Was für uns das Weitenmehl ist, das war für die Indianer seit unbedenklicher Zeit der Mais.
Das Getreide kannten sie noch nicht, und alles, woraus die Weißen damals schon Brot und allerhand Leckereien buken, ersetzte ihnen das Maismehl. Und nun will ich euch erzählen, wie die hübsche Pflanze in die Welt gekommen ist:
Einst zog eine alte Großmutter mit ihrem Enkel durch das Indianerland. Niemand wußte, woher sie kamen und wohin sie gingen, und darum wollte auch niemand die Alte ans Lagerfeuer laden.
Jedesmal, wenn sie darum bat, wurde sie abgewiesen. Denn zu jener Zeit hatten alle Indianderstämme den Tomahawk, die Streitaxt auszugraben und führten Krieg miteinander, und jeder Fremde wurde für einen feindlichen Späher gehalten. „Laß gut sein“, sagte die Großmutter zu ihrem Enkel, „wir werden schon noch freundliche Menschen finden, die uns aufnehmen.
Sie durchwanderten Berge und Täler und die weite Prärie. Endlich kamen sie zu einem Lager, wo der Stamm der Alligatoren wohnte. Die armen, aber gutherzigen Menschen luden die Greisin und den Knaben an ihr Feuer und bewirteten sie von dem Wenigen, das sie besaßen. Drachenzahn, der Häuptling, wandte sich an die Wanderer mit den Worten: „Wenn es Euch bei uns gefällt, könnt ihr bleiben, aber wir leiden oft Hunger; unsere Jagdgründe sind nicht reich, und zu allem Übel müssen wir auch noch unsere beste Beutestücke den Drachen opfern, um uns ihre Gunst zu erhalten.“
„Wir wollen uns gerne bescheiden“, erwiderte die Greisin, „und damit ihr wenigstens einen kleinen Nutzen von uns habt, werde ich mich tagsüber um eure Kinder kümmern.“ Und sie hielt ihr Versprechen. Kaum war der nächste Morgen angebrochen, verließen die Jäger das Dorf, und ein wenig später gingen auch die Frauen weg. Im Lager blieben nur eine Schar der kleinsten Kleinen zurück. Die Kleinen waren zwar an Selbstständigkeit gewöhnt und spielten auch ohne Aufsicht den ganzen Tag unermüdlich, nur für das Essen konnten sie nicht selber sorgen.
Von nun an wurde das anders. Die Kinder schmiegten sich an die Greisin wie die Kücken an die Glucke und waren mäuschenstill. Sie lauschten der alten Frau, die ihnen erzählte, warum auf der Erde nicht nur weiche, niedrige Gräser wachsen, sondern auch starke, hohe Bäume:
Einst verspürte der mächtige Manitou Lust, die auf schlanken Stengeln im Winde tanzenden Blüten zu streicheln. Aber er konnte sich von seinen hohen Wolken nicht so tief hinabneigen, um die Blumen zu erreichen. Und so ließ er denn die Stiele so lange in die Höhe wachsen, bis die Blüten seine ausgestreckten Hände von selbst berührten.
Seither wachsen die schlanken Kiefern – , Tannen – und Ahornbäume mit ihren herrlichen Kronen so lange nach oben, bis sie die Wolken erreichten.
Manitou braucht nur die Hand ausstrecken, wenn er die leise rauschenden Kronen zärtlich streicheln will.“
Aber die Greisin konnte nicht nur wunderschön erzählen, sie wußte auch genau die Stunde, wann die Kleinen hungrig waren. Da verschwand sie eine Weile und kam dann mit einem großen Kessel zurück, aus dem den Kindern ein unbekannter, verlockender Duft entgegenströmte.
„Das ist Maisbrei“, sagte sie, „und wenn ihr brav seid, bekommt ihr jeden Tag davon.
Die Monate gingen dahin, und es dauerte nicht lange, da war auch schon der letzte, der Monat der Langen Nacht, vorüber. Die Alte kochte den Kindern täglich den guten Brei, aber in den letzten Tagen begann sie zu kränkeln und schwand dahin wie Schnee an der Sonne. Eines Morgens hatte sie nicht einmal mehr die Kraft, ihr Lager zu verlassen. Sie reif ihren Enkel zu sich und sprach:
„Ich weiß, daß ich die Menschen bald für immer verlassen muß, denn die Maiskörner, die ich rings um das Lager gesät habe, keimen schon und werden im Frühjahr aus der Erde wachsen.
Meine Aufgabe ist damit erfüllt. Nun ist es an euch, Kinder, die Pflanzen zu versorgen. Sie müssen behackt und gegossen werden, sonst bringen sie euch keine Ernte……“
Von nun an sprach die Greisin kein einziges Wort mehr. Sie gab ihrem Enkel jeden Tag ein Kessel Maisbrei, aber an dem Tag, da hinter ihren Wigwam der erste Halm reif geworden war, verließ sie heimlich das Lager. Alle Indianer suchten nach ihr, aber sie wurde nie mehr gesehen.
„Wenn sie auch verschwunden ist“, sagte der Drachenzahn, „so lebt sie trotzdem noch unter uns.
Sehr – dort!“ Er wies auf die sich im Winde wiegenden Maisähren. „Sie hat sich in die Pflanze verwandelt, die sie uns gebracht hat, damit wir keinen Hunger mehr leiden müssen.“
So hatte die gute Alte den Stamm für seine Gastfreundschaft reichlich belohnt. Seit jener Zeit hüten die Indianer ihre Maisfelder wie ihren Augapfel, und die weißen Fasern, die aus den grünen Ähren ragen, verkörpern ihnen die Haare ihrer Wohltäterin, der sie allezeit ein dankbares Andenken bewahren werden.
Quelle: Indianermärchen der Creek 1965