»Tochter, Tochter von Cirimimminu,
Zähle, wie viel Blätter hat der Jasmin.«
Die Tochter des Fürsten aber blieb sprachlos stehen, und wußte nicht, was sie antworten sollte. Als sie nun zur Lehrerin kam, klagte sie ihr, der Königssohn habe sie angeredet, und ihr das und das gesagt. »Nun, beruhige dich nur,« sagte die Lehrerin, »und wenn er dir morgen dasselbe sagt, so antworte du:
Sohn des Königs, bei deines Vaters Krone,
Zähle die Sterne am Himmelsdome.
Sohn des Königs und der Königin Sohn,
Zähle, wie viel Federn hat das Huhn.«
Am nächsten Morgen begoß die Schöne wieder ihre Blumen; da rief der Königssohn:
»Tochter, Tochter von Cirimimminu,
Zähle, wie viel Blätter hat der Jasmin.«
Sie aber antwortete ganz keck:
»Sohn des Königs, bei deines Vaters Krone,
Zähle die Sterne am Himmelsdome.
Sohn des Königs und der Königin Sohn,
Zähle, wie viel Federn hat das Huhn.«
Da ward der Königssohn sehr betroffen, und dachte: »Kannst du so schnippisch antworten? Warte nur, ich will dir deine Antwort zurückzahlen.« Da ging er zur Lehrerin, und sprach: »Ich gebe euch, was ihr wollt; ihr müßt mir aber einen Gefallen thun. Ich werde heute vorbeikommen, als Fischer verkleidet, mit einem Korb der schönsten Fische, und ausrufen: Wer mir einen Kuß gibt, der soll die Fische alle umsonst haben. Dann schickt die Tochter des Fürsten Cirimimminu heraus, daß sie mich küsse.« Als nun die Schöne bei der Lehrerin saß, mit andern Mädchen, kam ein Fischer vorbei, der trug in einem Korbe die wunderschönsten Fische, und rief: »Wer mir einen Kuß gibt, der solle sie alle umsonst haben.« »Hörst du das?« sprach die Lehrerin zur Tochter des Cirimimminu, »du bist die Hübscheste, geh hin und gib dem Mann einen Kuß.« Sie sträubte sich, und meinte, eine andre könne eben so gut gehen, aber die Lehrerin wiederholte immer: »Geh doch nur, denn du bist die Schönste.« Da ließ sie sich bereden, ging hin und gab dem Fischer einen Kuß. Als aber der Fischer den Kuß bekommen hatte, entsprang er sammt den Fischen, und ließ sie ganz verblüfft stehen. Am nächsten Morgen nun stand der Königssohn wieder am Balkon, und als die Schöne herauskam, ihre Blumen zu begießen, rief er ihr zu:
»Tochter, Tochter von Cirimimminu,
Zähle, wie viel Blätter hat der Jasmin.«
»Sohn des Königs, bei deines Vaterskrone,
Zähle die Sterne am Himmelsdome.
Sohn des Königs und der Königin Sohn,
Zähle, wie viel Federn hat das Huhn.«
»Wie schön war jener Kuß, und Fische hast du keine bekommen!«
»Ach so, du warst der Fischer,« dachte die Schöne, »warte nur, jetzt will ich dir einen Streich spielen.« Da ging sie zu ihrem Vater und bat ihn: »Lieber Vater, schenkt mir das schönste Pferd, das in der Stadt zu haben ist.« Da sie nun das Pferd hatte, zog sie Männerkleidung an, und ritt vor den Fenstern des Königs auf und nieder. Die Minister standen gerade am Balkon, die riefen dem Königssohn zu, es sei da ein Jüngling, der reite ein so wunderschönes Pferd, wie es gewiß in der Stadt kein schöneres gebe. Als nun der Königsohn das Pferd sah, wollte er es gern kaufen, und schickte einen Minister hinunter, um zu fragen, wie viel der Jüngling dafür wolle. »Das Pferd will ich nicht verkaufen,« sagte der Jüngling. »Wer ihm aber drei Küsse auf das Bein gibt, soll es umsonst haben.« Als der Königssohn das hörte, dachte er: »Drei Küsse für ein solches Pferd! die kann ich wohl geben,« und eilte hinunter. Da er sich aber bückte, um das Pferd zu küssen, gab die Schöne diesem die Sporen, daß es ausschlug, und wiehernd davon sprengte. Am nächsten Morgen war der Königssohn schon wieder auf dem Balkon und rief:
»Tochter, Tochter von Cirimimminu,
Zähle, wie viel Blätter hat der Jasmin.«
»Sohn des Königs, bei deines Vaters Krone,
Zähle die Sterne am Himmelsdome.
Sohn des Königs und der Königin Sohn,
Zähle, wie viel Federn hat das Huhn.«
»Wie schön war jener Kuß, und Fische hast du keine bekommen!«
»Wie schön war jener Kuß auf das Bein des Pferdes, und Pferd hast du keines bekommen!«
Da merkte er, daß sie der Jüngling gewesen war, und dachte, wie er ihr nun wieder einen Streich spielen könnte. Er ging also zur Lehrerin, und versprach ihr, zu geben, was sie wolle, wenn sie die nächste Nacht die Schöne des Cirimimminu bei sich schlafen ließe und ihn unter das Bett verstecke. Als es nun Abend geworden war, und die Schöne nach Hause gehen wollte, bat die Lehrerin: »Bleibe heute Nacht bei mir, ich fürchte mich so allein.« Da blieb sie bei ihr. Der Königssohn aber war unter dem Bett versteckt und hatte lange Nadeln, und stach damit die Schöne durch die Matratzen durch. »Ach,« rief sie, »Frau Lehrerin, Flöhe und Wanzen sind in eurem Bette!« »Sei nur ruhig, Kind,« antwortete die Lehrerin, »es kommt dir nur so vor.« Er ließ ihr aber keine Ruhe, also daß sie gar nicht schlafen konnte. Am Morgen ging sie nach Hause, um ihre Blumen zu begießen, da stand der Königssohn am Fenster und rief:
»Tochter, Tochter, von Cirimimminu,
Zähle, wie viel Blätter hat der Jasmin.«
»Sohn des König, bei deines Vaters Krone,
Zähle die Sterne am Himmelsdome.
Sohn des Königs und der Königin Sohn,
Zähle, wie viel Federn hat das Huhn.«
»Wie schön war jener Kuß, und Fische hast du keine bekommen!«
»Wie schön war jener Kuß auf das Bein des Pferdes, und Pferd hast du keines bekommen!«
»Und wie schön war die ganze Nacht: Ach, Frau Lehrerin, Flöhe und Wanzen sind in eurem Bett!«
»Aha,« dachte die Schöne, »du hast also unter dem Bette gesteckt? Warte nur, ich will dich schon bezahlen!« Da ließ sie einen Diener des Königs kommen, und sprach zu ihm: »Ich gebe dir, was du willst, wenn du mich heute Nacht in das Zimmer des Königssohnes eindringen lässest.« Am Abend aber that sie einen großen schwarzen Mantel um, der ihr auch das Gesicht verhüllte, und als der Königssohn zu Bette lag, kam sie in sein Zimmer, und sprach mit hohler Stimme:
»Es kommt der Tod
Mit Beinen krumm!
Den Königssohn
Er holt ihn schon!«
Der Königssohn aber rief:
»Laß leben mich, Tod, bis der Morgen graut,
Bis ich die Schöne von Cirimimminu geschaut.«
Der Tod antwortete:
»Wenn bis zum Morgen ich nun noch warte,
Will Haar für Haar ich aus deinem Barte!«
Der Königssohn aber hatte einen sehr schönen großen Bart, aus Angst vor dem Tode jedoch ließ er sich die Barthaare einzeln auszupfen. Als nun die Schöne dachte, sie habe ihn genug leiden lassen, ging sie wieder fort. Am andern Morgen begann der Königssohn wieder, sie zu necken, und rief:
»Tochter, Tochter von Cirimimminu,
Zähle, wie viel Blätter hat der Jasmin.«
»Sohn des Königs, bei deines Vaters Krone,
Zähle die Sterne am Himmelsdome.
Sohn des Königs und der Königin Sohn,
Zähle, wie viel Federn hat das Huhn.«
»Wie schön war jener Kuß, und Fische hast du keine bekommen!«
»Wie schön war jener Kuß auf das Bein des Pferdes, und Pferd hast du keines bekommen!«
»Wie schön war die ganze Nacht: Ach, Frau Lehrerin, Flöhe und Wanzen sind in eurem Bett!«
»Wie schön war der Bart, Haar für Haar ausgezupft!«
Als der Königssohn hörte, daß sie der Tod gewesen war, und ihm seinen schönen Bart ausgerissen hatte, schwur er, sich zu rächen, und um sie in seine Gewalt zu bekommen, ging er zum Fürsten Cirimimminu, und sagte ihm, er wolle seine Tochter heirathen. Das war der Fürst wohl zufrieden, und sagte es seiner Tochter. Die antwortete: »Ja, lieber Vater, ihr müßt mir aber eine Puppe machen lassen, aus Zucker und Honig, so groß, wie ich bin, und die mir gleich sieht. Und am Kopf muß sie einen Strick haben, also daß sie mit dem Kopf nicken kann.« Das that der Fürst, und die Hochzeit wurde mit großem Glanze gefeiert. Als nun der Königssohn die Schöne von Cirimimminu in das Brautgemach führen wollte, sprach sie: »Laß mich zuerst zu Bette gehen; dann komme du nach.« Sie aber legte die Puppe ins Bett und versteckte sich selbst unter dasselbe, und nahm den Strick in die Hand, der an dem Kopf der Puppe befestigt war. Da kam der Königssohn herein, hatte ein blankes Schwert in der Hand, und wollte ihr den Kopf abhauen. »Bist du es gewesen, die mich gezwungen hat, dem Pferde einen Kuß zu geben?« frug er. Da zog sie am Stricke, also daß die Puppe mit dem Kopfe nickte. »Bist du es gewesen, die mir den Bart ausgezupft hat.?« Da nickte die Puppe wieder mit dem Kopfe. »Und nach allem diesem hast du die Unverschämtheit, mir nicht einmal ordentlich zu antworten!« schrie er ganz wüthend, stürzte auf das Bette zu und schnitt der Puppe den Kopf ab. Dann zog er das Schwert durch den Mund, um es vom Blute zu säubern, als er aber den süßen Honig schmeckte, reute es ihm, daß er sie umgebracht hatte, und fing an zu weinen und zu jammern: »Ach, hätte ich gewußt, daß du so süß bist, ich hätte dich nicht umgebracht.« Da kroch sie vergnügt unter dem Bette hervor, und rief: »Du hast mich gar nicht umgebracht, denn es war nur eine Puppe.«
»Und die Puppe aus Zucker und Honig so fein,
Verspeisen wir nun als Gatten zu zwei’n!«
Da war der Königssohn hoch erfreut, und sie aßen zusammen die Puppe auf, und lebten glücklich und zufrieden, wir aber sind leer ausgegangen.
[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]