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Die schwarze Märchenerzählerin

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„Uledi!“ rief am anderen Morgen die alte Negerin Amina, die in Umutti der Küche vorstand, indem sie in die Kammer des Burschen trat; „was schläfst du heute solange! Bwana (Herr)Msungu (Ausländer) wartet auf dich!“ Uledi schlief nicht mehr, langsam erhob er sich von der Matte, die ihm als Lager diente. „Mag er warten““ murmelte er für sich und trat gemächlichen Schrittes vor. Er war auf Scheltworte gefasst, aber es hätte ihm nur Freude bereitet, hätte er gesehen und gehört, dass er seinen Feind, den Msungu, geärgert hat. Er war aber nicht wenig erstaunt, als ihn der Herr von Umutti mit freundlicher Miene empfing. „Du warst wohl müde von dem Marsche, den du gestern gemacht hast, und darum hast du die Zeit verschlafen? Nimm dein Frühstück und begleite mich, wir wollen in die Pflanzung gehen“.
Bald darauf folgte Uledi seinem Herr und trug die Jagdflinte: Böse Gedanken beschäftigten ihn.
„Wie oft bin ich hinter ihm in dieser Art im Walde gegangen!“ meinte er. „Wie leicht hätte ich ihn töten können! Wenn Moharra das wüsste!“
„Uledi,“ sprach indessen der Msungu, „ich will dir etwas sagen. Merke aber gehörig auf! Die Sache ist wichtig. Du kommst bald in die Jahre, da du dir einen eigenen Hausstand gründen kannst. Willst du immer ein Pagasi bleiben? Oder – möchtest du nicht lieber der Herr einer Schamba ( Kleine Plantage ) sein? Denke dir, wenn du ein Bwana wärest, der sein eigenes Haus, seine Felder und Ziegen und Schafe besitzt? Wäre das nicht schön, mein Sohn?“
Der Msungu wandte sich um, und Uledi schaute betroffen in den prüfenden Blick seines Herrn. Er wurde verwirrt, denn er glaubte sich verraten; las denn der Msungu auf dem Grunde seines Herzens? Der Herr von Umutti musste seine Frage wiederholen, bis Uledi sich so weit sammelte, das er antworten konnte: „Ja, Herr, das wäre schön!“
„Gut“, fuhr der Msungu fort; „ich will dir zu einer Schamba verhelfen. Meine Kaffeebäumchen in der Schlucht müssen sorgfältiger bewacht werden. ein aufmerksamer, fleißiger Mensch muss in der Nähe wohnen. Ich will darum an der Kaffeepflanzungen ein Haus bauen lassen und dich einsetzen. Um das Haus werden wir einen Garten anlegen und in demselben Bananen, Erdnüsse und Gurken pflanzen. Das wird der Anfang einer Schamba sein, die wir von Jahr zu Jahr größer machen werden. Bewachst du meine Bäumchen gut, das sie blühen und Früchte tragen, so werde ich dir als Belohnung die Schamba schenken.
Der Msungu schwieg und ließ Uledi Zeit zum Besinnen. Die brauchte auch Uledi, denn das alles kam ihm so unvermittelt. eine Schamba war ja seit gestern sein innigster Wunsch; dass er eine Schamba nicht besaß, daran waren ja nur die Wasungu schuld; nun bot ihm sein Msungu den Besitz einer Schamba an. Das war ein so merkwürdiges Zusammentreffen, das Uledi es nicht begreifen konnte.
Der Herr von Umutti dachte, dass sein Diener denkfaul sei, und er drängte nicht weiter in ihn. „Überlege es dir“, sagte er, „wir wollen später wieder davon sprechen!“
Beide betraten inzwischen eine waldige Schlucht, die etwa 15 Minuten von Umutti entfernt war. In ihrer Mitte floss ein Gebirgsbach, an dessen einem Ufer sich die kleine Pflanzung von Kaffeebäumchen ausdehnte, in der bereits einige Wakami tätig waren. Sie machte durchaus keinen großartigen Eindruck, denn alles war hier noch in Anfängen begriffen. Hier lagen die Samenbeete, aus welcher die Keimlinge gerade hervorschauten, dort stand die älteste Anpflanzung, noch unscheinbare, kaum einen Fuß hohe Büsche; weiter schluchteinwärts sah man kahlen, ungehackten Boden, in welchem die Wakami in einer Entfernung von je zehn Fuß Pflanzenlöcher ausgruben. In diese sollten die jungen Bäumchen verpflanzt werden, aus denen erst die wirkliche Pflanzung emporblühen konnte.
An diesem Tage gab es besonders viel zu tun, und der Herr von Umutti leitete selbst das Verpflanzen der Bäumchen, damit die empfindlichen Wurzeln nicht beschädigt wurden. Zu seiner Freude zeigten sich die Wakamifrauen besonders anstellig und geschickt; sie waren ja von Jugend auf an das Säen und Pflanzen in ihren Gärten gewöhnt.
Die Mittagsstunde nahte bereits, und die übliche Rast sollte beginnen. Der Herr von Umutti schaute sich nach seinem Diener um, aber Uledi war nirgends zu sehen. Er fragte nach ihm, und da erwiderte ihm Koko, ein junges, flinkes Wakamimädchen:
„Bwana Msungu, dein Uledi sitzt in schlechter Gesellschaft. Er plaudert im Walde mit dem alten Moharra, und dieser spottet über deine Bäumchen. Ich habe ihn belauscht, als er zu Uledi sprach: Du wirst lange warten können, bis die Bäume blühen und Früchte tragen werden!
Die Araber trinken den Kaffee gern, und wenn der Baum hier gedeihen wollte, so hätten sie ihn längst angepflanzt. Haben sie nicht andere Dinge, Reis, Mais und Zuckerrohr, nach Sanzibar gebracht?“ „Moharra ist ein alter geschwätziger Narr;“ erwiderte der Herr von Umutti. „Glaubt nicht seinen Worten!“ „Wie sollen wir es auch!“ rief Koko. „Wir wissen ja recht gut, dass die Araber den Mais nicht über die Länder verbreitet haben“:
Der Msungu unterbrach aber das redselige Mädchen und befahl ihm, Uledi zu holen. Koko verschwand im Walde, und der Pflanzer schritt allein nach Hause. Er hatte schon früher bemerkt, dass der alte Sklaventreiber Moharra sich an seine Leute heranmachte, um sie widerspenstig oder widerwillig zu stimmen. Aber er hatte in Simbaweni erfahren, dass der Alte wieder mit einer Karawane ins Innere ziehen wollte, und so ließ er ihn gewähren. Am Eingange von Umutti holte Uledi seinen Herrn ein. „Was wollte der alte Moharra von dir?“ fragte der Msungu. „Entschuldige, Herr!“ erwiderte Uledi unterwürfig. „Moharra zieht morgen ins Innere; er hat von mir Abschied nehmen wollen.“
Diese Antwort befriedigte den Herrn von Umutti im höchsten Maße; da war von dem Einflusse des Alten nichts mehr zu befürchten. Uedi aber schlängelte sich an seinen Herrn heran und begann, von der künftigen Schamba zu sprechen. Erschien von der Aussicht auf ein selbständiges Heim geradezu begeistert zu sein. „Wirst du aber auch ausharren, bis die Bäume blühen und Früchte tragen? fragte spöttisch der Msungu. „O Herr!“ rief Uledi. „Koko hat den alten Moharra belauscht und hat dir das aus Rache erzählt, denn sie glaubte, dass ich auf sie allein im Walde warte. Ich werde warten, bis die Bäume blühen – und, Herr, Koko wird mit mir warten!“
Den Herr von Umutti schaute überrascht auf seinen jungen Diener; er erwiderte ihm nicht. Er wollte sich die Sache erst überlegen. Vielleicht war es gut, wenn ein junges Paar die künftige Schamba beziehen würde; aber er wollte die jungen Leute erst prüfen.
Am Abende desselben Tages war unter dem Patriarchenbaume eine größere Gesellschaft versammelt. der Herr von Umutti bewirtete seine Wakamiarbeiter und mischte sich unter sie; denn er wollte die Aussagen des alten Moharra widerlegen und den Leuten etwas von der Bedeutung des Kaffeebaumes mitteilen; inmitten Afrikas hielt er in der Landessprache, die er ganz und gar beherrschte, einen volkstümlichen Vortrag. „Im Lande der Neger,“ so erzählte er, „lebte einst ein Medizinmann, einmal sah er, dass seine Ziegen die Beeren eines immergrünen, strauchartiges Baumes fraßen, und bemerkte, dass die Tiere in der darauffolgenden Nacht nicht schliefen, sondern voller Munterkeit umhersprangen.
Der Mann war klug, er pflückte die Beeren und aß sie gleichfalls. Da fand er, dass sie auch bei ihm die Müdigkeit verscheuchten. Genoss er die Beeren, so konnte er besser arbeiten, länger marschieren und brauchte nicht solange zu schlafen. Da aber die Beeren herb schmeckten, so lernte er aus ihnen ein schmackhafteres Getränk bereiten, das er mit dem Safte des Zuckerrohrs oder mit Honig versüßte. er teilte die Entdeckung seinen Brüdern mit, und als einmal die Araber in das Land der Neger kamen, lernten sie den Genuss des Kaffees kennen und schätzen. Sie nahmen Samen von dem Baume mit und pflanzten ihn in Arabien. der Baum gedieh dort unter sorgsamer Pflege, und bald tranken alle Araber den Aufguss seiner Beeren. Wer die Bäume unter ihnen pflanzte, der wurde ein reicher und angesehener Mann. Von den Arabern lernten andere Völker den Genuss des Kaffees, und die Araber verkauften ihnen gern die Beeren für viele kostbare Ware. Ganze Karawanen kamen nach Arabien und zogen mit vielen Lasten Kaffee in die Heimat. Als aber die Leute den Samen in der Heimat pflanzten, da ging er nicht auf, denn die Araber verkauften nur einen ausgedörrten Samen, der seine Keimkraft verloren hatte.
Als die Leute wieder in das Land der Araber kamen und ihnen ohne Not klagten, da lachten die Schlauköpfe im stillen und sagten, so sei es, der Kaffeebaum wachse nur in Arabien; und sie hüteten sich wohl, den Fremden Baumpflanzen oder guten Samen zu geben. Es kam aber einmal ein kluger Mann nach Arabien, der sah zu, wie die Araber mit dem Samen verfuhren, verschaffte sich richtige Bohnen, die frisch und lebenskräftig waren und säte sie in seiner Heimat aus. Und siehe da, sie gingen auf; er hegte und pflegte die jungen Pflänzchen, er wartete geduldig, bis ein Jahr nach dem anderen verging und sah zu seiner Freude, dass sie sich in einem Frühling mit schneeweißen Blüten bedeckten und Früchte trugen. er gab von dem Samen allen, die ihn haben wollten, und so verbreitete sich der Kaffeebaum über viele Länder; nur die Neger glauben bis jetzt den Arabern und bauen keinen Kaffee, denn im Laufe der Zeit haben sie die Entdeckung ihres Medizinmannes vergessen. Und wie reich könnten die schwarzen Menschen werden, wenn sie diese Bäume hegen und pflegen wollten! Die Araber, die durch eure Dörfer ziehen, und die Wasungu, die euch besuchen, würden euch die Bohnen abkaufen und sie besser bezahlen als eure Hühner und Bananen.“
Die Leute hörten aufmerksam zu, aber sie schwiegen; nur das Wakamimädchen Koko rief lachend;
„Bwana Msungu, ich will dir eine ähnliche Geschichte erzählen, die Geschichte vom gelben Korne, dem Mais. Wisst ihr, wie er in die Welt verbreitet wurde? Ein fremder Mann, der mit einer Karawane tief aus dem Inneren gekommen ist, hat mir das gesagt. Soll ich euch die Geschichte erzählen?“ Die Leute horchten auf. Seit längerer Zeit bauten sie selber den Mais an; seine Geschichte interessierte sie augenscheinlich mehr, als die des ihnen so fremden Kaffees. Ein beifälliges Gemurmel erhob sich in der Runde, und man rief einhellig:
„Koko soll erzählen!“ Die junge Negerin erhob sich und stellte sich näher an das Feuer, das vor dem Patriarchenbaume angezündet wurde. Die Leute sollten nicht nur ihre Worte hören, sondern auch ihre Gebärden beim Vortrage sehen. Sie wandte sich gegen den Herrn von Umutti und begann:
„Vor langer, langer Zeit war es. Fern von dem Lande der Wakami lag damals ein schöner Landstrich, den die Leute Kesi nannten und in dem ein König namens Odschoko regierte. Ob er ein Araber war, weiß ich nicht; aber er war ebenso schlau wie die Araber, von denen du uns erzählt hast, Bwana Msungu. Damals lebten die Menschen nur von Bananen, Erdnüssen, Gurken und Melonen, von den Früchten der Waldbäume und der Jagdbeute. Das Korn kannten sie nicht, weder die Gerste, noch den Reis, noch den Mais. Ein Geist, der den Menschen wohl wollte, erschien dem Könige Odschoko in Gestalt eines Greises. Er zeigte ihm auf einer Wiese ein hohes Gras mit korngefüllten Kolben und lehrte ihn, wie man daraus Mehl gewinnen und Speisen bereiten könne.
Odschoko sammelte die gelben Körner, säte sie aus und sah, dass sie sich vermehrten. Er säte sie wieder und wieder, so dass er nicht nur sich und auch alle seine Untertanen damit ernähren konnte, sondern noch einen Überfluss zurück behielt. Da kamen die Nachbarvölker zu ihm und wollten gleichfalls von der gesunden, kräftigen Nahrung haben. Odschoko verkaufte aber das Korn zu hohen Preisen und traf dabei Anstalten, dass die Nachbarvölker es nicht selber bauen konnten. Er ließ alles Korn, dass an Fremde verkauft wurde, vorher mit heißem Wasser abbrühen, dass es die Kraft aufzukeimen verlor. Für die Nichtbefolgung seines Gebotes drohte er die Todesstrafe an; den Fremden aber ließ er sagen, dass das Korn nur in Odschokos Land wachsen könne. Als die Fremden in ihr Land heimkehrten, säten sie doch die Körner aus, da sie aber nicht aufgingen, glaubten sie Odschokos Worten und kamen nach wie vor in sein Reich und gaben ihm für das abgebrühte Korn Elfenbein und Tierfelle, dass er unermesslich reich wurde.
In der Nähe von Kesi wohnte aber ein König Namens Uka, der eine wunderschöne Tochter hatte, die man Nirezi oder Morgenstern nannte. König Odschoko begehrte sie zu seiner Frau, und Uka willigte ein. Nun verkehrten die Leute von Uka häufiger in Kesi, und Uka kam dahinter, dass Odschoko den rechten Samen den anderen Völkern vorenthalte. Er sandte darum Boten an seine Tochter Nirezi, sie möchte ihm doch heimlich von dem echten Samen des gelben Kornes senden. Nirezi aber ließ ihm erwidern: „Vater, deine Tochter hat dich lieb, aber jeder, der den kräftigen Samen aus dem Lande Kesi ausführen wollte, wird nach dem Gesetzen des Landes mit dem Tode bestraft.
Willst du den Tod deines Kindes?“ Da wurde Uka betrübt und bedrängte sein Kind nicht mehr mit seinen Bitten.
Eines Nachts aber erschien ein Greis dem Häuptlinge Uka im Traume und sprach zu ihm: „Sende deiner Tochter drei Hühner, und du wirst von ihr den gewünschten Samen erhalten!“ Uka war erstaunt darüber; er wählte aber drei seiner schönsten Hühner und rief einen Boten herbei, damit dieser die Vögel seiner Tochter überbrachte. In derselben Nacht war aber der Greis auch der Königin Nirezi im Traume erschienen und hatte zu ihr gesprochen: „Füttere die Hühner deines Vaters mit dem keimkräftigen Korne des Landes!“
Als Nirezi erwachte, war sie sehr erstaunt; denn sie konnte den Traum nicht deuten. Wie öffnete sie aber vor Staunen den Mund, als am Mittage der Bote ihres Vaters erschien und ihr drei Hühner brachte. Da besann sie sich auf den Traum, ging in den Speicher des Königs, nahm von dem keimkräftigen Korne und fütterte damit die Hühner. Nachdem sich diese satt gefressen, dass sie nicht mehr konnten, gab sie die Vögel dem Boten zurück und ließ sie dem Vater zurückbringen.
Als der Bote an die Grenze des Landes kam, hielten ihn die Wächter Odschokos auf und forschten, ob er Korn bei sich trage. Da sie aber nur die Hühner fanden, ließen sie den Mann unbehelligt weiter ziehen. König Uka erwartete ungeduldig die Rückkehr des Boten, er war aber enttäuscht, als dieser ihm kein Sack Kornes, sondern die Hühner brachte.
In seinem Zorne schlachtete er die Vögel; als er aber sah, dass deren Kröpfe voll der gelben Körner waren, da öffnete er vor Staunen den Mund, nahm die Körner und steckte sie in die Erde, ohne jemand davon zu sagen. Die Körner gingen auf; König Uka schwieg aber und wartete etwas, bis die Pflanzen gelbe Kinder brachten. als dies geschah, rief er die benachbarten Häuptlinge herbei:
„Seht, Odschoko hat uns betrogen; das gelbe Korn reift auch in meinem Lande. Odschoko verkauft uns nur untauglichen Samen.“
Da nahm jeder der Häuptlinge einen Kolben an sich, und jeder steckte die Körner in seinem Lande. Überall gingen die Körner auf, und überall brachten sie gelbe Kinder. Da wurden die Völker wütend auf Odschoko und erklärten ihn den Krieg. Sie töteten ihn und zerstörten sein Reich; Nirezi aber gaben sie dem schönsten und mächtigsten König als Frau.
Diese Erzählung Kokos wurde von den schwarzen Zuhörern mit großem Beifalle aufgenommen. Man warf die Frage auf, ob denn Nirezi wider das Verbot ihres königlichen Gemahls gehandelt habe, und die Mehrzahl entschied dahin, dass die Ältesten des Landes Kesi die junge Frau hätten freisprechen müssen, wenn sie vor ihr Gericht gestellt worden wäre. Auch der weiße Herr von Umutti hatte mit Interesse der Erzählung zugehört und beschlossen, sie in sein Tagebuch einzutragen, damit diese afrikanische Sage auch den Leuten in Europa bekannt würde. Er betrachtete mit Wohlgefallen das aufgeweckte und redegewandte Mädchen und forderte es auf, noch eine Geschichte zu erzählen. In diesen Wunsch stimmten auch die Schwarzen ein, und Koko begann von neuem:
„Bwana Msungu! Wir haben bis jetzt von Pflanzen erzählt; damit du etwas anderes hörst, will ich dir von der Klugheit der Tiere berichten. was ich jetzt erzählen werde, ist wahr wie der Tag und hat sich vor langen Jahren zugetragen.
Der mächtige Löwe, von dessen Gebrüll alle Tiere erzittern, lebte am Rande des Wassers in der Nähe eines Flusses, zu dem die Tiere zur Tränke kamen. er überwältigte sie leicht und konnte mit ihrem Fleische seinen Hunger stillen. So fraß er zur Abwechslung verschiedene Tiere, bald den Büffel, bald die Giraffe, bald das Zebra, bald die Antilope; nur den flinken Hasen hatte er niemals gekostet, denn dieser witterte die Gefahr und kam nicht zu der Tränke, an welcher der Löwe lauerte; er blieb in der kurzgrasigen Steppe, in welcher er die Annäherung des Feindes aus der Ferne beobachten konnte. Verschiedene Male versuchte der Löwe den Hasen zu erjagen, aber der Schnellfüßige entwischte ihm immer.
Da sann der mächtige Löwe auf List und erkundete, wo sich die Höhle des Hasen befand. Und als der Hase einmal auf die Weide gegangen war, schlich er in dessen Höhle und verbarg sich darin, um den Heimkehrenden in seinem eigenen Hause zu erwürgen.
Als nun der Hase heimkehrte, sah er die Spuren des Löwen und fand, dass sie in sein eigenes Haus führten. Er schöpfte Verdacht, blieb eine Weile sitzen und überlegte, wie er ermitteln könnte, ob der Löwe in seiner Höhle sich verberge. Gedacht, getan! Er sprang auf und lief gegen seine Höhle, blieb dann in guter Entfernung stehen und rief :“Guten Tag, mein Haus! Guten Tag, mein Haus!“
Der Löwe in der Höhle saß still und freute sich des leckeren Mahles, das ihm bevorstand.
Der Hase aber sprach laut: „Wie geht das nur zu? Sonst erwidert mir mein Haus immer meinen Gruß. Sollte am Ende ein Fremder im Hause sein? Und er rief von neuem: „Guten Tag, mein Haus! Guten Tag, mein Haus!“ Da wurde der Löwe unruhig, denn er fürchtete, der Hase könnte aus Furcht seine Höhle nicht betreten, und er brüllte mit verstellter Stimme: „Guten Tag! Guten Tag!“
Der Hase aber erkannte sofort die Stimme seines starken Feindes, lief lachend davon und mied sein Haus. Da musste der Löwe hinaus, wenn er in der Höhle, nicht verhungern wollte, und seit jener Zeit verachtet er den Hasen und stellt dem geringen Tiere nicht nach.
Das ist die Geschichte von dem Löwen und dem Hasen, und sie ist wahr, ich sage es euch; denn ist es nicht wahr, dass die Kraft allein nutzlos ist, wenn die Klugheit fehlt?“
Wiederum erntete Koko reichen Beifall, und wiederum wurde sie aufgefordert, weiter zu erzählen.
„Ich will euch eine andere wahre Geschichte erzählen,“ begann sie. „Einst kam es dem Löwen und dem Leoparden in den Sinn, sich Vieh zu halten, wie die Menschen es tun. Beide schlossen sich zusammen und fingen auf der Weide einen Ochsen und eine Kuh weg, die sie in den Wald trieben. Hier teilten sie die Beute, und da der Ochse stattlicher war als die Kuh, brüllte der Löwe: „Der Ochse ist mein!“ und überließ dem Leoparden die schwächere Kuh. Nach einiger Zeit aber geschah es, dass die Kuh ein Kalb warf, und der Leopard erhob darauf Anspruch. Der Löwe aber gönnte seinem Vetter das Kalb nicht und behauptete, der Ochse hätte es geworfen.
So gerieten die beiden in einen Streit und beschlossen, die Tiere als Schiedsrichter aufzurufen. Keins der anderen Tiere wollte aber gegen den Löwen entscheiden. Alle meinten, die Waldäffin solle das Urteil fällen. Da ließ der Löwe die Waldäffin rufen, aber sie kam nicht. Der Löwe wurde ungehalten und drohte ihr mit seinem Zorne, aber sie ließ immer auf sich warten.
Endlich erschien sie und stellte sich neben einen Baum vor die Waldburg des Königs der Tiere.
„Ungehorsame,“ herrschte sie der Löwe an, „warum bist du nicht gekommen, da ich dich gerufen habe? Du sollst deine Strafe erhalten!“ drohte er ihr, da er sie einschüchtern und zu einem ihm günstigen Urteile bewegen wollte.
Da sprach die Waldäffin:“ Entschuldige, mächtiger Löwe! Habe ich deinem Boten nicht erwidert: Ich komme gleich!
Ja, brüllte der Löwe, aber du bist nicht gekommen! Du siehst, erwiderte die Waldäffin, dass ich kommen wollte, aber ich konnte es nicht. Sobald ich den Wald verließ und über die Steppe zu dir eilen wollte, wich die Erde unter meinen Füßen und spaltete sich tief und breit. Ich musste erst warten, bis der Adler kam und mich hoch in der Luft über die Steppe trug. Frage ihn als Zeugen!“ Das Letztere konnte nun der Löwe nicht tun, denn er gebot nicht den Vögeln der Luft und wusste, dass der Adler seinem Rufe nicht folgen würde.
Er brüllte darum die Äffin an: „Das sind Lügenmärchen! Wie kann die Erde unter deinen Füßen weichen und sich tief und breit spalten?“ „Meinst du das, mächtiger Löwe? erwiderte die Waldäffin. „Glaubst du mir nicht? Nun so will ich dich fragen, du Kluger: Wie kann ein Ochse ein Kalb gebären?“ Und bevor der Löwe von der Aufwallung des Zornes und dem Gefühle der Schande sich sammeln konnte, schwang sich die Waldäffin in die Kronen der Waldbäume und rief: „ich habe meinen Schiedsspruch getan! rufe mich wieder, wenn du mich brauchst!“ Und sie verschwand im Walde.
Und wahr ist die Geschichte, ich sage es euch allen, die ihr sie gehört habt! Man muss den Ungerechten mit seinem eigene Unrechte schlagen!“
Koko erzählte noch viele ähnliche Geschichten, und zu den aufmerksamsten Zuhörern gehörte der weiße Herr von Umutti; denn an diesem Abend blickte er tief in die Seele der Schwarzen und erfuhr, dass sie einen Schatz an Sagen und Fabeln besaßen, der nur einem regen Geiste seinen Ursprung verdanken konnte. Die Tiergeschichten Kokos gestalteten sich allmählich zu einem Tierepos, das unserem „Reineke Fuchs“ aufs Haar glich. Die Mitternacht war längst vorüber, als die Wakami Umutti verließen. Die Märchenerzählerin Koko hatte aber an jenem Abende die volle Gunst des Msungu gewonnen, der nun nichts dagegen hatte, dass sie in der neuen Schamba an der Kaffeepflanzung schalten und walten sollte.

Quelle:
(Afrika)

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