Vor langer Zeit lebte einmal ein junger Mann, der war gefräßig wie ein Bussard, begriffsstutzig wie eine Kröte und so stümperhaft, daß er noch nie ein Reh erlegt hatte. Er wollte auf die Jagd gehen. Er holte Pfeil und Bogen seines toten Onkels aus dem Haus seiner Großmutter, wo er lebte, und machte sich auf den Weg.
Nach einer Weile traf er zur Zeit des Schneefalls einen alten Kojoten mit zerfetztem Fell, der ihn anbellte. Der junge Mann schoß nicht auf ihn, noch sagte er zu ihm: »Du stinkst wie eine maisfressende Blattlaus.« Er ging weiter, bis er am Fuß einer Klippe im Schnee Kaninchenspuren entdeckte. Er verfolgte sie bis in ein Dickicht, dann verloren sie sich unter größeren Spuren, die er nicht lesen konnte. Plötzlich sah er einige junge Kojoten, die in ein Loch unter einem Fels schlüpften.
Sofort tauchte der alte Kojote vor ihm auf, setzte sich auf seinen Schwanz, grinste und sagte: »Na, wie steht’s, alter Stümper?«
»He«, sagte der junge Mann, »du kannst sprechen?«
»Na klar«, sagte der Kojote, »aber warum erschießt du mich nicht oder gibst mir häßliche Namen?«
»Ich. ..ich weiß nicht«, stotterte der junge Mann.
»Du hättest doch wenigstens meine Jungen erlegen können. Warum hast du’s nicht getan ?«
»Warum sollte ich sie töten ?«
»Ja, warum«, sagte der Kojote, »wenn sich nur deine Menschentierbrüder öfter mal diese Fragen stellen würden. Kennst du mich eigentlich ?«
»Nein, ich habe keine Ahnung«, sagte der junge Mann.
»Nun, ich kenne dich sehr gut. Du bist ein ganz netter Kerl, bei allem Pfusch, den du dir leistest. Komm mit in mein Haus, und ich werde dir einiges erzählen, was sich zu wissen lohnt.«
Der Kojote sprang rasch hinter einen Felsen und kam mit einer großen Menge wilder Kaninchen auf dem Rücken zurück. Dann führte er den jungen Mann zu dem Loch, in dem seine Jungen verschwunden waren.
»Tritt näher, mein Freund«, sagte er .
»Aber wie und wohin?« fragte der junge Mann.
»Nun, in mein Haus. Siehst du die Tür nicht?«
»Ich sehe ein Loch, nicht höher als meine Hüften«, sagte der junge Mann und stellte einen Fuß hinein.
Man hörte ein Rumpeln in der Erde, und plötzlich sah man einen breiten Torweg mit einer schönen Tür am Ende.
»Alte, bist du daheim?« rief der Kojote. Die Tür öffnete sich. Da stand die Frau des Kojoten und sagte: »Treten Sie nur näher, junger Mann.«
Sie gingen in den Salon. Die jungen Kojoten kauerten in einer Ecke. Der Kojote streckte sich kurz, und schwupp da stand ein netter alter Herr vor dem erstaunten jungen Mann. Er hängte sein Kojotenfell an ein Rehgeweih, stellte seinem Gast eine Sitzgelegenheit hin und bot ihm aus einem Krug Tabak und eine Pfeife zum Rauchen an.
»Da, stopf dir eine«, ermunterte er ihn.
Unterdessen hatte die Kojotenfrau das Stew und die übrigen Speisen aufgetragen. Der junge Mann hatte nie eine bessere Brühe vorgesetzt bekommen. Er aß so ungezwungen, daß auch die Jungen ihre Furcht verloren.
» Danke, danke vielmals«, sagte er, als er satt war .
»Ich hoffe, es hat geschmeckt«, sagte die Kojotenfrau, und dann legte sie neues Holz aufs Feuer .
Der Kojote kam jetzt zur Sache. »Ich erkenne am Geruch des Schweißes, daß dies der Bogen deines Onkels ist, den du da bei dir hast. Ich habe ihm beigebracht, wie man sich auf der Jagd verhält. Dich hat offenbar niemand darin unterwiesen, wie man auf die Jagd geht oder sich die Gunst meinesgleichen sichert. Wir sind Meister im Beutemachen in allen sechs Teilen der Welt unter Tageslicht. Ich werde es dir beibringen, aber erst mußt du Gebetsfedern mir zum Geschenk herbeischaffen – für unsere Sippschaft und für das Reh, das wir erlegen wollen. «
Als der junge Mann aufbrach, gab ihm der Kojote die Hälfte der Kaninchen mit, die er vorhin hereingebracht hatte.
»Das wird deine alte Großmutter in gute Laune versetzen«, sagte er.
Als der junge Mann draußen vor der Tür stand, rumpelte es wieder in der Erde, und es war wieder nur ein Loch in der Felswand zu sehen.
Drei Tage brauchte der junge Mann dazu, die Gebetsfedern anzufertigen. Am vierten Tag brach er auf, um seinen Lehrer zu treffen. Die Erde rumpelte, die schöne Tür ging auf, und sie standen wieder in der guten Stube. Diesmal waren auch noch andere Kojoten da. Höflich stiegen sie alle aus ihren Pelzen und hängten sie auf.
Der junge Mann legte die Gebetsfedern auf den Fußboden. Der Meister-Kojote reichte jedem seiner Brüder eine und behielt eine für sich.
»Es ist Zeit, um auf die Jagd zu gehen«, sagte er zu seinen Verwandten. Die zogen wieder ihr Fell über, und dann waren sie auch schon mit den Gebetsfedern im Maul auf und davon.
»Du wunderst dich vielleicht«, sagte der Meister-Kojote und Oberschelm zu dem jungen Mann, »daß wir dir nichts zu essen angeboten haben. Nun, hier beginnt die Unterweisung. Als erste Regel merke dir: Je weniger im Magen, desto leichter der Fuß. Ein hungriger Jäger riecht das Wild gegen den Wind. Iß nie etwas, ehe du auf die Jagd gehst.
Punkt zwei: Nimm nie ein Tier, ohne etwas dafür zu geben. Wie kann ein Mensch erwarten, daß er, ohne zu bezahlen, etwas bekommt ? Biete dem Geschöpf, das du erschlagen hast, und seinen Verwandten Gebetsfedern an. Und jetzt auf zur Jagd!« Auf der Erde des ersten Tales, in das sie kamen, entdeckten sie frische Rehspuren im schmelzenden Schnee.
» Du mußt in der Lage sein, eine solche Spur zu lesen«, sagte der Kojote. »Achte darauf, ob sie vom Leittier gemacht worden ist. Man kann das daran sehen, ob die Spur von anderen, die nach ihm kamen, ausgetreten worden ist. Wir wollen diese Spur für eine Weile verfolgen. Siehst du, wie die Löcher, die die Füße des Leittiers hinterließen, an den Rändern etwas abgeschmolzen sind ? Das zeigt, daß die Spur schon einige Zeit alt ist. Weiter in dieser Richtung wird sie schärfer werden und die Schmelzspuren geringer . Dann mußt du ganz vorsichtig auftreten und nicht in sie hineintreten, weil das ein Geräusch gäbe. Du weißt nie, ob nicht das Reh hinter ein paar Büschen wartet und auf ein solches Geräusch lauscht. Es könnte nötig werden, daß ich dich verlassen muß. Rede nichts, denn das wäre noch schlimmer, als fest aufzutreten. Du mußt der Spur so lange folgen, bis es in ihr Grashalme gibt, die sich noch nicht aufgerichtet haben, dort wo der Schnee geschmolzen ist. Dann setz dich hin und singe:
Reh, Reh!
Deine Fußspuren sehe ich,
ich folge, ich komme;
heilige Gunst
bringe ich dir ,
indem ich komme.
Ja, ja.
Wenn das Reh dein Lied hört, wird es verzaubert werden und zögern. Das wird mir genug Zeit geben, zum Kopf des Tales zu kommen, ehe es selbst dort ist. Rehe reisen durch Schluchten heim wie Männer auf Gartenpfaden. Wenn du dann die Spur noch etwas weiter verfolgt hast, singe wieder. Ich werde unterdessen in einem der Seitentäler warten. Wenn das Reh dich kommen sieht, wird es Angst bekommen und das Tal hinaufrennen. Um dir zu entkommen, wird es schließlich in das Seitental abbiegen. Ich werde es einmal mehr aus der Ruhe bringen. Du singst dann ein viertes Mal und bleibst hinter ihm.
Wenn es mich sieht, wird es sich umdrehen und den Kopf senken. Dann leg deinen Pfeil auf und sei bereit. Es wird scharf kehrtmachen, und dann steht seine Seite in deiner Richtung. Nun rasch geschossen, und zwar mußt du die Stelle treffen, an der das graue Haar hinter der Schulter seine Farbe verändert. Wenn du es dort triffst, wird es fallen. Wenn du es nicht triffst, wirst du fallen, und es wird dir klar sein, daß du wieder einmal gepfuscht hast. Ist es gefallen, dann laufe rasch hin, umarme es, lege deine Lippen auf die seinen, trinke seinen Atem und sprich:
>Dank, mein Vater. Heute habe ich den heiligen Wind des Lebens getrunken.<
Hast du alles verstanden ?« fragte der Kojote und sah den jungen Mann scharf an.
»Ja«, sagte der Junge. »Ich habe alles verstanden. Die Worte meines Vaters wohnen in meinem Herzen.«
Die Jagd verlief fast genau so, wie es der Kojote vorhergesagt hatte. Das Reh hörte das Singen, es zögerte, wurde erschreckt, wurde zweimal vom Kojoten angegangen und erhielt am Ende den Pfeil ins Herz. Der Junge vergaß nicht, den heiligen Atem in sich fließen zu lassen. Er wiederholte ein Gebet des Dankes. Er stellte an der Stelle, an der seine Jagdbeute gelegen hatte, eine Gebetsfeder auf, damit auch andere Rehe an diesen Ort kommen und nicht in wilder Flucht die Gegend verlassen würden. Der Kojote sah zu und war fast außer sich vor Freude.
»Das war diesmal kein Pfusch«, lobte er, »jetzt bist du ein umsichtiger Jäger. Jetzt hast du einen neuen Lebensweg betreten, und das Wild ist für immer dein Freund. Von jetzt an kannst du allein jagen, aber erinnere dich immer der Herren der Beute wie auch der Beute selbst. «
Dann zeigte der Kojote dem jungen Mann, wie man ein Reh ausweidet und es zum Transport wieder in seine eigene Decke einschlägt. Mit einem warnenden Wort ging er fort:
»Hüte dich«, sagte er, »vor Zauberern, die auf deine Macht eifersüchtig sind, meine Verkleidung annehmen und dich zu vernichten trachten. Sei auf der Hut vor dem Zauberkojoten, der wie ich aussieht, aber ein anderer ist.«
Der junge Mann wurde der größte unter allen Jägern seines Volkes. Er gab Familien, die keinen Jäger hatten, freigebig von seiner Beute ab. Er erinnerte sich immer daran, daß man jedes Tier, dessen Leben man nimmt, um Verzeihung bitten muß. Wenn er ein erlegtes Reh aufhängte, warf er die Eingeweide für seine Freunde, die Kojoten, auf die Erde. Er wurde in den Rat der weisen Männer aufgenommen. Er gewann eine Frau, die schönste und geschickteste unter den Töchtern des Stammes. Es gab Eifersüchtige, und ein Zauberer in der Verkleidung eines Kojoten überwältigte ihn, aber der alte Kojote überwand den Bösewicht und stellte die Macht des jungen Mannes wieder her . Die beiden schieden dann für lange. Aber ehe sie sich trennten, sagte der Kojote noch dieses: »Mein Kind, sei glücklich viele Tage und Winter, in denen du der Vater deines Stammes sein wirst. Aber ein Abend wird kommen, an dem ich oder einer aus meinem Volk auf der Spur heulen wird, über die du von der Jagd heimkehrst. Dann sag deinem Volk, es solle Gebetsfedern machen. Und wenn sie fertig sind, dann nimm sie und mach dich auf deinen Weg zum See der Toten.«
Quelle:
(Märchen der Zuni-Indianer)