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Ants und der Drache

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Auf der Erde lebten einmal drei Schwestern, drei gute Mädchen. Sie hatten einen Bruder, der hieß Ants. Die Mädchen kochten das Essen, räumten die Zimmer auf, versahen das Viehzeug, und der Bruder arbeitete auf dem Feld und im Garten. So verging ein Tag nach dem anderen.
Plötzlich geschah ein Unglück. Eines Morgens gingen die Schwestern. im Garten spazieren, und mit einemmal, wer weiß woher, brauste ein schrecklicher Orkan heran, ergriff die Schwestern und entführte sie, niemand konnte sagen wohin. Drei Tage lang suchte der Bruder seine Schwestern in den Nachbarwäldern und auf den umliegenden Feldern.

Nach drei Tagen schloss er sein Häuschen ab und zog aus, um in der weiten Welt nach ihnen zu forschen. Von Dorf zu Dorf ging er und fragte nach den Schwestern. Doch niemand konnte ihm Auskunft geben, niemand hatte sie gesehen. Mittlerweile gingen dem armen Ants alle Vorräte aus, die er von Hause mitgenommen hatte. Geld besaß er auch nicht. Was sollte er tun?
Ants ging durch den Wald. Auf dem Wege begegnete ihm ein Hase, und Ants redete ihn an: „Häschen, lauf nicht fort, ich habe Hunger und muss dich verspeisen.“ Doch der Hase erwiderte: „Gedulde dich, Ants, iss mich nicht auf. Ich will dich lieber begleiten – vielleicht kann ich dir in schweren Zeiten nützlich sein. “ Ants hatte Mitleid mit dem Hasen. „Also gut“, sagte er, „lass uns gehen.“

Sie zogen zusammen weiter. Da sah Ants einen Wolf vorbeilaufen. „Wolf, lauf nicht fort“, rief er, „ich habe Hunger und muss dich verspeisen.“ „Gedulde dich, Ants, iss mich nicht auf!“ antwortete der Wolf. „Ich will dich lieber begleiten. Es wird eine Zeit kommen, da ich dir nützen kann. „Ants hatte Mitleid mit dem Wolf. „Na schön“, sagte er, „lass uns gehen. „
Zu dritt zogen sie weiter. Da erblickte Ants einen Bienenstock und rief den Bienen zu: „Gebt mir mal euren Honig zu kosten!“ Doch die Bienen antworteten: „Wir haben nur wenig Honig. Kaum langt er, unsere Kinder zu füttern. Nimm ihn uns nicht weg. Es wird eine Zeit kommen, da wir dir nützen können. Wenn du willst, fliegen wir mit.“ „Abgemacht“, sagte Ants, „folgt mir nach!“ Summend flogen die Bienen hinter Ants her.
Ants zog weiter und sah einen Falken fliegen, mit krummen Krallen. „He, Falke“, rief er, „flieg nicht fort, ich habe Hunger! Ich will dich verspeisen.“ „Iss mich lieber nicht auf, Ants“, bat der Falke, „es wird eine Zeit kommen, da ich dir nützlich sein kann.“
So flog denn auch der Falke, der krummkrallige, hinter Ants her. Da kroch ihnen ein Krebs entgegen. „Dann werde ich also den Krebs verspeisen“, meinte Ants. Doch der Krebs flehte ihn an: „Iss mich nicht, Ants! Es wird eine Zeit kommen, da ich dir nützlich sein kann.“ So verspeiste Ants auch den Krebs nicht.

Einträchtig gingen sie alle zusammen des Wegs. Voran schritt Ants, ihm folgte der Hase mit dem Wolf, dann flogen die Bienen und der Falke, und den Schluss machte Kriechbein, der Krebs. Als sie einen Wald durchqueren, bemerken sie im Dickicht eine kleine Hütte. Ants tritt ein und sieht dort ein altes Mütterchen sitzen. „Woher kommst du, guter Mann? “ fragt die Alte. Ants erzählt ihr, wie ein Orkan seine Schwestern fortgetragen hat. „Weißt du nicht, Großmütterchen, wo meine Schwestern sind? “ fragt der Bursche. „Oh, das weiß ich wohl“, entgegnet die Alte. „Eine deiner Schwestern lebt bei einem Hecht, die andere – bei einem Adler und die dritte – bei einem Bären.“ „Aber wie könnte ich wohl zu ihnen gelangen, Großmütterchen?“ fragt Ants. „Dazu musst du dir ein Wunderpferd verschaffen“, erwidert die Alte. „Und das Wunderpferd lebt bei einer Hexe.“ „Wie kann man denn zu der Hexe hinkommen?“ Die Alte führt ihn auf einen Pfad.
„Von hier aus geh schnurgeradeaus. Drei Tage musst du wandern – dann erreichst du ihre Hütte. Die Hexe hat zwölf Pferde. Sie wird dich zwingen, sie drei Tage lang zu hüten. Wenn du das fertig bringst, erlaubt sie dir, ein Pferd auszusuchen. Doch achte darauf, dass du nicht das prächtigste nimmst, sondern das allerkleinste und krummste.“

Ants dankte der Alten, verabschiedete sich von ihr und ging den Pfad entlang. Seine Reisegefährten aber folgten ihm. Schließlich kam er zu der Hexenhütte. Die Hexe schaute gerade aus dem Fenster: „Wer bist du, braver Recke, und wohin gehst du?“ „Ich bin unterwegs, Großmütterchen, meine Schwestern zu suchen“, antwortete Ants, „und nun bin ich vom Laufen müde geworden und wollte dich um ein Pferdchen bitten.“ „Meinetwegen sollst du ein Pferdchen haben“, sagte die Hexe, „nur nicht umsonst. Meine Pferde werden jeden Tag auf die Weide getrieben. Wenn du sie drei Tage lang hütest, kannst du dir ein Pferdchen aussuchen.“ Ants willigte ein. Am nächsten Morgen jagte die Hexe zwölf Pferde aufs Feld. Ants ging hinaus, sie zu hüten, und seine Reisegefährten folgten ihm. Er ließ sich unter einem Baum nieder, während die Pferde auf der Wiese umherstreiften und weideten. Da schlich sich der Hase heran und lauschte, worüber sich die Pferde unterhielten.
„Wenn dieser Ants uns heute heimtreiben will“, sagten die Pferde, „werden wir nicht nach Hause zurückkehren, sondern nach verschiedenen Seiten auseinander laufen. So hat unsere Herrin befohlen. Mag er hinter uns herrennen.“ Der Hase eilte spornstreichs zu den Bienen und erzählte ihnen, was die Pferde ausgeheckt hatten. „Keine Bange, wir helfen Ants“, versprachen die Bienen.
Da war es auch schon Abend, und man musste die Pferde nach Hause treiben. Sie stürmten nach verschiedenen Richtungen auseinander, doch die Bienen flogen von allen Seiten heran, stachen sie und sammelten sie zu einer Herde. Nichts zu machen, die Pferde mussten zusammen heimkehren.

Ebenso geschah es auch am folgenden Tag. Als der Hase am dritten Tag hörte, worüber sich die Pferde unterhielten, lief er mit seiner Nachricht zum Wolf. „Nun, so bin ich jetzt an der Reihe, Ants zu Hilfe zu eilen“, sagte der Wolf. Als Ants die Pferde abends heimtreiben wollte, stoben sie in wildem Galopp in den Wald. Dort erwartete sie jedoch schon der Wolf, fletschte die Zähne und knurrte, als wollte er sich auf sie stürzen und sie in Stücke reißen. Da erschraken die Pferde und kehrten nach Hause zurück. So vergingen die drei Tage, und Ants erfüllte seine Aufgabe. Es war nichts zu machen, die Hexe musste die Rechnung bezahlen. „Nun, dann geh in den Pferdestall und such dir ein Pferd aus“, sagte sie mit saurer Miene. Ants wählte das kleinste und krummste Pferdchen und erklärte: „Dies hier, Großmütterchen, will ich haben.“ „Na, nimm dir schon ein etwas Besseres“, versuchte ihn die Hexe zu überreden, doch Ants antwortete: „Ich mag kein anderes, ich will nur dieses.“ Wie sich die Hexe auch drehen und wenden mochte, sie musste ihm das Pferd überlassen, das er sich ausgesucht hatte.

Ants nahm das struppige Pferdchen und zog weiter. Auf einmal fing das Pferd an zu sprechen: „Herr, führ mich drei Tage auf den weißen Klee zur Weide. Dann werde ich ein richtiges Reckenpferd sein, drei Flügel werden mir wachsen. Weidest du mich sechs Tage – dann werde ich sechs Flügel bekommen. Weidest du mich aber neun Tage – dann werde ich ein Reckenpferd mit neun Flügeln sein. Dann wird uns niemand mehr überwältigen.“ Ants tat, wie das Pferd ihm geraten. Neun Tage verstrichen – und das krumme Pferdchen verwandelte sich in ein mächtiges, neunflügeliges Ross, stark wie ein Orkan. „Lass jetzt den Hasen, den Wolf und die Bienen nach Hause ziehen“, sagte das Pferd, „sie haben ihren Dienst getan. Setz dich auf meinen Rücken und nimm den Falken auf die Schulter, der Krebs kann sich meinetwegen an den Schweif hängen. Wir wollen zu deiner ersten Schwester fliegen.“ Ants tat, wie das Pferd ihm geraten. Er schwang sich auf seinen Rücken, nahm den Falken auf die Schulter, und der Krebs klammerte sich an den Schwanz des Pferdes. Darauf erhob sich das Pferd in die Luft und brauste davon. Die Erde fing an zu dröhnen, und der Wind pfiff Ants um die Ohren. Er hatte nicht einmal Zeit, sich umzuschauen, da hatte ihn das Ross schon zur Wohnung des Hechts, zu seiner ersten Schwester, gebracht. Ants trat in das Haus. Drinnen kochte die Schwester das Mittagessen und erwartete ihren Hecht-Mann. Sie freute sich sehr über den Bruder, setzte sich mit ihm auf die Bank, unterhielt sich, gab ihm zu essen und zu trinken und bereitete ihm ein Lager zum Schlafen. Um diese Zeit kam ihr Hecht-Mann zurück, zog vorsichtig die Luft durch die Nase und fragte: „Frau, wer ist bei uns? Ist etwa der Drache gekommen?“ „Aber nicht doch, lieber Mann! Das ist mein Bruder, der sich zu uns durchgeschlagen hat.“ „Wenn es so ist, habe ich also nichts zu fürchten“, beruhigte sich der Hecht und verwandelte sich in einen Menschen.
Plötzlich sah Ants einen schmucken, braven Recken vor sich stehen, sie begrüßten sich, und der Schwager sagte: „Ein Unglück hat uns betroffen, lieber Ants. Der böse Drache hat mich und meine Brüder verwünscht. Den einen verwandelte er in einen Adler, den anderen in einen Bären, mich aber in einen Hecht. Bei uns dreien leben auch deine drei Schwestern. Nur wenn ein kühner Bursche den Drachen erschlägt, werden wir erlöst.“ „Deshalb bin ich gekommen“, antwortete Ants. „Allein kannst du das Ungetüm nicht überwinden“, meinte jedoch der Schwager. „Mach dich auf zu meinem Adler-Bruder. Vielleicht kann er dir einen Rat geben, was weiter geschehen soll. Wenn der Morgen graut, muss ich mich wieder in einen Hecht verwandeln.“ Ants übernachtete bei seiner Schwester. Am Morgen aber stieg er wieder auf sein Wunderpferd und flog zur zweiten Schwester.
Die Schwester freute sich sehr über den Bruder, gab ihm zu essen und zu trinken. Da kehrte auch schon der Adler heim. Er schlug mit den Fängen auf den Boden und – verwandelte sich in einen braven Recken. Ants erzählte, was ihn hierher geführt hatte, und der Schwager sagte: „Hab Dank, dass du gekommen bist, Brüderchen. Doch allein kannst du das Ungetüm nicht überwältigen. Hol dir bei meinem Bären-Bruder Hilfe.“ Ants übernachtete bei seiner Schwester, und am Morgen machte er sich weiter auf den Weg.
Er flog zur dritten Schwester. Den ganzen Tag unterhielt er sich mit ihr, und am Abend kehrte ihr Bär-Mann nach Hause zurück. Der Bär verwandelte sich sogleich in einen Menschen, freute sich über Ants und sagte: „Hab Dank, Brüderchen, dass du an uns gedacht hast. Leg dich einstweilen zur Ruhe, morgen werde ich mich wieder in einen Bären verwandeln, dann wollen wir uns beide zusammen tüchtig ans Werk machen. Der Drache haust in einer Feste, doch mit deinen Helfern werden wir ihn rasch erledigen.“

Am Morgen setzte sich Ants mit dem Bären auf das Wunderpferd. Das Ross löste sich von der Erde – der Wind pfiff ihnen um die Ohren, die Erde huschte unter ihren Füßen vorbei, und schon standen die Reiter am Drachenfelsen. Ants wollte gleich durch das Tor reiten, doch der Bär hielt ihn zurück: „Gedulde dich, Brüderchen, lass mich erst vorarbeiten.“
Und er schickte sich an, die Steine zu zerschlagen. Die Erde fing an zu dröhnen, die Felsen brachen auseinander, ein Heidenlärm erhob sich über den Bergschluchten – der Bär zertrümmerte das Drachennest. Er zerschlug die Wände, dann verschwand er im Schloss und kam bis zum Abend nicht mehr zum Vorschein. Am Abend aber sagte er zu Ants: „Auf, Brüderchen, ich habe das Meinige getan. Der Drache ist gefesselt. Morgen gehst du hin und schlägst ihn tot. Solange aber las uns ausruhen.“ Ants und der Bär legten sich schlafen, und am Morgen wurde Ants von dem Bären geweckt: „Geh jetzt ins Schloss. Wenn du eintrittst, wirst du zwei Türen erblicken. Die linke Tür ist mit einem Stück Bast zugebunden. An der geh vorüber, dort liegt der Drache. Hinter der rechten Tür jedoch befindet sich ein schönes junges Mädchen. Der Drache hat sie ihrem Vater geraubt und hält sie gefangen. Geh zu ihr und bitte sie, dass sie den Drachen fragt, wo er seine Kraft verborgen hat. Sonst wirst du ihn nicht bezwingen können.“

Ants ging ins Schloss und fand auch richtig das schöne Mädchen. Er erzählte ihr, warum er gekommen sei, und das Mädchen freute sich sehr. „Du mein Retter“, rief sie aus, „wie sollte ich dir nicht helfen! Wart hier auf mich, ich gehe sofort zum Drachen und werde ihn fragen, wo er seine unverwüstliche Stärke verborgen hält.“ Und gleich ging sie und fragte: „Was ist denn mit dir los, du liegst ja gebunden da? Bist du nicht mehr im Besitz deiner Kraft? Wo hast du sie nur gelassen?“ Der Drache erwiderte: „Über hundert Werst von hier entfernt steht ein Fels wie dieser. In dem Fels befindet sich ein Schloss. Darin haust ein schrecklicher Stier. Man kann ihn nicht töten: erschlägt man ihn, dann verwandelt er sich in eine graue Ente und fliegt davon. Schießt man jedoch die Ente ab – dann lässt sie ein Ei fallen. Das Ei sinkt auf den Meeresgrund. Niemand vermag es von dort heraufzuholen. In diesem Ei aber liegt meine unverwüstliche Kraft. Wenn mir jemand das Ei herbrächte, würde ich im Handumdrehen mit allen meinen Feinden fertig werden.“
Das Mädchen eilte zu Ants zurück und berichtete ihm, was sie erfahren hatte. Ants stieg aufs Pferd, nahm auch den Bären, den Falken und den Krebs mit. Das Pferd flog zu dem Felsen, der an der Meeresküste lag, und der Bär zertrümmerte den Felsen. Gleich stürzte Ants der fürchterliche Stier entgegen. Mit gewaltigem Schwung schlug Ants den Stier, so dass er zu Boden fiel, doch da erhob sich eine graue Ente in die Lüfte und verschwand über dem Meer.

Als der Falke mit den krummen Krallen das sah, schoss er hinter der Ente her und bezwang sie. Die Ente aber ließ ein goldenes Ei ins Meer fallen. Das Ei glitzerte einen Augenblick in der Luft und sank dann auf den Grund. Nun warf sich der Krebs ins Wasser und glitt auf den Meeresboden. Ants hatte kaum Zeit, richtig hinzuschauen – als der Krebs schon wieder aus dem Wasser kroch und das goldene Ei mitbrachte. Da hob das Wunderpferd den Huf, trat auf das Ei und zerschlug es in kleine Stückchen. Im selben Augenblick war es um den schrecklicher. Drachen. geschehen. Nun flog Ants zurück, kam zum Drachenschloss, trat ein, und das Mädchen eilte ihm freudig entgegen. Ants hob die liebliche Gefangene in den Sattel und flog mit ihr zur ersten Schwester, dann zur zweiten und schließlich zur dritten. „Unser Feind ist nicht mehr am Leben“, rief er, „der böse Drache ist tot!“ Da löste sich auch der Zauberbann des Drachen von dem Bären, dem Adler und dem Hecht. Sie wurden wieder schmucke Recken wie zuvor. Ants aber heiratete das schöne junge Mädchen und war glücklich.

Quelle: lettisches Märchen

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