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Der standhafte Büsser

2.3
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Einst hauste auf einer Burg im Gebirge ein reicher Ritter (castellan), der, sehr schlimm und grausam wie er war, viel Uebles verübte. So zum Beispiel gab er seinen Arbeitern statt des Lohnes Schläge, der Mägde hat er mehrere gemordet, theils weil sie sich weigerten, seinen Lüsten zu fröhnen, theils im Jähzorne. Als er älter geworden, bereute er sein früheres Leben und ging beichten. Da gab ihm der Beichtiger eine dreijährige Busse auf; die weigerte er sich anzunehmen; »denn«, sagte er, »ich kann ein Jahr vor ihrem Ende sterben, was nützt mir dann die Busse, die ich durch zwei Jahre gethan habe.« Da beschränkte sie der Beichtiger auf zwei Jahre, und als er sich wieder weigerte, auf ein Jahr und sogar auf einen Monat. »Noch immer ist sie zu lange«, sagte der Ritter, »aber wenn ihr zufrieden seid, so will ich einen Abend an einem Arbeitstage (giorno feriale) und einen Feiertag Busse thun.« »Nun gut, versucht es«, sagte der Beichtiger. Hierauf ging er zu Hause, nahm Abschied von seiner Frau und sagte: »Erwartet mich heute Abends nicht, denn ich werde erst Morgen nach Hause kommen.« Hierauf bestieg er ein Pferd und ritt zur Kirche, die sehr weit von seiner Burg war.
Noch hatte er wenig Weg zurückgelegt, als ihm seine Tochter nachgelaufen kam. »Vater!« rief sie, »kommt schnell nach Hause, Räuber haben unsere Burg überfallen.« »Der Diener und Söldner habt ihr genug«, antwortete er, »um euch der Räuber zu erwehren.« Und er setzte seinen Weg ruhig weiter fort. Da kommt ihm sein Leibknappe nachgelaufen. »Herr!« schreit dieser, »kommt schnell zurück, die Burg steht in Flammen.« »Ruft die benachbarten Bauern zu Hülfe und bezahlt sie, damit sie euch helfen, das Feuer zu löschen.« Nach kurzer Zeit kommt ihm seine Frau nach. »Mann!« ruft sie, »komme mir zu Hülfe, man hat mich verrathen, man will mir Gewalt anthun.« »Lasse dich von meinen Reisigen vertheidigen«, entgegnet der Ritter, seinen Weg fortsetzend, »ich habe jetzt dazu nicht Zeit.«
Da kam er endlich zur Kirche, trat ein und begann seine Busse. Noch hatte er wenig gebetet, so kam der Messner und sagte: »Herr! geht hinaus, denn ich muss die Kirche schliessen.« »Ich bleibe hier«, sagte der Ritter, »schliesst nur die Kirche, so werde ich um so ungestörter beten können.« Da kehrt der Messner zurück und sagt: »Geht hinaus, es kommen Leute zu beichten und die wollen nicht gestört sein.« »Sie mögen beichten, ich werde die Ohren zuhalten«, entgegnete der Ritter. Da kommt ein Priester zur Messe gekleidet und sagt: »Geht hinaus, denn ich werde jetzt eine Messe lesen und ihr seid vielleicht nicht gelaunt oder würdig, sie anzuhören.« »Leset sie nur, ich bleibe und werde sie gerne anhören«, antwortete der Ritter. Da kamen um Mitternacht zwölf Wächter und befahlen ihm, mit ihnen zur Obrigkeit zu gehen. »Will mich die Obrigkeit«, entgegnete der Ritter, »so werde ich Morgen um zehn Uhr bei ihr sein, aber jetzt gehe ich nicht.« Um zwei Uhr kommt eine Schaar Söldner in die Kirche, umringt ihn und heisst ihn mitgehen, er aber sagt: »Wollt ihr mich ausserhalb der Kirche, so tragt oder schleppt mich hinaus, aber gutwillig gehe ich nicht.«
Da erscheint die Zeit des Vaterunser1 und mit ihr ein wilder Haufen Volkes und schreit: »Jagen wir ihn hinaus zur Kirche, weil er nicht mit Gutem geht.« »Zerreissen«, sagt der Ritter, »könnt ihr mich, aber nicht gutwillig hinausbringen.« Da fängt es in der Kirche zu brennen an und er befindet sich in einem Flammenmeere. Alles stürzt entsetzt hinaus, er aber sagt: »Geschehe, was da wolle, ich gehe nicht.« Da schlägt endlich die vorgeschriebene Stunde für ihn, er bindet sein Pferd los und reitet nach Hause. Hier fragt er zuerst seine Tochter, warum sie ihm nachgelaufen, statt mit seinen Reisigen die Räuber verjagen zu helfen; diese aber antwortet: »Ich weiss nichts von Räubern.« Sie war gar nicht ausser Hause. Da befragt er seine Frau und den Knappen, aber beide versichern, das Haus gar nicht verlassen zu haben.
»Ha«, sagte der Ritter, »jetzt begreife ich, dass dieses Alles des Teufels Werke waren, um meine Busse zu stören, aber ich begreife auch, dass der Beichtvater Recht hatte, mir eine lange Busse aufzugeben, denn ich bin ein gar grosser Sünder. Wohlan denn, nicht zwei Jahre, nicht drei Jahre, sondern bis ans Ende meines Lebens will ich büssen.«

[Italien: Georg Widter/Adam Wolf: Volksmärchen aus Venetien]

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