Ein Knecht hat sein Wirt vor Gericht gebracht, weil er ihm nicht richtig den Lohn gegeben hatte. Das Korn hatte der Wirt dicht gesät, der Speck war verfault, und das Geld hatte er ihm immer in alten, abgeschabten Fünfern ausgezahlt. Nun gehen sie vor Gericht klagen.
Aber als sie des Weges dahingingen, ruft eine Schlange, die zwischen Steinen stecken geblieben war, sie um Ehrbarmen an und verspricht der Welt Lohn zu geben. Der Wirt, der wohl ein wenig liebevolles Herz hatte, hilft doch des Lohnes willen und befreit die Schlange. „Streck nun den Hals aus, dann gebe ich dir mit meiner Zunge der Welt Lohn“, spricht die Schlange. Der Mann ist damit nicht zufrieden und spricht: “Dann müssen wir noch weitergehen, und wer uns zuerst entgegenkommt, der mag das Urteil sprechen.“
So gehen sie nun. Es begegnet ihnen ein altes Pferd, und nun erzählen sie ihr Anliegen. Das Pferd spricht: „Als ich jung war, hatte ich sehr leichte Füße, und deswegen hielt mich auch mein Herr sehr gut. Wenn der Kutscher mir den Sattel auf den Rücken legte und mich vor die Treppe des Hauses führte, da kam ich ganz lustig und tanzend, und wenn der Herr herauskam und mit seiner Rute auf den Sattel schlug, so musste ich meine Füße ausstrecken und den Rücken gebogen halten, bis der Herr seinen Fuß aufhob. Dann musste ich anfangen ganz sachte zu gehen, aber wenn der Herr mit dem Stiefelabsatz drückte, dann musste ich die Füße loslassen. Und auf dem Weg, wenn einige geputzte Deutsche uns entgegen kamen, dann musste ich den Kopf in die Höhe halten und die Hinterfüße länger. Aber wenn einige Arme entgegenkamen, dann musste ich in die Quere über den Weg gehen, so dass der Kopf seitwärts war und der Hintern den Armen entgegen; und wenn ich dies ausführen konnte, so gaben sie mir, wenn ich nach Hause kam, so viel Hafer, als noch übrig blieb, und damit fuhr man mir dann über den Rücken, dass das Haar danach glänzend wurde. Aber nun bin ich alt geworden, und die Füße sind Steif, denn jetzt geht es nicht mehr so, und jetzt tauge ich nicht mehr zum Reiten. Nun treiben sie mich mir einem Klotz in die Riege und heißen mich bei einem Heukorb fressen. Seht, das ist der Welt Lohn.“
„Nun, was jetzt tun?“ – „Man muss noch weitergehen, was kann so ein Alter urteilen? Und wer uns jetzt begegnet, der mag entscheiden.“ Nun kommt ein alter Hund entgegen, sie erzählen ihm ihr Anliegen, und er soll nun wieder entscheiden. „Als ich ein kleines Hündchen war, wurde mir ein an jedem Morgen warme Milch gewärmt, und zuletzt kam noch der Herr selbst und versuchte mit dem Finger, ob sie nicht noch heiß wäre. Und als ich erwachsen war, da nahm er mich mit auf die Jagt, und wenn ich einen Hasen fing, gab mir der Herr die Füße und den Kopf. Als ich aber nicht mehr zu rennen vermochte, so versalzte man es mir manches Mal mit der Peitsche und gab mir nicht mehr Kopf und Füße, weil ich so manchen Hasen davongelassen hatte, und jetzt gibt man mir nicht mehr als zweimal täglich Brantweinspülicht zu lecken und befiehlt mir, draußen zu liegen und zu frieren. Wenn ihr darüber einig geworden seid, so seht ihr wohl, welches der Welt Lohn ist, und dann musst du auch deinen Hals hergeben.“ Der Mann ist damit noch nicht zufrieden und spricht: „Was können solche urteilen, sie haben ja beide Herrenbrot gegessen. Wir müssen noch weitergehen, Recht zu suchen.“ Die Schlange ist auch damit zufrieden, sie gehen.
Aber nun kommt ihnen ein Fuchs entgegen, dem sie nun wieder ihr Anliegen klagen und dass sie nicht Recht finden können. Der spricht nun: „Wenn ich euch nicht recht sprechen kann, so kann es keiner mehr tun, denn ich bin ein überaus kluges Waldtier, das schon viel auf der Welt gesehen hat. Habt ihr nicht in Büchern gelesen, welche Prozesse ich durchgeführt habe?“ (Und er schleicht sich dem Mann ganz nahe ans Ohr und fragt: „Wie viel versprichst du?“ Der Mann verspricht zehn Hühner, zwei Gänse und ein Putermännchen.) „Aber was für ein Urteil kann ich euch hier sprechen? Wir müssen zu der Stelle gehen, wo die Schlange zwischen den Steinen gewesen ist, und sie mag ihren Kopf ebenso dazwischenlegen, dann sehe ich, wie ihr sie gerettet habt.“
Und das tun sie; sie legen die Schlange zwischen die Steine, und der Fuchs geht tanzend mit dem Mann zusammen in den Bauernhof. Der Mann geht nun ins Zimmer und heißt den Fuchs zu warten, erzählt der Frau, dass der Fuchs ihn gerettet hat, denn sonst wäre er nicht lebendig nach Hause gekommen, und dass man dem Fuchs zehn Hühner, zwei Gänse und ein Putermännchen geben müsse. Als ob der Frau Salpeter in den Hintern gesteckt wäre, rennt sie hinaus und fängt an, aus vollem Hals die Hunde zu rufen: „Seipur, Seipu! Briten, Dux, Kranz! Hussa, hussa! Der Fuchs will unsere Hühner erwürgen!“ Und wenn der Mann nicht die Hunde eingesperrt hätte, so hätte der Fuchs recht eigentlich der Welt Lohn zu kosten bekommen. Seht, wie dieser Lohn der Welt beschaffen ist.
Quelle: Livische Märchen