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Königin Mjadveig

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Es wird erzählt, daß in alter Zeit ein König Namens Mani in seinem Reiche herrschte; derselbe hatte mit seiner Königin eine Tochter, die Mjadveig hieß und bereits frühzeitig mit weiblichen Vollkommenheiten geschmückt war. Der König ließ ihr ein prächtiges Frauenhaus erbauen und gab ihr eine Menge Mädchen zur Bedienung.
Da trat das traurige Ereigniß ein, daß die Königin, Mjadveig’s Mutter, eine Krankheit bekam und daran starb. Nach dem Tode derselben wurde der König so betrübt, daß er nahe daran war, sich selbst zu Bette zu legen, und für nichts mehr Theilnahme hatte. Den Ministern des Königs schien dies bedenklich zu werden und sie gaben ihm daher den Rath, sich um eine andere Frau, die seiner würdig wäre, umzusehen.
Der König entschloß sich denn auch, zwei seiner angesehensten Minister mit einem prächtigen Gefolge auf Werbung auszuschicken, und dieselben segelten sogleich ab. Sie verirrten sich jedoch auf dem Meere und wußten nicht, wo sie waren oder welche Richtung sie nehmen sollten. Endlich erblickten sie Land. Sie steuerten mit ihren Schiffen darauf los und obwohl ihnen dasselbe unbekannt war, verließen sie doch die Schiffe.
Sie hatten hier zunächst eine Haidestrecke vor sich und wanderten auf derselben dahin, um Menschenwohnungen zu suchen; doch konnten sie nirgends solche finden. Da vernahmen sie plötzlich so schönes Harfenspiel, wie sie solches früher niemals gehört zu haben glaubten, und sie gingen dem Laute nach, bis sie ein kleines seidenes Zelt entdeckten, auf welches sie nun rasch zuschritten. In dem Zelte sahen sie ein Weib mit einer Harfe auf einem Stuhle sitzen und ihr schönes Spiel war es, welches sie herbeigelockt hatte. Bei ihr war auch ein kleines Mädchen.
Als das Weib die Männerschaar erblickte, erschrak sie so sehr, daß ihr die Harfe entglitt und sie selbst beinahe in Ohnmacht fiel. Nachdem sie sich von ihrer Bestürzung etwas erholt hatte, fragte sie die Männer, wohin sie gehen wollten, oder was sie hierher geführt habe. Dieselben erzählten nun, daß sie sich auf dem Meere verirrt hätten und Abgesandte des Königs Mani wären, der seine Königin verloren habe und deshalb von großer Traurigkeit erfüllt sei. Aus diesem Grunde, sagten sie, wünschten sie von ihr zu erfahren, in welchen Verhältnissen sie sich befinde; denn sie hätten einen guten Eindruck von ihr bekommen.
Das Weib erfüllte ihren Wunsch und erzählte, sie sei die Königin eines mächtigen Königs in diesem Lande gewesen; ein unzähliges Heer habe aber das Land verödet und den König erschlagen, und der Anführer des Heeres habe die Absicht gehabt, sich das Reich zu unterwerfen und sie selbst zum Weibe zu nehmen; sie habe aber nicht einwilligen wollen und sei darum mit ihrer Tochter hierher in diese Wüste geflüchtet, um sich hier verborgen zu halten.
Die Minister waren von dieser Auskunft vollkommen befriedigt; sie fanden, daß diese Frau eine passende Gemalin für König Mani sein würde, und trugen daher im Namen des Königs ihre Werbung vor. Die Frau aber zeigte sich anfangs wenig geneigt, die Werbung anzunehmen, und sagte, sie habe nicht im Sinne gehabt, eine neue Ehe einzugehen. Endlich ließ sie sich aber doch überreden. Sie bestiegen nun mit der Frau und deren Tochter die Schiffe und hatten günstigen Wind, bis sie heim kamen in König Mani’s Reich.
Als man aber die Schiffe vom Lande aus sehen konnte, setzte sich der König in einen Wagen und fuhr zum Strande hinab, und sowie er seine Braut erblickte, war mit einem Male all seine Traurigkeit verschwunden. Er fuhr hierauf zurück in die Stadt und ließ ein großes Hochzeitsfest veranstalten, welches einen halben Monat lang dauerte. Als dasselbe vorüber war, begab sich der König auf Reisen, um in seinen Landen die Schatzung zu erheben.
Nun wendet sich die Geschichte zurück zu Mjadveig, der Königstochter.
Als dieselbe einmal in ihrem Frauenhause saß, kam ihre Stiefmutter zu ihr und sagte, daß sie sich daheim in ihrer Einsamkeit langweile. Sie möchte daher zu ihrer Zerstreuung einen Spaziergang vor die Stadt hinaus unternehmen und bitte Mjadveig, sie zu begleiten. Diese willigte gern ein. Die Königin nahm auch das Mädchen, welches sie ihre Tochter nannte, mit, und so gingen alle drei vor die Stadt hinaus spazieren und die Königin war sehr freundlich gegen ihre Stieftochter.
Als sie ziemlich weit von der Stadt entfernt waren, bat die Königin Mjadveig, sie möge gestatten, daß ihre Tochter die Kleider mit ihr vertausche, und Mjadveig erlaubte auch dem Mädchen ihren Rock anzuziehen, während sie selbst die Kleider des Mädchens anlegte. Da sagte die Königin:
»Nun bestimme und zaubere ich, daß meine Tochter ganz das Gesicht und Aeußere Mjadveig’s erhalte, so daß Niemand sie für eine andere halten soll.«
Mutter und Tochter banden nun Mjadveig die Hände und Füße und ließen sie so zurück; sie selbst aber gingen zurück in die Stadt und die Königin setzte ihre Tochter in das Frauenhaus Mjadveig’s. Alle glaubten, sie sei diese selbst; doch fanden die Mägde, daß sie seit diesem Spaziergange mit der Königin ihre Sinnesart auffallend geändert habe. Sie ahnten nichts und wußten auch nichts von dem fremden Mädchen, welches früher mit der Königin dahin gekommen war, und gaben sich auch keine Mühe, etwas über dasselbe zu erfahren.
Von Mjadveig, der Königstochter, ist jedoch zu melden, daß sie so übel behandelt, wie früher erzählt wurde, dalag, bis sie vor Schmerz und Verzweiflung in Schlummer fiel. Da träumte sie, daß ihre selige Mutter zu ihr kam, mitleidige Worte zu ihr sprach, sie ihrer Bande entledigte, ihr ein Tuch gab, in welchem sich Speisen befanden, und dabei sagte, daß sie dasselbe nie ganz leeren, Niemanden zeigen, sich selbst aber vor ihrer Stiefmutter und deren Tochter gut in Acht nehmen solle.
Als Mjadveig erwachte, war Alles so, wie sie geträumt hatte.
In der Königin stiegen aber bald Befürchtungen auf, daß Mjadveig noch am Leben sein könne. Sie schickte deshalb heimlich ihre Tochter in den Wald hinaus, um zu erforschen, wie es mit ihr stehe. Dieselbe fand auch Mjadveig und sah, daß in ihrer Lage eine Veränderung vorgegangen sei. Sie wandte ihre ganze heuchlerische Freundlichkeit an, um dahinter zu kommen, was diese Veränderung hervorgebracht habe, und sagte zu Mjadveig, daß ihre Mutter schlimm an ihr gehandelt habe, indem sie sie auf solche Weise betrog, und daß sie selber nun die Verbannung mit ihr theilen wolle; wenn der König zurück komme, würde sie schon wieder zu ihrem Rechte kommen; bis dahin aber solle sie das gleiche Schicksal vereinigen.
Obwohl diese Worte des Mädchens Mjadveig’s Mißtrauen erregten, mußte sie sich doch darein finden, daß dasselbe bei ihr blieb. Nach einiger Zeit legte das Mädchen sich nieder und stellte sich, als ob es schlafe. Als Mjadveig glaubte, daß dasselbe eingeschlafen sei, holte sie ihr Tuch hervor und begann zu essen; aber nun hatte die Tochter der Königin ihre Absicht erreicht; sie sprang plötzlich auf, entriß Mjadveig das Tuch und kehrte nach Hause zurück, indem sie sagte, daß diese Speise Mjadveig niemals frommen solle.
Mjadveig befand sich jetzt in derselben schlimmen Lage wie früher, und sie wanderte von einem Orte zum andern, bis sie endlich vor Müdigkeit und Kummer einschlief. Da träumte sie, daß ihre Mutter ein zweites Mal zu ihr kam und ihr sagte, daß sie sehr unvorsichtig gehandelt habe; da es sich nun aber so verhalte, solle sie den geraden Weg zur See hinab gehen; dort werde sie eine Landzunge sehen, welche sich in’s Meer hinaus erstrecke und einen schmalen Fußsteig, der zu derselben hinausführe; auf diesem Steige solle sie hingehen, bis sie ein kleines Haus finden werde, welches zwar verschlossen sei, zu dem aber der Schlüssel in der Thür stecke. Sodann solle sie dreimal mit der Sonne und dreimal gegen die Sonne um das Haus herumgehen und jedes Mal den Schlüssel anfassen; dann würde das Haus sich öffnen; in demselben solle sie sich zunächst aufhalten. Sie werde sich darin jedoch nicht langweilen, »denn«, so sagte sie:

»Dort singen Gauche,
Dort sprießen Lauche,
Und dort fahren Widder aus ihrem Felle.«

Da erwachte Mjadveig und sie ging nun den Weg, welcher ihr im Traume angezeigt worden war. Es traf Alles so ein, wie es ihr vorausgesagt war, und es verstrich ein Tag nach dem andern in gleicher Lustbarkeit für Mjadveig.
Eines Tages jedoch, als sie zu ihrer Unterhaltung an’s Land hinaufgegangen war, sah sie in nicht großer Entfernung eine Flotte von Schiffen heran segeln. Bei diesem Anblicke erschrak sie sehr und lief, so schnell sie konnte, zurück nach ihrem Hause; dabei löste sich jedoch einer ihrer Schuhe, die aus Gold waren, los und sie verlor denselben im Laufen.
Der Anführer der Flotte war ein Königssohn, welcher in keiner anderen Absicht kam, als um die Tochter des Königs Mani, Mjadveig, zu freien. Als er an’s Land stieg, um in die Stadt zu gehen, fand er einen Frauenschuh aus Gold, der so zierlich geformt war, daß er gelobte, dasjenige Mädchen zu heirathen, dem dieser Schuh gehöre.
Er kam in die Stadt und freite um Mjadveig, die Königstochter, fügte aber gleichzeitig hinzu, daß er gelobt habe, nur diejenige zu heirathen, deren Schuh er auf dem Wege zur Stadt gefunden habe. Die Königin wünschte den Schuh zu sehen und der Königssohn reichte ihr denselben hin. Sie kenne diesen Schuh sehr gut, sagte sie hierauf; den habe einmal ihre Tochter Mjadveig verloren, als sie zu ihrer Unterhaltung einen Spaziergang gemacht; das sei ja schon so die Art der Jugend.
Hierauf ging sie zu ihrer Tochter und erzählte ihr, wie die Dinge jetzt ständen, und begab sich mit ihr in ein abgelegenes Gemach, um ihr den goldenen Schuh anzulegen; allein sie brachte nicht einmal den halben Fuß ihrer Tochter hinein. Da hieb die Königin die Zehen und die Ferse vom Fuße und es gelang ihr, denselben in den Schuh zu stecken. Das Mädchen fand, daß die Mutter wohl gar schlimm mit ihr verfahre, aber die Königin sagte, daß man etwas thun müsse, um einen Königssohn zum Manne zu bekommen. Hierauf zog sie ihr ihre schönsten Kleider an, führte sie an der Hand in die Halle und zeigte dem Königssohn, daß der Schuh zu diesem Fuße passe, was demselben auch so zu sein schien. Da hielt er auf’s Neue um die Hand der Königstochter Mjadveig an und seine Werbung wurde auch angenommen. Der Königssohn sagte, daß er jetzt mit seiner Braut heimsegeln wolle in sein Reich, später aber wieder kommen werde, um die Eltern zur Hochzeitsfeier einzuladen, und so zog er auch fort mit der Tochter der Königin.
Als er aber an der Stelle vorbeisegelte, wo das Haus der Mjadveig lag, hörte er ein so lautes Gezwitscher von Vögeln, daß er demselben eine größere Aufmerksamkeit schenken mußte; er verstand sich auf die Sprache der Vögel und es schien ihm, daß sie sagten:

»Im Steven sitzt die Absatzgehackte,
Voll ist der Schuh vom Blute;
Hier am Lande ist Mjadveig,
Mani’s Tochter,
Eine viel besser
Zur Braut Beruf’ne.

Kehre um, Königssohn!«
Anfangs wollte er diesem Vögelgeplauder keinen Glauben schenken; als er sich endlich doch entschloß genauer nachzusehen, fand er, daß sich bezüglich des Mädchens Alles so verhielt, wie die Vögel verkündet hatten. Da nahm er einen Zauberstab und legte ihn ihr über die Schultern. Da wurde sie mit Einem Male zu einem großen und häßlichen Riesenweibe und mußte nun Alles von sich und ihrer Mutter, der Königin, erzählen. Hierauf erschlug er sie und salzte sie ein; ihr Fleisch aber, welches zwölf Tonnen füllte, ließ der Königssohn an Bord eines Schiffes bringen, welches vorher mit einer großen Menge Pulver beladen worden war.
Sodann ließ er von seinem Schiffe ein Boot aussetzen, ruderte an’s Land und fand das Haus. Nach Anweisung der Vögel gelang es ihm auch, dasselbe zu öffnen und er sah hier ein wunderschönes Mädchen. Er fragte dasselbe um seinen Namen, worauf er erfuhr, daß sie Mjadveig heiße, König Mani’s Tochter sei und daß sie sich hier im Verborgnen aufhalten müsse wegen der Bosheit ihrer Stiefmutter. Der Königssohn erzählte ihr sodann, wie die Dinge sich gewendet hätten, zeigte ihr den goldenen Schuh, welchen er nun selbst an ihren Fuß legte, und er sah dabei, daß sie den dazu gehörigen Schuh an dem anderen Fuße hatte.
Der Königssohn war also überzeugt, daß dieses Mädchen seine rechte Braut sei, obschon man ihm die Wahrheit verborgen hatte. Mit ihrem Willen brachte er sie hierauf auf sein Schiff und segelte sodann mit seiner Flotte in eine verborgne Bucht, in der er sich eine Zeit lang aufhielt. Dann ließ er alle Schiffe wieder in den Hafen der Stadt segeln und er ging nach der Halle des Königs und lud den König und die Königin zur Hochzeit ein.
Der König war gleich bereit zu kommen, die Königin jedoch nicht; sie sei nicht gewöhnt an Seereisen, sagte sie, sie wolle daher lieber zu Hause bleiben als eine so lange Fahrt unternehmen. Der Königssohn stellte ihr vor, daß ihre Tochter sehr betrübt sein würde, wenn sie dieser Einladung nicht nachkäme, und er setzte seine Ueberredungskunst so lange fort, bis sie sich endlich doch bewegen ließ. Nun wurden sie alle in Wagen nach dem Strande hinab geführt und gingen sodann an Bord, worauf die Schiffe in die See stachen.
Unterwegs wurde jedoch die Königin so betrübt und kummervoll, daß sie für keinen Menschen Gedanken hatte. Der Königssohn bat sie nun unter vier Augen, ihm zu erzählen, was ihr denn solchen Kummer verursache. Sie that dies sehr ungern, ließ sich aber endlich doch überreden und erzählte, es sei mit ihrer Gesundheit auf dieser Reise so beschaffen, daß sie kaum Lust habe zu speisen, wenn Andere speisen, und daß dies gewiß daher komme, weil sie seekrank sei. Sie bat den Königssohn, diesem Umstande abzuhelfen; er aber antwortete ihr, daß er dies nicht im Stande sei, da er keine Speise kenne, die ihr dienlich sein könnte; er habe nur etwas eingesalzenes Fleisch auf einem seiner Schiffe, dasselbe sei aber roh, sagte er, und könne ihr deshalb wenig nützen. Sie antwortete jedoch, daß sie sich dasselbe selbst kochen könne, und bekam nun wieder ein strahlendes Angesicht; sie bat aber den Königssohn, über diese unbedeutenden Dinge Schweigen zu bewahren.
Wie erzählt wird, verspeiste die Königin jeden Tag eine Tonne Fleisch und war, so lange sie ihre Mahlzeit genoß, immer in das häßlichste Riesenweib verwandelt, wenn sie aber damit zu Ende war, nahm sie wieder ihre menschliche Gestalt an. So vergingen nun eilf Tage; am zwölften aber rief der Königssohn den König Mani gerade in dem Augenblick herbei, als sie daran ging, die zwölfte Tonne Fleisch zu verspeisen, zeigte ihm ihr Beginnen und erzählte ihm, wie oft sie dies schon während dieser Reise gethan habe. Der König war auf’s Höchste bestürzt, als er nun sah, was für ein Ungeheuer ihn in’s Garn gelockt hatte. Sie entzündeten das Pulver auf dem erwähnten Schiffe, welches sogleich in die Luft flog, und die Königin, oder richtiger gesagt das Riesenweib, erlitt einen raschen Tod.
König Mani bat nun den Königssohn, er möchte ihm erzählen, wie diese entsetzlichen Geschichten zusammenhängen. Das that derselbe auch, und er führte den König sodann zu Mjadveig, welche ihm ganz genau von dem Benehmen und dem Betrug der Mutter und Tochter berichtete; der König aber war höchlich erstaunt über diese Zeitungen.
Nun segelten sie heim nach dem Reiche des Königssohnes, wo ein lustiges Hochzeitsfest abgehalten wurde, das einen ganzen Monat dauerte, und bei dem viel getrunken wurde. Als dasselbe zu Ende war, wurde der König reichlich beschenkt und segelte wieder heim in sein Reich, wo er bis zu seinem hohen Alter herrschte, und er kommt in der Erzählung nicht weiter vor.
Von dem Königssohne aber ist zu melden, daß er nach dem Tode seines Vaters König wurde. Es verging ein Jahr, ohne daß sich etwas anderes ereignete, als daß die Königin Mjadveig ein wunderschönes Knäblein gebar. Nach der Geburt des Kindes ging sie eines Tages mit einer ihrer Dienerinnen in’s Bad; als sie aber dahin gekommen war, hatte sie keine Seife, und sie schickte daher die Dienerin heim, um solche zu holen; sie selbst aber blieb allein an dem Badeorte zurück.
Da kam ein Weib zu ihr und grüßte sie sittig und die Königin erwiederte ihren Gruß. Das Weib bat sie, daß es die Kleider mit ihr vertauschen dürfe und Mjadveig gewährte ihr auch diese Bitte. Da sprach das Weib einen Spruch und wirkte den Zauber, daß es selbst das ganze Aussehen der Königin erhielt, Mjadveig aber zu dem Bruder des Weibes ziehen mußte; und zur selbigen Stunde verschwand auch die rechte Königin. Niemand wußte etwas von der Verwechselung der Königin, aber von diesem Tage an wollte die Königin den Leuten gar nicht mehr gefallen, was ja auch nicht zu verwundern ist.
Es wird erzählt, daß der König, als er Mjadveig von der Landzunge holte, das Häuschen, in welchem sie dort wohnte, so schön und lieblich gefunden hatte, daß er dasselbe durch seine Zauberkünste in die Stadt versetzte, wo es seither neben der Wohnung der Königin stand und ganz dieselben Eigenschaften hatte, wie früher, als Alles gut ging:

»Dort sproßten Lauche,
Dort sangen Gauche,
Und fuhr der Widder aus seinem Felle.«

Aber nun veränderte es sich so, daß:

»Nicht mehr singen Gauche
Nicht mehr sprießen Lauche,
Und nicht mehr fährt der Widder aus seinem Felle –
Und niemals schweigt der junge Knab‘,
Der in der Wiege liegt,«

und Alles im Reiche in Verwirrung zu kommen scheint.
Da geschah es eines Tages, daß ein Hirt des Königs zur See hinab wanderte. Derselbe sah hier, daß unter einigen steilen Klippen eine Glashalle aus dem Meere emportauchte, worin ein Weib saß, welches der Königin Mjadveig so ähnlich sah, daß er die beiden nicht von einander zu unterscheiden vermochte; um die Halle aber war eine eiserne Kette geschlungen, welche von einem häßlichen Riesen gehalten wurde, der die Halle wieder in den Meeresgrund hinabzog.
Der Mann war ganz verblüfft über dieses Gesicht und blieb bei einem Bache stehen. Aber während er so in Gedanken versunken dastand, sah er ein Kind aus dem Bache Wasser schöpfen. Er schenkte dem Kinde einen Fingerring aus Gold; dieses war auf das Höchste über diese Gabe erfreut und verschwand hierauf in einem Stein, welcher sich in der Nähe befand. Gleich darauf kam ein Zwerg aus dem Steine heraus, grüßte den Mann, dankte ihm für das Geschenk, das er dem Kinde gegeben und fragte ihn, was er als Entgelt dafür haben wolle. Der Hirt wünschte jedoch nur zu wissen, was es mit dem Gesichte, das er zwischen den Klippen sah, für eine Bewandtniß habe.
Der Zwerg erzählte ihm, daß es die Königin Mjadveig sei, welche in der Glashalle wohne; daß sie von bösen Geistern verzaubert sei, während ein Riesenweib, welches eine Schwester des Riesen sei, den er die Kette halten sah, nun ihre Stelle eingenommen habe. Weiters erzählte ihm der Zwerg, daß der Riese der Bitte Mjadveigs nachgegeben und ihr erlaubt habe, viermal auf jene Weise, die er selbst gesehen, ans Land zu kommen; sie solle auch von ihrer Verzauberung erlöst werden, wenn Jemand so glücklich sein würde, sie zu dieser Zeit aus seinen Klauen befreien zu können; aber nun sei sie schon dreimal, auf dem Lande gewesen, und wenn sie das nächste Mal wieder herauf komme, sei es das vierte Mal.
Der Hirt bat den Zwerg, ihm einen Rath zu geben, wie er die Königin aus der Verzauberung erlösen könne. Der Zwerg gab ihm eine Axt und hieß ihn damit auf die Kette hauen, wenn die Halle den nächsten Tag wieder heraufkomme.
Der Hirte wartete im Steine bei dem Zwerge die Nacht über; des Morgens aber begab er sich dahin, wo die Halle aufzutauchen pflegte. Es dauerte auch nicht lange, so kam die Halle herauf zu den Klippen und der Hirte überlegte nun nicht lange, sondern hieb die Kette los und hatte Glück dabei. Aber jetzt kam der Riese herauf und wollte denjenigen erschlagen, der auf die Kette hieb. Da eilte der Zwerg herbei mit einem kleinen Sacke, dessen Inhalt er auf den Riesen warf, der davon augenblicklich erblindete, so daß er von den Klippen stürzte und sogleich sein Leben verlor.
Sie brachten hierauf Mjadveig in den Stein, wo sie vorläufig verblieb. Die Anderen aber gingen in die Stadt und legten einen Zauberstab an die vermeintliche Königin; in demselben Augenblicke verwandelte sich diese zu einem häßlichen Riesenweibe und sie zwangen sie nun, ihnen ihre Geschichte zu erzählen.
Da erzählte sie, wie sie Mjadveig behandelt habe, und wo sich die Wohnung ihres Bruders befinde. Desgleichen erzählte sie ihnen, daß König Mani’s zweite Gemalin ihre Schwester gewesen sei; sie habe dies gethan, um sich an Königin Mjadveig zu rächen, sagte sie. Der König wurde vom größten Zorne erfüllt und ließ dieses Ungeheuer den schmählichsten Tod erleiden.
Der Hirt fragte den König, welchen Lohn er dem Manne geben wolle, der die Königin aus ihrer Verzauberung befreien könne. Der König antwortete, daß er denjenigen durch große Geldgeschenke ehren, ihm den Fürstentitel verleihen und Länder zum Beherrschen geben wolle. Der Hirt zögerte nicht lange, holte die Königin und brachte sie dem Könige.
Da gab es ein so freudenvolles Wiedersehen, daß es sich nicht beschreiben läßt. Als die Königin wieder zu ihrem Glücke kam:

»Da sangen Gauche,
Da sproßten Lauche,
Da fuhr der Widder aus seinem Felle,
Da schwieg der junge Knab‘,
Der in der Wiege lag.«

Von dieser Zeit an lebte die Königin in Glück und Freude bis in ihr hohes Alter, und nun ist die Geschichte von Mjadveig, der Tochter Mani’s, zu Ende.

[Island: Jos. Cal. Poestion: Isländische Märchen]

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