Im großen Dämmerwald, einen halben Tagesritt entfernt vom nächsten Marktflecken, lebte einst ein Köhler mit seiner Familie. Tag und Nacht arbeitete er an seinem großen Kohlemeiler und versorgte die umliegenden Bauern und den Flecken mit seiner Holzkohle. So konnten die Menschen in der kalten Zeit behaglich in der Wärme sitzen und es sich gut gehen lassen.
Als Bezahlung für seine Kohle erhielt er von den Bauern und Dörflern derbes Leinen, Brot, Käse und zu besonderen Festtagen einen großen Schinken. Alle waren zufrieden mit diesem Handel und die vier Köhlerkinder wuchsen ohne Not und sorgenfrei heran.
Auf die Art gingen einige Jahre ins Land, bis die Dorfbewohner von ihrer eigenen Habgier in die Irre geleitet wurden.
„Im Grunde erhält er viel zu viel der guten Dinge für seine armselige Arbeit“, flüsterten sie untereinander zu, und von diesem Tag an gab es immer weniger Brot, Käse und Leinen für den Köhler. Und den großen Schinken zu den Festtagen vergaßen sie gleich ganz.
Der Köhler wunderte sich zunächst, dachte dann aber bei sich: „Sie werden schon ihre Not haben, die guten Menschen, dennoch bemühen sie sich nach Kräften, mir meinen Lohn zu geben. Mir und den Meinen geht es gut, also werde ich nicht Gleiches mit Gleichem vergelten.“ Und er lieferte fleißig weiter den vereinbarten Teil seiner Holzkohle.
Die anderen aber sprachen unter sich: „Seht, er scheint sehr zufrieden mit seiner Bezahlung, lasst uns die Waren noch einmal um die Hälfte kürzen, das reicht wohl auch.“
Der Köhler hatte wiederum Mitleid mit den Menschen, weil er dachte, es ginge ihnen noch schlechter und lieferte zuverlässig und wie vereinbart die Kohle für den bevorstehenden Winter aus.
Doch dieses Mal kam niemand, um ihm den versprochenen Lohn zu bringen. Einzig die Wäscherin des Fleckens, eine arme Witwe, die sich und ihre sieben Kinder mühsam durchbrachte, stand mit dem ersten Schneefall vor seiner Tür und sagte: „Guter Mann, ich komme jetzt zu dir, weil ich erst gestern die Runkeln von meinem kleinen Acker holen konnte. Mit ihnen will ich meine Schuld bei dir begleichen. Ich hoffe, sie sind dir gut genug.“
„Was für dich und deine Kinder passend ist, soll auch wohl für mich reichen“, entgegnete der Köhler freundlich und die Frau ging zufrieden heim.
Der Winter, der nun folgte, war härter und eisiger als alle, die das Land je gesehen hatte, und die Not hielt Einkehr in das Köhlerhaus.Auf dem See glitzerte eine dicke Eisschicht, der Boden war tief gefroren und nicht einmal eine Eichkatze ging dem Köhler in die Falle.
Tag und Nacht jammerten seine Frau und seine Kinder vor Hunger und riefen nach einem Stück Brot.
In seiner Verzweiflung machte der Köhler sich auf den Weg zu den Bauern und zu den Bewohnern des Dorfes und bat in aller Bescheidenheit um eine kleine Gabe. „Frau und Kinder sterben mir am Hunger, lieber Nachbar“, sagte er, „ich weiß, du hast selber nicht viel, sonst hättest du mich für meine Dienste bezahlt, wie es verhandelt war. Aber einen Kanten Brot oder Käse wirst du doch übrig haben, sonst müssen die, die mir am liebsten sind, sterben.“
Aber überall wies man ihn unter Spott und Hohn von der Türschwelle und er musste unverrichteter Dinge heimkehren.
Als er zu Hause ankam, waren Frau und Kinder gestorben! Die Runkeln der Wäscherin hatten nicht ausgereicht, um sie am Leben zu erhalten.
Der Köhler tobte und schrie, schwor den Bauern und Einwohnern ewige Rache und rief in seiner Verzweiflung den Teufel um Hilfe an.
Und dieser stand tatsächlich plötzlich in seiner Hütte, wippte auf seinem Hinkefuß und sprach lauernd: „Nun, du mitleidiger Köhler, jetzt siehst du, wie übel dir die Menschen mitgespielt haben. Ich könnte dir bei deiner Rache, die du geschworen hast, helfen. Aber dafür verlange ich auf ewig deine Seele. Bist du bereit, diesen Pakt einzugehen?“
Getrieben von Trauer und Hass stimmte der Köhler zu und übereignete seine unsterbliche Seele dem Teufel.
Im gleichen Augenblick wuchs seine Gestalt um fünf Fuß in die Höhe, sein Kopf wurde zu einer Riesenrunkel mit rot glühenden Augen, und seine Hände glichen mit ihren rasiermesserscharfen Krallen den Pranken des Teufels.
Der Köhler war zum Runkelkönig geworden!
Im folgenden Jahr zur Runkelzeit, als die Raunächte nahten, ging er durch den Marktflecken und zu den Bauernhöfen und stahl dort die Kinder, deren er habhaft werden konnte. Allein die Mädchen der Wäscherin verschonte er, denn sie hatte ihm ehrlich gegeben, was sie konnte.
Die übrigen Kinder sperrte er in seinem Kohlemeiler ein. Nicht ein Fünkchen Mitleid hatte der furchtbare Mann dabei, denn ihre Eltern sollten fühlen, welchen Schmerz sie im zugefügt hatten.
Großes Jammern und Wehklagen herrschte im Dorf, denn die Eltern waren untröstlich über den Verlust ihrer Kinder. Zu spät erkannten sie, was ihr Geiz und ihre Habgier angerichtet hatten.
Auch dem Bürgermeister des Ortes war ein Kind geraubt worden, deshalb hatte er große Angst um die verbliebenen zwei Töchter. „Das Leben meiner Kinder ist mehr wert als das meinige“, dachte er, „ich habe es durch meinen Geiz ohnehin verwirkt.“
Also machte er sich eines Morgens auf und ritt zur Hütte des Köhlers. Durch die geschlossene Hüttentür sprach er zu dem grausamen Geisterkönig: „Meine Reue ist groß, und ich weiß nicht, wie ich sie dir beweisen kann. Aber ich bitte dich, verschone meine Kinder, denn sie können nichts für die Schuld ihres Vaters.“
Eine Weile herrschte nur die Stille des Waldes und der Bürgermeister wollte sich schon mutlos abwenden. Da rief eine Stimme aus dem Inneren der Hütte: „Da du nicht um dein Leben, sondern um das deiner Kinder bittest, will ich euch allen eine Möglichkeit geben. Seitdem ich zum Runkelkönig geworden bin, sind Runkeln meine einzige Nahrung. Wenn ich nun in den kalten Nächten zu euch in den Marktflecken komme und sehe Eine vor der Haustür stehen, so will ich die Kinder verschonen, die in diesem Haus leben und mir stattdessen die Runkeln nehmen.“
Eilig ritt der Bürgermeister zurück, erzählte allen von seinem Handel, und mit Anbruch der ersten Raunächte sah man vor jedem Haus Runkeln liegen. Als der Runkelkönig erkannte, dass die Menschen ihr Versprechen hielten, ließ er die gefangenen Kinder wieder frei und gab sie den Familien zurück.
Aber er geht heute noch um, findet keine Ruhe, weil er seine Seele dem Teufel verkauft hat. Und wer sich vor ihm schützen will, stellt im Oktober eine Runkel vor die Haustür.