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Ein Graf war im Maurenkrieg in Gefangenschaft geraten. Man brachte ihn zum König, damit dieser mit ihm tat, was ihm beliebte. Der König hatte drei Töchter, die alle sehr schön waren, und die baten den Vater, er möge den Gefangenen im Schloß lassen, bis man ihn freikaufen würde. Das älteste Mädchen suchte den Grafen auf und sagte ihm, daß sie ihn heiraten würde, wenn er sie irgendetwas lehrte, was sie nicht wüßte. Der Gefangene entgegnete: »Dann lehre ich dich meine Religion, und du kommst mit mir in mein Reich und wir heiraten.« Das wollte sie aber nicht. Das gleiche geschah auch mit der zweiten Tochter. Schließlich kam das jüngste Mädchen. Sie wollte die Religion erlernen, und sie vereinbarten, aus dem Schloß zu fliehen, ohne daß der König etwas erführe. Da sagte sie: »Geh in den Pferdestall, da wirst du ein prächtiges siebenfarbiges Pferd finden, das so schnell läuft wie der Wind. Warte auf mich nachts im Hof, und dann gehen wir beide fort.« So geschah es. Die Prinzessin erschien in ihren Maurenkleidern mit vielen Juwelen, und beim ersten Wort, das sie sagte, begab sich das siebenfarbige Pferd in die Nähe der Stadt, in der der gefangene Graf beheimatet war. Vor der Stadt gab es ein grosses, sandiges Gelände. Der Graf stieg vom Pferd und sagte der Maurenprinzessin, sie solle dort auf ihn warten, während er in seinem Palast geeignete Kleider holte, um bei Hofe zu erscheinen, denn er trug immer noch die Gefangenen- und sie die Maurenkleider. Sobald die Prinzessin das vernahm, brach sie in heftige Tränen aus: »Um alles in der Welt, laß mich nicht hier zurück, denn du wirst mich vergessen!« »Wie sollte das geschehen?« »Sobald du dich von mir trennst, und irgend jemand dich umarmt, wirst du mich auf der Stelle gänzlich vergessen.« Der Graf versprach, daß er sich von niemandem umarmen lassen würde, und ging fort. Sobald er jedoch in den Palast kam, erkannte ihn seine Amme, und voller Freude ging sie auf ihn zu und umarmte ihn von hinten. Mehr war nicht vonnöten; niemals mehr konnte er sich an die Prinzessin erinnern. Sie war auf dem Sandgelände geblieben und ging auf eine Hütte zu, wo eine arme Frau lebte, die sie aufnahm und gut behandelte. Dort hörte sie, daß der Graf im Begriff war, eine schöne Prinzessin zu heiraten, und am Vorabend der Hochzeit bat die Maurin den Sohn der Alten, er möge das siebenfarbige Pferd auf dem Platz vor der Kirche spazierenführen, in der sie heiraten sollten. So geschah es. Als der Bräutigam mit dem Gefolge kam, staunte er, ein so schönes Pferd zu sehen und wollte es von nahem sehen. Der Junge, der es spazierenführte, sagte dabei:
Geh, Pferdchen, geh!
Und vergiß nicht zu gehen,
so wie der Graf die Maurin
im Sande vergaß.
Sogleich erinnerte sich da der Graf des Schicksals, das über ihn verhängt worden war, er löste die Vermählung mit der Prinzessin und suchte die Maurin, mit der er sich verheiratete, und sie waren sehr glücklich miteinander.
[Portugal: T. Braga: Contos tradicionaes do povo portuguez]