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Vaters Tochter und Mutters Tochter

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Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten zwei Töchter; die eine war Vaters Tochter, die andere war Mutters Tochter. Die beiden Mädchen gingen des Abends zum Spinnen in ein Nachbarhaus. Die Tochter des Alten spann fleißig, aber die Tochter der Frau trieb sich nur mit den Burschen herum. Und als es Zeit war heimzukehren, ging sie die Schwester mit Bitten an und bekam auch von ihr einen Strang Garn; den brachte sie der Mutter mit, aber die schimpfte sie beide dafür aus, daß sie sowenig gesponnen hatten. So kam es, daß sie sich verzankten, aber auf den nächsten Spinnstubenabend gingen sie doch wieder. Und die Tochter des Alten spann fleißig und dachte bei sich: »Ich will der Katja nicht ein einziges Garn geben, mag die Mutter sie ordentlich ausschimpfen!« Und als sie im Morgengrauen nach Hause gingen, trug die Tochter des Alten ein ganzes Sieb voll Garn und unter dem Arm noch ungesponnenen Flachs. Sie mußten aber über einen Zaunüberstieg. Da stellte die Tochter des Alten das Sieb auf den Boden neben dem Zaun, kletterte hinüber und wollte sich über den Zaun beugen, um das Sieb aufzunehmen; aber Katja lief hinzu, ergriff das Sieb mit dem Garn und kletterte über den Zaun. Sie brachte der Mutter das Garn und prahlte, wieviel sie zusammenspinnen könne, wenn sie nur wolle, aber über Oljana, ihre Stiefschwester, log sie vor, daß sie sich nur mit den Burschen herumgetrieben habe! Da ging die Alte auf Oljana zu und schlug und schlug sie und sagte dann zum Alten: »Schaff sie fort, daß ich sie nie mehr zu sehen brauche!« Der Alte sagte dazu: »Gut, gut«, aber führte sie doch nicht fort, sondern dachte: »Der Alten wird die Wut schon vergehen, und dann bleibt es, wie es war.« Allein die Mutter hörte nicht auf mit ihrem Zorn und lag dem Alten in den Ohren, er solle mit der Tochter ein Ende machen, wenn nicht, so werde sie ihn und sie umbringen. Da sieht der Alte, es steht schlimm, spannt die Pferde an und fährt mit Oljana in den Wald.
Sie fuhren und fuhren, die Pferde wurden schon müde, und sie selbst wurden hungrig. Der Alte hielt, um die Rosse zu füttern und um Mittag zu essen. Oljana aber aß nichts, weinte bloß und betete im stillen zu Gott. Doch als sie umherschaute, sah sie einen Quell, der war ganz mit Gras überwachsen, und er bat sie: »Reinige mich, liebes Mädchen, ich werde dir noch einmal von Nutzen sein!« Da schlug sie die Ärmel auf und reinigte den Quell und jätete das Gras und ging dann weiter. Dort stand aber auch ein Birnbaum und bat ebenfalls: »Säubere mich, liebes Mädchen, sonst geh ich ganz zugrunde!« Sie machte sich an die Arbeit, säuberte den Baum und brach die trockenen Äste ab und ging dann weiter. Da sah sie einen Hund liegen, der konnte sich kaum noch rühren vor Hunger, und er bat sie: »Liebes Mädchen, mein Täubchen, rette mich, ich werde dir noch einmal von großem Nutzen sein!« Da wusch sie ihm die Wunden und bestrich sie mit Teer, damit sich keine Fliege auf sie setze, gab ihm ein Stück Brot, das sie für sich mitgenommen hatte, und ging weiter.
Danach holte sie ihr Vater ein, der inzwischen zu Mittag gegessen und die Pferde angespannt hatte. Sie setzte sich auf den Wagen, und sie fuhren weiter. Und als es anfing zu dunkeln, bog der Alte vom Wege in den Wald ab, fuhr ohne Weg und fuhr so lange, bis er zu einer kleinen Hütte kam, die auf einem Hühnerfuß im Walde stand. Da sprach der Alte: »Hier wollen wir über Nacht bleiben, Töchterchen, doch morgen, wenn’s Gott wieder hell werden läßt, fahren wir weiter; jetzt zünd aber den Ofen an und sammle Reisig auf, ich werde die Pferde ausspannen und sie besorgen und Brennholz kleinschlagen.« Sie machte Feuer an, und der Vater ging hinaus und brachte Brot und ein Stück Speck, das sie auf den Weg mitgenommen hatten. Sie aßen beide, und dann sagte der Alte: »Sitz du in der Hütte, ich aber will hinausgehen und noch Brennholz hacken.« So blieb sie denn allein, wickelte jetzt ihren Hahn aus, den sie mitgebracht hatte, und setzte ihn zum Schlafen auf den Ofenrand, danach aber betete sie zu Gott. Der Alte jedoch war hinausgegangen und hatte einen Klotz zurechtgehauen, den band er an einen Ast, damit er im Winde gegen den Stamm klopfe; dann spannte er heimlich die Pferde an, verließ eilends den Wald und fuhr davon, bevor es Mitternacht wurde. Als Oljana den Klotz anschlagen hörte, meinte sie: »Solch ein Wind geht daher, und mein armer Vater muß Brennholz hacken!« Aber nachher dachte sie bei sich: »Warum schlägt er für eine Nacht soviel Holz klein? Ich will gehn und ihn hereinrufen.« Als sie aus der Türe trat, da schlug nur der Klotz gegen den Baum, vom Vater aber war keine Spur mehr zu sehen, als ob das Wasser ihn fortgespült hätte! Da erriet sie wohl, daß er sie mit Willen verlassen habe; sie ging in die Hütte, fing an zu weinen und zu beten.
Da kam zu ihr der Fremde, fein gekleidet war er und trug einen schwarzen Hut; er sprach zu ihr: »Guten Abend, Mädchen! Warum sollst du dich langweilen, komm lieber mit mir tanzen.« Sie erschrak und sagte: »Wie sollt ich mit Euch tanzen, wo ich doch nicht einmal ein reines Hemd anhabe? Seht, wie es beschmutzt ist!« Da sprach er zu ihr: »Das will ich dir gleich bringen.« Und fort war er aus der Hütte. Sieh da, er brachte das Hemd und rief: »Hetz, hetz, hetz! Zum Tanze gehn wir jetzt!« Sie sagte aber zu ihm: »Ich hab kein schönes Kleid, geh hin und bring mir eins.« Da machte er sich auf, brachte ein prächtiges seidenes Kleid und rief wieder: »Hetz, hetz, hetz! Zum Tanze gehn wir jetzt!« Doch sie sprach abermals zu ihm: »Ich habe noch kein Tuch.« Da brachte er ihr auch ein Tuch und hernach Schuhe und Strümpfe, kostbare Ringe und Halsschmuck und alles, was zum Staat gehört! Und dann gab sie ihm noch auf, eine Kutsche herbeizuschaffen und ihr Geld zu bringen. So mußte er die ganze Nacht hin- und herlaufen, bis alles beisammen war. Sie aber hatte sich geschmückt und war über alle Maßen schön geworden; da rief er: »Hetz, hetz, hetz! Zum Tanze gehn wir jetzt!« Doch wie er sie packen wollte, krähte der Hahn auf dem Ofen: »Kikeriki!« Da zerfloß der Teufel zu Pech, aber all die Sachen gehörten nun Oljana.
Sie wartete den Tag ab, setzte sich in die Kutsche und fuhr hinaus in die Welt. Sie fuhr und fuhr, verirrte sich oft und weinte schon bitterlich, weil sie sich aus dem Walde nicht hinausfinden konnte. Da lief plötzlich der Hund herbei und sprach zu ihr: »Ich will dich auf den Weg führen und nach Hause bringen, weil du mich vom Tode errettet hast.« Der Hund lief also voraus und zeigte den Weg, sie selbst aber fuhr hinterher. Und sie hatte ein so großes Verlangen, etwas zu essen, daß es schon ganz schrecklich war. Plötzlich roch sie den Duft von Birnen. Sie wunderte sich darüber, aber da stand auch schon der Birnbaum, den sie gesäubert hatte. Als sie nun hinzuging, um Birnen abzuschütteln, fielen sie von selbst vor ihr nieder. Und sie aß sich satt und brachte noch viele Birnen als Geschenk mit heim. Dann kamen sie auch zu dem Quell, hielten an bei ihm und tranken von dem Wasser; es war aber süß wie Honig. Endlich kamen sie in das Dorf; der Hund lief voraus unter das Fenster und rief: »Wau, wau, ich sage euch: des Alten Tochter ist einem Fräulein gleich, der Alten ihre – einer Hündin!« Das Weib lief hinaus mit einem Stock, um den Hund zu schlagen, doch da kam schon der Wagen mit dem Fräulein heran und fuhr geradewegs zu ihnen auf den Hof. Nun erkannten sie, daß es ihre Oljana war. Der Alte war sehr froh und nahm die Tochter gerne wieder auf; aber auch die Mutter freute sich, weil Oljana Geschenke mitgebracht hatte.
Dann verlangte sie jedoch vom Alten, er solle auch Katja in den Wald führen, damit sie auch so werde wie die Schwester. Der Alte spannte wieder die Pferde an, nahm Katja mit und fuhr davon. Und sie rasteten an der gleichen Stelle wie das erstemal. Katja aß sich mit dem Vater satt, ging darauf Wasser suchen und fand ein kleines Brünnlein, es war aber ganz versandet. Da sprach das Brünnlein: »Reinige mich, liebes Mädchen, dann wirst du später einmal von meinem Wasser trinken können.« Sie antwortete jedoch: »Fällt mir wohl ein, bei dir herumzuplantschen! Kommen wir ins Dorf, krieg ich schon Wasser zu trinken!« Danach kamen sie zu einem Apfelbaum, der am Wege stand, der bat sie: »Reinige mich, liebes Mädchen, ich werde dir noch einmal von Nutzen sein.« – »Was? meinst du, ich hätte nichts anderes zu tun, als mich mit dir abzugeben?!« – und so ließ sie’s denn sein. Sie kehrte zum Wagen zurück, und da lag auf dem Wege ein alter, schwacher Hund, der bat sie: »Rette mich, liebes Mädchen, ich werde dir von Nutzen sein.« – »Was?« sagte sie, »stinken tust du wie die Pest, und ich soll mich noch an dir beschmutzen?! Nein, das will ich nicht!« Und sie ging fort. Dann setzte sie sich in den Wagen und fuhr mit dem Alten in den Wald. Der Vater ließ sie allein in der Hütte und machte sich selbst davon, wie beim erstenmal. Und da Katja unterwegs einen Hahn gefunden hatte, drehte sie ihm den Hals um und kochte zum Abendessen eine Suppe.
Mit einem Male aber kam der Fremde und sprach zu ihr: »Guten Abend, liebes Mädchen! Warum sollst du dich langweilen, komm lieber mit mir zum Tanz!« Sie antwortete ihm: »Wie sollt ich mit dir tanzen gehn, wo ich doch kein Kleid hab, wie’s die Fräulein tragen, und keine Kutsche und keine Pferde und kein Geld? Erst bring mir das alles.« Da ging er fort und brachte alles auf einmal mit, so, wie sie es ihm aufgetragen hatte, und sagte: »Nun zieh dich an, und dann wollen wir tanzen!« Sie zog sich auch an und begann mit ihm zu tanzen. Und er tanzte mit ihr so lange, bis ihr die Knöchelchen auseinanderfielen, dann nahm er alle Sachen mit sich und verschwand. Die Alte aber wartete auf ihre Tochter, hielt es nicht mehr aus und fuhr selber, sie zu holen. Doch als sie hinkam, lagen nur noch die Knöchelchen dort. Da heulte sie und heulte, aber die Tochter kehrte davon nicht zurück. Des Alten Tochter aber freite der Gutsherr aus ihrem Dorf, und sie machten Hochzeit.

Bei ihnen war ich,
Met und Wein trank ich,
Übern Bart da floß es mir,
Doch der Mund blieb trocken mir.

[Ukraine: August von Löwis of Menar: Russische Volksmärchen]

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