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Scherenschleifer und Schattenherz

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Einst kam ein Scherenschleifer von einer langen Wanderschaft das erste Mal in seine Heimat zurück. Nun war sein Handwerk damals kein besonders ehrbares Gewerbe. Doch dem Scherenschärfer, der es mit der Ehrbarkeit nicht so genau nahm, war das einerlei. Da er hin und wieder mal etwas mit nahm, was ihm gar nicht gehörte, war es gut, dass er in seinem Handwerk viel unterwegs war. Für den Fall, dass jemand etwas vermisste.

Als er so in das Dorf hinein wanderte, lief eilig eine Frau an ihm vorbei. Erst sah sie ihn nur kurz an, aber dann warf sie ihm noch einen zweiten, längeren Blick zu und erkannte ihn.
„Du? Es ist schon so lange her! Ich bin es, deine Base!“ Nun erkannte sie auch der Schleifer. Seit er vor zehn Jahren bei seinem Onkel ausgebüchst war, hatte ihn nichts mehr nach Hause gezogen. „Wo warst du die ganze Zeit? Wie ist es dir ergangen?“, plapperte sie weiter, besann sich dann jedoch. „Du kommst noch zur rechten Zeit. Dein Onkel liegt auf dem Totenbett und wird bald seine Augen für immer schließen. Willst du ihm nicht einen letzten Gruß mit auf den Weg geben?“
Gerade das wollte der Bursche am allerwenigsten. Der alte Geizhals! Mochte er in der Hölle schmoren! Jahre hatte der heutige Scherenschleifer nach dem Tod seiner Eltern im Haus des Onkels verbringen müssen. Aus lauter Knauserei hatte es nie etwas Ordentliches zu essen gegeben, bis der Schleifer weggelaufen war. Aber da kam ihm eine Idee. Der Onkel hatte immer Goldmünzen in seiner Hütte liegen. Die müssten doch noch da sein? Nie und nimmer hatte er sie ausgegeben.

So sagte er seiner Base zu und ging mit ihr zum Onkel. Am Sterbebett waren nur der Pfarrer und drei alte Frauen damit beschäftigt, fleißig zu beten. Den geizigen Onkel hatten schon immer die meisten im Ort nicht leiden können.
Röchelnd lag er da. Es würde schon sehr bald mit ihm zu Ende sein, erkannte der Schleifer. Er musste sich beeilen, wenn er noch etwas Lohnendes finden wollte, bevor sie das Sterbehaus verschließen würden. Mit aufgesetzter Traurigkeit kniete er sich hinter seiner Base ans Bett und sah sich unauffällig um. Der Onkel erkannte nichts mehr, sondern stammelte im Delirium.
„ Das … das …“
Der Scherenschleifer ärgerte sich. Wo war das Gold?
„Das … das … Schattenherz“, hauchte der Onkel mit schwindender Kraft und starb. Er hatte es so leise gesprochen, dass es außer der ins Gebet vertieften Base und dem Burschen niemand hatte hören können. Das Gemurmel vom Pfarrer und den alten Frauen wurde lauter. Als der Scherenschleifer seine Augen noch einmal durch das Zimmer schweifen ließ, sah er auf dem Nachttisch einen kleinen, dunklen Gegenstand liegen, den der Onkel immer wie seinen Augapfel gehütet hatte. Einen letzten Gruß an den alten Mann vortäuschend streckte der Scherenschärfer seine Hand aus. Wenig später verschwand der Gegenstand unmerklich in seiner Jackentasche. Wenn es dem Knauser so wertvoll war, musste es ein Sümmchen einbringen.

Am nächsten Morgen war der Scherenschleifer wieder unterwegs. Ein Nachtlager hatte er sich bei der Base erschnorrt und dort gleich heimlich sein Bündel mit Leckereien aus deren Speisekammer gefüllt. Nun schaute er zu, dass er eine gute Wegstrecke zwischen sich und seine alte Heimat brachte. Heute brannte die Sonne vom Himmel. So wurde der Wanderer bald müde und stoppte an einem Bach. Das üppige Mahl, das ihm seine Base am letzten Abend gekocht hatte, lag ihm doch etwas im Magen. Nun wollte er auch endlich seine Beute aus dem Haus des Onkels besehen. Er setzte sich und holte den kleinen, schwarzen Gegenstand aus seinem Bündel. Er war recht schwer, glatt, glänzend und pechschwarz. Von der Form her unregelmäßig, erinnerte er etwas an ein Herz. Aber sonst war nichts besonderes an ihm.
„Vielleicht ist er aus einem seltenen Mineral“, dachte sich der Scherenschärfer, holte eine von der Base stibitzte Flasche Wein heraus und trank einen großen Schluck.
Das Getränk machte ihn bald noch müder. Den Kopf im Halbschatten eines Strauchs legte er sich hin und war im Nu eingeschlafen. Den schwarzen Stein hatte er immer noch in der Hand.

Als er eine Stunde später wieder erwachte, fühlte er sich prächtig. Den Stein, der ihm während des Schlafs ins Gras gefallen war, nahm er wieder auf und steckte ihn ein. Mit einem Klimpern landete er in der Hosentasche.
Mit einem Klimpern? Der junge Mann stutzte. Schnell griff er in die Tasche. Und in der Tat – seine Tasche, die zuvor leer gewesen war, enthielt jetzt neben dem Stein eine Münze, eine echt goldene sogar. Potztausend! Sollte der alte Geier einen Zauberstein behütet haben, der ihn zu seinem Gold verhalf, das er vor lauter Geiz nie ausgegeben hatte? Schnell steckte er den Stein nochmals in seine Tasche, doch dieses Mal zauberte er keine Münze mehr hinein. Er legte ihn neben sich, einmal hierhin, einmal dorthin, doch keine weitere Goldmünze wollte auftauchen. So gab er schließlich vorerst auf, denn er musste an diesem Tag noch die nächste Stadt erreichen, wo Kundschaft und Beute auf ihn warteten. Gier nach Gold, das alle Sorgen zu begraben schien, erwachte in ihm. Hastig lief er weiter.

Der nächtliche Dieb schlich leise durch das prächtige Schloss, in der Hand einen großen Sack, schon gut gefüllt mit gestohlenen Reichtümern. Der leichte Schein einer Fackel, die draußen im Hof flackerte beleuchtete kurz sein Gesicht. Es war der Scherenschleifer. Er hatte herausgefunden, wie das Schattenherz funktionierte. Er war sich sicher, dass seinem Fund im Sterbezimmer das letzte Wort des Onkels gegolten hatte. Denn wenn man den Zauberstein in den eigenen Schatten legte und dann einschlief, erwachte man stets mit einem Goldstück in der Tasche. Der Scherenschleifer war nun vermögend und verkehrte am Hof des Königs. Aber er brauchte mehr – ein Goldstück pro Tag befriedigte lange nicht seine steigende Gier oder deckte seine großen Ausgaben. So benötigte er noch immer seine früher erlernten Fähigkeiten. Nicht die zum Schärfen von Messern und Sensen, wohl aber die, wie man nachts unbemerkt in ein Haus schleichen konnte. Bloß dass es nun um wesentlich kostbarere Beute ging. Keine unbewachten Schinken mehr – Gold, nur noch Gold und Edelsteine mussten es sein.
Hier, in diesem Flügel des Schlosses, hatte der Herzog seine wertvollsten Schätze untergebracht. Die Augen gingen den Scherenschleifer über vor so viel Pracht. Nur der König war noch reicher als sein mit Sorgfalt gewähltes Opfer. Leise schlich er um eine Ecke und griff nach einer mit Edelsteinen besetzten Vase. Lautlos verschwand sie in seinem Beutel. Da! Hatte er da vorne nicht einen Laut gehört? Schweiß brach dem Schleifer aus allen Poren. Schon am Tor war er beinahe geschnappt worden. Eilig verbarg er sich in einer Nische. Sie kamen. Zwei schwer bewaffnete Wachen des Herzogs mit Laternen in der Hand näherten sich. Warum nahmen sie gerade diesen Gang? Wenn sie den Abzweig nehmen würden, könnten sie ihn übersehen. Nein. Sie kamen direkt auf ihn zu. Er saß in der Falle.

Drei Tage später, gegen Mittag, schlurfte ein Trunkenbold aus dem königlichen Kerker. Nie mehr eine solche Sauftour. Im Verließ war er diesmal gelandet, in der Zelle zusammen mit einem Dieb, den sie am Morgen gehängt hatten. Gerade als der Trunkenbold das erste mal erwacht war hatte er die Trommeln der Hinrichtung gehört. Furchtbar!
Doch jetzt quälte ihn schon wieder der Durst nach dem köstlichen Tröpfchen des Wirtes am Markt. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass seine Barschaft noch für ein paar Gläschen reichen müsste. So steuerte er direkt auf seine Stammtaverne zu. Irgendetwas in seiner Tasche stieß derweil gegen sein Bein. Es war klein, doch schwer und so holte der Trunkenbold es heraus. Es war glatt, tiefschwarz, unregelmäßig geformt und ungefähr herzförmig. Lustlos betrachtete es der Durstige eine Weile, dann steckte er es wieder ein. Irgendwie war das Ding außergewöhnlich – vielleicht mochte es sich in einen guten Tropfen umsetzen lassen? Auf jeden Fall war es kein Grund, sich auf dem Weg zu einem guten Fläschchen aufhalten zu lassen.

Er würde seinen Wirt in nächster Zeit oft besuchen. Denn er wird herausfinden, wie er dafür sein Geld vermehren konnte. Doch seine Trunksucht wird ihn bald zu Grunde richten. Genau wie den Scherenschleifer, dessen Gier und den Onkel sein Geiz den Tod gebracht hatte. Den eigentlichen Zauber des Schattenherzens hatte keiner von ihnen herausgefunden, nur den offensichtlichen Schein.
Und das Schattenherz wandert noch.

 
Quelle: nicht angegeben
 

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