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Die Geburt des Schwanritters

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Es geschah einmal, daß der König Oriant, welcher ein mächtiger und ruhmvoller Herrscher war, mit der Königin Beatrix, seiner Gemahlin, am Fenster seines Schlosses saß. Und sie blickten auf die Straße; da gewahrte der König eine Frau, welche zwei Kinder trug, die Zwillinge zu sein schienen. Der König sagte zur Königin: »Frau, es wundert mich sehr, daß wir kein Kind haben. Seht da, die arme Frau, welche deren zwei hat, und sogar sehr schöne, Zwillinge, wie mir scheint.« Als die Dame die Worte ihres Gatten vernahm, sprach sie voll Zorn und Gram: »Ach Herr, ich könnte niemals glauben, daß eine Frau zwei Kinder auf einmal haben kann, wenn sie nicht bei zwei Männern gelegen ist.« »Ha, Frau!« sagte der König, »Ihr redet schlecht. Denn wisset, bei Gott ist nichts unmöglich.« Dann ließen sie von dieser Rede, bis der König eines Tages bei seiner Gattin lag und ihr mit Gottes Hilfe sieben Kinder erzeugte.
Der König Oriant hatte eine Mutter, welche eine böse alte Hexe war. Sie war sehr betrübt, als sie erfuhr, daß die Königin schwanger sei. Die Königin trug ihre Bürde, bis Gott ihr erlaubte, an einem Tage mit sieben Kindern niederzukommen. Bei ihrer Entbindung hatte sie keine andere Frau bei sich als die alte Matabrune, die Mutter des Königs Oriant, welche ein betrügerisches und böses Weib war. Sechs von den Kindern waren Söhne, das siebente aber war ein Mädchen, und aus allen ging späterhin ein edles Geschlecht hervor. Matabrune legte die Kinder in ihren Schoß und rief Marke, einen ihr Untergebenen, zu sich und zu sprach ihm: »Nehmt, Freund, und bringt diese Kinder an einen solchen Ort, daß man niemals wieder von ihnen reden höre. Tragt Sorge, daß Ihr sie tötet!« Marke nahm die Kinder und trug sie tief in den Wald, dort legte er sie ins Gras. Die Kindlein lächelten ihn an. Als Marke sie erblickte, hatte er großes Mitleid mit ihnen und sprach: »Gott soll mich verlassen, wenn ich euch ein Leid antue!« Er ließ also die Kinder dort und kehrte heim. Die alte Hexe schaute unter einer Stiege nach und fand eine Hündin, welche sieben Hündlein geworfen hatte. Diese nahm sie und ging zu ihrem Sohn. Als der König Oriant sie kommen sah, erhob er sich gegen sie und sprach: »Seid willkommen, Mutter! Was bringt Ihr Neues, Mutter?« »Ach,« sagte die alte Matabrune, »lieber Sohn, ich bringe häßliche, schreckliche und böse Nachricht. Da, seht, womit Euch Eure Gattin beschenkt hat! Sie ist mit diesen sieben Hündlein niedergekommen. Sie ist die unzüchtigste Frau, die je gelebt hat, und verweigert sich keinem Manne. Gar oft habe ich sie mit einem anderen als mit Euch überrascht. Aber um Eurer Ehre willen habe ich geschwiegen. Jetzt aber hat sie diese sieben Hunde geboren. Laßt sie verbrennen! Denn es gab nie eine schlechtere Frau, als sie ist, und wenn Ihr es nicht tun wollt, so werde ich sie selber verbrennen!«
Als der König die Hunde sah und hörte, was seine Mutter zu ihm sprach, da wurde er sehr traurig und sagte: »Mutter, ich glaubte nie, daß es auf der Welt eine bessere und züchtigere Frau gibt als die meine. Ihr Fehltritt schmerzt mich arg. Aber, um Gottes willen, liebe Mutter, helft mir dies verheimlichen, denn ich habe sie geheiratet und habe ihr versprochen, ich wolle ihr treu und gnädig sein. Und wie könnte ich sie verbrennen lassen oder zusehen, wie sie verbrannt würde?« »Lieber Sohn,« sagte die Alte, »Ihr zögert zu lange. Ich werde sie in einen Kerker werfen lassen.« Da rief die Alte zwei ihrer Diener und trat zu dem Bette der guten Beatrix. »Du schmutzige, unzüchtige Dirne,« sagte sie zu ihr, »jetzt tritt deine Schamlosigkeit ans Licht; sagtest du doch, daß eine Frau keine zwei Kinder haben könne, ohne sich zwei Männern hingegeben zu haben. Nun könnte mein Sohn sagen, daß du bei ihrer sieben gelegen bist. Nicht um das ganze Gold von Rußland würde er darauf verzichten, daß du morgen verbrannt wirst.« »Die heilige Jungfrau«, versetzte die Königin, »wird nicht zulassen, daß ich auf solche Weise umkomme, so wahr ich in Züchten gelebt habe!« »Das nützt dir nichts, du Hure!« sagte die alte Matabrune. Da packten die bösen, verräterischen Diener die gute Königin und schleppten sie in einen finsteren Kerker, wo die gute Frau weder Bett noch Linnen hatte. Darauf wurden die zwei Diener sogleich geblendet und sahen fürderhin das Licht nicht mehr. Die Frau aber litt große Pein.
Nun aber hört von den Kindern, welche im Walde an einem Fluß lagen, wo sie Marke eingehüllt in ein Fell zurückgelassen hatte. Jedes von ihnen hatte ein Kettlein um den Hals, und das war ihre Bestimmung: wenn sie diese Kettlein verlieren würden, so müßten sie geflügelte Schwäne werden. Solange sie dieselben aber trugen, hatten sie menschliche Gestalt. Siehe, da kam ein Einsiedler, welcher schon ein Jahr im Walde gelebt hatte, dorthin. Er gewahrte die Kinder und bat unseren Herrn, daß er ihnen nach seinem Gefallen Nahrung schicken möchte, davon sie leben könnten. Es dauerte nicht lange, da sandte Gott eine Ziege, welche die Kinder mit Milch versah, ebensogut wie es eine Frau getan hätte. Der Eremit trug die Kinder in sein Haus, und jeden Tag kam die Ziege dorthin. Und so nährte er die Kinder lange Zeit.
Da geschah es eines Tages, daß der Einsiedler in den Wald gegangen war und eines der Kinder mit sich genommen hatte. Der Förster Malquerre kam durch Zufall in das Haus des Einsiedlers, fand die sechs schönen Kinder und sah die Kettlein, die sie um den Hals trugen. Er sagte zu sich, wenn es mit dem Willen seiner Herrin geschehe, so wolle er ihnen die Kettlein wegnehmen. Der Verräter begab sich also zu einer Herrin und sprach: »Herrin, ich habe sechs wunderschöne Kinder in jenem Walde gefunden, und sie trugen sechs Kettlein um den Hals. Herrin, wenn Ihr es mir erlaubt, so werde ich gehen und sie ihnen nehmen.« Als die Alte solches vernahm, wurde sie sehr bekümmert, denn sie merkte wohl, daß dies ihre Enkel wären, die Marke in den Wald gebracht hatte. Sie sprach zu Malquerre: »Geht wieder in die Einsiedelei und nehmt ihnen die Ketten ab, und wenn sie euch Widerstand leisten, so tötet sie!« Sogleich machte sich Malquerre auf den Weg. Matabrune rief Marke, sie wolle mit ihm reden; und er kam. Da führte sie ihn in ein Gemach und beschwor ihn, daß er ihr der Wahrheit gemäß erzähle, was er mit den sieben Kindern gemacht habe, die sie ihm anvertraut hätte, und wenn er lügen würde, so wolle sie ihn in Stücke zerreißen. Da sagte der wackere Mann: »So wißt, Herrin, daß ich sie lebendig im Walde zurückließ.« Die Alte ließ ihn ergreifen und ihm die Augen ausreißen.
Malquerre wanderte so lange, bis er in die Einsiedelei kam. Es traf sich, daß der Eremit in den Wald gegangen war und eines der Kinder mit ihm. Als Malquerre die sechs Kinder und ihre Ketten erblickte und bemerkte, daß niemand zugegen war, da wurde er sehr froh. Er nahm die Kinder und jagte sie aus dem Hause, und jedesmal, wenn er eines ergriff, riß er ihm seine Kette ab. Und jene wurden zu weißen Schwänen und flogen auf einen Teich ihres Vaters, des Königs Oriant von Illefort. Als der Verräter dieses sah, erschrak er gewaltig. Darauf kehrte Malaquerre zu seiner Herrin zurück und brachte ihr die Kettlein. Matabrune ließ einen Goldschmied kommen und bat ihn, er möge aus den sechs Ketten eine Trinkschale verfertigen. Jener antwortete: »Gerne, Herrin!« Darauf nahm er eine der Ketten und schmiedete sie und verfertigte eine prächtige Schale daraus. Die übrigen fünf Ketten aber brachte der Goldschmied in Sicherheit, denn er merkte wohl, daß sie überaus kostbar waren. Als der Einsiedler und das Kind aus dem Walde zurückkamen und die übrigen Kinder nicht mehr zu Hause vorfanden, da wurden sie gar betrübt und zornig und gebärdeten sich ganz verzweifelt.
Kurz darauf ereignete es sich, daß Matabrune zum König Oriant, ihrem Sohne, ging und sprach: »Lieber Sohn, du bist zu sehr beschimpft; laß deine Frau verbrennen, denn es ist ein gar zu todeswürdiges Verbrechen, daß sie mit einem Hunde schlief.« Da wurde der König sehr traurig; er berief alle seine Barone, damit sie ein Urteil über seine Frau sprechen sollten. Diese lag nun schon seit fünfzehn Jahren im Kerker und war in dieser Zeit niemals satt geworden. Sie flehte inniglich zu Gott, daß er sie aus diesem Elend erlösen möge, denn der Hunger und die Not quälten sie gar sehr. Als die Barone versammelt waren, wurde das Urteil dahingehend gefällt, daß die Königin am folgenden Tage verbrannt werden sollte, wenn sie keinen Kämpfer fände, der sie verteidigen würde.
Da ereignete es sich, daß unser Herr Jesus Christus, der nicht wollte, daß die Frau umkäme, einen seiner Engel zum Einsiedler in den Wald sandte, welcher zu ihm folgendermaßen sprach: »Eremit, Gott befiehlt dir, daß du morgen frühe deinen Knaben in die Stadt Illefort sendest, damit er seine Mutter, welche die Gattin des Königs Oriant ist, vor dem Feuertode rettet. Er und die sechs anderen Kinder sind Söhne des Königs Oriant und der Königin Beatrix. Matabrune hat sie verleumdet, sie habe sieben Hunde geboren, und darum soll sie morgen verbrannt werden, wenn ihr keine Hilfe kommt. Aber Ihr sollt nicht zweifeln, daß ihr Gott helfen wird.« Fernerhin befahl er, daß der Knabe getauft werde und den Namen Helias erhalte. Darauf verschwand der Engel. Als der Tag angebrochen war, weckte der Einsiedler den Knaben und sprach zu ihm: »Lieber Sohn, erhebe dich; du mußt nach Illefort gehen, deine Mutter vor dem Feuertode retten und von dem Verbrechen, dessen sie Matabrune beschuldigt hat, reinigen. Ferner mußt du dich taufen lassen und ein Christ werden, und du sollst den Namen Helias tragen.« Der Eremit machte ihm einen Mantel aus Laub und bekleidete ihn damit; dann nahm er eine Stange in die Hand, und der Einsiedler begleitete ihn bis zum Waldesrande. Hier sprach er zu ihm: »Lieber Sohn, sei tapfer und verständig! Wisse, daß du der Sohn des Königs Oriant bist und sei versichert, daß Gott dir helfen wird.« Darauf wies ihm der Einsiedler den Weg und zeigte ihm Illefort, wohin er gehen müsse. Dann trennte sich der Einsiedler von ihm, und der Knabe ging, um seine Mutter von der Schuld, deren sie Matabrune bezichtigt hatte, zu reinigen. Matabrune hatte durch Zauber erfahren, daß die Königin durch eines ihrer Kinder gerettet werden sollte, und sie schickte ihm unverzüglich zwei Diener entgegen, die ihn töten sollten. Der Knabe begegnete ihnen und fragte sie, welcher von ihnen seine Mutter wäre, denn er hatte nie ein Weib gesehen. Die Diener hielten ihn für toll; sie wußten jedoch, daß er es wäre, um dessentwillen sie ausgesandt waren. Einer zielte nach ihm, und der andere packte ihn. Da sprach das Kind: »Welches ist Matabrune? Mein Vater sagte mir, ich solle mich an sie wenden, und so will ich es tun.« Dann nahm er seinen Stock und zerschlug dem einen die Schulter, darauf schlug er ihn so heftig, daß er ihm den Kopf zerschmetterte. Da wandte sich der andere zur Flucht, und der Knabe kam ungehindert nach Illefort.
Als der Knabe in Illefort angekommen war, wunderte er sich höchlich über die Leute, die dort waren, und er sprach, er hätte nie geglaubt, daß es so viele Einsiedler auf der Welt gäbe, denn nie hatte er so viel Volks gesehen. Darauf gewahrte er den König, der sein Schwert umgegürtet hatte und auf einem Rosse ritt. Der Knabe hatte große Furcht. Als der König ihn erblickte, verwunderte er sich sehr, denn er glich einem Narren. Der Knabe trat auf den König zu und befragte ihn über alles, was er sah, und der König stand ihm gutmütig Rede und Antwort. Der Knabe fragte ihn nach dem Pferd, dem Zügel und dem Schwert sowie nach anderen Dingen; dann vernahm er einen Schrei und fragte, was das bedeute. Der König sagte ihm: »Freund, ich habe eine Frau, welche ohne Treu und Zucht war, sie hat mir sieben Hunde geboren und meine Barone haben sie verurteilt. Nun führt man sie zum Scheiterhaufen.« – »Ha, guter König,« versetzte der Knabe, »Ihr habt sie zu Unrecht verurteilt, denn das, was Ihr sagt, ist niemals wahr, und niemals tat sie solches. Vielmehr hat sie irgend jemand, Eure Mutter oder sonst wer, der sie nicht liebt, so treulos verleumdet. Wenn nun jemand käme, der für sie kämpfen wollte und denjenigen besiegen würde, der sie eines solchen Vergehens zeiht, wäre es dann nicht billig, daß die Frau ihrer Fesseln los und ledig würde?« – »Sicherlich, ja,« sprach der König, »und ich wäre sehr froh darüber.« – »Herr,« erwiderte der Knabe, »ich bin gekommen, um für die Frau zu kämpfen, und ich will sie verteidigen!« Als der König seinen Sohn also reden hörte, wurde er sehr froh, aber er erkannte ihn nicht. Da ging der König zu seiner Mutter und sprach: »Mutter, es wäre grausam, diese Frau zu verbrennen. Bei Gott! Laßt sie in Ruhe, denn Ihr sündigt, wenn Ihr sie dieses Vergehens anklagt. Wenn Ihr aber darauf besteht, daß es so ist, so müßt Ihr einen Kämpfer suchen, der bestätigt, was Ihr gegen sie vorgebracht habt. Denn die Frau hat einen Kämpfer gefunden, der sie gut verteidigen wird.« Als Matabrune dieses hörte, wurde sie zornig, denn sie sah ein, daß sie einen Kämpfer haben müsse. Sie ging zu Malquerre und sprach zu ihm: »Malquerre, lieber Freund, du mußt diesen Kampf gegen den Knaben bestehen. Und wenn der Knabe tot und die Frau verbrannt ist, so werden wir suchen, meinen Sohn umzubringen, dann bin ich Herrin und Königin in Illefort, und dann werden wir beide miteinander unsere Lust haben.« – »Herrin,« erwiderte er, »Ihr müßt schwören. Denn wenn ich schwören wollte, so würde ich einen Meineid leisten.« – »Malquerre,« sagte Matabrune, »darum sorge dich nicht! Ich verbiete es dir, daß du die Wahrheit sagst.« – »Herrin,« entgegnete Malquerre, »ich werde Euern Befehl erfüllen.« Darauf begab sich Matabrune zum König und sprach: »Nun, König, laß deinen Knaben wappnen!« – »Gern, Mutter!« – »Herr,« sprach der Knabe, »ich will zuerst getauft werden, denn mein Vater, der Einsiedler, sagte mir, ehe ich von ihm schied, daß ich getauft werden und den Namen Helias erhalten solle.« Da ließ man den Knaben taufen, und er erhielt den Namen Helias. Es waren aber mehrere Barone am Hof, die sprachen: »Um Gottes willen, König, behaltet den Knaben bei Euch, denn er ist wunderschön, und Ihr müßt wissen, daß er Euch ähnlich sieht.« Darauf ließ der König den Knaben bewaffnen und mit reicher Rüstung bekleiden. Auch Malquerre wurde prächtig ausgerüstet. Dann trug man die Heiltümer herbei, und zuerst schwur Malquerre, daß er die Königin habe bei einem Hunde liegen und sieben Hündlein zur Welt bringen sehen. Darauf wollte er das Heiltum küssen, aber er vermochte es nicht, sondern er schwankte, und sogleich sagten die Barone, daß er meineidig wäre. Nun schwur der Knabe Helias und sagte, daß alles erlogen sei, daß die Königin nie an solche Schandtat gedacht und daß sie jederzeit brav und züchtig mit dem König, ihrem Herrn, gelebt habe. Alle insgemein beteten für Helias, daß Gott ihm helfen möge, Malquerre, den Verräter, zu vernichten.
Siehe, da trat der Knabe zu seiner Mutter und sprach: »Herrin, vertraut auf Gott und seine Mutter, denn wisset wohl, daß ich mit Gottes Hilfe Euch von dem Vergehen reinigen werde, dessen Euch die alte Matabrune geziehen hat.« Die Dame dankte ihm innig. Darauf bestieg Helias sein Roß, und der Kampf begann. Schließlich wurde Malquerre besiegt. Als die alte Hexe Matabrune sah, daß Malquerre besiegt war, floh sie auf ihr Schloß Malbruiant, denn sie wußte wohl, daß ihr Sohn, der König, sie sehr haßte. Als der Kampf beendet war, sagte der Knabe zum König: »Herr, ich habe mit Gottes Hilfe im Kampf gesiegt. Die Frau muß befreit werden.« Da Malquerre sah, daß er besiegt war, rief er dem Knaben zu: »Knabe, töte mich nicht, sondern wisse, daß Matabrune all diese Frevel veranlaßt hat. Sie hieß mich die Ketten vom Halse der Kinder reißen, die deine Brüder waren.« Der Knabe antwortete: »Du hast schlecht gedient und du sollst deinen Lohn empfangen.« Da zog er sein Schwert und hieb ihm den Kopf ab.
Nach dem Kampfe trat der König zur Königin und sprach: »Herrin, vergebt mir um Gottes willen, daß ich meine Pflicht gegen Euch vernachlässigt habe; aber meine Mutter hat all dies veranlaßt.« »Herr,« versetzte die Königin, »ich vergebe Euch aus ganzem Herzen!« Darauf wollte die Frau den Knaben küssen, aber dieser entzog sich ihr und sprach: »Herrin, das habe ich im Walde nicht gelernt, denn nie sah ich eine Frau oder Jungfrau, sondern nur wilde Tiere!« Als die Barone dies hörten, lachten sie laut. »Herr,« sprach der Knabe alsdann, »laßt Marke kommen, denn ihm sind von Matabrune um meinet- und meiner Brüder willen die Augen ausgerissen worden.« »Herr,« sagte Marke, »da bin ich.« Da wandte sich Helias zu ihm, hauchte ihm auf die Augen, und durch Gottes Kraft wurde er sogleich wieder sehend. Der König aber und die Barone verwunderten sich sehr. Darauf fragte der König den Knaben, wer er wäre und woher er käme. Der Knabe gab sich ihm als sein Sohn zu erkennen und erzählte ihm alles, was vorgefallen war. »Herr,« sagte Helias alsdann, »kommt mit mir und Ihr sollt große Wunder unseres Herren schauen.« Sie gingen zum Teich und Helias lockte die Schwäne herbei. Diese flogen herzu und liebkosten ihn mit den Flügeln. Darauf gab er jedem seine Kette und sie nahmen ihre menschliche Gestalt wieder an. Nur einer war darunter, dem sie fehlte, der schlug mit den Flügeln, riß sich mit dem Schnabel die Federn aus und gebärdete sich ganz verzweifelt. Als der König und die Königin dieses sahen, beweinten sie ihr Kind, das sie auf diese Weise verloren hatten.
Am anderen Tage wurden die Kinder getauft und König Oriant und Königin Beatrix freuten sich ihres Nachwuchses. Der König entbot seine Barone und krönte unter großen Festlichkeiten seinen Sohn Helias zum König.
Aber Helias grämte sich, daß ihm Matabrune entkommen war; er rief sein Heer zusammen, zog vor Malbruiant, wo die Alte hauste, und belagerte die Stadt. Die Einwohner bereuten es alsbald, die alte Hexe aufgenommen zu haben; sie gingen zu Helias und überlieferten ihm die Stadt. Der König Helias zog in die Stadt ein, ging ins Schloß und ließ die Alte fesseln. Darauf befahl er, daß ein großes Feuer angezündet würde, und er warf Matabrune selbst hinein. Da wurde die alte Hexe verbrannt. Der König hatte seine Mutter herbeiholen lassen, und sie kam gern zu ihm und war sehr froh, daß die Alte verbrannt war, die ihr soviel Leids und so großes Unrecht angetan hatte.

[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]

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