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Die Zauberpferde

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Es lebte einmal ein alter Mann, der hatte drei Söhne. Der Jüngste von ihnen hieß Iwan der Narr. Der tat den ganzen Tag nichts anderes als auf dem Ofen zu liegen und in der Nase zu bohren. Eines Tages fühlte der Vater, daß es ans Sterben ginge, und sprach zu seinen Söhnen: „Liebe Kinder, wenn ich tot bin, schlafe ein jeder von euch eine Nacht an meinem Grabe. Da starb er und sie begruben ihn, es wurde Nacht, und der älteste Bruder, der die erste Nacht am Grab verbringen sollte, war zu faul und fürchtete sich wohl auch. Darum sagte er zu seinem jüngsten Bruder: „Iwan, du Narr, geh du doch an meiner Stelle zu Vaters Grab und schlafe dort. Du tust ja ohnehin nichts.“ Iwan der Narr nahm, was er für die Nacht brauchte, ging zum Grab und legte sich nieder. Um Mitternacht öffnete sich plötzlich das Grab, der Alte kam heraus und fragte: „Wer ist da? Bist du’s mein ältester Sohn?“ „Nein, Väterchen, ich bin es, Iwan der Narr.“ Da fragte der Alte: „Und warum ist nicht mein ältester Sohn gekommen?“ „Der hat mich geschickt, Väterchen.“ „Nun, das soll dein Schaden nicht sein“ Der Alte tat einen durchdringenden Pfiff und rief: „Braunes, graues, schwarzes Zauberpferd!“ Da jagte ein braunes Pferd heran, daß die Erde bebte. Aus seinen Augen sprühten Funken und seine Nüstern dampften. „Diene meinem Sohn, grad wie du mir gedient hast. Hier mein Sohn, hast du ein gutes Pferd.“ So sprach der Alte und legte sich wieder in sein Grab. Iwan der Narr streichelte den Braunfuchs, dann ließ er ihn laufen und ging allein nach Haus. Als er heimkehrte, fragten ihn die Brüder: „Na, Iwan, du Narr, hast du die Nacht gut verbracht?“ „Sehr gut, Brüder!“ Es kam die zweite Nacht. Der mittlere Bruder wollte auch nicht am Grab wachen und sprach: „Iwan, du Narr, geh du zum Grab des Vaters und wach dort für mich.“ Iwan der Narr, sagte kein Wort, suchte seine Sachen zusammen, ging zum Grab, legte sich dort nieder und wartete, daß es Mitternacht wurde. Um Mitternacht öffnete sich das Grab, und der Vater stieg heraus und fragte: „Bist du es mein zweitjüngster Sohn?“ „Nein, Väterchen, ich bin’s, Iwan der Narr.“ Und wieder tat der Alte seinen durchdringenden Pfiff. Dann rief er: „Graues, braunes, schwarzes Zauberpferd!“ Da sprengte ein Graufuchs heran, daß die Erde dröhnte. Funken sprühten aus seinen Augen, und seine Nüstern dampften. „Wohlan, Grauer, diene meinem Sohn, wie du mir gedient hast. Und jetzt fort mit dir. Der Graue trabte davon, und der Alte legte sich wieder in sein Grab. Iwan der Narr ging nach Hause, und wieder fragten seine Brüder: „Hattest du eine angenehme Nacht, Iwan, du Narr?“ „Ja, sehr Brüder“, antwortete er. In der dritten Nacht war Iwan an der Reihe. Er suchte seine Sachen zusammen und ging unaufgefordert zum Grab. Dort legte er sich nieder. Um Mitternacht stieg der Alte wieder aus seinem Grab. Da er wußte, daß diesmal Iwan der Narr an der Reihe war, fragte er nicht lange, sondern tat sogleich seinen durchdringenden Pfiff und rief: „Braunes, graues, schwarzes Zauberpferd!“ Ein Rappe jagte heran, daß die Erde bebte. Funken sprühten aus seinen Augen, und aus den Nüstern stieg der Dampf. „Nun, mein Rappe, wie du mir gedient hast, so diene jetzt meinem Sohn.“ Der alte Sohn nahm Abschied von seinem jüngsten Sohn und legte sich wieder ins Grab. Iwan streichelte den Schwarzen und ließ ihn laufen. Er ging nach Hause, und wieder fragten ihn die Brüder: „Nun, Iwan, wie hast du die Nacht verbracht?“ „Sehr gut, Brüder!“ Und so lebten sie weiter, wie sie bisher gelebt hatten. Die zwei älteren Brüder arbeiteten, Iwan der Narr aber tat nichts.

Da ließ der König im ganzen Land bekanntmachen: „Derjenige bekommt meine Tochter, die Prinzessin, zur Frau, der aus dem Palast ihr Bild herauszuholen vermag. Dort hängt es, viele Klafter hoch, an einer Wand.“ Die älteren Brüder, die bei dem Wettbewerb zuschauen wollten, um zu sehen, wer die Prinzessin gewinnen würde, machten sich sogleich auf den Weg. Iwan der Narr blieb auf dem Ofen hocken und sagte: „Brüder, gebt mir doch irgendein Pferd, ich will auch hinreiten!“ Da schalten ihn die Brüder: „Du bleibst besser auf dem Ofen liegen, du Narr. Warum willst du hinreiten, die Leute werden dich doch nur verspotten!“ Aber Iwan der Narr ließ sich nicht abhalten, und so gaben die Brüder nach: „Nun gut, du Narr! Nimm dir den dreibeinigen Klepper aus dem Stall. Die Brüder brachen auf, und Iwan ritt hinter ihnen drein. Aber als er draußen auf dem Feld war, sprang er vom Pferd herunter, stieß dem Klepper das Messer in die Kehle, zog ihm die Haut ab, hängte diesen auf ein Gatter und warf das Fleisch fort. Dann pfiff er jenen durchdringenden Pfiff und rief: „Braunes, graues, schwarzes Zauberpferd!“ Da stürmte der Braunfuchs heran, und die Erde bebte. Flammen schossen aus seinen Augen und die Nüstern dampften. Iwan der Narr kroch in das eine Ohr, aß und trank sich satt, und als er aus dem anderen Ohr wieder herausgekrochen kam, war er prächtig gekleidet und ein so hübscher Bursche geworden, daß ihn seine Brüder nie und nimmer erkannt hätten. Nun bestieg er den Braunfuchs und ritt davon, um sein Glück zu machen, und das Bild herunterzuholen. Viel Volk hatte sich um den Palast versammelt, und Iwan staunte, daß es überhaupt so viele Menschen gab. Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt geradewegs auf das Bild zu. Das Pferd sprang, und Iwan verfehlte das Bild um drei Klafter. Er ritt davon. Und hatten die Menschen doch gesehen, woher er gekommen war, so sah doch niemand, wohin er wegritt. Iwan entließ den Braunfuchs, ging zu Fuß nach Hause und nahm wieder seinen Platz am Ofen ein. Die Brüder kamen nach Hause und erzählten ihren Frauen, was geschehen war. „Stellt euch vor, ihr Weiber, was da für ein toller Bursche geritten kam. So einen haben wir unser Lebtag nicht gesehen! Das Bild hat er zwar nicht erlangt, aber bis auf drei Klafter ist er doch herangekommen. Das Volk hat ihn kommen sehen, aber niemand hat gesehen, wohin er geritten ist. Aber man glaubt, daß er wiederkommen wird!“

Oben auf dem Ofen hatte Iwan jedes Wort mitgekriegt und sagte: „Brüder, war ich heute nicht dabei?“ „Wie zum Teufel sollst denn du dort gewesen sein? Bleib du nur auf deinem Ofen und putze dir die Nase!“ Einige Zeit verging, und der König rief wieder das ganze Reich auf zum Wettkampf um das Bild der Prinzessin. Die Brüder machten sich wieder auf, dem Wettkampf zuzuschauen. Da bat sie Iwan der Narr: „Brüder, gebt mir irgendein Pferd!“ Aber sie antworteten spöttisch: „Bleib nur zu Haus. Sonst wirst du noch ein Pferd zu Schande reiten!“ Aber Iwan der Narr bettelte so lange, bis sie einwilligten und ihm eine alte Schindmähre überließen. Iwan tötete auch diese wieder, hing ihre Haut auf ein Gatter und warf das Fleisch fort. Dann tat er den durchdringenden Pfiff und rief: „Braunes, graues, schwarzes Zauberpferd!“ Und das graue Roß stürmte heran, daß die Erde zitterte. Funken sprühten aus seinen Augen, und aus den Nüstern stieg der Dampf. Iwan kroch dem Pferd ins rechte Ohr, kletterte zum linken wieder heraus und war ein schmucker junger Bursche. Er sprang aufs Pferd und ritt davon. Diesmal verfehlte er das Bild um zwei Klafter. Die Leute hatten ihn kommen sehen, aber wohin er wegritt, das konnte niemand sagen. Iwan entließ den Graufuchs und ging zu Fuß nach Haus. Dort stieg er auf den Ofen, um auf seine Brüder zu warten. Die kamen nach geraumer Zeit und erzählten. „Heda, ihr Weiber, der kühne Bursche ist heute wiedergekommen und verfehlte das Bild um zwei Klafter.“ Da sagte Iwan der Narr: „Brüder, bin ich heute nicht dabei gewesen?“ „Oh, bleib du nur auf dem Ofen, du Narr! Wie zum Teufel willst du dabei gewesen sein?“

Wieder verging eine Zeit, da rief der König zum dritten Mal alle Männer des Reiches zum Wettkampf auf. Die beiden älteren Brüder rüsteten sich zur Abfahrt. Iwan der Narr aber bat: „Brüder, gebt mir irgendein Pferd. Ich will auch gehen und zuschauen!“ „Du bleibst zu Haus, du Narr. Willst du uns noch mehr Pferde zugrunde richten?“ Aber wie er so bettelte, konnten sie es ihm nicht länger abschlagen, überließen ihm eine dürre Stute und ritten davon. Iwan der Narr schlachtete auch diese Stute und warf ihren Kadaver in die Büsche. Dann pfiff er durchdringend und rief: „Braunes, graues, schwarzes Zauberpferd!“ Da kam das rabenschwarze Pferd herbeigestürmt, und die Erde dröhnte wieder. Flammen schossen ihm aus den Augen und der Dampf stieg aus seinen Nüstern. Iwan kroch dem Rappen in das rechte Ohr, aß und trank sich satt und kroch zum anderen als strahlender Held wieder hinaus. Sprang aufs Pferd und ritt davon. Beim königlichen Palast angekommen, jagte er geradewegs auf das Bild zu, ergriff es und dazu noch das Halstuch der Prinzessin. Wieder hatten ihn die Leute kommen sehen, aber niemand sah, wohin er wegritt. Iwan entließ das schwarze Zauberpferd, ging zu Fuß nach Hause, legte sich auf den Ofen und wartete auf seine Brüder. Die kehrten nach ihm heim und riefen: „Heda, ihr Weiber, das hättet ihr heute sehen sollen! Der junge Bursche ist heute so hoch gesprungen, daß er das Bild herunterreißen konnte.“ Iwan der Narr aber hockte auf dem Ofen und fragte: „Brüder, bin ich denn nicht dabei gewesen?“ „Du Narr! Bleib nur dort, wo du bist. Wie zum Teufel solltest du dabei gewesen sein?“

Nach geraumer Zeit veranstaltete der König ein Fest und lud alle Edelleute, Heerführer, Prinzen, Ratsherren, Kaufleute, Bürger und Bauern ein. Auch Iwans Brüder gingen hin, und Iwan den Narren nahmen sie mit. Aber der suchte sich gleich ein Plätzchen hinter einem Ofen und starrte mit aufgerissenem Mund von oben auf das Treiben unten. Die Prinzessin empfing die Gäste, brachte jedem Bier und Wein und schaute genau, ob nicht irgendjemand sich den Mund mit ihrem Tuch abwischte; denn der sollte ihr Bräutigam sein. Aber niemand wischte sich den Mund mit ihrem Tuch, und Iwan den Narren sah sie nicht. Die Gäste verließen das Fest und am anderen Tag machte der König wieder ein Fest. Aber die Prinzessin entdeckte wieder niemanden, der ihr das Tuch genommen hatte. Was mag das sein? Dachte sie bei sich, der Bräutigam ist nicht zu finden. Da schaute sie hinter den Ofen und sah Iwan den Narren. Sein Kleid hing in Fetzen, sein Gesicht war mit Asche verschmiert, und die Haare standen ihm zu Berge. Die Prinzessin gab ihm ein Glas Bier, und seine Brüder, die das beobachteten, dachten sich: Sogar dem Narren gibt die Prinzessin Bier! Iwan der Narr trank das Bier und wischte sich mit der Prinzessin ihr Halstuch den Mund ab. Da war sie außer sich vor Freude, nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu ihrem Vater. „Väterchen, der hier ist mein Bräutigam.“ Iwans Brüder erblaßten vor Neid und dachten bei sich: Was fällt der Prinzessin ein? Ist die verrückt geworden, daß sie den Narren zum Mann nehmen will? Doch da gab’s nicht viel Federlesen. Nach dem Fest wurde gleich die Hochzeit gefeiert, und unser Iwan des Königs Schwiegersohn.
Er putzte sein Gewand und wusch sich Asche und Staub ab. Da wurde er zum stattlichsten Burschen am ganzen Hof. Nicht wiederzuerkennen war er. Jetzt erfuhren es die Brüder, warum es besser gewesen wäre, die eine Nacht am Grab des Vaters zu wachen.

Alexander Nikolajewisch Afanasjew

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