Letzterer mußte Barbara nicht gesehen haben, da sie sich ganz heimlich zu ihrem Lieblingsorte geschlichen hatte. Was sollte sie nun anfangen! Manche andere würde sich entsetzt haben, eine Nacht in der dunklen Kirche zuzubringen, wo nur die ewige Lampe brannte und rings umher wunderbare Gestalten und Bilder standen. Aber Barbara war nicht furchtsam und verzärtelt wie die Kinder glücklicher Eltern, es oft sind. Ich will die Nacht hier schlafen, sagte sie ruhig vor sich hin, ich wußte ja doch nicht, wo ich bleiben sollte, es ist besser hier als unter freiem Himmel. Und als sie das gesagt hatte, tappte sie nach der heiligen Barbara zurück, legte sich auf die Stufen ihres Altares nieder und ihren Bündel unter den Kopf. Sie wollte ja einschlafen; der Decken bedurfte sie nicht, denn es war eine laue Sommernacht. „Heilige Mutter Gottes! Heilige Barbara, bitt’ für mich!“ betete sie noch einmal fromm und innig und schlief ein, als wenn sie auf Rosen gebettet und ein Daunenkissen unter ihrem Kopf gelegen hätte. Ihr träumte, sie wäre weit weg von Xanthen, vom Dome, von Rüters Viktor, ihrem Jugendgespielen, der heiligen Barbara und allem was ihr lieb, in einer großen, großen Wüste, wo nichts als Sand und Hitze und kein Wasser und keine Menschen waren. Sie verschmachtete fast vor Durst und hatte Sehnsucht und Heimweh nach dem Orte, wo sie geboren war, da ward sie so traurig, daß sie laut weinte und erwachte. Aber o Himmel! was war das? und wie erschrak sie, als sie die Augen aufschlug und sich von einem wunderbaren Lichte umflossen sah. Mitten in dem Lichte stand eine Frau von so wunderbarer Schönheit, daß Barbara fast geblendet ward, denn ihre Augen leuchteten wie die Sonne, und von ihren Schultern fiel ein langer Wolkenmantel nieder. Sie trug ein Diadem mit von Sternen und eine Krone, die war rot und golden wie das Abendrot. Mit der Linken hielt sie den Mantel, und in der rechten einen Rosenkranz von Steinen, die wie Diamanten und Rubinen glänzten, und Lilie, welche weiß war wie der Schnee. „Aber, wer bist Du?“ fragte Barbara, „habe Erbarmen mit mir, ich kann Deinen Glanz nicht ertragen, denn ich bin nur eine arme Waise, die heute von bösen Leuten aus dem Dienst geschickt ist, und noch nie habe ich so Vornehmes gesehen, als wie Du bist.“ „Ich bin Barbara, Deine Schutzpatronin, welche über Dich und alle wacht, die sich in meinen Schutz begeben.“ „Barbara! heilige Barbara!“ rief das erschreckte Mädchen, außer sich vor Freude, „bist Du von Deinem Himmel zu mir herabgekommen? Ach wie danke ich Dir! Nun will ich gern noch einmal so viel leiden als bisher, da meine Augen Dich in Deinem Glanze gesehen haben!“ „Ich bin gekommen Dir zu helfen“, entgegnete die heilige Barbara, „nimm diese Lilie und diesen Rosenkranz, die eine trage auf Deinem Herzen und bewahre Sie als die heiligste Reliquie bis ans Ende Deines Lebens. Wenn dann Deine Augen matt werden und Du von der Erde scheiden mußt, dann erscheine ich wieder, um die Lilie zurückzufordern
und als Lohn, wenn Du sie treu bewahrst, Dich zu mir in den Himmel aufzunehmen.“ Als sie das gesagt hatte, verschwand sie. Barbara fühlte sich umweht von einem leisen frischen Winde; der Rosenkranz hing schon an ihrem Halse, die Lilie ruhte schon auf ihrem Herzen, die aussah wie eine wirkliche Lilie, aber viel schöner duftete und welk werden konnte, wenn sie sie auf ihrem Herzen verlor. Sie war glücklich über diese Schätze und darüber, daß ihr die heilige Barbara erschienen war, daß sie ihr großes Unglück vergaß und innerlich froh und vergnügt ward. Sie setzte sich wieder auf die Marmorstufen nieder und überdachte alles das, was ihre Schutzpatronin gesagt hatte, denn schlafen konnte sie nicht mehr, auch war es schon weit in der Nacht, und durch die hohen bunt gemalten Fenster graute der Tag. Als sie noch eine Weile gesessen hatte und es heller ward, da rasselte es mit Schlüsseln vorn am Haupteingang; der Küster trat ein, um die Frühmesse anzuläuten. Barbara schlich sich leise hinaus, küßte draußen die Schwelle, des heiligen Gotteshauses und eilte die Straße hinab. Sie kam beim Hause der bösen Leute vorbei, welche sie verstoßen hatte – Grüß’ Euch Gott, sagte sie, sich gegen das verschlossene Haus wendend, ich vergebe Euch alles, was Ihr mir gethan habt. Aber als sie um die Ecke bog, wo Rüters wohnten, die ihr immer gut und freundlich gewesen, dort alles verschlossen war, und auch Viktor noch im sanften Schlummer ruhte, ohne zu ahnen, was ihr begegnet war, flossen heiße Thränen aus ihren Augen. Wie gern hätte sie ihn noch einmal gesehen, um ihm zu danken für alle Freundschaft und alles Gute, was er ihr erzeigt hatte.
Sie ging zum Rheine hin, denn sie wollte sehen, ob nicht da ein mitleidiger Schiffer sie nach dem jenseitigen Ufer hinübersetzen könne. Die Sonne brannte, und als sie ankam, waren alle Schiffer und Nachen fort, und nur der große Fahrkahn lag noch da, dessen Fährmann aber rau und hart war und sie nicht ohne Geld hinübersetzen wollte. Sie mußte warten bis zum Abend, wo die kleinen Nachen und die anderen Schiffer wieder herunterruderten. Es war heiß und Barbara müde und hungrig. Sie suchte eine schattige Stelle am Ufer, wo es kühl und einsam war und Brombeeren die Fülle wuchsen. Diese aß sie; dann setzte sie sich dicht ans Ufer und sah in den klaren Rhein hinab. Sie stützte ihre Hand unter ihrem Kopf und überdachte alles, was sie in der vorigen Nacht gehört und gesehen hatte. Aber es währte nicht lange, so schlief sie vor Müdigkeit ein. Sie hatte aber nicht daran gedacht, daß sie einschlafen würde, und sich zu nahe ans Wasser gesetzt.
Das machte sich der Rheinkönig zu Nutzen, der immer in der Mittagstunde, wenn alles still ist, aus dem Wasser hervorguckt, um nach Beute zu spähen. Als er nun Barbara da liegen sah, die im Schlafe leicht mit der Linken ihr Herz, mit der rechten die Perlenschnur gefaßt hielt und so selig lächelte wie in der letzten Nacht, wo ihr die heilige Barbara erschienen war, da zog er sie leise tiefer hinab, umfing sie sanft mit seinen langen Armen du trug sie zu den Tiefen des Rheines. Sie erwachte in einem Bette von Kristall, auf Kissen von Weinlaub und unter einer Decke von Moos. Weinlaub rankte sich um ihr Bett herum, mit Trauben behangen, die groß waren wie Nüsse und durchsichtig wie Glas.Der Fußboden war von Marmor, die Wände von Muscheln, die Fenster und Thüren, die Stühle und Tische von Kristall. Und vor ihrem Bette saß der Rheinkönig, eine riesige Gestalt, umhüllt von einem sandgelben Mantel von Muscheln, auf dem Haupte eine Krone von Bernstein, und in der Hand ein Szepter von Diamant. Mit der Linken hielt er das Szepter und mit der rechten die Hand von Barbara. „Fürchte Dich nicht, mein Kind“, sagte er zu ihr, als sie sich erschrocken und verwirrt umsah, „Du bist hier im Palaste des Rheinkönigs, wo Dir kein Leids geschehen soll, denn ich liebe Dich und alle meine Diener gehorchen Deinem Winke. Sieh Dich nur ordentlich um, siehst Du nicht die köstlichen Trauben? Die darfst Du in Fülle genießen. Mich dauert alles Leid, das Du ertragen mußtest; aber bei mir sollst Du ein anderes los haben, zu arbeiten brauchst gar nicht; und kostbare Kleider sollst Du tragen von den feinsten Muscheln und eine Krone von Bernstein und ein diamantenes Diadem.“ „Ach, du mein Gott“, erwiderte Barbara und sah sich verwundert nach all den Herrlichkeiten um, indem sie mit den Händen nach den dicken, saftigen Trauben griff. Was das hier glänzt und blüht! Solche Trauben habe ich noch niemals gesehen und solche kostbaren Muscheln und Steine!“ „Der Rosenkranz um Deinen Hals ist schöner und glänzender, als alle Steine meiner Krone“, sagte der Rheinkönig. „Gott verhüte auch, daß er mir jemals geraubt werde“, entgegnete Barbara ängstlich, „er ist mein einziger Schmuck, und ich liebe ihn so sehr, wie die schneeweiße Lilie, die mir auch meine Schutzpatronin gegeben hat.“ „Also eine seltsame Blume besitzest Du auch?“ fragte der Rheinkönig, „nun, die wirst Du mir doch schenken, denn ich liebe seltene Blumen, und die Lilien gedeihen auch in dem Garten meines Palastes. „Nicht wahr, mein Kind, die schenkst du mir zum Dank, daß ich Dich bei mir aufnahm und Dir ein Leben ohne Sorge und Mühe verspreche.“ „O, du mein Gott“, antwortete Barbara erschrocken, die schenke ich nicht um alle Schätze der Welt! Wie müßte ich mich schämen, wenn die heilige Barbara mir wieder erscheine und ich ihre Gaben leichtsinnig vergeudet um eines bequemeren Leben willens verschenkt hätte. Nein, dann will ich lieber in der ärmsten Hütte mein Brod mit Stricken und Nähen und Kinderverwahren zu verdienen suchen.“ „Du bist eine kleine Närrin“, sagte der Rheinkönig lachend, „von einer heiligen Barbara habe ich noch nie etwas gehört. Nun, ich hoffe Du wirst Dich besinnen, und nun trinke einmal mit mir, dieser perlende Wein wird Deinen ermattenden Gliedern wohl thun.“ Und er nahm einen kristallenen Pokal mit funkenden Steinen, zerdrückte eine Traube darin und reichte ihn Barbara. Diese setzte sich aber betrübt in eine Ecke auf einen gläsernen Stuhl und wollte nicht trinken,, denn sie achtete nicht mehr auf die Herrlichkeiten ringsum, seit sie gehört hatte, daß ihr ihre Lilie und ihr Rosenkranz geraubt werden sollten. Da läutete der Rheinkönig mit einer kostbaren Glocke, und eine Schar schöner Mädchen stürzte singend und tanzend zur Thür herein.
Sie trugen Kleider von Muscheln, einen Gürtel von Diamanten und auf dem Kopfe einen Kranz von Weinlaub und Rosen von Perlen. „Wie sitzt Du da in der Ecke und siehst traurig“, sagten sie zu Barbara, „schäme Dich, so zu weinen, um einer Lilie willen; wir alle hatten solche Kränze und Lilien, wie Du hast, als wir zum Palaste des Rheinkönigs hinab kamen, aber wir haben sie mit Freuden gegeben, da wir hier ein fröhliches Leben führen und nie mehr zur Welt da oben hinauf mögen.“„Das mag sein“, antwortete Barbara ernst und fest, ihre Thränen trocknend, „aber ich bleibe derheiligen Barbara treu bis ans Ende meines Lebens, wo ich ihr zurückgeben will, was sie mir anvertraute. Immer kann ich ohnehin nicht hier bleiben, und wäre es so schön wie im Himmel selbst, ich sehne mich zurück nach Xanthen und nach der Dame, denn da ist jemand, den ich liebe wie meinen Bruder, und der heißt Viktor.“ Als sie das gesagt hatte, stießen alle in ein lautes Lachen aus, schalten sie als eine, die nicht wisse, was sich schicke, und verhöhnten sie. Die arme Barbara wußte nicht, was sie vor Angst und Schrecken machen sollte, sie sah ängstlich nach ihrer Lilie und war getröstet, sie noch immer zu besitzen. Da stürzten drei der Nymphen herbei und fragten mit drohender Geberde: „Willst Du dem Rheinkönig Deine Lilie geben?“ Nimmermehr!“ antwortete Barbara, „ich bewahre sie der heiligen Barbara getreu bis ans Ende meines Lebens, und wenn Ihr mich auch in die Flut hinunter stürzen solltet.“ „Das wäre eine gelinde Strafe für Dich“, sagten sie. „Du sollst sieben Jahre in einer finstern Höhle sitzen, ganz unten im Palast, wohin weder Sonne noch Mond dringt, da magst Du Sitzen und an die heilige Barbara denken und Deine Thorheit beweinen.“ Nun schlug jede dreimal mit der Hand auf den kristallenen Tisch, da war alles finster wie die schwarze Nacht, und Barbara stand allein in einer Höhle, in welcher nichts als Wasserratten und anderes Ungeziefer zu sehen und zu hören war. Da saß sie nun lange, lange bewacht von einer uralten Hexe, die ihr täglich rohe Fische brachte, und dachte an den Dom und an die heilige Barbara und an Viktor, der ihr Nüsse und Aepfel gebracht, der ihr schöne Geschichten erzählt hatte. Und wie sie eines Tages wieder so saß, die Hand unter dem Kopfe, und nach der Blume ihres Herzens sah, da hörte sie ein leises Flüstern an einer Spalte der Höhle; es wurde immer lauter und lauter, bis sie zuletzt ganz deutlich „Barbara“ sagen hörte. Sie stand auf, legte das Ohr an die Spalte und fragte dann mit leiser Stimme, wer da sei. „Es ist Viktor, der Dich erretten will“, sagte es von außen herein, und darauf begann ein kräftiges Stoßen und Bohren, daß die erstaunte Barbara nicht wußte, was sie vor Verwunderung anfangen sollte. Endlich war ein großes Loch gebrochen, so daß sie hindurch konnte. „Komm getrost hervor“, sagte Viktor, „ich trage Dich durch die schäumenden Fluten, die heilige Barbara, Deine Schutzpatronin, befiehlt Dir’s.“Aber sie zitterte so sehr vor Freude, daß sie erst ein wenig warten und sich erholen mußte, denn sie sah das helle Tageslicht wieder und Viktor, der so groß und schön geworden war, daß sie ihn fast nicht mehr nicht wieder erkannte. Er kam jetzt zu ihr in die Eishöhle und erzählte, wie es in Xanthen seit ihrer Abreise ergangen und wie er zu ihrer Rettung gekommen ist. „Ich war so traurig, als Du fort warst“, sagte er, niemand wußte, wohin Du seiest, nur daß du am Abend vorher bei der heiligen Barbara gebetet hättest, das wußte man. Ich dachte immer an Dich, und als ich die Lehrzeit bei meinem Meister zu Ende hatte und als Geselle in die Welt reiste, um mir Arbeit zu suchen, da fragte ich überall, aber keiner wußte von Dir. Nun geschah es, daß ich zu Johannis nach Hause kam und nach der Vesper in den Dom ging. Ich kniete vor dem Altare Deiner Schutzpatronin nieder und betete, daß Gott mir die Gnade gebe, Dich endlich zu entdecken. Da sah ich mich plötzlich von einem wunderbaren Lichte umstrahlt, und als ich mich umsah, stand eine Frau, die schön war, wie die heilige Barbara selbst hinter mir. Erschrick nicht, Jüngling, sagte sie zu mir, ich komme Dir zu sagen, wo Deine Barbara geblieben ist. Der listige Rheinkönig hat sie hinabgetragen zu den Tiefen des Rheines, wo man ihr die Lilie und den Rosenkranz, welche ich ihr anvertraute, rauben wollte. Aber keine Lockungen des Bösen vermochten die Lilie von ihrem Herzen und den Rosenkranz von ihrem Hals zu reißen. Barbara blieb standhaft und dafür schmachtet sie in einerfinstern Höhle, wo sie von einer Hexe bewacht wird und wo Wasserratten ihre einzige Gesellschaft sind. Doch die Stunde ihrer Errettung hat geschlagen. Eile um die Mittagstunde zum Rhein, stürze Dich mutig hinein, wo er am tiefsten ist, Dein Leben wird Dich erhalten, denn ich begleite Dich hinab in die Tiefe, und die heilige Mutter Gottes sendet ihre Engel, daß sie Dir zur Seite stehen und Du mit Barbara zurückkehrst zu unserer und aller Guter Freude. Wenn Du Glauben hast, so eile hinab, und es soll Dir kein Haar gekrümmt werden.“ „Die Wunderbare war verschwunden“, sagte Viktor weiter, „aber ich zögerte nicht länger und stürzte mich hinunter. Da fand ich Dich, meine Barbara, meine liebe verlorene Barbara wieder, und er umarmte sie und küßte sie. Dann traten sie die Reise an durch die schäumenden Fluten. Es währte nicht lange, so waren sie am Ufer, denn die heilige Barbara beschützte und behütete sie, so daß sie unbeschadet hindurchgingen. O, wie glücklich waren sie, als sie das helle Tageslicht wieder sahen und den Fuß auf den heimatlichen Boden setzten.
Dann gingen sie in die Stadt und zuerst zum Dome hin, wo sie vor dem Altare der heiligen Barbara fromm die Hände falteten und ein Dankgebet für die erlangte Rettung hinaufschickten. Und nun ging Viktor nicht mehr in die Welt hinaus; er hatte ein nettes Sümmchen von seinem Vater geerbt und damit wollte er sich als Meister niederlassen. Barbara ward seine Hausfrau; sie liebten sich treu und lebten ans Ende ihres Lebens froh und vergnügt. Der Rosenkranz aber war verschwunden, und Barbara wußte nicht, wie es geschehen war, gleich wie die Jugend und Schönheit dahin gehen, ohne daß man es gewahrt; es geschah alles, wie es ihre Schutzpatronin gesagt hatte. Aber als sie nun alt waren und starben, da wuchs auf Viktors Grab ein grüner Palmbaum und auf Barbaras eine schneeweiße Lilie und niemand wußte, wer sie gepflanzt hatte.