Verlassen wir jetzt das Ungeheuer und nehmen wir den König des unglücklichen Landes dran! Der wurde alt, und auch die Königin alterte, und Kinder hatten sie nicht. Eines Tags nun sass die Königin am Fenster und weinte, weil sie kinderlos war und sah, dass der Thron in fremde Hände übergehen werde. Da auf einmal erschien vor ihr ein altes Mütterchen, das hatte einen Apfel in der Hand und fragte: ‚Was ist dir, meine Königin, dass du weinst und dich härmst?‘ – ‚Ach, liebe Alte,‘ erwiderte jene, ‚es betrübt mich sehr, dass ich keine Kinder habe.‘ – ‚Ei,‘ sprach die Alte, ‚darum härmst du dich? Hör mich an. Ich bin eine Nonne aus dem Kloster Gnothi, und meine selige Mutter hat mir als Erbschaft den Apfel hier hinterlassen: wer den isst, der bekommt ein Kind.‘ Die Königin gab der Alten viele Taler und kaufte dafür den Apfel. Dann schälte sie ihn, aß ihn und warf die Schalen zum Fenster hinaus. Eine Stute aber, die im Hofe umherlief, fraß die Schalen. Die Königin ward darauf schwanger, und zur selben Zeit ward auch die Stute trächtig. Als die Zeit kam, gebar die Königin ein Knäblein, die Stute aber warf ein männliches Füllen. Der Knabe und das Füllen wuchsen zusammen auf und wurden groß und liebten einander wie Brüder. Da starb der König, sein Weib folgte ihm nach, und so blieb der Sohn allein, der damals neunzehn Jahre zählte. Eines Tags nun, da er sich mit seinem Pferde abgab, sprach dieses zu ihm: ‚Wisse, dass ich dich lieb habe und dass ich dein Wohl und das deines Landes will. So höre mich. Wenn du fortfährst jedes Jahr zwölf Mädchen und zwölf Jünglinge dem König der Tiere auszuliefern, so wird dein Volk in wenigen Jahren zu Grunde gegangen sein. Auf, setz dich auf meinen Rücken, ich werde dich zu einer Frau bringen, die dir angibt, wie du das Ungetüm töten kannst.‘ Da bestieg der Jüngling sein Ross, das trug ihn weit fort zu einem Berg, in dem eine Höhle war, die dehnte sich unter der Erde aus gleich einer großen Ebene. Darin sass eine Alte und spann. Es war das ein Nonnenkloster, und die Alte war die Äbtissin. Und weil sie in einem fort spann, davon hatte das Kloster den Namen Gnothi (Spinnheim) erhalten. An den Wänden der Höhle befanden sich ringsum steinerne, aus dem Fels ausgehauene Betten, auf denen schliefen die Nonnen. In der Mitte aber brannte ein Licht. Das mussten die Nonnen abwechselnd hüten, damit es nie verlösche, und wenn eine von ihnen es ausgehen ließ, so wurde sie von den übrigen getötet. Sobald nun der Königssohn der spinnenden Alten gewahr wurde, fiel er ihr zu Fassen und bat sie ihm doch zu sagen, wie er das Ungeheuer töten könne. Sie aber hob den Jüngling auf, umarmte ihn und sprach: ‚Wisse, mein Sohn, dass ich es gewesen bin, die die Nonne zu deiner Mutter sandte und so bewirkte, dass du geboren wurdest, und mit dir auch das Ross, auf dass du mit seiner Hülfe die Welt von dem Ungeheuer befreien könntest. Läse dir also jetzt sagen, was du zu tun hast. Belade dein Ross mit Baumwolle und schlage mit ihm den und den Weg ein‘ – hierbei bezeichnete sie ihm einen heimlichen Weg, der nach dem Palast der Schlange führte und auf dem man den reißenden Tieren verborgen blieb -, ‚du wirst den König schlafend antreffen auf einem Bett, an dem ringsum Glocken angebracht sind; und über ihm in der Mitte seines Lagers wirst du ein Schwert hängen sehen. Nur mit diesem Schwerte ist es möglich die Schlange zu erlegen, denn seine Klinge, wenn sie auch bricht, ersetzt sich immer wieder bei jedem neuen Kopfe, der dem Ungeheuer wächst, also, dass du damit alle sieben Häupter ihm abschlagen kannst. Um das nun aber dem Könige zu entwenden, musst du’s also machen. Schleiche dich ganz leise hinauf in sein Schlafgemach und verstopfe alle Glocken, die sein Lager umgeben, mit Baumwolle, hierauf nimm ganz sacht das Schwert herab und versetze damit dem Ungeheuer rasch einen Schlag auf seinen Schweif. Da wird es erwachen und, sobald es dich erblickt, sofort dich angreifen. Du aber hau ihm nun den einen Kopf ab und warte dann, bis der zweite hervorwächst. Dann schlag ihm auch den ab, und so fahre fort, bis du alle sieben Köpfe abgeschlagen.‘ Hierauf gab die Alte dem Königssohne ihren Segen. Der machte sich nun auf den Weg, gelangte in dem Schlosse des Ungeheuers an und war so glücklich es zu erlegen. Als die Tiere des Gartens den Tod ihres Königs erfuhren, da eilten sie alle nach dem Schlosse, aber der Jüngling saß schon längst wieder auf seinem Pferd und war bereits weit von ihrem Reiche entfernt. Sie verfolgten ihn zwar hitzig, konnten ihn aber nicht mehr einholen. Er gelangte glücklich heim, und so hatte er sein Land von großer Gefahr befreit.
Quelle:
(Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder)