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Märchen vom Ritter ohne Ross

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Es war einmal ein aufgeweckter Jüngling, der hieß Rai und wohnte mit seinen Eltern in einem Dorf, wo sich Hase und Igel gute Nacht sagen. Er liebte sein zu Hause, aber mit der Zeit hatte er es satt, jeden Tag die gleichen Arbeiten zu machen und nur mit denselben wenigen Dorfbewohnern zu reden. Er war so neugierig auf das Leben in der fernen Welt! Deshalb füllte er eines Tages seine Tasche mit Brot, Käse, Streichhölzern und einem Messer, verabschiedete sich von seinen Eltern und zog ins weite Land hinaus.

Rai hatte auf seiner Reise schon viele Gefahren überwunden, da stand er mitten in der herrlichsten Sommerzeit vor dem hell in der Sonne leuchtenden Schloss des Königs. Von weißen Zinnen herab flatterten lustig bunte Wimpel. Ab und an wehte der Wind Flöten- und Geigentöne zu ihm herüber. Rai war wie geblendet vor Entzücken und sagte zu sich: „Da muss ich unbedingt hinein!“

Er begehrte höflich Einlass, doch die Wächter wiesen ihn ab: Hemd und Hose hatten inzwischen gelitten und aus den schief getretenen Schuhen lugte ein Zeh heraus.
„Zu uns kommst du nicht herein, du Taugenichts!“, riefen sie.
„Bitte, lasst mich ein, ich will als Knappe dienen und der beste Ritter im ganzen Königreich werden“, bat Rai mehrmals. Die Wachen gröhlten vor Lachen:

„Ha, ha, ha,
Du kleiner Wicht
wirst nie ein edler Ritter nicht!“

Wie sie so vor dem Schlosstor ihre derben Scherze mit dem armen Kerl trieben, ritt gerade ein stolzer Ritter auf einem weißen Ross vorbei und betrachtete mit halbem Aug und Ohr das Geschehen. „He, ihr,“ rief er dann den Wächtern zu, „gebt mir den Burschen mit, ich brauche einen neuen Knappen!“
Brummend ließen die raubeinigen Gesellen den Habenichts durch. Der rannte freudestrahlend dem Ritter hinterher und schwor, der zweitbeste Ritter des ganzen Königreiches zu werden.

Der Ritter mit dem weißen Ross gewann im Laufe der Zeit seinen Knappen lieb, denn dieser war mutig und geschickt, auch lernte er schnell die höfischen Umgangsformen. So brachte ihm der Meister gerne all das edle Handwerk bei, das ein guter Ritter braucht im Kampf für seinen König und seine Königin. Er ließ ihn an seiner Seite in Schlachten fechten, wusste ihn einerseits von den Mägdelein fern zu halten und andererseits im Minnegesang zu unterrichten. Wie ein Vater freute er sich über Rais Siege in Turnierkämpfen.

Schließlich kam der Tag, da der König den jungen, noch übermütigen Rai zum Ritter Schwarzross schlug. Der weiße Ritter schenkte Rai zu diesem Anlass ein edles schwarzes Pferd und sagte: „ Diesen Rappen gebe ich in deine Obhut. Pflege ihn gut und er wird dich tragen, wohin du willst.“ War das eine Freude!

„In viele Schlachten will ich reiten,
tapfer mit den andern streiten,
mutig stets der Beste sein,
und mein liebes Ross betreun“,

sang der frischgebackene Ritter auf seinem Rappen vor sich hin, während er über die grünen Wiesen trabte, die das anmutig gelegene Schloss umgaben. Und was er sang, das tat er auch, schlug sich tapfer in Turnieren und vielen Kämpfen, schlief im Stroh bei seinem Pferd, striegelte es liebevoll und schüttete immer den besten Hafer in dessen Futterkrippe.

Nun begab es sich aber, dass den Ritter mit dem weißen Ross ein böses Geschick ereilte und er in einem fernen Lande zu Tode kam. Wie trauerte bei dieser Nachricht Ritter Schwarzross um seinen Lehrmeister! Er lehnte sich an seinen Rappen und weinte bitterlich.

Nachdem etwas Zeit vergangen war, entschied der grauhaarige König, dass Ritter Schwarzross die Stelle des Verstorbenen bei Hofe einnehmen solle. Der König sagte dies dem Ritter, als das Königspaar mit einigen seiner Gefolgsleute im Schlossgarten wandelte und sich daran ergötzte, wie die wendigen Hunde zwischen den Bäumen spielten. Da hüpfte ein Rotkehlchen auf dem Ast, unter dem der Ritter stand, aufgeregt hin und her und zwitscherte laut:

„Tu’s nicht, tu’s nicht,
der weiße Ritter bist du nicht!“

„Sei still, du dummer kleiner Vogel,“ lachte Ritter Schwarzross, „ich tu’s doch, denn ich bin der beste von all den Rittern hier!“

So wurden zur Feier des Tages auf dem Schlosshof und im Schlossgarten Tische und Bänke für das Volk aufgestellt, Hirschbraten über dem Feuer gegart, Fische geräuchert, dass es nur so duftete; die Fiedler fiedelten und die Trommler trommelten; Männer und Frauen, Jungen und Mädchen sangen, juchzten und tanzten und der Wein floss in Strömen und alle schwärmten noch einen ganzen Monat von dem wundervollen Fest.

Auch dem Ritter Schwarzross hatte das ungewohnte Fest gut gefallen.
Einige Zeit nach diesem Feiertag raunte ihm der listige Hofmarschall des Königs zu: „Edler Herr Ritter Schwarzross, lasst uns doch morgen wieder so lustig sein! Erst feiern wir, dann erledigen wir die Staatsgeschäfte!“ Noch ehe Ritter Schwarzross antworten konnte, hüpfte ein Rotkehlchen auf das Zaumzeug seines Rappen und zwitscherte laut:

„Tu’s nicht, tu’s nicht,
der weiße Ritter bist du nicht!“

„Papperlapapp,“ dachte Ritter Schwarzross, ich werde mir doch von so einem Piepmatz keine Vorschriften machen lassen. Laut sagte er: „Das ist eine gute Idee, Herr Hofmarschall, organisiert nur alles Notwendige!“ Dieser lud also die höhergestellten Hofleute ein. Die anderen Ritter, die Hofdamen und Hofherren kamen gerne zum Feiern. Sie lobten den Gastgeber über alle Maßen, seine Kraft und Geschicklichkeit, seine Großzügigkeit und Weitsicht.

Dem König fiel auf, dass sein bester Ritter immer mehr Zeit bei Gelagen verbrachte und seinen edlen Rappen vernachlässigte. Auf seine Vorhaltungen erwiderte Ritter Schwarzross: „Mein hoher Gebieter, solche niederen Arbeiten im Stall geziemen sich jetzt nicht mehr für mich.“ Der König schaute ihn sorgenvoll an und wiegte bedenklich den Kopf.

Eines Tages sprach Ritter Schwarzross zu seinem Vorgesetzten: „Eure Majestät, lasst uns losreiten! Das Volk der Zopfträger will in unser Land einfallen! Erlaubt, dass wir ihnen zuvor kommen und ihnen ihre Schätze wegnehmen!“ Aber der grauhaarige König schaute dem Ritter Schwarzross lange in die Augen, bis dieser den Blick senkte und wütend davon ging.

Nicht nur der König, auch die Hofleute bemerkten, dass dem Ritter Schwarzross langsam die Taler ausgingen. Der hatte nicht nur am Trinken, sondern auch am Würfelspiel besonderen Gefallen gefunden. Eines Nachts wollte er unbedingt einen anderen Ritter, den er nicht mochte, niederwürfeln. Das Glück war ihm aber nicht hold. Er spielte um seine Rüstung. Er verlor sie. Er würfelte um sein Schwert. Er verlor es. Da vernahm er von draußen ein Schnauben seines edlen Rosses, drehte sich zu ihm um und hörte, wie es wieherte:

„ Ritter mein,
lass das sein!
Füttre mich,
sonst reut es dich.“

Der Ritter antwortete grob:

“Dummer Gaul,
halt dein Maul!“

Das Ross bat erneut:

„Ritter mein,
lass das sein!
Füttre mich,
sonst reut es dich.“

Aber Ritter Schwarzross zeigte ihm den Rücken und spielte weiter.
Sein liebes schwarzes Pferd wieherte draußen immer eindringlicher:

„Ritter mein,
lass das sein!
Füttre mich,
sonst reut es dich.“

Der Ritter verschloss Herz und Ohren und würfelte weiter unter dem trunkenen Gejubel der Hofleute. Er verlor seine letztes Hab und Gut, seinen Rappen.

Plötzlich war von ferne ein Wetterleuchten zu sehen und ein Donnergrollen zu hören, das immer lauter wurde und im Lichte zuckender Blitze starrten die zu Tode erschreckten Hofleute auf das edle schwarze Ross, wie es sich bei den lauten Donnerschlägen hoch aufbäumte, umwandte und mit wehender Mähne in die Ferne galoppierte. Neben dem verklingenden Hufgetrappel vernahmen sie eine von weither kommende monotone Stimme:

„Ritter Schwarzross, ohne Ross
hast nur ein Gespensterschloss.
Im kühlen grünen Moosberglein
musst du spuken ganz allein,
bis ein reiner Mensch dich findet dort
an diesem dunklen, feuchten Ort.“

Mit dem letzten Donnerschlag ward Ritter Schwarzross in eine weiße, unförmige, gespensterhafte Erscheinung verwandelt und den Blicken der entsetzten Anwesenden enthoben.

Nun musste der ehemalige Ritter Schwarzross zu Fuß und ohne Rüstung als Gespenst in einem grünen Moosberglein mitten im Walde hausen. Mühsam gewöhnte er sich an seine neue Bleibe. Nur des Nachts durfte er etwas umher schweifen. Wollte er sich einem der seltenen nächtlichen Wanderer nähern, so riss dieser stets vor dem fürchterlich aussehenden Wesen aus der Schattenwelt aus. „Keine Angst, ich bin doch nur Rai, der Ritter ohne Ross!“ versuchte es dann zu rufen, aber kein Wanderer verstand jemals diese Worte.

Mit der Zeit wurde das Gespenst des Ritters ohne Ross sehr griesgrämig, denn so alleine vermisste es Gesellschaft und Unterhaltung. Wegen der Worte „…bis ein reiner Mensch dich findet dort…“ hatte es die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Würde dann auch sein Rappe wieder zu ihm zurück kommen? Aber wer oder was ist eine reiner Mensch? Wer sich abends die Füße wäscht und die Zähne putzt? Oder wer seine Seele nicht befleckt? Bei solchen Gedanken wurde dem armen Gespenst ganz wirr im Kopf, es spukte dann nachts besonders heftig durch den dunklen Wald und dachte sich manchen Schabernack für einsame Wanderer aus.

Aber in den Vollmondnächten tanzte es über die Lichtungen, unterhielt sich mit Waldkauz, Wildschweinen und dem Mann im Mond. Es schwebte über den Weiher zum anderen Ufer und wartete und wartete.

Dann endlich kam eine Nacht, da goss der Vollmond sein Licht fast taghell auf die Waldwege. Es war still in dieser Nacht, der Wind schlief. Kein Lebewesen schien unterwegs zu sein.
Wie sich das Gespenst langsam zwischen den Bäumen hindurch wand und die Wege nach einem Menschen absuchte, erblickte es auf einmal eine kleine, schlanke Gestalt, die sich zögernd vorwärts bewegte. Sie lief auch gar nicht weg, als der Geist um sie herum wedelte und bemerkte, dass sie ein Mädchen war, denn sie hielt, ganz in sich gekehrt, die Augen gesenkt. Der Spukgeist grüßte freundlich. Er fragte das Kind: „Was machst du hier so alleine, nachts im Wald?“, und erhielt ein gemurmeltes: „Das weiß ich auch nicht genau“ zur Antwort. Da fügte er hinzu: “Erschrick bitte nicht vor mir, auch wenn ich ein Gespenst bin.“ Bei diesen Worten erhob das Mägdelein seine Augen und erwiderte: „Ihr solltet mich nicht so veralbern, Herr Ritter, Ihr seid doch kein Gespenst!“ Und was soll ich Euch sagen – da stand der Ritter Rai als leibhaftiger Mensch im Mondenschein auf dem Waldweg, schaute staunend an sich herunter, dann in des Mädchens klare Augen, zwickte sich in den Handrücken und berührte sehr vorsichtig die warme Hand des jungen Mädchens – er war in diesem Augenblick der glücklichste Mensch unter dem hohen, weiten Sternenhimmel.

Seinen edlen Rappen aber hat er nie wieder gesehen.

Quelle: Sternenschimmer mit Hilfe von bambu, Lihring und Traumzeit

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