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Märchenbasar

Manabusch

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Noch heute streiten die Indianer darüber, ob Manabusch ein guter Geist gewesen sei, oder ein Mensch aus Fleisch und Blut wie sie selber.
Aber eines wissen sie gewiß: Er hat ihnen geholfen, wo immer erkonnte, und daher erzählt man sich im Indianerland so viele Geschichten von seinen guten Taten.

Er soll vor vielen, vielen Jahren geboren worden sein, und nicht einmal die allerältesten Rothäute können den Ort seiner Geburt nennen. Seine Mutter, die frühzeitig starb, war die schönste Squaws, und seine Großmutter Nokomis war der gewaltigsten Zauberkünste mächtig; daher vermochte sie nicht nur auf der Erde, sondern auch in den himmlischen Gefilden zu leben. Und sie war es auch, die Manabusch seine Zauberkräfte verliehen hatte.

An jenem längst vergangenem Tag, an dem der Manabusch das Licht des Indianerlandes erblickte, wurden auch seine drei Brüder Chihibiabos, Waboso und Chokanipok geboren.

Wabaso soll, wie die Legende erzählt, ein Feind des Lichtes gewesen sein. Kaum hatte er sich mit seinen kleinen Fäusten den Schaf aus den Augen gerieben, lief er weit nach dem Norden, in das Land des Schnees. Dort wurde er der Herr der ewigen Finsternis, über die er auch heute noch gebietet. Am liebsten hatte Manabusch Chibiabos, den zweiten seiner Brüder, ein frohsinniges und gutmütiges Kind, das die Sprache der Tiere verstand. Das Spiel seiner Zauberflöte entzückte jeden, der ihm zuhörte.

Aber es war ihm vom Schicksal nicht gegönnt, seinen Bruder Manabusch lange mit Gesang und Flötenspiel zu erfreuen. Als er einst zur Winterszeit über dem Eisspiegel des Großen Wassers nach Hause zurückkehren wollte, zerbrachen böse Geister das Eis und zogen ihn für immer in die Tiefe.

Vergebens nahm Manabusch den Kampf mit ihnen auf. Er sollte Chibiabos niemehr unter den Lebenden erblicken. Der lebensfrohe Knabe mußte im Land der Schatten, im Reich der Verstorbenen, bleiben.

So heiter und herzensgut Chibiabos war, so böse und grausam war Chokanipok, der jüngste von den Brüdern. Schon als kleines Kind tötete er oder verunstaltete er alles Lebende, dem er begegnete. Und in den späteren Jahren, als Manabusch durch das Land wanderte, um den Indianern zu helfen, tat Chokanipok gerade das Gegenteil. Manabusch schenkte den Indianern Jagdwild; Chokanipok schuf sogleich allerlei Drachen und Ungeheuer, die das Wild fressen sollten. Manabusch gab den Menschen fruchtbare Felder; Chokanipok zerstörende Hände hatten nichts anderes zu tun, als schreckliche Abgründe zu graben und steile Felsen aufzurichten.

In dem gleichen Maß, wie Chokanipoks Haß gegen die Menschen und die Indianer wuchs, verwandelte sich sein Herz allmählich zu Stein. Manabusch übte lange Geduld, aber als er sah, daß sein Bruder unverbesserlich war, wanderte er zu ihm in die Gebirge des Westens.

Dort bezwang er ihn nach langem und furchtbaren Kampf, bei dem das ganze Indianerland erzitterte.
Nachdem er Chokanipok unschädlich gemacht hatte, blieb ihm nur noch seine Großmutter Nokomis.

„Es genügt nicht, den Menschen nur Gutes zu tun“, sagte Nokomis eines Tages zu ihm. „Du solltest in die Welt ziehen und Erfahrungen sammeln, damit du ihnen auch gute Ratschläge geben kannst.“

Manabusch gehorchte. ER zog von Lager zu Lager, lernte mit großer Geduld alles, was die Indianer konnten, und half ihnen überall dort, wo sie sich keinen Rat wußten. So überwand er die Eule Totobum, die ihnen das Tageslicht nehmen wollte, lehrte die Jäger ihre Pfeile spitzen und brachte den Frauen Kochkessel. Manabusch war überaus klug, aber da er viele Dinge selbst noch nicht kannte, geschah es oft, daß er teures Lehrgeld bezahlen mußte.

Einst stand er am Ufer eines Flüßchens unter einem buschigen Baum und schaute ins Wasser. Da schien es ihm, als wüchsen darin schöne rote Kirschen. Er streckte den Arm aus, um sie zu erreichen, aber das verführerische Bild war nicht nahe genug. Er neigte sich noch weiter nach vorn, glitt aus und – plumps – lag er im Wasser. Da erst erkannte Manabusch, daß der Kirschbaum am Ufer wuchs, und die Früchte seiner überhängenden Äste
sich im Wasser spiegelten.

Also so ist das, dachte Manbusch und kletterte auf den Baum, um sich endlich ein paar Kirschen zu pflücken. Als er oben in der Krone saß und eben die Hände ausstrecken wollte, hörte er eine wohlbekannte Stimme: „Ha, ha, ha. Krah, krah, krah. Manabusch wollte dem Spottvogel eins versetzen, aber dem Raben genügte ein einziger Flügelschlag, um sich in Sicherheit zu bringen. Sein krächzender Spottruf klang noch mehrmals durch die Luft und verlor sich dann in der Ferne.

Manabusch blieb in den Ästen sitzen, aber Kirschen mochte er nun keine mehr. Daran war weniger das Hohngelächter des Raben schuld als der Umstand, daß er den Vogel nur einen einzigen Flügelschlag hatte tun sehen, und schon war er über alle Berge gewesen……Natürlich blieb das Wunder aus, und Manabusch plumpste herunter wie ein Kartoffelsack. Und auch der große Baumstamm enttäuschte ihn. Er war glatt und eben wie der Wasserspiegel, aber leider auch genau so verräterisch. Das Holz war morsch und Manabusch fiel tief in den hohlen Stamm hinein.

Da hörte er Schritte. Dicht an dem Stamm gingen zwei alte Indianerinnen vorüber. „Stachelschweinstacheln würde ich brauchen…..
Für meine Mokassins…….“ hörte Manabusch die eine sagen. Da schnaufte er in seinem Loch wie ein wirkliches Stachelschwein. Die Indianerinnen blieben stehen und guckten in den Stamm. „Wollt ihr meine Stacheln haben?“ ließ sich eine Stimme aus der Tiefe vernehmen. Die verblüfften Frauen bejahten die Frage.

„Nehmt eure Hacken und grabt den Stamm aus. Dann legt ihr ein paar Decken vor den Eingang zu meinem Wigwam, damit mir der Wind nicht hineinbläst. Wenn ihr fertig seid, spieße ich euch ein paar von meinen Stacheln in die Decken.“
Die beiden Alten konnten sich nicht genug wundern. Was für ein wunderliches Stachelschwein mußte das sein, das sich den Eingang in seine Wohnung zerstören ließ!

Aber sie machten sich trotz ihrer Bedenken an die Arbeit, gruben den Stamm aus und legten ihre Decken über die Öffnung. „So, und jetzt geht ihr ein Stück in den Wald hinein“, befahl Manabusch,
„denn ich will nicht gesehen werden…..“ Auch diesen Befehl erfüllten die Indianerinnen ohne Widerrede. Als die Luft rein war, stieg Manabusch aus seinem Gefängnis hervor – der morsche Stamm bildete kein Hindernis mehr – und lief wie ein gejagter Hase in der entgegengesetzte Richtung davon, um nicht am Ende doch noch von den beiden Alten gesehen zu werden.

Er blieb erst im Schutz eines dichten Jungwaldes stehen und lachte über seinen schlauen Einfall aus voller Kehle. Aber das Lachen erstarrte ihm auf seinen Lippen, den plötzlich tauchte seine Großmutter Nokomis vor ihm auf und tadelte ihn:
„Du willst ein Freund der Menschen sein? Nun hast du zwei von ihnen hintergangen. Das mußt du ohne Säumen wieder gutmachen.“ – „Gern“, versprach Manabusch beschämt, „aber wenn ich nur wüßte wie….?“ – „Geh und hole Birkenrinde, soviel du tragen kannst!“ Manabusch ließ sich das nicht zweimal sagen und lief hurtig zu den schlanken Stämmen, die schneeweiß in dem grünen Dämmer des Waldes schimmerten.

Bald darauf kehrte er mit vollen Armen zurück und häufte die Rinde auf die Erde. Nokomis legte mehrere Streifen aneinander, bog sie zu einem Körbchen zurecht und nähte sie dann mit Stachelschweinstachel zusammen. Auf diese Weise verarbeitete sie die ganze Birkenrinde, die ihr Manabusch gebracht hatte, zu vielen solchen Körbchen. Dann nam sie eines davon und ging zu einem jungen Ahornbaum. Sie flüsterte ein paar Worte, drückte das Körbchen gegen den Stamm, und – o Wunder – aus dem Baum floß ein dicklicher Saft in das bereitgehaltene Gefäß.

„Komm kosten“, sagte die Großmutter. Manabusch tauchte den Finger in den Sirup und leckte ihn ab. So etwas Süßes hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht auf der Zunge gehabt!“
„Das ist Ahornzucker“, belehrte ihn die Großmutter. „Geh zu den Menschen und sage ihnen, sie sollen ihre Gefäße bereitstellen.“
Aber der Enkel schüttelte den Kopf. „So dick wie der Sirup aus dem Baum fließt, ist er viel zu nahrhaft. Wenn ihn die Indianer so äßen, würden sie bald so fett und so faul, daß jeder Feind sie bezwingen könnte. Die Rothäute dürfen sich nicht von Geschenken nähren!“ Dann kletterte er auf den Baum und schüttelte die Äste. „Warum tust du das?“ fragte Nokomis. „Ich schüttele das Regenwasser auf den Stamm, um den Ahornsaft zu verdünnen. Das müssen ihn die Indianer Tag und Nacht kochen, ehe er zu Zucker wird, und werden nicht faul.“ – „Das ist kein schlechter Einfall“, meinte die Großmutter. „So, nun kannst du gehen und die Menschen lehren, wie aus dem Saft des Ahornbaumes Zucker gemacht wird.“

Manabusch wanderte von Lager zu Lager, und überall, wo Ahornbäume wuchsen, begannen die Frauen, seiner Weisung folgend, Gefäße herzustellen, um den süßen Saft aufzufangen.
Wenn die Gefäße voll waren, wurden Feuer angezündet, und bald darauf strömte ein Wohlgeruch durch den Wald, der die Düfte sämtlicher Indianer bekannter feiner Speisen weit übertraf. Und wenn dann gar der gekochte Saft zu Zucker erstarrt war, wollte das Lecken und Schlecken kein Ende nehmen. Zufriedenen Gesichtes besuchte Manabusch die Wigwams, denn überall sah er, wie froh die Menschen über sein Geschenk waren. Einmal beobachtete er in einer Hütte ein kleines Kind, das mitten in einem Haufen von Felle spielte. Dem Kleinen war es einerlei, daß der mächtige Manabusch in den Wigwam gekommen war. Er lutschte stillvergnügt an einer Zuckerstange und ließ sich nicht stören.

Manabusch, der noch nie ein Kind gesehen hatte, trat freudig überrascht zu dem Büblein. Er redete es an, aber Wasis, so hieß der Kleine, war an seine Leckerei verloren. Manabusch versuchte es mit einem Liedchen, und als er sah, daß auch sein Gesang unbeachtet blieb, bemühte er sich, das Kind mit Hüpfen und Tanzen und tollen Sprüngen zu fesseln. Vergebens! Jetzt wurde Manabusch böse und verlegte sich aufs Schelten. Endlich nahm ihn der Kleine zur Kenntnis; Er brüllte wie am Spieß, so daß dem klugen und mächtigen Manabusch nichts übrig blieb, als sich die Ohren zuzuhalten und aus dem Wigwam zu flüchten.

Die Indianer, die alles mitangesehen hatten, erstarrten vor Schreck. Wie konnte man nur diesen erhabenen Freund der Menschen derart erzürnen!
Aber Wasis war ein Kind, und statt Manabusch nachzulaufen und ihn um Verzeihung zu bitten, brach er über die plötzliche Flucht dieses komischen Kauzes in gurrendes Lachen aus.
„Gu gu gu“, machte er voll Entzücken. Manabusch drehte sich um. Er schwankte, ob er mitlachen oder Wasis bei den Ohren nehmen sollte. Da er aber ein echter Freund der Indianer war, fuhr er dem kleinen Racker nur liebkosend über die widerspenstigen Haare und gab ihm das süßeste Stück Zucker, das er bei sich hatte.

Dies ist die Geschichte von dem menschenfreundlichen Manabusch. Die Indianer aus dem östlichen Wäldern könnten dir noch viele andere erzählen, aber die Kinder hören am liebsten die von Wasis und machen ihm sein: „ gu gu gu“
nach, wenn sie sich über etwas freuen.

Quelle: Nordamerika: Indianerstamm: Menomini

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