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Die Hindin

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Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten zwei Töchter, vierzehn und funfzehn Jahre alt, die eine mit silbernen, die andere mit goldenen Zähnen. Als die Königin starb, gab sie ihrem Gemahl einen Demantring und sagte, daß er sich wieder verheirathen solle, aber nur mit einem Weibe, welchem der Demantring genau an dem Finger passe. Der König ließ suchen durchs ganze Land, aber ein Weib, dem der Ring passe, ward nirgends gefunden. So gab er es auf, bewahrte aber den Ring in seinem Zimmer.
Einstmals kamen seine Töchter zu ihm, sahen den Ring auf dem Tische, die älteste nahm ihn, steckte ihn an den Finger, und siehe, er paßte wie angegossen. Die Freude des Königs war groß, er meinte eine Frau gefunden zu haben, und wollte sie heirathen. Das aber konnte nicht sein, und sie that es nicht, so sehr auch mit Drängen er sie beschwerte. Wie sie gar nicht mehr wußte, was thun, warf sie sich dem Papste zu Füßen und beichtete ihm alles. Der Papst lobte ihre Handlungsweise, rieth ihr aber, vorläufig mit dem Könige nicht zu brechen. »Du mußt Zeit gewinnen«, sagte er, »versprich ihm, dann nach seinem Willen zu sein, wenn er dir ein Kleid bringt, das am Tage wie die Sonne, bei Nacht wie der Mond scheint.« Das Mädchen befolgte den Rath, und der König zog alsbald aus, ein solches Kleid zu suchen.
Es begegnet ihm ein Ritter, der fragt: »Majestät, was sucht Ihr?« Der König erzählt ihm seine Geschichte und wie schwer es sein werde, den Wunsch der Tochter zu erfüllen, worauf der andere das Kleid alsbald bei der Hand hatte und es ihm gab. Wie es die Tochter sah, erschrak sie sehr, ging auch eilend wieder zum Papste und flehte ihn um neuen Rath an. »Höre, meine Tochter«, sagte dieser, »verlange jetzt vom Könige ein Kleid, welches ist wie das Meer mit allen seinen Fischen, das wird er dir nicht bringen. Bringt er es dennoch, so lasse dir einen großen Schrein machen und komme mit deiner Schwester wieder zu mir.« Der König trieb das Kleid wirklich auf, und nun ließ sie sich den Schrein machen und ging mit der Schwester zum Papste. Der setzte sie beide in den Schrein, versicherte ihn von innen und außen mit Theer und Pech und setzte ihn auf die Wogen des Meeres.
Es wohnte aber in einem Nachbarlande ein König, der war krank, und die Aerzte hatten ihm zu seiner Genesung eine Meerfahrt verordnet. Wie er nun eines Tages so dahinfuhr, sah er etwas auf den Wellen schwimmen. Er gab Befehl, es aufzufischen, und die Fischer zogen den Schrein heraus. Den nahm er in seinen Palast, löste das Pech ab, öffnete ihn und fand das erste Mädchen. Ganz zufrieden führte er es zu seiner Mutter, und es ward seine Gemahlin. Eines Tages schauten die beiden zum Fenster heraus und blickten über den Wald. Da sehen sie einen Ritter hoch zu Roß aus dem Walde kommen, er nähert sich, und das Mädchen erkennt ihren Vater. Er steigt ab, tritt zu ihnen, kaum aber daß er sie begrüßt, nimmt er seine Tochter auf die Seite und sagt zu ihr: »Also hier bist du, Verruchte, nun so sollst du zu einer Hindin und von deinem Mann getödtet werden, ehe du wieder glücklich sein kannst.« Das Mädchen wurde ganz tiefsinnig, und weil sie wußte, daß des Vaters Verwünschung in Erfüllung gehen werde, ließ sie ihre Schwester, die mit den silbernen Zähnen, aus dem Schrein heraus, erzählte ihr, was geschehen, und bat sie, an ihrer Stelle für einige Zeit die Königin zu sein, und wenn sie der König frage, woher sie auf einmal silberne Zähne bekommen, solle sie sagen, die Madonna habe sie ihr ausgetauscht und sie habe ein Gelübde gethan, sechs Monate lang nicht an seiner Seite zu ruhen. Darauf ging sie in den Wald und wurde eine Hindin. Die Schwester, welche blieb, erzählte dem Könige, was ihr die Schwester gesagt hatte, und er glaubte es.
Nach einiger Zeit ging der König in den Wald auf die Jagd. Sie setzen sich unter einen Baum, um zu essen, und da kommt die Hindin und stellt sich zur Seite des Königs. Er weiß nicht, was er denken soll, nimmt aber sein Gewehr und schießt auf das Thier. Verwundet läuft dieses in den Palast, verbindet sich den Arm und kleidet sich, wieder zur Königin geworden, wie früher an. Als der König zurückkommt, erzählt sie ihm alles, und sie blieben beisammen glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.

[Italien: Waldemar Kaden: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen]

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