblickte, erkannte ich, dass sie meine Thekla ist, die ich seit Monaten suche. Gäbe ich mich zu erkennen, wäre ich des Todes. Ist das nicht verrückt?“ Er weinte leise vor sich hin.
„Oje, oje“, rief die Elfe, „dann bist du derjenige, auf den unsere Königin Nacht für Nacht wartet! Du weißt es nicht, aber ich kann es dir verraten. Unsere Königin steht unter einem bösen Bann. Nur nachts ist sie sie selbst, weint und wartet immer noch auf den Jüngling, der ihr die Ehe versprach. Es sind schon viele gekommen, doch keiner schaffte es, sie zu befreien. Ein Dämon hat von ihr Besitz ergriffen, als sie uns Elfen geholfen hat. Wir sind frei, dafür muss sie dem Dämon nun dienen. Bitte, hilf unserer Königin!“
„Ja, ich werde sie befreien! Auch, wenn ich dabei mein Leben verliere, ohne meine Thekla will auch ich nicht mehr leben!“
Der Jüngling ging zum Schloss zurück, die kleine Elfe begleitete ihn. Er trat vor den Thron und sagte zur schwarzen Königin mit fester Stimme:
„Majestät, ist es hier der Brauch, eine alleinstehende Dame um die Hand zu bitten? Wenn ja, stellt mir Eure Bedingungen. Ich möchte versuchen, sie zu erfüllen!“
Die Königin erhob sich. Als sie den Jüngling so forsch und leidenschaftlich sprechen hörte, war ihr, als erinnerte sie sich an etwas, doch nur für einen kurzen Moment. Leere Augen schauten auf ihn herab, während sie zur Seite trat.
Plötzlich wurde es stockdunkel und vom Throne aus sprühten Funken. Auf diesem saß nun der Dämon und spottete: „Ha, ha, ha! Du willst es also wirklich wagen? Nun gut!“ Dabei packte er unsanft die Königin, zerrte sie auf seinem Schoß und flüsterte ihr ins Ohr: „Wieder so ein Hohlkopf, der versuchen will, dich mir wegzunehmen. Nun, den da schicke ich zur Moorhexe, die liebt so schöne Jünglinge.“
Der Dämon grinste, war voll teuflischer Freude und wandte sich erneut dem Fremden zu. „Hier hast du eine goldene Nuss! Öffne sie mit bloßer Hand, ohne die Schale zu zerbröckeln.“
Veit konnte vor Wut kaum an sich halten. War es denn möglich, dass dieser Unhold so mit seiner Thekla umgehen durfte?
„Nun löse die Aufgabe“, kreischte das Scheusal. Der Jüngling erschrak ob der schrillen Stimme. Doch da flüsterte die kleine Elfe: „Hab keine Angst!“
Kaum ausgesprochen, war sie so winzig, dass sie in die Hand von Veit passte. Als sie die Nuss berührte, sprang diese ohne Splitter und Kratzer auf. Dem Scheusal verging das Lachen. „Nun gut“, knurrte er verdutzt und verbittert, „jetzt suche mein Reich!“ Schwarzer, stinkender Rauch stieg auf, und der Dämon war verschwunden. Veit verbeugte sich vor der schwarzen blinden Königin und verließ das Schloß mit der kleinen Elfe.
Er machte sich auf und suchte das Reich der Bestie. Er brauchte nicht lange zu suchen, denn seine kleine Elfe wusste den Weg. Sie erreichten nach drei Tagen die Sümpfe und das Moor. Wie sollte er auf die andere Seite kommen? Die kleine Elfe sagte: „Ab hier ist es kein Kinderspiel mehr. Hier wohnt die Moorhexe, sie hat bis jetzt jeden Jüngling gefressen. Ich weiß nicht weiter.“
Veit machte einen Schritt ins Moor, einen weiteren. Er ging sehr vorsichtig, plötzlich packte eine grässliche Hand nach seinem Fuß. Doch die Hexe wollte ihm nur Angst einjagen. Unheimlich grinsend stand sie nun vor Veit. Kichernd sprach sie: „Du hast Glück, Jüngling, dass ich dich nicht fressen will! Ich habe heute gute Laune. Obwohl du sehr appetitlich aussiehst, will ich dich verschonen. Du musst mir aber einen Gefallen tun! Ich habe Sehnsucht nach einem alten Freund. Hat der sich doch einfach neu verliebt und wo bleibe ich dabei? Also, bringe mir meinen Dickwanst auf dem Rückweg mit, oder du wirst mir an seiner Stelle Gesellschaft leisten!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, tauchte sie zurück ins Moor.
„Wie soll das wieder gehen?“, fragte sich Veit. Auch diesmal hatte die kleine Elfe einen Rat. „Höre gut zu“, sagte sie. „Im Reich des Dämons bist du ganz auf dich gestellt. Ich darf nicht dort hin. Lass dich nicht mit dem Scheusal ein! Es ist geschickt und versucht dich zu Dingen zu überreden, die du gar nicht willst. Pass auf dich auf!“
Veit ging über das Moor und über die Sümpfe, als wäre es fester Boden. Das Elflein rief ihm noch nach: „Schau nicht in seine Augen, sonst bist du verloren!“ Sie flog in das Reich der schwarzen Königin zurück.
Veit erreichte die dunkle Festung des Dämons und hörte schon von weitem lautes Gelächter. Er wollte zurück, doch dazu kam er nicht mehr, denn zwei der niederträchtigen Helfer des Scheusals packten ihn an den Armen und schleiften ihn in den Saal, bis er vor den Füßen ihres Herren landete. Ein großes Fest war in vollem Gange. Das Scheusal sagte zu ihm: „Du hast mich also gefunden, das hat bisher noch keiner geschafft! Jetzt musst du sehen, wie du aus meinem Reich wieder hinaus kommst!“, lachte der Dämon höllisch. „Ja, und das wird dir niemals gelingen.“
Kleine Kobolde zerrten Veit neben den Dämon, dort nahm er erschöpft und ohne Hoffnung Platz. Sogleich bekam er ein schönes Glas mit köstlichem Wein vorgesetzt. Kaum hatte er es geleert, wurde es sofort wieder gefüllt. Er wollte das Scheusal überlisten, doch der Wein verwirrte bereits seine guten Ideen.
Die Königin erfuhr in jener Nacht von der Elfe, wo und in welcher Gefahr sich Veit befand, auch dass er ihr Jüngling mit dem nicht eingelösten Versprechen wäre. Noch rechtzeitig erschien die schwarze Herrscherin Veit als guter Geist und flüsterte: „Trinke nicht mehr weiter, die Gewalt des Scheusals wird immer stärker, wir sind alle verloren!“ Er fühlte die Gegenwart der Königin so stark, dass er sie leibhaftig sah und erschrak so heftig,
dass er das Weinglas umstieß. Sie steckte ihm einen wunderschönen Spiegel zu, und flüsterte: „Halte diesen Spiegel dem Dämon vors Gesicht. Übergib ihn der Hexe und gehe so schnell du kannst über das Moor, dann bist du gerettet. Drehst du dich nur einmal um, so versinkst du im Moor.“ Das Scheusal schrie ihn an: „He, kannst du nicht aufpassen, den edlen Wein verschüttest du! Füllt ihm ein neues Glas!“
„Ich möchte keinen Wein mehr, ich habe genug getrunken“, sagte Veit ängstlich.
„Was?“, schrie der Dämon. „Ich möchte, dass du mit mir trinkst!“ Er schaute den Jüngling böse und drohend an. Veit weigerte sich, noch mehr zu trinken, schüttelte den Kopf und stand auf. Der Dämon wurde immer wütender: „Komm näher und schau mir tief in die Augen, mein Kleiner, du wirst mir nicht widerstehen, du wirst jetzt trinken, ha, ha, ha!“
Veit ging mutig auf ihn zu. Als er nur noch ein paar Zentimetern von ihm entfernt war, riss er den sonderbaren Spiegel aus der Jacke und hielt ihn dem Dämon vors Gesicht. Dieser erschrak, stieß einen gequälten Laut aus und verschwand mit allen seinen Helfern und Kobolden darin. Veit schaute nicht schlecht. Eh er etwas sagen konnte, stand die kleine Elfe vor ihm. „Da staunst du, was?“, sagte sie. „Du hast es gerade noch geschafft!“
„Ich dachte, du darfst dich nicht im Reich des Dämons blicken lassen?“, gab Veit von sich.
„Bin zurückgekommen! Ich konnte dich doch nicht alleine lassen, am Ende wärst du gestorben, so wie der dich angeschrien hat und außerdem ist keiner mehr da“, gab sie spitzfindig zur Antwort.
„Nun, dann wollen wir zur schwarzen Königin heimgehen!“, lachte Veit.
Sie kamen an den Sumpf. Die Moorhexe erwartete den Jüngling bereits. „Hast du dass, was ich will?“, fragte die Hexe, denn sie sah ihren Freund nicht.
„Ja, ich habe das, was du willst“, antwortete Veit und gab ihr den Spiegel. Sie sah Veit erstaunt an und blickte in den Spiegel hinein. Der Dämon schaute niederträchtig und mit großer Wut heraus. „Ihr glaubt, ihr habt es geschafft, da irrt ihr euch“, schrie er. „Wartet nur ab, es ist noch nicht vorbei“, drohte er zornig. Die Hexe bog sich vor lachen, als sie ihn so wüten sah und war so mit sich beschäftigt, dass Veit ohne Mühe den Sumpf überqueren konnte. Er dachte an die Warnung seiner Liebsten und schaute nicht zurück, bis er festen Boden unter den Füßen hatte. Dann sah er, wie sich die Moorhexe immer noch lachend über den Spiegel beugte. Sie rief Veit nach: „Du hättest dich nicht so beeilen brauchen, wer mir so eine große Freude macht, den fresse ich nicht. Obwohl du sehr schmackhaft aussiehst, hi, hi, hi! Ich will dir sogar helfen. Eine letzte Sache musst du noch vollbringen. In drei Tagen küsse deine Liebste noch bevor die Sonne aufgeht, dann wird sie vom Fluch des Dämons erlöst sein. Und halte dein Versprechen! Schaffst du es nicht rechtzeitig, ist alles verloren.“ Mit diesen Worten war sie verschwunden.
Der Weg zu seiner Liebsten kam ihm unendlich lang vor. Er musste sich beeilen und konnte es kaum erwarten, sie wiederzusehen. Zu seiner Überraschung läuteten die Glocken. Als er die Stadtmauer erreichte, liefen ihm die Leute entgegen. Sie dankten ihm für die Erlösung. Doch er sah seine Thekla nicht. „Wo ist die Königin!“, rief Veit. Da kam eine Dienstmagd und jammerte: „Die Königin hat sich in ihre Kammer eingesperrt.“
„Wo ist ihr Zimmer?“, fragte Veit.
„Komm, ich weiß, wo es ist“, sagte die kleine Elfe nervös, denn die Zeit wurde knapp. Die Morgenröte stieg langsam am Horizont auf. Als Veit vor der Türe stand, klopfte und bettelte er. Doch sie machte nicht auf. Das Elflein verstand das Verhalten der Königin nicht.
„Warum macht sie nicht auf?“, fragte sie verwundert. Veit, verstand umso besser und sagte kurz: „Das ist verletzter Stolz.“ Er blickte hinaus und sah, dass ihr Zimmer einen Balkon hatte, dessen Tür offen stand, und darüber war ein Fenster. Er schnappte sich ein Seil, lief die Stufen hinauf, befestigte es an einer Säule und wollte sich gerade abseilen, als das Elflein fragte: „Was machst du da?“
„Ich will mich zur Balkontüre hinablassen, warum fragst du?“, gab er zurück.
„Na ja, weil es einen Geheimgang gibt, der nicht so gefährlich ist, wie das, was du da jetzt machst“, spottete sie. Als Veit das hörte, rutschte er vom Seil, landete arg unsanft auf dem Balkon und schimpfte: „Warum sagst du das erst jetzt?“ Das Elflein grinste: „Du hast mich ja nicht gefragt.“
Als Veit durch die Türe ging und Thekla vor sich sah, pochte sein Herz ganz wild. Er ging auf sie zu, nahm sie bei der Hand und beide sahen sich tief in die Augen. Es fehlte nur noch ein kleiner Hauch, dass sich ihre Lippen berührten. Es machte bumm, die Lippen der beiden prallten zusammen zu einem Kuss. Gerade noch rechtzeitig.
„Was sollte das?“, fragte Veit das Elfchen. Dieses saß auf dem Bett und schüttelte den Kopf. „Wenn ich euch nicht den kleinen Stoß gegeben hätte, würdest du immer noch vor ihr stehen. Und alles wäre umsonst gewesen. Heut ist der dritte Tag. Es war höchste Zeit!“ Dann schmunzelte es. „Ihr standet ja schon bereit, es fehlte nur der Kuss. Es sah komisch aus, als ihr zusammen klebtet.“
Beschämt und mit rotem Kopf gingen beide auf den Balkon und zeigten sich dem Volk, das jubelnd vor dem Schloss stand. Es wurde Hochzeit gefeiert und Veit löste endlich sein Versprechen ein. Sie lebten glücklich bis ins hohe Alter.
In jenen Sümpfen jedoch hört man manchmal noch heute die Moorhexe lachen.
Quelle: Jutta E. Schröder