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Das blaue Vögerl

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Es war ein Mann, der hatte eine Tochter. Seine Frau starb, und da nahm er sich eine andere Frau. Die hatte zwei Töchter. Und eine von ihren Töchtern hatte drei Augen: Sie hatte ein Auge mitten auf der Stirn. Die Tochter des Mannes war schön, darum waren die anderen neidisch und konnten sie nicht leiden. Die Stiefmutter und ihre Tochter quälten und prügelten sie, zogen sie an den Haaren, und der Vater gab nicht viel Achtung darauf. So machte das Mädel heimlich ihre Bündel und ging fort. Sie ging und ging, weit in den Wald, immer tiefer in den Wald hinein und kam in ein kleines Haus. Dort war ein Zimmerl und eine Küche und ein gemauerter Sparherd, da sott und prasselte es, aber es war niemand zu sehen: das Essen kochte von selbst. Es war schon Nacht, ein Bett war auch da. So dachte sie bei sich: Wohin soll ich gehen? Ich bleib halt da. Jetzt war ein kleines Loch im Fenster, und wie sie so dasaß, auf einmal schaute sie: kommt ein schönes blaues Vögerl hereingeschlüpft. Wie das Vögerl im Zimmer war, verwandelte es sich in einen wunderschönen jungen Mann: Es war ein verwunschener Prinz. Fragte der Prinz das Mädchen: „wie kommst du daher?“ Sie erzählte, sie habe eine Stiefmutter, und die habe zwei Töchter, und die hätten sie immer geschlagen, und da sei sie von zu Hause fortgegangen. „Na“, sagte der Prinz, „bleibst bei mir und führst mir die Wirtschaft. Bei Tag geh ich fort, am Tage bist du allein.
Und du hast gesehen: bei mir backt’s und kocht’s von selber. Da hast du ein gutes Leben, brauchst nicht viel zu arbeiten.“
So blieb das Mädchen im Häusl am Wald; es ging ihr gut, sie war immer lustig. Auf dem Sparherd kochte und brutzelte es den ganzen Tag, und wenn das Essen fertig war, deckte sich der Tisch allein; da kam Abend durch das kleine Loch im Fenster der Prinz nach Hause, sie aßen zusammen und legten sich schlafen, und über Nacht blieb der Prinz bei ihr. So lebten sie lange, aber einmal sagte der Prinz: „Oh, oh! Ich habe im Wald deine Stiefschwester gesehen. Sie ist ausgegangen, um dich zu suchen. Wenn sie uns findet, wird sie uns verraten, und da werden wir es nicht mehr so gut haben!“ Es war die Schwester mit den zwei Augen. Sie suchte das Häusl im Walde, konnte es aber nicht finden. Nach einer Zeit sagte der Prinz: „Oh, oh! Deine Stiefschwester mit den drei Augen hat sich aufgemacht, um dich zu suchen. Die ist schon viel gefährlicher! Wenn sie uns findet, wird sie uns verraten, und da werden wir es nicht mehr so gut haben!“
Richtig, hat die Stiefschwester mit ihren drei Augen das Häusl im Walde gefunden. Sie kam herein, schaute sich alles gut an.
„Du hast es aber gut“, sagte sie. Am Abend kam das blaue Vögerl nach Hause und verwandelte sich in den Prinzen. Der gefiel ihr gut, einen solchen Prinzen hätte sie auch gern gehabt. Sie blieb ein paar Tage dort, dann ging sie nach Hause und erzählte ihrer Mutter, wie gut es ihre Schwester habe, im Häusl im Wald.
Die Stiefmutter wurde grün und gelb vor Neid. „Das können wir ihr nicht lassen! Wir drei werden gehen und werden sie holen.“
Jede nahm einen Strick, weichte ihn gut ein, und dann gingen sie in den Wald, das Mädchen heimzuholen. „Wie hast du dir das erlaubt, davonzugehen? Marsch nach Haus mit dir!“ Sie schlugen sie blutig, alle drei, dann nahmen sie sie, stießen sie vor sich her und gingen mit ihr fort. Die Alte blieb zurück.
Sie war eine Hexe; sie verhexte den Sparherd, daß er nicht mehr kochen konnte, dann steckte sie in das Loch im Fenster ein Messer. Als der blaue Vogel kam, schnitt er sich daran wund und flog mit blutigen Flügel davon.

Jetzt kamen sie zu Hause an. Das geschlagene Mädchen hatte Striemen am ganzen Leib; so legte sie sich ins Bett. Ich geh ja doch wieder davon, dachte sie sich. Und wirklich, nicht lange darauf ging sie wieder fort; sie lief in den Wald zu ihrem Häusl. Da sah sie: das Fenster war voll Blut, der Sparherd war eingestürzt, und das Vögerl kam nicht mehr. Da weinte sie und weinte, und als sie sich ausgeweint hatte, machte sie sich auf den Weg, das Vögerl zu suchen. Sie ging und ging, weit, weit, tief in den Wald hinein, wo kein Vogel mehr zu hören war, und da sah sie von weitem ein kleines Haus. Da wohnte ein altes Mütterchen, ein buckliges. „Du Erdwürmlein“, sagte sie, „wie kommst du daher, wo nicht einmal ein Vogel mehr sieht? Mein Mann ist ein Menschenfresser; wenn er nach Hause kommt, frißt er dich. Aber komm, ich will dich unter dem Backtrog verstecken.“ Sie versteckte das Mädchen unter dem Backtrog, und dann machte sie sich daran, ihrem Mann ein Nachtmahl zu kochen, damit er gleich etwas zu essen hat, wenn er nach Hause kommt. Als der Mann kam – es war der Mond – sagte er: „Weib, ich schmeck Menschenfleisch.“***„Du alter Narr“, sagte sie, „Da kommt kein Vogel her, erst noch ein Mensch!“ Sie gab ihm zu essen, und als er gut satt war, sagte sie: „Schau, da ist ein junges, armes Mädel, sie sucht ihr blaues Vögerl. Kannst du ihr keine Auskunft geben?“ Der Mann sagte: „Geh, laß sie hervorkommen, ich tu ihr nichts mehr.“ Das Mädchen kam hervor, und weil sie so schön war, hatte der Menschenfresser Mitleid mit ihr und sagte: „Ja, ich habe den blauen Vogel gesehen.
Er flog gegen Sonnenuntergang und hatte blutige Flügel. Aber geh du zu meinem Bruder, dem Sonnenbrand, der ist stärker als ich, der wird dir mehr sagen können.“ In der Früh, als das Mädchen sich verabschiedete, sagte er: „Schau, mein Kind, da hast du eine Nuß. Wenn du in großer Not bist, brich sie auf, da wird ein goldenes Spinnrad drin sein mit zwölf goldenen Spulen. Aber nur in der größten Not brich sie auf.“ Das Mädchen steckte die Nuß ein, bedankte sich und ging weiter. Sie ging und ging, weit, weit in den Wald, wo kein Vogel mehr zu hören war, und kam zu einem Haus.

Da wohnte ein Mütterchen, das war noch älter. „Du Erdwürmlein“, sagte sie, „wie kommst du daher, wo nicht einmal ein Vogel singt? Mein Mann ist ein Menschenfresser. Wenn er nach Hause kommt, frißt er dich.“ „Au, Großmutter, verstecken Sie mich!“ Na gut, sie versteckte sie unter dem Backtrog.
Als der Mann nach Hause kam – es war der starke Sonnenbrand – sagte er: „Weib, Weib, ich spür Menschenfleisch!“ „Du alter Narr, da kommt nicht einmal ein Vogel her, erst noch ein Mensch! Geh, iß dich satt, vergiß das Menschenfleisch.“ Nachdem er sich sattgegessen hatte, sagte die Alte: „Schau, da ist ein junges, armes Mädel, sie sucht ihr blaues Vögerl, kannst du ihr keinen Fingerzeig geben?“ Sprach er: „Ich hab ja gewusst, daß ein Mensch im Hause ist! Geh, laß sie hervorkommen!“ Das Mädchen schlüpfte heraus. Si gaben ihr zu essen, und sie erzählte alles und weinte. Ja, ich weiß etwas. Ich habe gehört, daß der blaue Vogel wird heiraten. Aber geh zu meinem Bruder, dem Großen Wind, der wird Näheres wissen.“ Als sie in der Früh aufbrach, gab er ihr eine goldene Birne: „Schau, da hast du eine goldene Birne. Es ist ein silbernes Kleid darin. Aber nur in der Not brich die Birne auf.“ Nun gut, sie bedankte sich und ging weiter. Sie ging zum Bruder, das war der Große Wind.

Als sie hinkam, war wieder so ein kleines Haus und ein altes, altes Weib mit der Nase ganz auf der Erde. „Du, Erdwürmlein, wie kommst du daher, wo nicht mal ein Vogel herkommt? O mein Gott, mein Mann ist ein Menschenfresser. Wenn er dich findet, frißt er dich auf. Aber komm, ich werde dich unter dem Backtrog verstecken.“ Das Mädchen schlüpfte darunter, und der Mann – das war der Große Wind – der kam nach Hause. „Weib, ich riech Menschenfleisch!“
„Du alter Narr, wie kommt ein Mensch daher, wo nicht einmal ein Vogel hinkommt? Da iß, daß du satt wirst!“ Nachdem er gut satt war, sagte ihm die Alte: „Schau, da ist ein schönes junges Mädchen, sie sucht ihren blauen Vogel, kannst Du ihr nicht helfen?“ „Sie soll hervorkommen!“ Das Mädchen war schön, sie bat und weinte, da es ihm leid tat um sie. Er sagte: „Ich bin der Große Wind. Die ganze Aussteuer unserer Prinzessin ist gewaschen und aufgehängt worden, damit ich sie trocknen soll, denn sie heiratet den blauen Vogel.“ Dann gab er ihr einen goldenen Apfel: Schau, wenn du den aufbrichst, findest du ein goldenes Kleid darin. Aber nur in der höchsten Not brich ihn auf. Er führte sie tief in den Wald hinein, setzte sie auf einen hohen Baumstrunk, gab ihr zwei Adlerflügel in die Hand und sagte ihr, wenn er, der Große Wind, komme und pfeife, solle sie mit den Flügeln schlagen; denn könne er sie wegtragen bis dorthin, wo der blaue Vogel die Prinzessin heirate. Und es kam ein Wind, daß die Bäume ächzten und krachten, er nahm das Mädchen mit sich und trug es durch die Luft weit, weit, bis in das Land, wo der blaue Vogel war; da Ließ er sie nieder.

Jetzt war sie da, aber der Prinz wohnte in einem hohen stolzen Königsschloß. Wie konnte sie zu ihm hineingelangen? Da hörte sie, die Prinzessin, die der Prinz heiraten sollte, gehe jeden Tag mit ihrer Mutter zur Frühmesse. Sie stellte sich also an die Kirchentür, brach die silberne Blume auf und nahm das silberne Kleid heraus. Als die Prinzessin das silberne Kleid sah, sagte sie zu ihrer Mutter: „Mutter, kauf mir das Kleid!“ Die Mutter sagte: „Das kostet auch Geld! Das Kleid ist ganz von Silber. Wer kann das bezahlen?“ „Es kostet kein Geld“, sagte das Mädchen. „Ich gebe das Kleid her, wenn du mich heute Nacht in die Kammer deines Bräutigams einläßt.“ „Gut“, sagte die Prinzessin. „Ich will dich heute Nacht in die Kammer einlassen.“ Aber die Prinzessin war schlau. Sie ließ dem Bräutigam Schlafpulver in den Wein geben, und er schlief fast die ganze Nacht. Das Mädchen ging zu ihm hinein, schüttelte und beutelte ihn, zwickte ihn, zog an seinem Haar, aber er wachte nicht auf. Sie konnte ihm kein einziges Wort sagen. In der Früh ging sie fort und weinte bitterlich. Sie ging wieder zur Kirchentür, brach den goldenen Apfel auf und nahm das goldene Kleid heraus. Als die Prinzessinbraut das goldenen Kleid sah, sagte sie gleich zu ihrer Mutter: „Mutter, kauf mir das Kleid!“ Sagte die Mutter: „Wer hat denn soviel Geld? Siehst du nicht, das Kleid ist ja ganz von Gold!“ „Das kostet nicht viel“, sagte das Mädchen, „laß mich nur noch einmal zu deinem Bräutigam in die Kammer ein.“ „Gut, du kannst heute wieder zu ihm gehen.“ Sie ließ aber wieder ihr Schlafpulver in den Wein des Prinzen tun. Der Prinz schlief fest die ganze Nacht und wachte nicht auf. Das Mädchen konnte ihm kein einziges Wort sagen. In der Früh ging sie weinend fort.
Jetzt hatte sie nur noch ihre Nuß. Sie brach sie auf und holte das Spinnrädchen mit den zwölf Spulen heraus. Sie stellte sich mit dieser Kostbarkeit in die Kirchentür. Sagte die Prinzessinbraut: „Ach Mutter, das Schöne da mußt du mir kaufen!“ Aber die Mutter sagte: „So viel Geld habe ich nicht! Das ist ja alles von purem Gold!“ „Das kostet nicht viel“, sagte das Mädchen, „laß mich nur einmal zum Prinzen ein!“ „Gut“, erwiderte die Prinzessin, „ich will dich noch einmal einlassen.“ Wieder ließ sie durch eine Hofdame Schlafpulver in der Wein des Prinzen schütten. Aber der Prinz hatte gemerkt, daß in den zwei Nächten jemand bei ihm im Zimmer gewesen war. In der Früh war er ganz verzwickt und voll blauer Flecken gewesen. Er nahm sich vor, in der dritten Nacht wach zu bleiben. Er dachte sich: Heute Nacht will ich wachen und aufpassen, wer in mein Zimmer kommt. Und damit er besser wachen könne, trank er am Abend keinen Wein. Als das Mädchen in sein Zimmer kam, tat er nur so, als ob er schliefe. Auf einmal machte er die Augen auf und erkannte das Mädchen. Da waren sie halt so glücklich und so froh, und das Mädchen erzählte ihm alles, und der Prinz sagte: „Du bist meine Braut!“ Und der anderen sagte er: „Du hast deinen Bräutigam dreimal für Gold und Silber verkauft, du musst jetzt abtreten!“ Und dann heiratete der Prinz das Mädchen, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.

 
Märchen aus dem Banater Bergland

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