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Märchenbasar

Pwyll, Prinz von Dyved

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Pwyll, Prinz von Dyved, war Herrscher über sieben Cantrevs von Dyved. Nun geschah es einst, daß er sich in seinem wichtigsten Schloß zu Arberth aufhielt und ihn die Lust ankam, zu jagen. Jener Teil seines Reiches aber, wo es ihm zu jagen gefiel, hieß Glynn Cuch. Er brach am Abend von Arberth auf und ritt bis nach Penn Llwyn auf Bwya. In dieser Nacht verweilte er dort. Zeitig am Morgen stand er auf und kam nach Glynn Cuch. Dort hieß er die Hunde losmachen und das Horn blasen. Die Jagd begann. Als er nun den Hunden folgte, wurde er von seinen Gefährten getrennt. Als er dem Bellen seiner Koppel aufhorchte, hörte er, daß noch andere Hunde anschlugen. Sie kamen offenbar aus der entgegengesetzten Richtung. Er befand sich auf einer Lichtung im Wald, und als seine Meute den Rand dieser Lichtung erreichte, sah er die anderen Hunde, die einen Rehbock verfolgten. Und sieh an, etwa in der Mitte der Lichtung holte die andere Koppel den Rehbock ein und warf ihn zu Boden. Pwyll fiel die Farbe der Hunde ins Auge. Auf den Rehbock achtete er nicht weiter. Die Hunde hatten glänzendes Fell und rote Ohren, und beide Farben leuchteten weithin. Er ritt nun heran, jagte die fremden Hunde von dem Wild fort und hetzte die seinen darauf. Da kam ein Reiter auf ein zu. Er ritt eine hellgraue Stute, hatte ein Jagdhorn um den Hals und trug Kleider aus grauer Wolle, in der Art, wie man sie zur Jagd anlegt. Der Reiter ritt nahe an ihn heran, und sprach: „Häuptling, ich weiß nicht, wer Ihr seid, aber grüßen will ich Euch nicht.“ „Nun“, erwiderte Pwyll, „Ihr seht so würdig aus. Ihr solltet auch so handeln.“ „Wahrlich, es ist nicht mein Rang, der mich hindert.“ „Aber was ist es denn, Häuptling?“ fragte Pwyll, „seid Ihr so unwissend, oder kennt Ihr keine Höflichkeit?“ „Beim Himmel“, sagte der Fremde, „Eure Grobheit und Eure Unhöflichkeit sind die Ursache.“ „Welcher Unhöflichkeit habe ich mich denn schuldig gemacht?“ „Ist es nicht etwa unhöflich, meine Meute fortzuscheuchen, damit das Fleisch Euren Hunden zur Beute wird? Ich werde keine Rache nehmen, aber ihr seid in Unehre, und müsste sie beziffert werden, so ginge es um den Wert von hundert Rehböcken.“
„Häuptling“ sprach Pwyll, „wenn ich Euch gekränkt habe, so verzeiht mir bitte. Ich will versuchen, Eure Freundschaft zu gewinnen.“
„Und wie wollt Ihr Eure Verfehlung wiedergutmachen?“ „Vielleicht gemäß dem Rang, den ihr bekleidet…nur ich weiß nicht, wer Ihr seid.“ „Ich bin in meinem Land ein ungekrönter König.“ „Herr, möge Euer Tag angenehm vergehen“, sprach Pwyll, „aber nun sagt doch, aus welchem Land Ihr kommt?“
„Aus Annwvyn“, antworte er, „ich bin Arawn, ein König in Annwvynn.“ „Und wie Herr, kann ich Eure Freundschaft gewinnen?“
„Es gibt da einen Mann, Havgan, König in Annwvynn, dessen Reich dem meinen gegenüber liegt, und der führt ständig Krieg gegen mich. Wenn du den Gewalttaten, die er mir zufügt, ein Ende machst, hast du meine Freundschaft gewonnen.“ „Das will ich mit Freuden tun“, sagte Pwyll, „zeigt mir wie das geschehen kann,“ „Hör zu“, sagte Arawn, „wir werden einen starken Freundschaftspakt miteinander abschließen, und ich werde dich an meiner Statt nach Annwvynn schicken. Ich werde dir die schönste Frau zur Seite tun, die du je gesehen hast. Ich will dir meine Gestalt und mein Aussehen geben und zwar genau so, daß kein Kammerdiener, kein Rat und kein Ritter merken wird, daß nicht ich es bin, der mit ihnen umgeht, sondern du. All dies soll gelten für ein Jahr von morgen an.“
„Gut und schön“, sagte Pwyll, „aber ich wenn ich mich in deinem Land aufhalte, wie werde ich den Mann finden, von dem du sprichst?“
„In einem Jahr von heute an“, sprach Arawn, „wollen er und ich uns an dieser Furt treffen. Reite du an meiner Stelle hin. Versetzte ihm einen Hieb. Er wird davon tödlich getroffen werden. Aber wenn er dich darum bittet, ihm noch einen Schlag zu versetzen, so laß dich nicht darauf ein, was immer er dir verspricht. Mich hat er dazu gebracht, und am nächsten Tag war er im Kampf so kräftig wie zuvor.“ „Nun gut“, sagte Pwyll, „aber was soll mit meinem Königreich geschehen?“ Sprach Arawn: „Ich werde es so einrichten zu wissen, daß kein Mann oder Weib herausfindet, daß nicht du es bist, sondern ich, der dort regiert.“
„Dann will ich gerne gehen“, sagte Pwyll. „Möge deine Reise frei von Mühen sein.
Nichts soll sich dir in den Weg stellen, wenn du in mein Reich reitest. Ich selbst werde dich geleiten.“ Und Arawn führte dann Pwyll bis zu einer Stelle, von der aus man das Schloß und die dazugehörigen Gebäude sehen konnte. „Sieh“, sagte er, „der Hof und das Königreich sind in deine Gewalt gegeben. Jeder dort wird auf deine Befehle hören, und wenn du dir ein wenig Mühe gibst, wirst du bald mit den Sitten und Gewohnheiten der Leute vertraut sein.“
Pwyll ritt also gegen das Schloß hin, und als er drinnen war, fand er Wohnungen, Hallen und Kammern, so schön und bequem, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. Er betrat die Halle und dachte daran, sich umzukleiden. Pagen und Diener erschienen, zogen ihm die Stiefel aus, und alle grüßten ihn. Zwei Ritter kamen und nahmen ihm die Jagdkleidung ab und brachten bequeme Hauskleidung aus Brokat. Dann wurde die Halle gerichtet. Er sah die Angestellten des Hofes und die Soldaten hereinmarschieren. Es waren die besten Truppen, die er je gesehen hatte. Und mit ihnen erschien die Königin. Eine schönere Frau war ihm nie zu Gesicht gekommen. Sie trug ein Kleid aus glänzender gelber Seide.Alle wuschen sich und setzten sich, und die Königin saß ihm zur Seite, und ein Graf hatte auf der anderen Seite Platz genommen. Pwyll begann mit der Königin zu reden, und von allen Frauen, mit denen er sich unterhalten hatte, besaß sie die natürlichsten Umgangsformen. Sie war liebenswürdig und geistreich im Gespräch. So verging die Zeit mit Essen, Trinken, Singen und Feiern, und von allen Höfen, die er je gesehen hatte, gab es an diesem die meisten goldenen Teller und die kostbarsten Juwelen. Als es nun Zeit wurde, schlafen zu gehen, legte sich Pwyll und die Königin ins Bett. Sobald sie aber beieinander lagen, wandte er sein Gesicht zur Bettkante und ihr den Rücken zu und sprach mit ihr kein einziges Wort, bis zum nächsten Morgen. Bei Tag war er wieder freundlich und zuvorkommend mit ihr. Wie freundlich er aber auch bei Tag war, in den Nächten, die folgten, verhielt sich Pwyll nie anders als in jener ersten Nacht. Das Jahr verging mit Jagen, singen und Festen mit Freunden und unter angenehmen Gesprächen mit den Rittern bei Hofe, bis jene Nacht des Treffens kam, an die sich selbst die Leute in entlegensten Teilen des Landes zu erinnern wissen. Pwyll wurde von den Adligen des Landes begleitet, und als sie an die Furt kamen, zeigte sich dort ein Ritter, der sprach also: „Ihr Edlen, hört gut zu. Dieser Kampf soll ausgetragen werden im Kampf der zwei Könige, Mann gegen Mann, denn jeder von ihnen beansprucht, das Reich und die Herrschaft. Deshalb trete jeder andere nun beiseite.“ Darauf ritten die beiden Könige an und trafen sich in der Mitte der Furt. Beim ersten Angriff schlug der Mann, der an Arawns Stelle focht, Havgans Schild in zwei Hälften; Havgans Rüstung barst, und er selbst wurde eine – Arm- und Speerlänge weit über das Hinterteil eines Pferdes fort zu Boden geschleudert und blieb dort tödlich verwundet liegen. „O Häuptling“, sagte Havgan, „was für ein Recht hast du, mich zu töten? Ich habe die kein Leid zugefügt, noch wüsste ich sonst keinen Grund, weshalb du mich töten solltest. Aber um der Liebe des Himmels, da wir diesen Kampf nun einmal begonnen haben, mach ein Ende mit mir.“ „Häuptling“, antwortete Pwyll, „wenn ich so handle, könnte ich es bereuen. Erschlage dich, wer da will. Ich werde es nicht tun.“ „Meine Getreuen“, rief Havgan, „tragt mich jetzt fort, denn mein Ende ist nun gewiß. Ich kann nicht länger euer Schutzherr sein.“ „Ihr Herren“, rief darauf jener, der an Arawns Stelle kämpfte, „besprecht euch und überlegt, ob ihr nicht zu mir übertreten wollt.“ Und sie antworteten: „Das wollen wir. Es gibt keinen König außer euch in Annwvyn.“ „Gut denn“, antwortete er, „jene, die sich unterwerfen, sollen mir willkommen sein. Jene aber, die sich weigern, sollen mit dem Schwert dazu gezwungen werden.“ Da huldigten ihm diese Männer, und er begann in dieses Land einzudringen, und am Mittag des folgenden Tages waren beide Reiche vereinigt unter seiner Herrschaft. Sein Versprechen hielt er und kam darauf nach Glynn Cuch.

Als er nun dort hin kam, wartete Arawn schon auf ihn, und beide freuten sich wiederzusehen.„Wahrlich“, sprach Arawn, „möge dich der Himmel für deinen Freundesdienst an mit belohnen. Ich habe von allem gehört. Wenn du in dein Reich kommst, wirst du sehen, was ich für dich getan habe.“ „was immer du getan hast“, erwiderte Pwyll, „möge der Himmel es dir lohnen.“ Dann gab Arawn durch Zauber Pwyll seine rechte Gestalt und sein Aussehen wieder und nahm seinerseits seine ursprüngliche Gestalt an, und Arawn brach auf zum Hof von Annwvyn. Freude überkam ihn, als er sein Heer und sein Haushalt wieder vor sich sah. Alle hatte er so lange nicht gesehen, aber sie hatten von seiner Abwesenheit nichts bemerkt und waren von seiner Ankunft nicht erstaunter als gewöhnlich. Er verbrachte den Tag in Gesprächen mit seinem Weib und seinen Rittern, und als es Zeit wurde, dem Trinken und Vergnügen ein Ende zu machen, ging er zu Bett. Da kam seine Frau zu ihm und sogleich begann er mit ihr zu reden, nahm sie in die Arme….Das war in dem vergangenen Jahr nie geschehen und sie dachte: „Herr im Himmel, wie anders ist er doch heute als in der ganzen Zeit zuvor.“ Sie dachte lange darüber nach. Er schlief mit ihr, und danach sprach er zu ihr, aber sie gab keine Antwort….!Warum antwortest du mir nicht?“ fragte er, worauf sie sprach: „Mann kann doch wohl auch das Antworten verlernen. Du hast ein ganzes Jahr im Bett nicht mit mir gesprochen.“ „Ach was“, sagte er, „wir haben uns doch immer im Bett unterhalten.“ „Schande über mich, wenn seit einem Jahr in diesem Bett zwischen uns ein Wort gewechselt worden ist oder du mich in der ganzen langen Zeit auch nur ein einziges Mal berührt hast. In all den Nächten hast du stets mit abgewandten Gesicht geschlafen und meine Augen durften sich an deinem Rücken erfreuen.“ Da dachte Arawn bei sich: „Herr im Himmel, was für einen treuen Freund habe ich doch mit diesem Mann gewonnen.“ Und er sprach zu seinem Weib: „Liebste, zürne mir nicht, denn das ganze Jahr habe ich nicht bei dir gelegen, noch bei dir geschlafen.“ Er erklärte ihr, was sich zugetragen hatte, und sie sagte: „Dies sprech ich vor Gott, wahrlich, du musst einen starken Pakt mit diesem Mann
geschlossen haben, denn dieser Mann, der an deiner Stelle hier lag, ist nie den Versuchungen erlegen. Vielmehr hat er dir unbedingt die Treue gehalten. „Weib“, sprach er darauf, „dies waren auch meine Gedanken, als ich eben schwieg.“ Unterdessen war Pwyll, Herr von Dyved in seinem Land und Königreich angekommen, und er begann, seine Ritter zu befragen, wie sie mit seiner Regierung im vergangenen Jahr im Vergleich mit anderen Jahren zuvor, zufrieden gewesen seien. „Herr“, antworteten sie, „nie war deine Klugheit ersichtlicher, nie warst du so freundlich zu uns, nie zuvor hast du großzügig so viele Geschenke an uns ausgeteilt.“ „Beim Himmel“, sprach Pwyll, „ihr sollt dafür, jenem Mann danken, der statt meiner bei euch war.“ Und er erzählte ihnen, was sich zugetragen hatte. „Danken wir Gott“, sprachen sie, „daß Ihr einen solchen Freund gewonnen habt. Denn an der Art zu regieren, wie wir im vergangenem Jahr kennengelernt haben, werdet Ihr hoffentlich auch in Zukunft nichts ändern.“ „Zwischen mir und Gott“, sagte Pwyll, „das werde ich wahrlich nicht.“
Und von da an hielten sie gute feste Freundschaft, und jeder schickte dem anderen Pferde, Windhunde und Falken und solche Schätze, von denen er annahm, daß der andere daran seine Freude hätte. Und weil er ein Jahr auf Annwvyn verbracht, das Land glücklich regiert und durch seinen Mut beide Königreiche innerhalb eines Tages vereinigt hatte, ging nun der Name Pwyll, Prinz von Dyved unter, und er wurde Pwyll, Oberhaupt von Annwvyn genannt. Einmal nun befand sich Pwyll in Arberth, seinem wichtigsten Schloß, wo ein Fest für ihn ausgerichtet war, und bei ihm war eine große Schar von Männern. Als sie sich nun von der Festtafel erhoben, unternahmen sie ein Spaziergang. Sie stiegen auf einen Hügel hinter dem Schloß, der Gorsedd Arberth genannt wird. Da sprach einer der Männer zu Pwyll: „Herr, das hier ist ein merkwürdiger Hügel. Denn wenn jemand sich auf ihm niedersetzt, empfängt er entweder Schwertstreiche und trägt Wunden davon oder er sieht ein Wunder.“ „Nun, mit so vielen guten Rittern aus meinem Gefolge um mich“, sprach Pwyll lachend, „werden mich wohl keine Schläge treffen, und ich werde auch keine Wunde davontragen. Was aber ein Wunder angeht, so hätte ich nichts dagegen einzuwenden, eines zu erleben. Also will ich mich hinsetzen.“ Da tat er. Und als er nun da saß, sah er eine Frau auf einem großen reinweißen Pferd mit Kleidern aus leuchtendem Gold auf der Straße, die am Füße des Hügels verläuft, vorbeireiten. Ein jeder der sie sah, meinte, das Pferd bewege sich ganz langsam fort. „Männer“, sprach Pwyll, „kennt jemand unter euch diese Frau?“ „Nein, Herr“, antworteten sie. „Dann soll einer von euch hinabsteigen und herausfinden, wer sie ist!“ Ein Mann stand auf, aber als er zur Straße kam, war die Frau schon verschwunden. Er folgte ihr zu Fuß, so rasch er konnte. Er sah sie wieder vor sich. Aber je schneller er lief, desto weiter entfernte sie sich von ihm, und als er einsah, daß es vergebliche Mühe war zu versuchen, sie noch einzuholen, kehrte er wieder um und sagte, als er vor Pwyll stand:
„Herr, es ist müßig, ihr zu Fuß folgen zu wollen.“ „Nun gut“, erwiderte Pwyll, „Dann hol dir rasch ein Pferd und setz ihr nach.“
Er holte also ein Pferd und ritt ihr hinterher. Er kam auf eine offene Ebene und gab dem Tier die Sporen, aber je mehr er es antrieb, desto größer wurde der Abstand zwischen ihm und der Reiterin, obgleich ihr Pferd offenbar nicht schneller lief als zuvor. Sein Pferd wurde müde, und als es schließlich nur noch im Schritt ging, wendete er und kehrte zu der Stelle zurück, an der Pwyll wartete. „Herr“, sprach er, „es hat keinen Zweck, dieser Frau zu folgen. Ich ritt das schnellste Pferd aus unserem Stall, und es war mir damit nicht möglich, sie einzuholen.“ „Nun gut“, sprach Pwyll, „es wird wohl irgendeine verborgene Bewandtnis damit haben, lasst uns ins Schloß zurückkehren.“ So geschah es, und sie verbrachten den Tag dort und den nächsten Tag auch, bis es Zeit wurde, das Fleischgericht zu essen. Nach dem ersten Gang sagte Pwyll: „Nun sollen alle, die gestern auch mit dabei waren, mich zum Hügel begleiten. Und du“, sagte er zu einem jungen Burschen, „hol das schnellste Pferd von der Weide.“ Das tat der junge Mann. Sie bestiegen den Hügel und führten das Pferd mit sich, und als sie oben saßen, sahen sie wider die Frau auf demselben Pferd und im selben Gewand auf der Landstraße daherreiten. „Schau an“, sagte Pwyll, „da ist sie wieder. Mach dich bereit, Junge, und finde heraus, wer sie ist.“ „Gern, Herr“, rief der Junge. Die Frau ritt unmittelbar am Fuße des Hügels dahin, etwa auf der gleichen Höhe mit ihnen. Der Junge sprang in den Sattel, aber ehe er anreiten konnte, lag schon wieder ein beträchtlicher Abstand zwischen der Gruppe der Männer auf dem Hügel und der Reiterin. Zuerst trieb er sein Pferd nicht übermäßig an, denn es schien ganz leicht, sie einzuholen. Aber das war eine Täuschung. Als er aber nun rasch ritt, kam er ihr auch nicht näher, als wenn er ihr zu Fuß gefolgt wäre. Da machte er kehrt, kam vor Pwyll und sprach: „Herr, dieses Pferd, auf dem ich sitze, ist ausgezeichnet gegangen, aber es ist sinnlos, Die Reiterin vermag niemand einzuholen. „Seltsam“, sagte Pwyll, „wir kommt es so vor, als wolle sie uns auf sich aufmerksam machen. Laßt uns ins Schloß zurückkehren.“ Das taten sie und verbrachten die Nacht mit Singen, Erzählen und Gesprächen und fuhren fort damit am nächsten Tag, und als sie beim Essen das Fleisch verzehrt hatten, sagte Pwyll: „Wo sind die Männer, die gestern und am Tag zuvor mit auf dem Hügel gewesen sind?“ „Hier sind wir, Herr!“ „Dann lasst uns jetzt nocheinmal hinaufsteigen und uns dort hinsetzen. Und du“, sagte Pwyll zu dem Stallburschen, sattle mir mein Pferd, halt es am Rand der Landstraße bereit und bring auch die Sporen mit.“ Das tat der Junge. Die Männer aber erklommen den Hügel, setzten sich und sahen kurz darauf die Reiterin auf der Landstraße herankommen, in derselben Kleidung und in derselben Gangart reitend wie an den Tagen davor. „Junge“, rief Pwyll, „jetzt gilt es. Rasch, mein Pferd.“

Er rannte den Abhang hinunter, schwang sich in den Sattel, aber kaum saß er auf dem Rücken des Pferdes, da war die Frau auch schon bei ihm vorbei. Er trieb sein Pferd an und setzte ihr nach, und es schien ihm, als könne er sie auf kurz oder lang überholen. Doch der Abstand zwischen ihr und ihm verringerte sich nicht. Er gab seinem Pferd die Sporen, und nun merkte er, daß der Abstand sogar noch größer wurde…Da rief er: „Mädchen, im Namen dessen, den Ihr am meisten liebt, wartet auf mich.“ „Ich habe einen Auftrag“, sagte sie, „und ich bin froh, daß ich Euch treffe.“ Das Mädchen hielt inne, und sie hob den Schleier, der vor ihrem Gesicht hing. „Ich heiße Euch willkommen“, sagte Pwyll und es kam ihm vor, als habe er nie ein schöneres Mädchen oder eine schönere Frau zu Gesicht bekommen. „Erzählt mir von Eurem Anliegen.“ „Zwischen mir und Gott. Mein wichtigstes Anliegen war, Euch zu treffen.“ „Das ist Euch gelungen. Sagt mir bitte Euren Namen?“ „Auch das will ich gerne tun“, sagte sie, „ich bin Rhiannon, die Tochter des Heveydd Hen, und sie versuchten, mir einen Gatten wider Willen aufzuzwingen. Aber ich will ihn nicht zum Manne, weil ich Euch liebe. Und wenn Ihr mich abweist, will ich gar keines Mannes Weib werden. Um Eure Antwort zu hören, bin ich hergekommen.“ „Beim Himmel“, sagte Pwyll, „hier ist meine Antwort. Könnte ich unter allen Mädchen und Frauen der Welt wählen, ich würde mich für Euch entscheiden.“ „Nun, wenn so Euer Sinn steht“, erwiderte sie, „dann gebt mir Euer Wort, mich zu treffen, ehe ich an einen anderen gegeben werde.“ „Je früher desto besser“, sagte Pwyll, „und den Ort, an dem ich Euch treffen soll, mögt Ihr selbst festsetzen.“ „Gut, kommt heute in einem Jahr in Heveydds Palast. Ich will dafür sorgen, daß zu Eurem Empfang ein Fest ausgerichtet wird.“ „Frohen Herzens will ich diese Verabredung einhalten“, sagte Pwyll. „Lebt wohl, mein Herr, und vergißt nicht, was Ihr versprochen habt. Ich muß jetzt fort.“ So schieden sie, und er kehrte zurück zu den Rittern und den Männern seines Gefolges. Wann immer aber jemand nach dieser Frau fragte, verstand er es, das Gespräch auf etwas zu bringen. Das Jahr verging, und als die rechte Zeit da war, hieß er hundert Ritter sich wappnen, und ihn zum Palast Heveydd Hen folgen. Dort wurden sie mit großer Freude empfangen.Die Vorbereitungen für das Fest waren alle getroffen. Die Halle war gerichtet. Sie traten ein und setzten sich. Heveydd saß auf der einen Seite und Pwyll und Rhiannon auf der anderen, und alle bekamen einen Platz gemäß ihrem Rang. Sie aßen und tranken, und unterhielten sich, und als sie nach dem ersten Gang zu zechen begannen, sahen sie einen großgewachsenen Mann mit kastanienbraunes Haar in Seidenkleidern die Halle betreten. Er kam zum oberen Ende der Tafel und begrüßte dort Pwyll und seine Gefährten.
„Gottes Gnade mit Euch, Freund“, rief Pwyll ihm zu, „kommt, setzt Euch zu uns.“„Das werde ich nicht tun, denn ich bin ein Freier und habe einen Auftrag.“ „Dann sprecht nur offen heraus“, sagte Pwyll. „Nun, Herr, mein Auftrag betrifft Euch. Ich erbitte, daß ihr Euch zu etwas verpflichtet.“ „Was immer Ihr auch bittet, sofern es in meiner Macht liegt, soll Euer Wunsch erfüllt werden.“ „Ach, wie konntet Ihr nur so leichtsinnig sein“, rief Rhiannon dazwischen. „Alle hier an der Tafel haben gehört, daß mir ein Wunsch zusteht“, rief der junge Mann. „Bei meiner Seele“, also was verlangt Ihr?“ „Die Frau, die ich vor allen anderen liebe, soll Euch heute Abend zur Braut gegeben werden. Ich wünsche mir, daß Ihr sie an mich abtretet.“ Pwyll hatte es die Sprache verschlagen. „Ja, schweigt nur so lange Ihr wollt“, sagte Rhiannon, „nie machte ein Mann schlechteren Gebrauch von seinem Verstand als Ihr.“ „Frau“, erwiderte Pwyll, „ich wusste nicht, wer er war.“
„Dann wißt jetzt, das dies der Mann ist, den ich gegen meinen Willen heiraten soll. Er heißt Gwawl, Sohn des Clud, eines mächtigen Fürsten, der über alle Ritter gebietet. Da Ihr ihm Euer Wort gegeben habt, muß ich nun wohl oder übel in die Hochzeit einwilligen, wenn nicht Schande über Euch kommen soll.“ „Frau“, sagte er, „ich begreife nicht, wie Ihr so reden könnt. Nie werde ich zulassen, was Ihr da vorschlagt.“ Sagt ihm nur zu“, sprach sie, „ich will es schon einzurichten wissen, daß ich nie sein werde.“ „Aber wie sollte das zugehen?“ fragte Pwyll. „Ich werde Euch einen kleinen Sack geben, den Ihr immer behalten müsst. Der Mann wird Euch bitten, das Fest auszurichten, aber eben das steht nicht in Eurer Macht. Ihr könnt es ihm nicht versprechen, denn es ist Sitte, daß die Braut das Bankett ausrichtet. In diesem Sinn müsst Ihr ihm antworten. Ich aber will ihm versprechen, seine Braut zu werden, auf den Abend genau in zwölf Monaten.
Am Ende dieses Jahres müsst auch Ihr zur Stelle sein. Bringt auch diesen Sack mit und hundert Ritter, die laßt ihm Obstgarten hinter der Halle warten. Wenn Gwawl mitten beim Essen und Zechen ist, müsst Ihr in schäbigen Kleidern mit dem Sack in der Hand eintreten und ihn bitten, Euch diesen Sack mit Speisen zu füllen. Ich will aber durch Zauber dafür sorgen, daß er niemals voll wird, und würde man alle Speisen und Getränke aus sieben Cantrevs zusammengetragen. Nachdem schon viel hineingefüllt ist, wird Gwawl Euch fragen, ob denn dieser verdammte Sack niemals voll werde. Dann müßt Ihr ihm erklären, daß ein Mann von edler Herkunft in den Sack steigen und die Speisen mit beiden Füßen herunterdücken müsse. Und dabei soll er sagen: „Jetzt ist es genug, Sack!“ Ich werde Gwawl überreden, dieses Gebot zu erfüllen. Kommt er nun, um die Bedingung zu erfüllen, so streift Ihr ihm den Sack rasch über den Kopf und bindet ihn oben ab. Ihr müsst ein Jagdhorn bei Euch tragen. Und ist Gwawl erst im Sack geschnürt, so gebt Ihr damit den Rittern draußen ein Zeichen. Darauf stürmen sie in den Saal und hauen auf den Sack solange ein, bis Gwawl um Gnade bittet oder aber zu Tode kommt.“ „Herr“, sprach Gwawl, meint Ihr auch, daß es längst an der Zeit wäre, auf meine Bitte zu antworten?“ Pwyll sprach: „Von dem, was du erbeten hast, soll das geschehen, was in meiner Macht steht.“ „Freund“, sagte Rhiannon, „was dieses Fest betrifft, so ist es zu Ehren der Männer aus Dyved veranstaltet worden. Somit kann es auch niemand anderem gewidmet sein als ihnen. Aber in einem Jahr, auf den Abend genau, will ich an diesem Hof ein Fest für Euch, mein Freund, ausrichten, und danach will ich Eure Braut werden.“

Gwawl zog fort, in das Land, das er besaß, und Pwyll kehrte nach Dyved zurück, und beide verbrachten sie das ganze Jahr damit, ungeduldig auf das Fest von Heveydd, dem Alten, zu warten. Gwawl, Sohn des Clud, brach zu dem versprochenen Fest auf, und als er am Hof eintraf, wurde er freundlich empfangen. Pwyll aber kam in den Obstgarten mit seinen hundert Rittern und seinem Sack, gerade so, wie ihn Rhiannon geheißen hatte. Er trug schäbige Kleider und zerfetzte Stiefel an den Füßen. Als er nun hörte, daß die da drinnen den ersten Gang schon verspeist hatten, betrat er die Halle, ging zum oberen Ende der Tafel und begrüßte Gwawl und dessen Begleiter. „Gott mit dir“, sagte Gwawl, „seinen Segen auf dich.“ „Gott soll Euch danken“, sprach Pwyll, „ich bin ein Bettler.“
„Deine Bitte soll erfüllt werden, wenn sie nicht gar zu unbescheiden ist.“ „Ganz und gar nicht unbescheiden, Herr. Laßt nur diesen kleinen Sack hier für mich mit Nahrung füllen.“ „Wirklich eine bescheidene Bitte. Ich will sie gern erfüllen. Bringt Speisen!“ rief Gwawl. Zahlreiche Diener eilten herbei und fingen an, den Sack zu füllen, aber wie viel sie immer auch hineinwarfen, er wurde nicht voll.„Bettler, was hast du für einen seltsamen Sack?“ fragte Gwawl.“ Zwischen mir und Gott, er füllt sich immer nur dann, wenn ein Mann, der auch Land besitzt, die Speisen mit beiden Füßen niedertritt und spricht: „Jetzt ist es genug Sack!“ „Tot doch das, Freund“, forderte Rhiannon Gwawl auf, „damit wir endlich mit dieser Sache zu Ende kommen.“ „Ei, warum denn nicht“, sagte Gwawl und stand auf. Sofort aber warf ihm Pwyll den Sack über den Sack, und band ihn oben zu und blies in sein Jagdhorn. Da stürzten seine Ritter aus dem Obstgarten herein und ergriffen alle Krieger, die mit Gwawl gekommen waren, während Pwyll seine zerlumpten Kleider fortwarf und seine zerrissenen Stiefel auch. Im Hereinstürmen aber schlug jeder von Pwylls Männer auf den verknoteten Sack und fragte: „Was ist das nur?“ „Ein Dachs“, antworteten die anderen. Und die hinterdreinkamen hielten es für ein Spiel. Jeder Mann trat mit den Fußsohlen auf den Sack oder hieb mit einem Knüppel darauf, und während er es tat, fragte er: „Was ist das für ein neues Spiel, das hier gespielt wird?“ Die anderen antworteten dann: „Das ist das Spiel vom Dachs und dem Sack.“ „Herr rief Gwawl unter dem Sacktuch hervor, „wenn Ihr mir nur einen Augenblick Gehör schenken wolltest. In einem Sack den Tod zu finden, will mir als ein gar zu schmähliches Ende vorkommen.“ „Das stimmt“, sagte Heveydd, der Alte, „ich meine, auf so jämmerliche Weise zu sterben – das hat er nicht verdient.“ „Was soll ich tun?“ fragte Pwyll zögernd, denn er wollte nicht noch einmal überlistet werden. Rhiannon aber riet ihm: „Laß Gwawl frei, aber besteht darauf, daß er zuvor jeden Anspruch auf mich abschwört. Und lasst ihn auch schwören, daß er keine Rache üben wird.“ „Dazu bin ich bereit“, rief der Mann mit dem Sack über dem Kopf. „Nun gut denn“, sagte Pwyll, „einen Rat, den Heveydd noch an Pwyll geben, nehme ich gerne an.“ Und also tat Gwawl! Verzicht auf das Mädchen und beschwor, keine Rache zu üben, weder an Heveydd noch an Pwyll und Rhiannon. Und als dies geschehen war, brachten sie ihn in ein heilkräftiges Bad, damit seine Wunden sich schlossen. Darauf stellte er Geiseln und ritt in sein Königshaus. Dann wurde die Halle für Pwyll und seine Gefährten und für die Männer Heveydd hergerichtet. Sie kamen herein und setzten sich so, wie sie vor einem Jahr an der Tafel beisammengesessen haben. Sie aßen und zechten, und als es Schlafenszeit war, nahm Pwyll Rhiannon, führte sie in ihre Kammer.*Am anderen Morgen sprach Rhiannon: „Herr, steh jetzt auf und teile Gaben aus unter den Fahrenden Sängern und verweigerte niemanden, was er sich wünscht, und tu dies als Zeichen, daß ich gern den Weib bin.“ „Mit Freuden“, sagte Pwyll, „und so soll es sein heute und alle Tage, so lange das Fest währt.“ Als dies geschehen war, ging das Fest weiter und weiter, und solange es währte, wurde niemand abgewiesen, der sich etwas erbat. Als das Feiern dann ein Ende hatte, sprach Pwyll zu Heveydd: „Mit Euerer Erlaubnis, Herr, morgen will ich nach nach Dyved davonziehen.“ „Gott leite dich“, erwiderte Heyeydd, „und ich will eine Zeit setzen, nach deren Verlauf Rhiannon dir folgen soll.“ „Zwischen Gott und mir, wir reisen zusammen.“ * „Ist das wirklich dein Wille?“ „Zwischen mir und Gott: so muß es sein, sind wir doch Mann und Frau.“

Am nächsten Tag reisten sie ab und hielten Hof zu Arberth, wo ebenfalls ein Fest für sie ausgerichtet wurde. Alle wichtigen Männer und Frauen des Reiches kamen, und keiner, auch nicht ein einziger, ging, ohne von Rhiannon ein Geschenk erhalten zu haben – eine Brosche, einen Ring oder einen kostbaren Stein. Pwyll und Rhiannon regierten glücklich im ersten Jahr und im zweiten. Im dritten Jahr jedoch begannen sich die Männer von Dyved Gedanken darüber zu machen, daß der Mann, den sie als ihren Herrscher anerkannten, immer noch ohne Nachkommen war. Also erbaten sie von Pwyll eine Unterredung. „Herr“, sprachen sie, „wir wissen wohl, daß du noch nicht eigentlich alt bist, aber wir fürchten, daß dein Weib keine Kinder gebären wird. Nimm eine andere Frau, damit du einen Erben bekommst. Du wirst nicht ewig leben. Und es muß sichergestellt sein, daß auch dann jemand mit Vernunft und Stärke über das Land herrscht.“*
„Nun“, sprach Pwyll, „bedenkt doch, daß Rhiannon und ich noch gar nicht so lange miteinander, und was nicht ist, kann noch werden. Gebt mir noch ein Jahr. Dann wollen wir wieder zusammenkommen. Dann will ich wieder euren Rat suchen.“ So setzten sie eine Freist, aber ehe das Jahr um war, gebar Rhiannon in Arberth einen Sohn. In der Nacht der Geburt kamen Frauen in die Kammer, um nach der Mutter und dem Kind zu schauen, und Rhiannon schlief tief und fest. Sechs Frauen wachten in der Kammer, aber ehe es Mitternacht war, schliefen auch sie alle und wachten erst bei Morgengrauen wieder auf.
Als sie nun die Augen aufschlugen und sich umblickten, war nirgends eine Spur des Neugeborenen. Es schien verschwunden.* „O weh! Der Junge ist verloren!“ rief eine Frau. O weh!, rief eine andere, „gewiß wird man uns wegen unserer Unachtsamkeit bestrafen.“ „Gibt es denn für uns keine Hoffnung?“ „Doch…doch hört, ich habe einen guten Plan.“ Und der wäre?“ fragten die anderen. „Es gibt einen Rehpinscher hier, und die Hündin hat Junge. Wir werden einige davon töten und Rhiannons Hände und ihr Gesicht heimlich mit Blut beschmieren, damit es so aussieht, als habe sie ihr eigenes Kind umgebracht. Wenn es hart auf hart kommt, steht ihr Wort gegen das von uns sechs.“ Alle stimmten zu, diesen Plan in die Tat umzusetzen. Und als es hell wurde, erwachte Rhiannon und fragte: „Frauen, wo ist mein Kind?“ „Liebe Herrin“, antworteten sie, „uns darf man nach dem Kind nicht fragen. Wir sind voller Beulen und Kratzer, so hat man uns zugesetzt. Noch nie zuvor haben wir es mit einer Wöchnerin zu tun gehabt, die solche Kräfte hatte. Aber es war alles umsonst.“ „Was soll das heißen“, sagte Rhiannon, „ihr armen Seelen: bei Gott dem Herrn, der um alle Dinge weiß, redet nicht falsch Zeugnis wider mich. Gott weiß, daß ihr die Unwahrheit sprecht. Wenn ihr Angst habt, so sagt es. Ich werde euch schützen.“ „Gott weiß, daß wir nie darauf kämen, die Unwahrheit zu sprechen“, erwiderten die Frauen heuchlerisch. „“Ihr armen Seelen…euch wird man keinen Vorwurf machen. Dafür verbürge ich mich!“ Aber wie eifrig sie auch den Frauen zuredete, sie blieben bei ihrer Behauptung, Rhiannon habe ihren eigen Sohn umgebracht, trotz aller Anstrengungen hätten sie sie nicht daran hindern können.

Um diese Zeit stand Pwyll auf, und der Vorfall blieb vor ihm nicht geheim. Die Geschichte sprach sich im Land herum. Die Edlen und Ritter hörten davon. Sie versammelten sich, schickten Boten zu Pwyll und verlangten von ihm, sich von seiner unmenschlichen Frau zu trennen. Pwyll ließ ihnen antworten: „Ihr habt keinen Anlaß, dies von mir zu verlangen, es sei denn, meine Ehe bliebe kinderlos. Aber da mein Weib ein Kind geboren hat, will ich nicht von ihr lassen. Hat sie Böses getan, so soll sie dafür bestraft werden.“ Rhiannon rief Lehrer und weise Männer und befragte sie, aber auch diese vermochten das Verschwinden des Kindes nicht aufzuklären. Da sie es überdrüssig war, weiter mit den Weibern, die bei ihr gewacht hatten, zu streiten, verbüßte sie eine Strafe. Sie mußte sieben Jahre auf dem Hof von Arberth bleiben und jeden Morgen auf dem Stein sitzen, an dem man die Pferde anband; und jedem, der es nicht schon wusste, mußte sie erzählen, was geschehen war. Auch mußte sie Fremden und Besuchern anbieten, sie auf ihrem Rücken in den Hof hinein zu tragen. Es kam allerdings selten vor, daß jemand von diesem Angebot Gebrauch machte. Ein Jahr verging.* Um diese Zeit war der Herr-Unter-Den Wäldern in Gwent Teirnon Twrvliant, der beste Mann auf der irdischen Welt. Teirnon aber besaß eine Stute in seinem Haus, und es war das schönste Pferd im ganzen Reich. In jeder Walburgisnacht fohlte sie, aber nie bekam das Fohlen zu Gesicht. Immer schleppte es jemand fort. Eines Abends sprach Teirnon zu seinem Weib: „Frau, was sind wir doch für Narren. Jedes Jahr verlieren wir das Fohlen, das das Tier wirft.“ „Aber was lässt sich da tun?“ „Heute ist Walpurgisnacht“, sagte Teirnon, „Gott soll es an mir rächen, wenn ich nicht herausfinde, was mit dem Fohlen geschieht.“ Also ließ er die Stute hereinbringen, während er sich bewaffnete, und darauf hielt er bei ihr Wache.
Als es Nacht wurde, fohlte die Stute und brachte ein großes Fohlen ohne Fehl zur Welt. Teirnon fiel auf, wie groß das Tier war, aber als er sich aufrichtete, vernahm er einen fürchterlichen Lärm. Eine gewaltige Klaue griff durch das Fenster und packte das Fohlen. Teirnon zog sein Schwert und hieb dem, der das Tier offensichtlich stehlen wollte, den Arm bis zum Ellenbogen ab, so daß das Fohlen und ein Teil des Armes zurück ins Zimmer fielen.
Wieder erhob sich ein großer Lärm, und zugleich hörte er einen Schrei. Er stieß die Tür auf und sprang in Richtung auf das Geräusch hin, aber die Nacht war stockdunkel, so daß er nichts zu erkennen vermochte. Er wollte weiterlaufen und das Diebesgesindel verfolgen, als er sich daran erinnerte, daß er die Tür aufgelassen hatte, und als er deswegen umkehrte, fand er auf der Schwelle einen kleinen Jungen in lose Tücher und seidenen Mantel gehüllt. Teirnon nahm das Kind und stellte fest, daß es für sein Alter recht kräftig war. Er schloß die Haustür und ging zur Kammer seiner Frau. „Weib, schläfst du?“
„Nein, Herr. Ich habe geschlafen, aber als du hereinkamst, bin ich aufgewacht.“ „Hier ist ein Kind für dich, wenn du es annehmen magst, denn wir hatten ja nie eines.“ „Herr, was ist das für eine Geschichte“, sagte sie, und er erzählte, was er erlebt hatte.* „Sieh nur, in was für feines Tuch der Junge eingehüllt ist.“ „In einen Mantel aus Seide!“ „Dann muß es der Sohn reicher Leute sein, Herr. Und vielleicht wächst uns daraus Trost und Freude. Ich will ein paar Frauen ins Vertrauen ziehen. Wir werden sagen, ich sei schwanger gewesen.“ „Tu, wie du meinst“, sagte Teirnon. Der Junge wurde getauft, so wies damals üblich war, und er erhielt den Namen Gwri Goldhaar, weil sein Haupthaar die Farbe von Gold hatte. Er wurde aufgezogen am Hof. Ehe er ein Jahr alt war, konnte er schon laufen und war so kräftig wie ein gesunder Dreijähriger. Am Ende des zweiten Jahres war er so groß wie ein sechsjähriger Junge, und als er vier war, stritt er sich mit dem Stalljungen darum, wer von beiden das Wasser für die Pferde holen solle. „Herr“, sprach Teirnons Weib, „wo ist das Fohlen, das in jener Nacht zur Welt kam, als du den Jungen gefunden hast?“

„Ich habe es dem Stallburschen zur Pflege übergeben“, antwortete Teirnon. „Wäre es nicht gut, wenn man es zureiten und dem Jungen geben würde, den wir in der Nacht, als das Fohlen zur Welt kam, auf der Türschwelle fanden?“ „Das ist ein guter Vorschlag. Er soll das Pferd bekommen.“
So erhielt der Junge das Pferd, und Teirnons Frau ging zu den Stallburschen und Kutschern und hieß diese das Pferd zureiten. Unterdessen hatten sie von Rhiannons Missgeschick und ihrer Bestrafung gehört, und da er Mitleid empfand, dachte Teirnon über all das nach und betrachtete das Kind, das sie gefunden hatten, genau. Da fiel ihm auf, daß der Junge Pwyll erstaunlich ähnlich sah. Pwylls Aussehen war Teirnon wohlbekannt, denn er war einer seiner Ritter gewesen. Darauf überkam Teirnon große Furcht. Er sagte sich, es sei ungerecht, ein Kind zu behalten, das eines anderen Mannes Sohne sei. Als sie allein waren, sprach er mit seiner Frau darüber, und sie war es, die ihm riet, Gwri zu Pwyll zu schicken.„Wir können nur gewinnen dabei“, meinte die Frau, „nämlich auf dreifache Weise: Segen, weil wir Rhiannon von ihrer ungerechten Strafe erlösen. Dank von Pwyll, der sich freuen wird, nun doch einen Sohn zu haben und Dank auch von dem Jungen selbst. Und wenn er einmal groß ist, wer weiß, vielleicht kehrt er dann zu uns als Ziehsohn zurück.“ Also beschlossen sie, den Jungen zurückzugeben. Am nächsten Tag schon ritt Teirnon mit drei Gefährten und dem Jungen nach Arberth. Als sie den Hof erreichten, sahen sie Rhiannon, die auf dem Schandstein saß,und als sie nahe herankamen, redete sie sie an: „Häuptling, kommt, wenn Ihr wollt, werde ich Euch in den Hof tragen. Dies ist als Strafe über mich verhängt, weil ich angeblich meinen eigenen Sohn umgebracht habe.“ „Liebe Frau“, antwortete Teirnon, „keiner von uns will sich von Euch tragen lassen.“
„Mag sich tragen lassen, wer will. Ich jedenfalls nicht“, rief der Junge. Als sie in den Hof kamen, war große Freude über ihren Besuch. Ein Fest wurde ausgerichtet. Pwyll selbst war gerade von einem Rundritt von Dyved zurückgenommen. Alle wuschen sich vor dem Mahl. Pwyll war froh, Teirnon einmal wiederzusehen. Nach dem ersten Gang es Essens begannen sie zu schwatzen und zu zechen, und Teirnon erzählte seine Geschichte von der Stute und dem Kind, und wie er dieses seiner Frau in Obhut gegeben hatte. Und dann sprach er zu Rhiannon: „Liebe Frau, seht dort, das ist Euer Sohn, und wer anderes behauptet, der hat wahrlich gelogen. Als ich von Eurem Kummer hörte, ergriff mich Furcht. Ich denke, keiner hier am Tisch wird bestreiten wollen, daß dieser Junge Pwylls Sohn ist.“ „Nach dem was wir gehört haben, steht das außer Zweifel“, sagten alle. „Zwischen mir und Gott“, sagte Rhiannon, „welche Last wäre von mir genommen, wenn das was wir gehört haben, wahr wäre.“ „Frau, Ihr habt Euren Sohn recht benannt“, sprach Pwyll, „Pryderi ist ein Name, der zu ihm paßt.“ Rhiannon antwortete: „Fragt ihn, ob ihm nicht sein jetziger Name besser gefällt.“ „Wie wird er denn gerufen?“ fragte Pwyll. „Wir rufen ihn Gwri Goldhaar.“
„Dann soll sein Name doch Pryderi sein“, sagte Pwyll, „denn er paßt zu ihm und zu dem, was seine Mutter sagte, als sie die gute Nachricht empfing. Und weiter sprach Pwyll: „Dir Gottes Dank, Teirnon, daß du den Jungen die ganze Zeit über großgezogen hast. Wenn aus ihm ein guter Mann wird, so ist das auch dein Verdienst.“ „Herr, meine Frau, hat den Jungen großgezogen, und niemand grämt sich mehr über den Verlust, den wir nun erleiden, als sie. Um ihretwillen soll er daran denken, was wir für ihn getan haben.“ „Zwischen mir und Gott“, sagte Pwyll, „ich will für euch beide sorgen, so lange ich lebe, und wenn meine Ritter einverstanden sind, so soll Pryderi zu Penderan Dyved geschickt werden und bei diesem als Ziehsohn aufwachsen.“ Damit waren alle einverstanden, und so geschah es . Pryderi, Sohn von Pwyll, wurde mit Sorgfalt erzogen, wie es recht ist. Er war ein hübscher Bursche und war auf jedem Fest des Königreiches zu sehen.
Die Jahre vergingen. Pwylls Leben neigte sich dem Ende entgegen, und schließlich starb er. Pryderi regierte die sieben Cantrevs von Dyved mit Geschick. Alle mochten ihn gern. Er eroberte drei Cantrevs von Ystead Tywi und fügte sie seinem Königreich hinzu, und bald darauf nahm er auch die vier Cantrevs von Keridgyawn in Besitz. Er focht im Feld, bis es Zeit wurde, ein Weib zu nehmen.Dann heiratete er Kigva, die Tochter der Gwynn. Und damit endet der erste Zweig der Mabinogi.

 
Märchen des Wales von Mabinogion

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