Es war einmal ein junger Mann namens Schischib oder die kleine Ente, der ruderte eines Tages sein Kanu langsam am Ufer des Michigansees entlang. Als dies zwei schöne Schwestern sahen, sagte die eine zur anderen: »Komm, laß uns ihn rufen und ihn fragen, ob er uns nicht ein wenig fahren will!«
»Nein«, erwiderte die jüngere Schwester, »laß uns das nicht tun, denn was wird er von uns denken?«
Aber das kümmerte die andere nicht; sie winkte dem Schiffer, der auch gleich an Land fuhr und sie beide einsteigen ließ.
»Sag, wer bist du?« fragte ihn das ältere Mädchen.
»Ich bin Wädschinmakin, der große Chief.«
Dieser Name klang ihr wie Musik in den Ohren; denn Wädschinmakin war ein Mann medizinener Natur, der, wenn er seinen Untergebenen oder Freunden einmal eine große Freude machen wollte, aus seinem Mund haufenweise silberne Schnallen und goldene Ohrgehänge husten konnte. Deshalb bat sie ihn nun gleich, ein bißchen zu husten, was er denn auch erfolgreich tat, da er sich vorher heimlicherweise einige Schmucksachen in den Mund gesteckt hatte.
Kurze Zeit danach kam ein Elentier ans Ufer, um zu trinken.
»Was ist das?« fragte die geschwätzige Neugierige.
»Das ist mein Jagdhund.«
»So rufe ihn doch herein!«
Schischib rief, aber das Tier kam nicht, und zwar aus dem höchst einfachen Grund, weil es die Nähe der Mädchen nicht liebte, wie Schischib sagte.
Danach kam ein großer Bär ans Wasser.
»Was ist das?«
»Einer meiner Bedienten!«
Schischib mußte wieder rufen, aber der Bär kam ebenfalls nicht.
Als sie endlich am Ziel ihrer Reise waren, kam den beiden Mädchen die ganze Angelegenheit doch ein wenig »medizinen« vor; denn sie saßen eigentlich gar nicht in einem Kanu und sahen überhaupt auch keins, sondern hatten sich’s bis jetzt nur eingebildet. Sie fanden sich plötzlich vor der Hütte der Großmutter Schischibs, ohne daß sie recht wußten, wie es zugegangen war.
Schischib war vorausgegangen und hatte der Alten befohlen, die Hütte so schnell wie möglich aufzuputzen, was sie auch mit der größten Bereitwilligkeit getan hatte, da sie sich sehr freute, daß sich ihr Enkel gleich zwei Frauen gesucht hatte, die ihr sicherlich in Zukunft alle häuslichen Sorgen abnehmen würden.
Nun geschah es im Laufe der Zeit, daß der große Wädschinmakin ein glänzendes Gastmahl gab und dazu die halbe Welt einlud. Auch zu Schischibs Wigwam kam ein Bote und sagte: »Schischib, Wädschinmakin läßt dir sagen, daß er dich an seinem großen Fest bei sich zu sehen wünscht.«
Schischib aber tat, als höre er es nicht, worauf der Bote seine Worte noch einmal wiederholte und dann fortging.
Nun sahen sich die beiden Mädchen mit großen Augen an, und das ältere fragte: »Was ist das? Der Fremde nannte dich Schischib und brachte eine Einladung vom großen Wädschinmakin?«
»O sei nur beruhigt, das ist so ein alter sonderbarer Kerl, dem es stets Vergnügen macht, die Namen zu verwechseln; ich habe ihn daher auch, wie du gesehen hast, sehr kalt und geringschätzig behandelt.«
Als der Bote darauf dem großen Chief von seinem Empfang beim Schischib erzählte, sagte dieser: »Der arme Schischib fühlt sich zu gering, um an meinem Fest teilzunehmen; geh gleich wieder zu ihm, und nenne ihn bei meinem Namen; das wird ihn freuen, und dann wird er auch mitkommen.«
Der Bote machte es so.
»Habe ich’s euch nicht gesagt«, sprach darauf Schischib zu seinen beiden Frauen, »daß sich dieser Mann zuweilen solche Narrheiten erlaubt, um die Leute zu ärgern? Jetzt werde ich auch seinem Wunsch Folge leisten.«
Darauf zog er seine besten Kleider an und flüsterte der Großmutter ins Ohr, während seiner Abwesenheit auf die Mädchen achtzugeben und um alles in der Welt nicht am Abend einzuschlafen. Dann ging er fort.
Aber sosehr sich die Alte am Abend anstrengte, sich wach zu erhalten, so fielen ihr doch die Augen zu. Als dies die jungen Schwiegertöchter merkten, standen sie leise auf, legten zwei große Stücke Holz an ihre Schlafplätze, schnitten dann das Seil ab, mit dem die Tür zugebunden war, und liefen fort, um zu sehen, wo sich ihr Herr Gemahl herumtreibe.
Das weitschallende Getöse kriegerischer Musik zeigte ihnen den rechten Weg, und bald kamen sie in die mit Glanz und Herrlichkeit gefüllte Hütte des großen Chiefs, der auf einem feinen, von vielen Kriegern umstandenen Pelz saß. Wädschinmakin hustete in bestimmten Abständen, und jedesmal entfielen seinem Mund Körbe voll goldener Kostbarkeiten, über die dann seine Gäste wie toll herfielen. Den armen Schischib, den die Mädchen anfangs gar nicht sahen, erspähten sie zuletzt in einer dunklen Ecke, wo man sich nur insofern um ihn kümmerte, daß man ihn zuweilen unsanft aus dem Weg stieß. Er sah jedoch seine Frauen nicht.
Als das Fest zu Ende war, ließ Wädschinmakin die beiden Mädchen zu sich kommen und fragte sie, ob sie nicht seine Weiber werden wollten. Diese erklärten sich damit einverstanden und blieben bei ihm.
Schischib war inzwischen nach Hause gegangen und beinahe ohnmächtig geworden, als er dort die Tür offen fand. »Großmutter«, rief er wie rasend, »ist das die Art, wie du wachst?«
Die Alte schlug die Augen auf und bedeutete ihm, sich doch zu beruhigen, da seine beiden Weiber ja vor ihm im Bett lägen; dabei zeigte sie auf die beiden Holzstücke. Da es ziemlich dunkel im Wigwam war, so ließ sich Schischib auch täuschen und legte sich zwischen beide, fand jedoch bald heraus, daß sich die vermeintlichen Weiber doch ein bißchen zu hölzern anfühlten und daß sie auch weiter nichts als kalte Holzblöcke waren. Nun stand er wütend auf, bereitete unter gräßlichen Verfluchungen und Verwünschungen Wädschinmakin – denn kein anderer konnte ihm diesen teuflischen Streich gespielt haben – ein starkes Gift, mit dem er hastig zur Hütte des Chiefs zurücklief.
Er fand Wädschinmakin sanft zwischen seinen beiden Frauen liegend, und da er den Mund weit offen hatte und niemand Schischib bemerkte, so war es denn eine Kleinigkeit, ihm eine gehörige Dosis Gift einzuschütten und sich danach wieder leise aus dem Staub zu machen.
Am anderen Morgen machte nun allenthalben die traurige Nachricht die Runde, daß der große Wädschinmakin tot in seinem Bett gefunden worden sei, was nach der Annahme der Medizinmänner dadurch gekommen sei, daß er sich beim gestrigen Fest allzusehr mit seinem kostbaren Husten angestrengt habe. »Laßt es uns auch dem armen Schischib mitteilen, der ihn so lieb hatte«, sagten einige und eilten, ihm die Nachricht zu überbringen.
Schischib war beim Fischen, hatte schon mehrere große Fische gefangen und diesen die Schwimmblasen ausgenommen, die er, mit Blut gefüllt, auf seine Brust gebunden hatte. Als er nun von dem großen Unglück seines Freundes hörte, ergriff er wie wahnsinnig sein Messer und stieß es sich so tief in die Brust, daß ein dicker Blutstrom herausquoll und er wie tot niederfiel.
»Ach«, klagten nun die Überbringer der Trauerbotschaft, »warum haben wir’s ihm auch so plötzlich gesagt! Wußten wir doch im voraus, daß es ihn so angreifen würde!«
Am nächsten Tag stand Schischib wieder lebendig vor dem Wigwam Wädschinmakins und sang: »Wädschinmakin ist tot, und ich weiß, wer schuld daran ist: Ich glaube, ich war es selber!«
Augenblicklich liefen ihm nun alle, die dies gehört hatten, nach, konnten ihn aber nicht erhaschen, da er sich zu schnell in ein sicheres Versteck flüchtete. Bald kam er jedoch wieder und sang: »Wenn ihr mich fangen wollt, so müßt ihr mir Wädschinmakins junge Witwen nachschicken!«
Diese kamen denn auch; Schischib ließ sie recht nahe heran, flüsterte ihnen dann allerlei süße Redensarten in die Ohren, tanzte aber dabei immer lustig weiter, bis er den Zuschauern aus den Augen war. Als die jungen Frauen nun merkten, daß sie niemand mehr sah, baten sie Schischib, sie wieder zu sich in seine Hütte zu nehmen.
Das war’s denn, was er gerade wünschte. Er führte beide heim und fühlte sich wieder recht glücklich.
Aber lange dauerte sein Glück nicht, denn als dies die Freunde Wädschinmakins erfuhren, umzingelten sie plötzlich seine Hütte, und Schischib hatte kaum noch Zeit, mit seinen Frauen in sein Schifflein zu flüchten. Die Großmutter verwandelte die Fliehenden in drei Wasserenten, woher es denn auch kommt, daß man unter jenen Wasservögeln so häufig ein Männchen bei zwei Weibchen sieht.
Quelle: Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas