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Es war einmal ein Vater, der hatte eine große Schar Kinder. Im Frühling stiegen die Kinder öfter auf die Kirschenbäume, und da ereignete es sich einmal, daß der älteste Bub herabfiel. Der Vater stand unten und schrie: »Holla, jetzt bin ich erschrocken!«
Da stand der Bub sogleich auf und fragte: »Vater, was ist denn erschrecken?«
»Was erschrecken ist«, antwortete der Vater, »das wirst du schon lernen, wenn du in die Welt hinauskommst.«
Da ließ sich der Sohn nicht mehr aufhalten und sagte, es wundere ihn gar sehr, was das Erschrecken sei, und er müsse schnell in die Welt hinausgehen, um diese Kunst zu studieren. Der Vater ließ ihn gehen, weil er doch noch Kinder genug daheim hatte, und dachte sich: »Das Erschrecken wirst du bald genug lernen, darum habe ich keinen Kummer.«
Der Bub ging mutterseelenallein der Landstraße nach, und wenn ihn jemand anredete und fragte, wo er hingehe, dann sagte er immer nur: »Ich gehe erschrecken lernen.«
Da lachten ihn denn die Leute aus und ließen ihn wieder allein gehen, denn sie meinten, er wäre ein Halbnarr, mit dem sich nicht viel anfangen lasse.
Eines Abends kam er zu einem Wirtshaus, und da es schon spät war, kehrte er ein, um da über Nacht zu bleiben. Weil er ganz allein und verlassen an einem Tisch saß, erbarmten sich einige Leute über ihn, setzten sich an seinen Tisch und wollten ihm Gesellschaft leisten. Sie kamen mit ihm auf allerlei zu reden und fragten ihn unter anderem, wo er hingehe.
»Erschrecken lernen«, gab er zur Antwort.
Da lachten sie ihn aus und sagten: »Wenn du nur das willst, so wissen wir einen guten Ort, wo du es lernen kannst.«
»Und wo ist der Ort?« fragte der Bub.
»Siehst du«, sagten sie, »da drüben hat der Wirt ein Schloß, dahin mußt du gehen, und du wirst das Erschrecken alsbald kennen.«
Sogleich stand der Bub auf, ging zu dem Wirt und bat ihn, er solle ihm doch sogleich das Schloß auftun, damit er einmal lerne, was erschrecken sei.
»Das kannst du drüben wohl lernen«, sagte der Wirt, führte ihn zum Schloß und ließ ihn hinein. Hinter ihm sperrte er die Tür wieder zu, das war aber dem Buben gleich, denn er dachte, zuletzt würden sie ihn wohl doch wieder hinauslassen.
Er ging nun hinauf in die Küche, suchte das bißchen Holz zusammen, das noch unter dem Herd lag, und machte ein Feuer an. Es ging gegen Mitternacht, und das Holz war beinahe schon abgebrannt, so daß er meinte, er müsse bald im Finstern bleiben. Da regte sich auf einmal etwas im Kamin, und es fiel ein Stück Totenbahre herab. »Zu einer besseren Zeit hättest du nimmer herabfallen können«, sagte der Bursche, nahm das Holz und schürte es an. Das Feuer leuchtete ihm nun wieder ein bißchen heller, und er hoffte, wenn es zu Ende ging, so würde wohl wieder etwas herabfallen.
Auf einmal regte es sich wieder im Kamin, und es fiel eine Hand herab. »Ist auch zu brauchen«, sagte er, »jetzt habe ich drei Hände, damit geht das Arbeiten leichter.«
Bald darauf rumpelte es wieder, und es kam ein Fuß. »Auch gut, zu drei Händen gehören drei Füße. Wie ist’s, kommt noch etwas nach?«
Es rumpelte wieder, und da kam noch eine Hand, und dann rumpelte es noch einmal, und es fiel wieder ein Fuß herab. »Jetzt ist’s gar gut, hab‘ ich ja vier Händ‘ und vier Füße. Wenn etwas inzwischen hinein und oben darauf käme, so wäre es ja ein ganzer Mensch.«
Auf einmal rumpelte es viel ärger, und es fiel ein Rumpf auf den Herd. Da ging der Bursche hinzu, legte die Hände und die Füße, wo sie hingehörten, und siehe da, alles wuchs so fest zusammen, als ob es nie getrennt gewesen wäre. »So, jetzt wärst du ein Kerl, es ist schade, daß du nicht einen Kopf auch noch hast.«
Da rumpelte es wieder, und es kugelte ein Kopf herab. Den faßte der Bursche bei den Haaren und legte ihn an seinen Platz. Der Kopf wuchs sogleich an, und der Bursche hatte seine Freude mit dem neugemachten Menschen, der auf dem Herd lag. »Gut«, sagte er, »jetzt bist du ja ein Kerl, fast stärker als ich.«
Da erhob sich der Neugemachte, sprang vom Herd herab und rief: »Jetzt will ich dich zerreißen.«
»Was, du mich zerreißen, wenn ich dich gerade zusammengemacht habe! Halt’s Maul mit solchen Reden, oder ich zeig‘ dir, was zerreißen ist.«
Da wurde der andere ein wenig sanfter und sagte: »Jetzt geh mit mir!«
»Mit dir gehen will ich schon«, antwortete der Bursche, und ging mit. Sie kamen in einen tiefen Keller hinab, und da lagen drei große Haufen Geld. Der Geist hub wieder an zu reden und sprach: »Von diesen drei Haufen gehört einer dir, einer den Armen und einer dem Wirt. Das Schloß gehört auch dir, und der Wirt, der es bisher ungerechterweise besessen hat, bekommt für die wenigen Ansprüche, die er darauf hat, den Haufen Geld. Ihr werdet jetzt wieder sicher in dem Schloß wohnen können, wenn es nicht mehr einem unrechtmäßigen, sondern dir als rechtmäßigem Besitzer gehört.«
Hiermit verschwand der Geist, und der Bursche war mutterseelenallein in dem Keller.
Morgens ging er hinauf und schaute, ob der Wirt die Tür schon aufgesperrt habe. Als er hinkam, war sie schon offen, und die Wirtsleute standen vor dem Schloß, um zu sehen, ob es vielleicht doch einmal einem geglückt wäre, mit dem Leben davonzukommen. Als er frisch und gesund zur Tür hinauskam, lachten sie und riefen: »Wie ist’s, weißt du jetzt, was erschrecken ist?«
»Nein, das weiß ich noch nicht, aber etwas anderes kann ich euch sagen, wenn ihr mit mir geht.«
Sie wunderten sich, was das etwa sei, und gingen mit. Er führte sie in den Keller, zeigte ihnen die drei Haufen und sagte: »Der Geist, der in der Nacht gekommen ist, hat mir das Schloß geschenkt und einen von den drei Haufen. Der andere Haufen gehört dem Wirt und der dritte den Armen.«
Als die Wirtsleute das hörten, beneideten sie den Buben und die Armen um das, was sie bekommen sollten, und ihr Neid war so groß, daß sie über den armen Kerl herfielen und ihn maustot schlugen. Da verschwanden aber augenblicklich die drei Haufen, und in dem Schloß war es wieder unheimlich wie vordem.
Da stand der Bub sogleich auf und fragte: »Vater, was ist denn erschrecken?«
»Was erschrecken ist«, antwortete der Vater, »das wirst du schon lernen, wenn du in die Welt hinauskommst.«
Da ließ sich der Sohn nicht mehr aufhalten und sagte, es wundere ihn gar sehr, was das Erschrecken sei, und er müsse schnell in die Welt hinausgehen, um diese Kunst zu studieren. Der Vater ließ ihn gehen, weil er doch noch Kinder genug daheim hatte, und dachte sich: »Das Erschrecken wirst du bald genug lernen, darum habe ich keinen Kummer.«
Der Bub ging mutterseelenallein der Landstraße nach, und wenn ihn jemand anredete und fragte, wo er hingehe, dann sagte er immer nur: »Ich gehe erschrecken lernen.«
Da lachten ihn denn die Leute aus und ließen ihn wieder allein gehen, denn sie meinten, er wäre ein Halbnarr, mit dem sich nicht viel anfangen lasse.
Eines Abends kam er zu einem Wirtshaus, und da es schon spät war, kehrte er ein, um da über Nacht zu bleiben. Weil er ganz allein und verlassen an einem Tisch saß, erbarmten sich einige Leute über ihn, setzten sich an seinen Tisch und wollten ihm Gesellschaft leisten. Sie kamen mit ihm auf allerlei zu reden und fragten ihn unter anderem, wo er hingehe.
»Erschrecken lernen«, gab er zur Antwort.
Da lachten sie ihn aus und sagten: »Wenn du nur das willst, so wissen wir einen guten Ort, wo du es lernen kannst.«
»Und wo ist der Ort?« fragte der Bub.
»Siehst du«, sagten sie, »da drüben hat der Wirt ein Schloß, dahin mußt du gehen, und du wirst das Erschrecken alsbald kennen.«
Sogleich stand der Bub auf, ging zu dem Wirt und bat ihn, er solle ihm doch sogleich das Schloß auftun, damit er einmal lerne, was erschrecken sei.
»Das kannst du drüben wohl lernen«, sagte der Wirt, führte ihn zum Schloß und ließ ihn hinein. Hinter ihm sperrte er die Tür wieder zu, das war aber dem Buben gleich, denn er dachte, zuletzt würden sie ihn wohl doch wieder hinauslassen.
Er ging nun hinauf in die Küche, suchte das bißchen Holz zusammen, das noch unter dem Herd lag, und machte ein Feuer an. Es ging gegen Mitternacht, und das Holz war beinahe schon abgebrannt, so daß er meinte, er müsse bald im Finstern bleiben. Da regte sich auf einmal etwas im Kamin, und es fiel ein Stück Totenbahre herab. »Zu einer besseren Zeit hättest du nimmer herabfallen können«, sagte der Bursche, nahm das Holz und schürte es an. Das Feuer leuchtete ihm nun wieder ein bißchen heller, und er hoffte, wenn es zu Ende ging, so würde wohl wieder etwas herabfallen.
Auf einmal regte es sich wieder im Kamin, und es fiel eine Hand herab. »Ist auch zu brauchen«, sagte er, »jetzt habe ich drei Hände, damit geht das Arbeiten leichter.«
Bald darauf rumpelte es wieder, und es kam ein Fuß. »Auch gut, zu drei Händen gehören drei Füße. Wie ist’s, kommt noch etwas nach?«
Es rumpelte wieder, und da kam noch eine Hand, und dann rumpelte es noch einmal, und es fiel wieder ein Fuß herab. »Jetzt ist’s gar gut, hab‘ ich ja vier Händ‘ und vier Füße. Wenn etwas inzwischen hinein und oben darauf käme, so wäre es ja ein ganzer Mensch.«
Auf einmal rumpelte es viel ärger, und es fiel ein Rumpf auf den Herd. Da ging der Bursche hinzu, legte die Hände und die Füße, wo sie hingehörten, und siehe da, alles wuchs so fest zusammen, als ob es nie getrennt gewesen wäre. »So, jetzt wärst du ein Kerl, es ist schade, daß du nicht einen Kopf auch noch hast.«
Da rumpelte es wieder, und es kugelte ein Kopf herab. Den faßte der Bursche bei den Haaren und legte ihn an seinen Platz. Der Kopf wuchs sogleich an, und der Bursche hatte seine Freude mit dem neugemachten Menschen, der auf dem Herd lag. »Gut«, sagte er, »jetzt bist du ja ein Kerl, fast stärker als ich.«
Da erhob sich der Neugemachte, sprang vom Herd herab und rief: »Jetzt will ich dich zerreißen.«
»Was, du mich zerreißen, wenn ich dich gerade zusammengemacht habe! Halt’s Maul mit solchen Reden, oder ich zeig‘ dir, was zerreißen ist.«
Da wurde der andere ein wenig sanfter und sagte: »Jetzt geh mit mir!«
»Mit dir gehen will ich schon«, antwortete der Bursche, und ging mit. Sie kamen in einen tiefen Keller hinab, und da lagen drei große Haufen Geld. Der Geist hub wieder an zu reden und sprach: »Von diesen drei Haufen gehört einer dir, einer den Armen und einer dem Wirt. Das Schloß gehört auch dir, und der Wirt, der es bisher ungerechterweise besessen hat, bekommt für die wenigen Ansprüche, die er darauf hat, den Haufen Geld. Ihr werdet jetzt wieder sicher in dem Schloß wohnen können, wenn es nicht mehr einem unrechtmäßigen, sondern dir als rechtmäßigem Besitzer gehört.«
Hiermit verschwand der Geist, und der Bursche war mutterseelenallein in dem Keller.
Morgens ging er hinauf und schaute, ob der Wirt die Tür schon aufgesperrt habe. Als er hinkam, war sie schon offen, und die Wirtsleute standen vor dem Schloß, um zu sehen, ob es vielleicht doch einmal einem geglückt wäre, mit dem Leben davonzukommen. Als er frisch und gesund zur Tür hinauskam, lachten sie und riefen: »Wie ist’s, weißt du jetzt, was erschrecken ist?«
»Nein, das weiß ich noch nicht, aber etwas anderes kann ich euch sagen, wenn ihr mit mir geht.«
Sie wunderten sich, was das etwa sei, und gingen mit. Er führte sie in den Keller, zeigte ihnen die drei Haufen und sagte: »Der Geist, der in der Nacht gekommen ist, hat mir das Schloß geschenkt und einen von den drei Haufen. Der andere Haufen gehört dem Wirt und der dritte den Armen.«
Als die Wirtsleute das hörten, beneideten sie den Buben und die Armen um das, was sie bekommen sollten, und ihr Neid war so groß, daß sie über den armen Kerl herfielen und ihn maustot schlugen. Da verschwanden aber augenblicklich die drei Haufen, und in dem Schloß war es wieder unheimlich wie vordem.
(mündlich bei Meran)
[Österreich: Ignaz und Joseph Zingerle: Kinder und Hausmärchen aus Süddeutschland]