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Der Jäger und der Spiegel, der alles sieht

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Es war einmal ein Jäger, der ging alle Tage auf die Jagd und war stets glücklich. Eines Tags aber ging er wieder hinaus und lief bis zum Abend herum, ohne irgend ein Wild anzutreffen. Da sprach er: »bevor ich nicht irgend etwas gefunden habe, gehe ich nicht heim«, und blieb daher die Nacht über im Walde. Am andern Morgen kam er an den Seestrand und fand dort einen großen Fisch auf dem Sande liegen, der sich vergebens abmühte, wieder ins Wasser zu kommen. Da machte sich der Jäger dran und wälzte ihn in das Wasser, und als der Fisch merkte, daß er wieder flott war, sprach er: »was willst du für die Wohltat, die du mir erwiesen hast?« Der Jäger aber antwortete: »ich verlange gar nichts.« Da sprach der Fisch: »nimm dir eine Schuppe von meinem Leibe, und wenn du mich nötig hast, so brenne sie an, und dann komme ich.«
Der Jäger riß also eine Schuppe aus dem Leibe des Fisches, steckte sie zu sich und ging weiter. Nach einer Weile kam er in eine Ebene, in der ein ungeheurer Baum stand, unter den legte er sich, um zu schlafen. Kaum war er aber eingeschlummert, so wurde er von einem Geräusche wieder aufgeweckt, und als er aufstand um zu sehen, woher dies käme, erblickte er eine mächtige Schlange, welche den Baum hinaufkroch; da besann er sich nicht lange und schoß die Schlange tot, und als das die jungen Adler sahen, die auf dem Baume saßen, freuten sie sich sehr; der Jäger aber legte sich nieder und schlief weiter. Als nun die alten Adler zum Baume kamen und den Jäger darunter liegen sahen, so glaubten sie, daß er es sei, welcher ihnen ihre Jungen raube, und wollten sich auf ihn stürzen und ihm die Augen aushacken. Da schrieen die Jungen: »tut ihm nichts, tut ihm nichts; denn er hat die Schlange getötet.« Als das die Alten hörten, spreiteten sie ihre Flügel aus und machten ihm Schatten, so lange er schlief, und als er aufwachte, fragten sie ihn: »was willst du für die Wohltat, die du uns erwiesen hast?« Da antwortete der Jäger: »ich verlange gar nichts«; der älteste Adler aber sprach: »reiße eine Feder aus meinem Schwanze, und wenn du uns nötig hast, so brenne sie an und dann kommen wir zu dir.«
Da nahm der Jäger die Feder und steckte sie zu sich, und jagte auch diesen ganzen Tag, ohne auf irgend ein Wild zu stoßen. Am Abend endlich erblickte er einen Fuchs und sprach: »So, du kommst mir grade recht, du mußt dran glauben, denn ich laufe nun drei Tage herum, ohne etwas zu schießen.« Da rief der Fuchs: »schieße mich nicht, ich will dir geben, was du verlangst«, und der Jäger fragte: »was kannst du mir geben?« – »Laß dich das nicht kümmern, und reiße ein Haar aus meinem Rücken, und wenn du mich brauchst, so brenne das an, dann komme ich zu dir.«
Der Jäger nahm das Haar, steckte es zu sich und wanderte so lange, bis er in ein anderes Land kam. Dort herrschte ein König, dessen Tochter einen Zauberspiegel besaß, und die hatte in dem ganzen Reiche bekannt machen lassen, daß sie denjenigen zum Manne nehmen wolle, der sich so vor ihr verstecken könne, daß sie ihn nicht zu finden im Stande sei, daß er aber seinen Kopf verlieren müsse, wenn sie ihn fände, und es hatten schon so viele die Wette verloren, daß sie mit ihren Köpfen einen Turm erbauen ließ.
Als das der Jäger hörte, beschloß er die Wette einzugehn, und es wurde also vor dem Rate der Zwölfe eine Schrift mit Brief und Siegel aufgesetzt, daß, wenn die Prinzessin ihn nicht finden könne, sie seine Frau werden solle, wenn sie ihn aber fände, er den Kopf verlieren müsse. Zum Verstecken war ihm eine Frist von drei Tagen gegeben, er aber vergnügte sich zwei Tage lang mit Wein, Gesang und Tanz, und als man ihn aufmerksam machte, daß er, wenn die Zeit herum wäre, seinen Kopf verliere, da lachte er. Am dritten Tag ging er zum Meeresstrande und brannte die Schuppe jenes Fisches an, und als dieser herankam und nach seinem Verlangen fragte, sagte er zu ihm: »ich verlange, daß du mich so versteckst, daß mich Niemand finden kann.« Da öffnete der Fisch seinen Rachen und der Jäger schlüpfte hinein, und nachdem er sich darin zurecht gelegt hatte, fuhr der Fisch mit ihm in die Meerestiefe.
Als nun die Prinzessin in den Spiegel blickte, um ihn zu finden, da suchte und suchte sie in allen Räumen der Welt, konnte ihn aber nirgends sehn, und sprach bei sich: »das ist das Ende, den muß ich heiraten«, und sie war darüber nicht böse, weil der Jäger wegen seiner großen Schönheit Wohlgefallen bei ihr gefunden hatte. Als sie den letzten Blick in den Spiegel warf, da bemerkte sie ein Stückchen blauer Seide, das von der Mützenquaste des Jägers aus dem Rachen jenes Fisches herausstand, und rief: »ich habe ihn gefunden, ein Fisch hat ihn im Rachen.« Als nun der Jäger wieder ans Land kam und zur Prinzessin ging, um zu erfahren, ob sie ihn gefunden habe, sagte sie ihm, »daß er im Rachen eines Fisches gesteckt habe.« Darauf sprach dieser: »es ist wahr, laß mir also den Kopf abschlagen.« Sie aber erwiderte: »nein, ich schenke dir das Leben, weil noch keiner sich vor mir so gut versteckt hatte als du, doch laß dir das gesagt sein und wette nicht wieder.« Da dankte er ihr und ging weg, aber es dauerte nicht lange, so sprach er bei sich: »ich muß es noch einmal versuchen und sollte es mich auch den Kopf kosten.« Er ging also wieder zu dem Rate der Zwölfe, unterschrieb dort eine neue Schrift und brannte dann seine Adlerfeder an. Da kamen die Adler herbei, nahmen ihn auf sein Geheiß auf ihre Flügel und hoben ihn bis zum Himmel auf. Die Prinzessin sah nun wieder in ihren Spiegel und konnte ihn lange nicht finden, endlich aber erblickte sie wiederum seine Mützenquaste, die über den Adlern hervorschaute, und rief: »ich habe ihn gefunden.« Als nun der Jäger vor ihr erschien, um zu hören, ob sie ihn gefunden, sagte sie zu ihm: »hatten dich nicht die Adler in den Himmel gehoben?« Da sprach der Jäger: »so ist es, laß mir nun das Haupt abschlagen.« Sie erwiderte: »mache, daß du fortkommst, ich will dir diesmal noch das Leben schenken, aber du darfst nicht mehr wetten.« Doch er sprach: »ich versuche es zum dritten Mal, und wenn ich auch dabei verliere, so sollst du mich ohne Erbarmen hinrichten lassen.«
Da ging er noch einmal zum Rate der Zwölfe und ließ eine dritte Schrift aufsetzen, und nachdem er diese unterschrieben hatte, brannte er das Fuchshaar an. Als nun der Fuchs kam und ihn nach seinem Begehren fragte, sprach er: »du sollst mir eine Höhle graben, die von hier in das königliche Schloß bis unter den Sitz führt, auf den sich die Prinzessin setzt, wenn sie in den Spiegel sieht.« Da rief der Fuchs alle Füchse zusammen und diese gruben eine Höhle, wie sie der Jäger verlangt hatte. Als sie fertig war, schlüpfte er hinein, und während die Prinzessin vor dem Spiegel saß und ihn darin nicht finden konnte, stach er sie mit einer Nadel tick tack, durch den Sessel.
Als er wieder vor der Prinzessin erschien, um sie zu fragen, ob sie ihn gesehen habe, sagte sie: »nein, diesmal habe ich dich nicht finden können, wo warst du denn versteckt?« und der Jäger antwortete: »ich saß unter deinem eigenen Sessel und habe dich durch ihn mit einer Nadel gestochen.« Da rief die Prinzessin: »Ach das war es also, was mich so gestochen hat!« Darauf hielt der Jäger Hochzeit mit ihr und wurde König.

[Griechenland: Johann Georg von Hahn: Griechische und Albanesische Märchen]

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