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Vom Glück

2.5
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Von Fluß zu Fluß blühen die Gärten, von Berg zu Berg grünen die Weiden. Auf den Weiden
tummeln sich die Kühe, Ochsen und Schafe, in den Gärten summen Bienen, damit sich die Bäume mit Früchten beschweren, wenn die Zeit da ist. Die Gärten gleichen jungfräulichen Bräuten, Lämmer und Ziegen vermehren sich so sehr, als habe sie der Frühling selbst aus einem Korb geschüttet. Und dies alles gehört einem guten und rührigen Bauern.
Einst ging er zu seinen Hängen, um zu prüfen, ob sich der Boden für den Weinbau eigne.
Und er fand wirklich einen Hang, der ihm dafür geeignet schien. Freudig bröckelte er die Erde zwischen den Fingern. „Hier wird der Wein gut reifen. Wie freue ich mich darauf!“
sprach er. Plötzlich bemerkte er einen Menschen. Die Hände unter dem Kopf, in Lumpen gekleidet, lag er im Straßengraben und blinzelte ihn verschlafen an. Ein Nichtsnutz, ein Taugenichts war dieser Mensch. Lieber hungerte er, als daß er die Hände sich mit Arbeit beschmutzte. Jedem, den er traf, jammerte er etwas vor, so auch dem Bauern: „Ach, ich Armer! Hunger und Kälte leide ich, während andere in Reichtum leben. Ihre Truhen sind so voll, daß sie sich nicht schließen lassen und ihre Hunde füttern sie mit bestem Fleisch. Warum hat mich das Schicksal so hart getroffen!“ „Nun, Mann, willst du dir etwas verdienen?“ fragte ihn der Bauer. „Ich will einen Weinberg anlegen. Hilf mir bei der Arbeit für ein oder zwei Jahre. Ich gebe dir dafür eine Kuh, einen jungen Ochsen und ein Stück Land. Dann kannst du als Bauer auf eigenem Land leben und arbeiten. Auch ich habe so angefangen!“
Der Nichtsnutz, der Taugenichts richtete sich langsam auf und macht ein verdrossenes Gesicht. Freilich wäre er froh, wenn es ihm gut ginge, wenn er zu trinken und zu essen hätte und unter dem eigenen Dach schlafen könnte. Nur dürfte es nicht mit Arbeit verbunden sein.
„Ich werde es mir überlegen, Herr“, sagte er. Aber dabei dachte er schon: „Ina, so was, der weiß nicht, wohin mit dem Reichtum, und ich soll mich dafür abrackern! Da leg ich mich lieber wieder auf die faule Haut und schlafe weiter!“ Der Bauer lächelte und sagte: „Na, dann überleg es dir. Aber überleg es dir gut, denn ich betrüge dich nicht!“ Kaum war der Bauer aus seinen Augen, kroch der Nichtsnutz, der Taugenichts, aus dem Graben und lief fort, wohin ihn die Füße trugen.

Von Fluß zu Fluß blühen die Gärten, von Berg zu Berg grünen die Weiden des Bauern, auf denen sich Kühe, Ochsen und Schafe tummeln. Die Lämmer und die Ziegen vermehren sich so auf den Weiden, als ob man Blüten ausgeschüttet hätte. Und das alles war eine Frühlingspracht, eine Blütezeit, eine Blumenzeit. Aber seltsamerweise klopfte hier kein einziger Hirte seine Pfeife aus, hütete kein Bursche zu Pferd die Herden. Dem Nichtsnutz, dem Taugenichts fiel gleich auf, daß die Kühe nicht gemolken, daß kein Lämmchen geschlachtet wurde. Kaum hatte er sich einer Kuh genähert, schienen tausend Glöcklein zu läuten. Vielleicht hatten alle Glockenblumen auf der Wiese geläutet, aber außer Zweifel stand, daß alle Tiere plötzlich die Flucht ergriffen, und sich an einer Stelle dicht drängten. Doch warum?

Dem Nichtsnutz, dem Taugenichts ließ die Neugier keine Ruhe, er zwängte sich durch die Tiere. Und was sah er? Ein Mensch, winzigklein, mit blauen Augen, die wie Glockenblumen leuchteten, mit Haar wie Löwenzahn, streichelte die Ochsen und die Kühe, die Schafe und Ziegen, die ihm die Köpfe hinstreckten. Ein Tier leckte ihm die Hand, ein anderes die Wange. Treuherzig schauten sie das Menschlein an. „Wo kommst du her? Ich habe dich vorher gar
nicht gesehen. Wer bist du?“ fragte verwundert der Nichtsnutz, der Taugenichts.
„Ich bin das Glück des Bauern, dem diese Herde gehört“, antwortete das Menschlein.
„Ich hüte die Türe und sorge für sie, damit ihnen nichts Böses geschieht.“

Der Nichtsnutz, der Taugenichts ärgerte sich: Was ist das für eine Gerechtigkeit! Warum hat der eine alles, und das Glück hilft ihm noch dabei, und der andere hat nichts, auch kein bißchen Glück. „Jedem das Seine“, lächelte das Menschlein. „Und wo finde ich das Meine?“, fragte der Nichtsnutz, der Taugenichts gierig. Das Menschlein gab ihm einen Rat: „Da und dort wandert das Glück zwischen den Bergen. Gehe den Fluß entlang, bis du zu seiner Quelle kommst!“ Der Nichtsnutz, der Taugenichts ging. Er ging lange, schleppte sich mühsam durch die öden und unfreundlichen Berge. Zwischen den Steinen wuchs nur spärlich Gras, ab und zu stand eine verkrüppelte Kiefer da. Nirgends war eine Menschenseele zu sehen.
Der Nichtsnutz, der Taugenichts ließ sich erschöpft auf die Erde fallen. „Da bin ich wieder einmal hereingefallen“, dachte er verbittert. „Das Glück ist mir eben nicht hold!“
Und schon schlief er ein, schlief fest und traumlos.

Als er erwachte und sich den Schlaf aus den Augen rieb, versank gerade die Sonne hinter den Bergen. Was hatte ihn nur aufgeweckt? Jetzt wußte er es: Ein Stöhnen und Seufzen hatte ihn aufgeweckt. Der Nichtsnutz, der Taugenichts schaute sich um, und siehe da!
Dort hinter einem Stein, lag etwas Seltsames, klagte, stöhnte und seufzte. „Wer bist du und was machst du hier? Warum liegst du faul auf der Haut!“ rief der Nichtsnutz, der Taugenichts verwundert. „Ich bin dein Glück“, antwortete eine erbärmliche Gestalt.Als das der Nichtsnutz, der Taugenichts hörte, begann er zu schreien: „Faulpelz! Tagedieb! Warum bemühst du dich nicht um mich? Warum kümmerst du dich nichts so um mich, wie sich das Glück des Bauern um den Bauern kümmert, daß alles unter seinen Händen gedeiht und erblüht?“ Aber die Gestalt wälzte sich nur träge auf die andere Seite und jammerte mit kläglicher Stimme: „Guter Mensch, warum so zornig? Du drückst dich vor der Arbeit, ich auch. Du jammerst und klagst, so jammere und klage auch ich. Geh an die Arbeit, und ich werde mit dir zusammen arbeiten!“ Der Nichtsnutz, der Taugenichts wurde nachdenklich.

Einen traurigen Anblick bot sein Glück, einen sehr traurigen. Da beschloß der Nichtsnutz, der Taugenichts sein Leben zu ändern. Unverzüglich machte er sich auf den Weg und nahm den Dienst bei dem Bauern an. Er begann zu arbeiten, war strebsam und fleißig und siehe, das Glück war ihm hold. Schon bald hatte er die Armut überwunden, nannte ein schönes Haus mit einem Stall voll Kühe und Ochsen sowie ein Stück Land sein eigen und freite das schönste Mädchen im Dorf. Von Jahr zu Jahr ging es ihnen besser, Kinder und Besitz vermehrten sich, die Felder trugen reichliche Früchte, die Gärten blühten, und für ihre Herden sorgte fortan das Glück.
*
Märchen aus Grusinien

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