»Vater«, sagte er einstens, »das Leben hier zu Hause ist mir zu langweilig, ich will ein wenig in die Welt gehen und mich umsehen, wie es anderswo zugeht«, und somit ging er in den Dienst eines Edelmanns, der eine neidische, sehr boshafte Magd hatte. Bald gewann der Edelmann seinen neuen Knecht sehr lieb, was die Magd nicht wenig ärgerte. Da nahe beim Schlosse des Edelmanns ein grosser Bär wohnte, so fiel ihr ein, ihrem Feinde diesen an den Hals zu hetzen. Sie suchte daher beide zu verfeinden. »Tredesin«, sagte sie einst zum Edelmann, »ist alles zu thun im Stande, was man ihm befiehlt, selbst dem Bär die Bettdecke (schiavina) vom Leibe zu stehlen, während er im Bette liegt«. Da liess der Edelmann den Knecht rufen und fragte ihn: »Bist du im Stande, dem Bären die Decke vom Leibe zu stehlen?« »Nein, o Herr«, erwiederte Tredesin, »Hilft dir alles nichts«, sagte der Herr, »ich weiss du kannst es; bringst du mir nicht binnen drei Tagen die Decke, so lass ich dich hängen.« Da schlich sich Tredesin in des Bären Haus und zog ihm sachte die Decke vom Leibe, ohne ihn aufzuwecken, und brachte sie nach Hause.
Der Bär aber hatte einen sehr schönen Vogel, mit dem er täglich früh zu plaudern pflegte. Als er daher Morgens erwacht war, fragte er den Vogel, was für Wetter sei (Uccello bel verde, che tempo fa?), und dieser antwortete:
Il tempo si è bell‘ e buon,
Ma Tredesin l’ha fatto al padron.
Recht schön und gut lässt sich das Wetter an,
Doch Tredesin hat dir was angethan.
Da bemerkte der Bär erst, dass ihm die Bettdecke fehlte und ärgerte sich sehr. Die Magd aber ging zum Edelmann und sagte: »Tredesin ist auch im Stande, dem Bären sein schönes Pferd zu stehlen.« Da liess der Herr den Knecht rufen und fragte ihn, ob er das im Stande wäre, und als dieser es verneinte, sprach der Herr zu ihm: »Denke etwas nach, das Pferd muss binnen drei Tagen in meinem Stalle stehen, sonst hängst du.« Da schlich sich Tredesin in des Bären Stall, umwand des Pferdes Hufe mit Stroh und führte es sachte in des Edelmanns Stall. Als am Morgen der Bär den Vogel um das Wetter befragte, sang dieser wieder:
Il tempo si è bell‘ e buon,
Ma Tredesin te l’ha fatto, Sior padron.
»Was hat mir der Schurke schon wieder gethan?« rief der Bär.
»Euch das Pferd gestohlen«, antwortete der Vogel.
Da wurde der Bär wild und brummte: »Wenn ich dem Kerl einmal wo begegne, so erwürge ich ihn ohne weiteres.«
Nur noch erboster über das Misslingen ihrer Anschläge sagte die Magd zu ihrem Herrn, Tredesin sei auch im Stande, dem Bären seinen Liebling, den Vogel zu stehlen, und wieder liess ihn der Herr rufen, befahl ihm den Vogel zu bringen, und drohte ihm mit dem Galgen, wenn er sich weigerte. Da nahm Tredesin denn einen schönen, ganz mit Blumen umwundenen Käfig und ging damit zum Vogel. »Komme daher, schön grünes Vögelchen!« sagte er, »sieh den schönen Käfig.«
»Ich komme nicht«, antwortete der Vogel, »denn mein Käfig ist viel hübscher.«
»Nun probiren könntest du ihn doch«, erwiederte Tredesin, »denn wenn er dir nicht gefällt, so kehrst du in deinen wieder zurück.« Da ging der Vogel in den neuen Käfig, Tredesin aber machte schnell das Thürlein zu und trug seinen Gefangenen nach Hause.
Nun gerieth die Magd in grosse Verlegenheit und wusste kaum mehr, was sie sagen sollte. Da fiel ihr aber plötzlich ein, und schnell sagte sie es dem Edelmann, Tredesin habe sich gerühmt, den Bären selbst stehlen zu können. Dieser, dem die Idee gefiel, befahl alsogleich seinem Knechte mit der gewöhnlichen Drohung, den Bären in sein Haus zu bringen.
Da ging er denn mit der Hacke in den Wald des Bären und machte eine grosse Truhe, aber auch der Bär ging in den Wald nachzusehen, wer denn da arbeite, und als er den Burschen sah, fragte er ihn: »Was machst du hier in meinem Walde, wer hat dir das erlaubt?«
»Ich mache eine Todtentruhe für den armen Tredesin, der gestorben ist«, antwortete dieser dem Bären.
»O, wenn die Truhe für diesen Spitzbuben ist, so arbeite nur zu, ich will dir sogar selbst noch helfen«, sagte der Bär.
»Danke schönstens«, entgegnete Tredesin, »ihr werdet mir damit einen grossen Dienst erweisen. Also habt die Güte und legt euch ein wenig hinein, damit ich sehe, ob die Truhe lang und breit genug ist.«
Da legte sich der Bär in die Truhe und Tredesin bat ihn, ihm nur noch zu erlauben, dass er auch den Deckel probiere. Als er den Deckel oben hatte, nagelte er ihn schnell und fest zu und schleppte die Truhe nach Hause.
Als nun der Edelmann eine grosse Freude darüber hatte, sagte Tredesin zu ihm: »Herr! ich glaube, mich habt ihr nun oft und schwer genug geprüft, versucht es jetzt auch einmal mit der Magd. Die hat geprahlt, dass sie auf dem Gipfel der Strohtriste sitzen bleiben könne, ohne dass ihr das Feuer etwas schadet, wenn man die Triste anzündet.« Da liess der Herr die Magd rufen und befahl ihr, dieses Kunststück zu bestehen. Es half ihr kein Weigern und Bitten, sie wurde oben auf der Triste angebunden und der Herr selbst zündete die Triste an.
[Italien: Georg Widter/Adam Wolf: Volksmärchen aus Venetien]