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Einion und die Dame vom Grünen Wald

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Einion, der Sohn des Gwalchmei, ging an einem schönen Sommertag durch die Wälder von Trefeilir. Da begegnete er einer schlanken schönen Frau. Ihre Haut übertraf an Schönheit das Weiß des Schnees auf dem hohen Gebirge und das Rot der Morgendämmerung. Da überfiel ihn im Herzen große Liebe. Er grüßte sie. Sie erwiderte seinen Gruß, und die Art, in der sie zu ihm redete, bewies ihm, daß ihr seine Gesellschaft nicht unangenehm war.
Er war höflich zu ihr, und sie war höflich zu ihm. Aber als er näher trat, sah er, daß sie statt Füßen Hufe hatte. Sie aber warf Glanz über ihn und sprach: „Du musst mir folgen, wohin immer ich auch gehe.“ Sie hatte ihn verzaubert. Er versprach ihr, bis ans Ende der Welt zu folgen. Zuvor aber bat er sie, sich noch von seiner Frau Angharad verabschieden zu dürfen. Damit war die Dame vom Grünen Wald einverstanden. „Aber“ sagte sie, „ich werde dabei sein, unsichtbar für alle, außer für dich.“ Also ging er heim und der Gobelin ging mit ihm. Als er Angharad, seine Frau nun sah, erschien sie ihm wie eine häßliche Alte, aber er erinnerte sich an frühere Zeiten und fühlte immer noch etwas Liebe zu ihr. Doch von dem Zauber konnte er sich nicht befreien. „Es ist nicht nötig für mich“ , sprach er, „daß ich dich für eine gewisse Zeit verlasse. Ich weiß nicht, für wie lange.“ Sie weinten zusammen und zerbrachen einen goldenen Ring zwischen sich. Er behielt die eine Hälfte, Angharad die andere. Dann nahmen sie Abschied voneinander, und er folgte der schönen Dame aus dem grünen Wald. Wohin sie gingen, wusste er nicht, denn es lag ein mächtiger Zauber auf ihm, und er sah keinen Ort und keine Person in ihrer wahren Gestalt. Nur die Hälfte des Ringes nahm er unverstellt so wahr, wie sie auch in Wirklichkeit aussah.

Nachdem er lange Zeit – er wusste nicht, wie lange – bei der schönen Dame vom grünen Wald gewesen war, schaute er eines Morgens, als die Sonne aufging, auf die eine Hälfte des Ringes und überlegte, an welchem sicheren Platz er sie verstecken könne. Schließlich schob er sie unter sein Augenlid. Als er das getan hatte, sah er einen Mann in einem weißen Gewand auf einem schneeweißen Pferd auf sich zukommen. Der Reiter fragte ihn, was er hier zu suchen habe. Einion erwiderte, er habe sich eben an seine Frau Angharad erinnert. „Möchtest du sie sehen?“ fragte der Mann in Weiß. „O ja“, erwiderte Einion, „mehr als nach irgend etwas anderem auf der Welt, verlangt es mich danach.“ „Nun dann“, sagte der Mann, „steige hinter mir auf mein Pferd.“ Einion tat, wie ihm geheißen. Und als er zurückblickte, war die schöne Dame vom grünen Wald verschwunden. Er erblickte nur Hufspuren von gewaltiger Größe, die nach Norden wiesen.
„Unter was für einen Zauber stehst du?“ fragte der Mann in Weiß. Da erzählte ihm Einion alles, was zwischen ihm und der schönen Dame vom Grünen Wald geschehen war. „Faß mit deiner Hand diesen Stab hier“, sagte der Mann in Weiß, „und wünsche dir, wonach es dich am dringlichsten verlangt.“ Einion faßte den Stab, und das erste, was er sich wünschte, war, die schöne Dame vom Grünen Wald wiederzusehen, denn er war immer noch nicht völlig vom Zauber befreit.

Ein abstoßendes Wesen zeigte sich ihm, widerlichster als die schrecklichsten Dinge auf dieser Welt. Einion stieß einen Schreckensschrei aus. Der Mann in Weiß warf seinen Mantel über ihn und in soviel Zeit, wie es zu einem Augenzwinkern bedarf, stand Einion auf einem Hügel von Trefeilir, an seinem eigenen Haus, aber er erkannte es nicht, und jeder, der ihn sah, wußte nicht, wer er war. Unterdessen war der Gobelin, der Einion als Dame vom Grünen Wald erschienen war, nach Trefeilir gegangen und hatte sich dort den Leuten als ein ehrenwerter und mächtiger Edelmann vorgestellt, als jemand, der offensichtlich sehr reich war. Er hatte Angharad einen Brief übergeben, in dem stand, Einion sei vor mehr als zehn Jahren in Norwegen gestorben. Er warf einen Zauber über sie, und sie hörte auf seine schmeichlerischen Liebesworte. Als sie sah, daß sie eine edle Dame werden konnte, höher gestellt als jede andere Dame von Wales, setzte sie einen Tag fest für die Hochzeit. Man traf große Vorbereitungen. Speisen und Getränke in Hülle und Fülle wurden herbeigeschafft. Musiker wurden bestellt, und man dachte sich Unterhaltungen aus, die einem jeden gefallen.

Nun gab es in Angharads Halle eine besonders schöne Harfe. Der Gobelin zeigte sich den Leuten als Edelmann. Aber als er die versammelten Harfenspieler – die besten Musiker aus ganz Wales waren dabei – aufforderte zu spielen, gelang es keinem, die Harfe zu stimmen. Gerade in diesem Augenblick betrat Einion das Haus, und Angharad sah ihn als einen alten, hinfälligen Mann mit Runzeln im Gesicht und mit weißem Haar, in Lumpen gehüllt. Nachdem all die anderen Harfner die Harfe nicht hatte stimmen können, nahm er das Instrument in die Hand und stimmte im Nu. Da wunderten sich alle sehr und fragten, wer er denn sei: „Ich bin Einion, Sohn des Gwalchmei“, sagte er, „dieses Gold ist der Beweis.“ Und er gab Angharad die Hälfte des zerbrochenen Ringes wieder. Aber sie konnte sich nicht mehr darn erinnern, daß jeder beim Abschied eine Hälfte an sich genommen hatte. Da drückte Einion seinem Weib den Stab in die Hand, den der Mann in Weiß ihm gegeben hatte. Sofort stellte der stattliche und ehrenwerte Edelmann, sich in seiner wirklichen Gestalt dar – als ein fürchterliches Ungetüm. Angharad wurde ohnmächtig. Einion aber stützte sie und hielt sie in seinen Armen, bis sie wieder zu sich kam. Als sie nun die Augen aufschlug, sah sie weder den Gobelin noch irgendeinen der Gäste, nicht die Musiker und nicht die Mundschenken, nicht die Fleischvorschneider und nicht die Diener. Sie sah nur die Harfe, die gestimmt war, Einion und das Essen, das auf dem Tisch stand und köstlich duftete.
Da setzten sie sich, aßen, tranken und liebten sich, und groß war ihre Freude, daß nun der Bann des Gobelin, der sie verzaubert hatte, für immer gebrochen war.

 
Märchen aus Wales des Mabinogion

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