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Bruder und Schwester und die goldlockigen Königssöhne

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Es war einmal eine Frau und ein Mann, die hatten zwei Kinder, ein Mädchen und einen Knaben. Frau und Mann starben beide und ließen die Kinder zurück. Die wuchsen heran und lebten in herzlicher Eintracht miteinander. Da nahm sich der Bruder eine Frau. Er ging in den Wald und sagte zu seiner Schwester: »Lebe wohl!« Als er wieder aus dem Walde kam, sagte er: »Grüß Gott, Schwesterlein!« Der Tag verging, es kam der zweite Tag, der Bruder ging in den Wald und sagte wieder: »Lebe wohl, Schwesterchen!« Da wurde die junge Frau böse, daß er und die Schwester miteinander so herzlich waren. Während er fort war, ging sie hin und tötete ihm ein Pferd. Wie der Mann am Abend nach Hause kam, sagte er wieder: »Grüß Gott, Schwesterchen!« Da sprach die Frau: »Sieh nur, was deine gute Schwester gemacht hat, das Pferd hat sie getötet!« Und der Bruder antwortete: »Die Stute schenkt uns andere.« Dann ging er den dritten Tag in den Wald. Aber die Frau war noch ärgerlicher, daß der Bruder über das Pferd nicht einmal böse geworden war. Da tötete sie ihren kleinen Knaben, ihr eigenes Kind. Sie legte das Kind noch an demselben Abend auf die Schwitzbank in die Badestube. Darauf kam der Bruder nach Hause und sprach: »Grüß Gott, Schwesterlein.« Und die junge Frau sagte: »Sieh her, was deine Schwester Gutes getan hat, das Kind hat sie umgebracht.« Da nahm der Bruder seiner Schwester die Kleider weg, brachte sie nackt in den Wald und ließ sie dort. Sie lief zu einer großen Tanne, die im Innern hohl war, und verkroch sich darin. Es geschah aber, daß der König im Walde jagte, und des Königs Hunde fingen an zu bellen, als sie zu der Tanne kamen, sie bellten die Tanne an. Da kam der König herbei, um zu sehen, warum die Hunde bellten. Und er fragte: »Bist du getauft, du in dem Baum da?« Da antwortete das Mädchen im Baume: »Ja, ich bin getauft.« – »Wenn du getauft bist, so komm heraus!« Und das Mädchen sprach: »Ich schäme mich zu kommen, denn ich bin nackt.« Aber schließlich mußte sie doch herauskommen. Da nahm sie der König mit nach Hause. Sie lebten eine Zeitlang zusammen, dann wurde sie seine Frau.
Danach fuhr der König mit seinen Schiffen zu andern Königen zu Besuch. Seine Frau blieb daheim, weil sie guter Hoffnung war, und sie gebar ihm während der Zeit zwei goldlockige Knaben. Es war aber eine böse Frau um sie, die schrieb an den König: »Deine Frau hat zwei jungen Hunden das Leben geschenkt.« Als der König nach Hause kam, fragte er seine Frau: »Was hat uns Gott gegeben?« Und die Königin sagte: »Ich habe dir ja einen Brief geschickt.« Da befahl der König: »Jagt die Hunde über neun Meere, über zehn kalte Seen!« Und sie jagten die goldlockigen Knaben fort, und der Teufel holte sie sich. Dann ging der König wieder in andere Reiche, und die Königin gebar ihm unterdessen wieder zwei goldlockige Knaben. Wieder schrieb die böse Frau, die bei ihr war, an den König: »Die Königin hat zwei junge Hunde zur Welt gebracht.« Da sandte der König einen Brief heim: »Bringt sie über neun Meere und zehn kalte Seen zu dem Teufel!« Und der Teufel holte die Kinder. Als der König wieder nach Hause kam, fragte er seine Frau: »Was hat uns Gott geschenkt?« Die Königin sagte: »Du hast doch einen Brief bekommen, darin stand es ja.« Dann ging er abermals von Haus fort, und die Königin blieb in guter Hoffnung zurück, und sie gebar zum drittenmal zwei goldlockige Knaben. Und die Alte schrieb: »Deine Frau hat zwei junge Hunde geboren.« Da schrieb der König zurück: »Bringt sie über neun Meere und zehn kalte Seen zu dem Teufel!« Und der Teufel entführte sie wieder. Dann ging der König auf die Jagd. Als er fort war, bekam seine Frau ein siebentes Söhnchen, ein ganz einfaches Kind. Sie schickten dem König einen Brief, darin stand: »Die Königin hat einen Bauernsohn geboren.« Und der König erließ den Befehl: »Steckt Mutter und Kind in ein Teerfaß und werft sie ins Meer.« Da taten sie, wie ihnen befohlen war.
Mutter und Kind trieben auf dem Meere, da sagte der Knabe zu seiner Mutter: »Ich stoße dem Faß den Boden aus.« Und die Mutter sprach: »Das tue nicht, mein Kind, noch sind wir in Gefahr.« Und das Faß trieb weiter und weiter auf den Wogen des Meeres. Wieder sprach der Knabe: »Ich stoße den Boden aus«, denn sie kamen dem Ufer nah. Da sagte die Mutter: »Nun, stoß ihn aus!« Dann stiegen sie ans Ufer und legten sich schlafen. Und während sie schliefen, kam ein alter Mann zu ihnen, das war unser Herrgott, der wollte den Knaben aufheben: »Steh auf, Knabe«, sprach er, »ich will dir eine Hütte von Tannenzweigen machen.« Aber der Knabe stand nicht auf, er schlief immer fort. Wieder wollte ihn Gott aufheben: »Steh auf, Junge, steh auf! Du sollst eine Hütte aus Tannenzweigen haben.« Da stand der Knabe auf, und Gott gab ihm einen Stab in die Hand und sprach: »Damit schlage dreimal auf diesen grauen Stein!« Der Knabe ging hin, schlug dreimal auf den Stein, da stieg ein goldenes Schloß aus der Erde, ringsherum war alles Garten, wo die Vögel in den Bäumen sangen, und alles mögliche Gute war da.
Das Bauernbübchen aber sagte zu seiner Mutter: »Backe mir Kuchen aus Muttermilch, ich will hingehn und meine Brüder suchen, die der Teufel geholt hat.« Am andern Tage buk die Mutter einen Kuchen aus Muttermilch. Der Knabe setzte sich auf einen Balken und schwamm über neun Meere und zehn kalte Seen. Dann ging er in das Haus des Teufels und legte den Kuchen auf einen Stuhl. Da kamen die Knaben aus dem Walde, zuerst zwei, die versuchten den Kuchen. Der Bauernbub aber hatte sich hinter den Ofen verkrochen. Und die Knaben sprachen: »Ah, was ist das für ein süßer Kuchen, wie aus Muttermilch gebacken.« Nun kamen die andern auch aus dem Wald, vier Knaben. Da sagten die Brüder zu ihnen: »Versucht einmal den Kuchen! Der schmeckt wie aus Muttermilch gebacken, so süß.« Sie versuchten den Kuchen und aßen ihn auf. Jetzt kam der Bruder hinterm Ofen hervorgekrochen und sagte: »Ich bin euer Bruder und komme, um euch von hier fortzuholen.« Da sagten sie: »O weh! Wohin sollen wir dich verstecken? Gleich kommt der Teufel nach Hause. Kriech geschwind hinter den Ofen, Bruder, und rühr dich nicht!« Als nun der Teufel aus dem Walde kam, sprach er: »Huhu, es riecht nach einem Fremden hier.« Und die Kinder sprachen: »Ein Vogel ließ seinen Mist in die Stube fallen, wir wollten ihn abwaschen, aber er ging nicht fort, das wirst du riechen.« Da warf sich der Teufel aufs Bett, um zu schlafen, er hatte sechs Köpfe und sechs Füße. Die Kinder aber standen auf und krauten ihm einen Fuß, da fiel ihm ein Auge zu. Sie krauten und krauten ihm den zweiten, da schlief er mit dem zweiten Auge, dann krauten sie ihm den dritten Fuß, und so machten sie es fort, bis er alle Augen geschlossen hatte. Hierauf setzten sich alle sieben Brüder auf den Balken und kamen ohne Lärm davon, denn den Bösen hatten sie eingeschläfert. Als aber der Böse erwachte und die Jungen nicht sah, machte er sich auf die Suche. Die Knaben hörten, daß er ihnen nachkam, denn der ganze Wald dröhnte, und das Meer toste, und sie jagten um so schneller auf ihrem Balken vorwärts. Sie gelangten auch glücklich ins Schloß und warfen die Türen hinter sich zu, daß der Teufel nicht hineinkam. Dann schrieben die Knaben an den König, ihren Vater: »Komm und besuch uns.«
Ihr Vater aber hatte inzwischen die Tochter der bösen Frau geheiratet. Da sprach der König zu seiner Gattin: »Backe mir eine Pastete, ich will meine Kinder besuchen.« Aber die Frau antwortete: »Was willst du denn dort machen? Geh lieber in den Garten, wo die Vögel singen und der Sommer die Früchte an den Bäumen reift!« Da ging er in den Garten und teilte die Pastete unter die Vögel und ging nicht zu seinen Kindern. Die sieben Brüder, die sechs goldlockigen Knaben und der Bauernbub, aber lebten mit ihrer Mutter zusammen im goldenen Schloß.
Nun geschah es, daß der König einmal mit seinem Hofe auf die Jagd ging. Er kam bis zu dem goldenen Schloß, da wurde es dunkel, und sie fanden den Weg nicht mehr zurück. Da klopfte er an die Pforte des Schlosses und fragte: »Kann ich hier die Nacht unterkommen?« Und die Mutter der Kinder sprach: »Wir haben wohl Platz für dich.« Allen sechs Knaben waren die Locken zugebunden, damit der König nicht sehen sollte, wie die Goldköpfe leuchteten, und der Bauernbub saß mit seiner Mutter auf der Treppe in Angst. Da trat der König in die Vorhalle und fragte die Frau – er wußte nicht, daß es seine Frau war -: »Wer kann hier im Hause eine Geschichte erzählen?« Und sie antwortete: »Ich weiß nicht, vielleicht kann es mein jüngster Sohn.«
Da kam der Bub, um dem König eine Geschichte zu erzählen. Und er begann: »Es war einmal ein Mann und eine Frau, die starben beide, und sie ließen ein Mädchen und einen Knaben zurück. Der Knabe wuchs heran und lebte mit seiner Schwester in herzlichster Eintracht. Da nahm sich der Bruder eine Frau. Als sie verheiratet waren, wurde die junge Frau ärgerlich, daß Bruder und Schwester immer noch so herzlich zueinander waren. ‚Wenn ich sie doch entzweien könnte‘, dachte sie. Und der Bruder ging in den Wald und sagte: ‚Lebewohl, Schwesterchen!‘ Da tötete ihm seine Frau, während er fort war, ein Pferd. Wie er am Abend nach Hause kam, sagte er: ‚Grüß Gott, Schwesterchen!‘ Da sagte die junge Frau: ‚Sieh nur, was deine gute Schwester gemacht hat.‘ Aber er antwortete: ‚Die Stute schenkt uns andere.‘ Dann ging er den zweiten Tag in den Wald. Sie hatten aber ein Söhnchen, ein ganz kleines Kind, das nahm sie an dem Tage und tötete es. Als es Abend wurde, kam der Bruder nach Hause und sagte wieder: ‚Grüß Gott, Schwesterchen.‘ – Da lief die junge Frau auf ihn zu: ‚Sieh her, was deine Schwester Gutes getan hat, dein Kind hat sie umgebracht.‘ Und der Bruder zog der Schwester die Kleider aus und brachte sie nackt in den Wald und ließ sie dort. Das Mädchen lief und lief den Wald entlang und schlüpfte in eine Tanne, die im Innern hohl war.
Und es geschah, daß der König im Walde jagte, und des Königs Hunde fingen an zu bellen, als sie zu der Tanne kamen. Da kam der König herbei und fragte: ‚Bist du getauft, du in dem Baum da?‘ Da antwortete das Mädchen: ‚Ja, ich bin getauft.‘ – ‚Wenn du getauft bist, komm heraus!‘ Dann nahm sie der König mit nach Hause, zog ihr schöne Kleider an – (der König aber saß auf dem Stuhl, und es redete niemand als der Knabe) -, und er heiratete das Mädchen.
Danach fuhr der König mit seinen Schiffen in andere Königreiche. Seine Frau blieb daheim, weil sie in guter Hoffnung war, und sie gebar ihm während der Zeit zwei goldlockige Knaben. Es war aber eine böse Frau um sie, die schrieb an den König: ‚Deine Frau hat zwei jungen Hunden das Leben geschenkt.‘ Da befahl der König: ‚Jagt die Hunde über neun Meere, über zehn kalte Seen.‘ Und sie jagten die goldlockigen Knaben fort, und der Teufel holte sie sich. Dann ging der König wieder weg, und die Königin gebar wieder zwei goldlockige Knaben. Wieder schrieb die böse Frau: ‚Die Königin hat zwei junge Hunde zur Welt gebracht.‘ Und der König sandte einen Brief heim: ‚Bringt sie über neun kalte Meere und zehn kalte Seen.‘ Dann ging der König abermals von Haus fort, und die Königin bekam zum drittenmal zwei goldlockige Knaben. Aber die Alte schrieb: ‚Deine Frau hat zwei junge Hunde geboren.‘ So entführte ihr der Teufel alle Kinder. Dann ging der König auf die Jagd. Als er fort war, bekam seine Frau ein siebentes Söhnchen, ein ganz einfaches Kind. Sie schickten dem König einen Brief, darin stand: ‚Die Königin hat einen Bauernsohn geboren.‘ Und der König befahl: ‚Steckt Mutter und Kind in ein Teerfaß und werft sie ins Meer.‘ Das taten sie auch.
Mutter und Kind trieben auf dem Meere, da sagte der Knabe: ‚Ich stoße dem Faß den Boden aus‘, denn sie kamen dem Ufer nah. Und er stieß ihm den Boden aus. Dann stiegen sie ans Ufer und legten sich schlafen. Und während sie schliefen, kam der Herrgott zu ihnen und sprach: ‚Steh auf, Knabe!‘, und er gab ihm einen Stab und sagte: ‚Damit schlage dreimal auf diesen Stein.‘ Der Knabe tat also, da stieg ein goldenes Schloß aus der Erde. Da sagte das Kind zu seiner Mutter: ‚Backe mir Kuchen aus Muttermilch, ich will hingehen und meine Brüder suchen, die der Teufel geholt hat.‘ Und die Mutter buk einen Kuchen aus Muttermilch. Der Knabe setzte sich auf einen Balken und schwamm über neun Meere und zehn kalte Seen, kam in das Haus des Teufels und befreite alle seine Brüder.
Danach schrieben die Knaben an den König, ihren Vater: ‚Komm und besuche uns.‘ – Aber der König kam nicht, seine Frau hatte ihn nicht fortgelassen (der König aber hörte immer zu, wie der Knabe erzählte), sie hatte ihm gesagt ‚Geh in den Garten, wo die Vögel singen und der Sommer die Früchte an den Bäumen reift.‘ Und er ging hin in den Garten und ging nicht zu seinen Kindern. Die sieben Brüder, die sechs goldlockigen und der Bauernbub, aber lebten mit ihrer Mutter im goldenen Schloß.
Da ging einmal der König auf die Jagd, er kam bis zu dem goldenen Schloß, und es wurde dunkel, und er konnte nicht mehr zurück. Dann war er ins Schloß gekommen und hatte um ein Nachtlager gebeten. Dort hatte er gefragt: ‚Wer kann hier im Hause eine Geschichte erzählen?‘ – – -«
Als nun der König in Gedanken versunken dasaß, kamen die sechs goldlockigen Knaben hinter dem Ofen hervor, und als ihnen die Binden abgenommen wurden, ging ein Glanz von ihren Häuptern aus, daß das ganze Schloß erstrahlte, und der König nahm das Weib zu sich und alle sieben Söhne. Als sie aber nach Hause kamen, ließ er die böse Frau und ihre Tochter in Strohgarben binden und verbrennen. Danach gingen sie alle ins Schloß, und sie leben dort bis zum heutigen Tag.

[Finnland: August von Löwis of Menar: Finnische und estnische Märchen]

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