Es waren einmal zwei Brüder, die hießen beide Peter; den älteren nannte man den großen Peter und den jüngeren den kleinen Peter. Als der Vater starb, übernahm der große Peter den Hof und bekam eine reiche Frau. Aber der kleine Peter blieb daheim bei seiner Mutter und lebte von ihrem Leibgeding, bis er mündig wurde. Als er soweit war, bekam er sein Erbteil, und der große Peter sagte, nun dürfe er nicht länger mehr auf dem Hof sein und seiner Mutter aus der Tasche essen, es sei besser, wenn er in die Welt hinausginge und sich zur Arbeit entschlösse.
Das leuchtete dem kleinen Peter wohl ein; er kaufte sich ein schönes Pferd und eine Fuhre voll Fettwaren und zog damit in die Stadt, und für das Geld, das er daraus löste, kaufte er Branntwein und andere Getränke, und kaum war er wieder zu Hause, so richtete er eine große Gasterei aus und bewirtete und traktierte Verwandte und Bekannte, und die bewirteten und traktierten ihn wieder, und er lebte in Saus und Braus, solange sein Geld vorhielt. Als aber das Geld draußen war und der kleine Peter wieder auf dem trockenen saß, ging er wieder zu seiner alten Mutter; da besaß er nichts mehr als ein Kalb. Im Frühjahr führte er das Kalb auf die Weide, auf die Wiese des großen Peter. Aber der ärgerte sich darüber und erschlug das Kalb. Der kleine Peter zog ihm darauf die Haut ab, hing sie in der Badestube auf, damit sie richtig trocknete, rollte sie dann zusammen, steckte sie in einen Sack und ging damit im Ort herum und wollte sie verkaufen. Aber wo er hinkam, lachten ihn die Leute aus und sagten, sie könnten keine geräucherte Kalbshaut brauchen. Als er weit gewandert war, kam er gegen Abend an einen Hof. Da ging er hinein und bat um Unterkunft für die Nacht.
»Nein, ich kann dich nicht hereinlassen«, sagte die Bäuerin, »mein Mann ist auf die Alp gegangen, und ich bin allein zu Hause. Du mußt versuchen, im nächsten Hofe unterzukommen; aber wenn dir das nicht gelingt, so kannst du wieder herkommen, denn du sollst nicht im Freien über Nacht bleiben.« Als Peter am Fenster der guten Stube vorbeiging, sah er, daß ein Priester in der Stube saß, mit dem die Frau es hielt, und sie bewirtete ihn mit Bier und Branntwein und setzte ihm eine große Schüssel mit Rahmgrütze vor. Als der Priester mitten im Essen und Trinken war, kam der Bauer nach Hause. Die Frau hörte ihn aber im Hausgang und war nicht faul, stellte die Schüssel mit der Grütze unter die Ofenbank, das Bier und den Branntwein in den Keller, und den Priester versteckte sie in einer großen Kiste. Währenddessen stand der kleine Peter draußen und sah alles. Aber als der Mann eingetreten war, ging er auch ins Haus und bat um Unterkunft. »Ja«, sagte der Mann, »du kannst hier übernachten«, und er hieß ihn an den Tisch sitzen und essen. Der kleine Peter setzte sich an den Tisch und nahm die Kalbshaut mit und legte sie unter seine Füße.
Als sie eine Weile dasaßen, fing er an, der Haut Tritte zu geben. »Was sagst du jetzt schon wieder? Kannst du nicht stillschweigen?« sagte der kleine Peter. – »Mit wem redest du denn?« fragte der Mann. »Ach, das ist eine Wahrsagerin, ich habe sie in der Kalbshaut«, gab Peter zur Antwort.
»Was sagt sie denn?« fragte der Mann. »Sie sagt, es stehe wohl eine Schüssel Rahmgrütze unter der Ofenbank«, sagte der kleine Peter. »Mit ihrer Wahrsagekunst ist es nicht weit her«, meinte der Mann, »hier ist seit Jahr und Tag keine Rahmgrütze mehr im Hause gewesen.« Aber Peter sagte, er möge doch nachsehen; das tat er, und da fand er die Rahmgrütze. Nun fingen sie an, sich daran gütlich zu tun, und als sie mitten im Essen waren, gab Peter der Kalbshaut wieder einen Tritt. »Bst«, sagte er, »kannst du denn gar nicht den Mund halten?« – »Was sagt die Wahrsagerin denn?« fragte der Mann. »Sie sagt, es stehen wahrscheinlich Bier und Branntwein unter der Kellertreppe«, gab Peter zur Antwort. »Und wenn sie noch niemals falsch prophezeit hat – diesmal stimmt es nicht«, sagte der Mann. »Bier und Branntwein? Das haben wir überhaupt nie im Haus gehabt.« – »Sieh nur nach!« sagte Peter. Der Mann tat es – und richtig, er fand die Getränke und freute sich sehr daran.
»Wie hoch hast du die Wahrsagerin bezahlt? Die möchte ich haben, du magst verlangen dafür, was du willst!« sagte der Mann. »Ich habe sie von meinem Vater geerbt und nicht für sonderlich wertvoll gehalten«, gab Peter zurück. »Freilich habe ich keine große Lust, sie herzugeben, aber schließlich kannst du sie haben, wenn du mir die alte Kiste geben willst, die in der guten Stube steht.« – »Aber der Schlüssel dazu ist verloren!« schrie die Bäuerin. »Ich nehme sie auch ohne Schlüssel«, meinte Peter; und er einigte sich mit dem Bauern rasch über den Handel. Peter bekam einen Strick statt des Schlüssels, der Mann half ihm, die Kiste auf den Rücken zu laden, und er trottete davon.
Als er eine Weile gegangen war, kam er auf eine Brücke; darunter lief ein reißender Strom, der schäumte und gurgelte und toste, daß die Brücke bebte. »Der Branntwein! Der Branntwein!« sagte Peter. »Ich merke schon, ich habe ihn mir zu sehr schmecken lassen! Warum soll ich denn die Kiste hinter mir herschleppen? Wäre ich nicht betrunken und närrisch gewesen, so hätte ich sie gewiß nicht gegen die Wahrsagerin eingetauscht. Aber jetzt muß die Kiste in den Fluß, und zwar schnell!« Und er fing an, den Strick loszumachen.
»O weh, o weh, laß mich um Gottes willen heraus! Ich bin der Priester vom hiesigen Pfarrhof, den du in deiner Kiste hast«, schrie der in der Kiste. »Das wird wohl der Teufel selbst sein, der mir weismachen will, er sei Priester geworden«, sagte der kleine Peter, »aber ob er sich nun als Priester oder Küster ausgibt, in den Fluß muß er doch!« – »Ach nein, ach nein, ich bin wirklich der Gemeindepriester, ich war zur Seelsorge bei der Bäuerin. Der Bauer ist bös und wild, und da mußte sie mich in der Kiste verstecken. Ich habe eine silberne Uhr bei mir und eine goldene Uhr, die sollst du haben und achthundert Taler dazu. Laß mich nur heraus!« rief der Priester. »Nein, nein, seid Ihr es wirklich?« sagte Peter; er nahm einen Stein und schlug den Deckel der Kiste in Stücke, der Priester kroch heraus und rannte eilig und leichtfüßig heim nach dem Pfarrhof, denn seine Uhren und sein Geld drückten ihn nun nicht länger.
Der kleine Peter ging nun nach Hause und sagte zum großen Peter: »Heut stehen die Kalbshäute hoch im Preis auf dem Markt.« – »Was hast du denn für das jämmerliche Fell bekommen?« fragte der große Peter. »Geradeso jämmerlich, wie es war«, sagte der kleine Peter darauf, »habe ich achthundert Taler dafür bekommen, aber die Haut von größeren und fetteren Kälbern gilt das Doppelte«, sagte der kleine Peter und zeigte das Geld vor. »Das ist schön, daß du mir das sagst«, sagte der große Peter. Er brachte alle seine Kälber und Kühe um und ging mit den Fellen in die Stadt. Als er auf den Markt kam und die Gerber fragten, was er für seine Felle wolle, sagte er: »Achthundert für die kleinen und für die großen im Verhältnis mehr.« Aber die Leute lachten nur und hielten ihn zum Narren und sagten, er brauche es nicht geradeso anzufangen, er könne auch billiger ins Tollhaus kommen; da merkte er, daß der kleine Peter ihm einen Streich gespielt hatte.
Als er nach Hause kam, war er gar nicht froh, sondern schwor und fluchte, er wolle in der Nacht den kleinen Peter umbringen. Der kleine Peter stand da und hörte alles, und als er sich mit seiner Mutter ins Bett gelegt hatte und es gegen Abend ging, bat er seine Mutter, ihm ihren Platz zu lassen, er friere so sehr, und an der Wand sei es wärmer, sagte er. Die Mutter tauschte den Platz. Bald darauf kam der große Peter mit einem Beil in der Hand und stahl sich zu dem Bette hin und hieb mit einem Schlag der Mutter den Kopf ab.
Am folgenden Morgen ging der kleine Peter zum großen Peter hinein. »Gott tröste und bessere dich, du hast unsere Mutter umgebracht«, sagte er, »der Henker wird es nicht richtig finden, daß du ihr auf diese Art das Leibgedinge auszahlst.« Da bekam der große Peter gewaltig Angst und bat den kleinen Peter, er solle um Gottes willen nichts sagen. Wenn er stillschweigen wolle, so bekomme er achthundert Taler. Der kleine Peter strich das Geld ein, setzte seiner Mutter den Kopf wieder an, legte sie auf einen Karren und fuhr mit ihr auf den Markt. Da setzte er sie hin und gab ihr einen Korb mit Äpfeln an jeden Arm und einen Apfel in jede Hand. Ein Schiffer kam des Weges daher, der hielt sie für eine Marktfrau und fragte, was die Äpfel kosten sollten. Aber die Alte gab keine Antwort. Der Schiffer fragte noch einmal. Sie gab wieder keine Antwort. »Wieviel Äpfel bekomme ich für den Schilling?« schrie er zum drittenmal, aber die Frau saß da, als ob sie ihn nicht sehe und nicht höre. Da geriet der Schiffer in Zorn und gab ihr eine Ohrfeige, daß ihr Kopf über den Markt rollte. In dem Augenblick kam der kleine Peter gerannt; er weinte und jammerte und drohte dem Schiffer, er werde ihn ins Unglück bringen, weil er ihm seine alte Mutter umgebracht habe. »Lieber Freund, sei nur ja still und sag nicht, was du weißt, dann will ich dir achthundert Taler geben«, sagte der Schiffer, und so wurden sie einig.
Als der kleine Peter wieder nach Hause kam, sagte er zum großen Peter: »Alte Weiber stehen heute hoch im Preis auf dem Markt, ich habe für unsere Mutter achthundert Taler bekommen«, und er zeigte ihm das Geld. »Das ist recht, daß du mich das wissen läßt«, sagte der große Peter. Er hatte eine alte Schwiegermutter, die brachte er um und zog aus, um sie zu verkaufen. Aber als die Leute hörten, daß er Tote feilbot, wollten sie ihn ins Gefängnis stecken, und er entkam nur mit genauer Not. Als der große Peter nun wieder nach Hause kam, war er so voller Wut auf den kleinen Peter, daß er drohte, ihn ohne Gnade und Barmherzigkeit gleich auf der Stelle umzubringen. »Ja, ja, diesen Weg müssen wir ja alle gehen, und zwischen heut und morgen ist nur die Nacht. Aber wenn ich jetzt dran glauben muß, so habe ich nur noch eine Bitte an dich: steck mich in den Sack, der hier hängt, und trag mich an den Fluß!« sagte der kleine Peter, und der große hatte nichts dagegen. Er stopfte ihn in den Sack und machte sich auf den Weg. Aber kaum war er ein kleines Stück gegangen, so fiel ihm ein, daß er etwas vergessen hatte, das er noch holen mußte, und inzwischen stellte er den Sack an den Straßenrand. Nun kam ein Mann des Weges mit einer großen stattlichen Schafherde.
»Ins Himmelreich! Ins Paradies!
Ins Himmelreich! Ins Paradies!«
rief der kleine Peter im Sack, und die ganze Zeit summte und brummte er diese Worte weiter. »Darf ich nicht auch mit?« fragte der mit der Schafherde. »Ja, wenn du den Sack aufbinden und statt meiner hineinkriechen willst, dann kannst du auch hinkommen«, sagte der kleine Peter, »ich kann wohl warten auf ein anderes Mal. Aber du mußt immer ebenso rufen, wie ich gerufen habe, sonst kommst du nicht an den rechten Ort!« Der Mann band den Sack auf und setzte sich an des kleinen Peters Stelle. Peter band den Sack wieder zu, und der Mann fing an zu rufen:
»Ins Himmelreich! Ins Paradies!
Ins Himmelreich! Ins Paradies!«
und sagte immer den Spruch vor sich hin. Als Peter ihn glücklich im Sack untergebracht hatte, war er nicht faul: er zog eiligst mit der Herde auf und davon und machte einen weiten Umweg.
Inzwischen kam der große Peter wieder, nahm den Sack auf den Buckel und trug ihn an den Fluß, und während er ging, saß der Schafbauer drinnen und rief:
»Ins Himmelreich! Ins Paradies!«
»Ja, ja, versuch nur selber, ob du den Weg findest!« sagte der große Peter und warf ihn ins Wasser.
Als der große Peter das getan hatte und wieder heimwärts ging, kam ihm sein Bruder entgegen, der die Schafherde vor sich hertrieb. Der große Peter wunderte sich und fragte, wie denn der kleine Peter wieder aus dem Fluß herausgekommen sei und wo er die schöne Schafherde aufgelesen habe. »Das war ein brüderlicher Freundschaftsdienst von dir, daß du mich ins Wasser geworfen hast«, gab der kleine Peter zur Antwort. »Ich bin gleich auf den Grund gesunken wie ein Stein, und da erblickte ich viele Schafherden, kannst du mir glauben. Da drunten gehen sie zu Tausenden, die eine Herde schöner als die andere. Und hier kannst du sehen: prächtige Wolle haben sie«, sagte der kleine Peter. »Das ist schön von dir, daß du mir das erzählst«, sagte der große Peter darauf; er lief heim zu seiner Frau, nahm sie mit ans Ufer des Flusses, kroch in einen Sack und hieß sie den Sack eiligst zubinden und über die Brücke ins Wasser werfen. »Ich will eine Schafherde holen; aber sollte ich zu lange unten bleiben, so ist es, weil ich mit der Herde nicht zurechtkomme, dann mußt du auch ins Wasser springen und mir helfen«, sagte der große Peter. »Ja, bleib nur nicht so lange aus, ich warte so sehr auf die Schafe«, gab die Frau zur Antwort. Sie blieb stehen und wartete eine Weile, aber schließlich dachte sie, ihr Mann könne wohl die Schafherde nicht richtig zusammentreiben, und sprang auch ins Wasser.
Nun hatte der kleine Peter sie alle los, erbte Haus und Hof, Pferde und Einrichtung und hatte selbst Geld genug, um sich Rinder zu kaufen.
[Norwegen: Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen]