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Das goldene Meermädchen

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Ein mächtiger Kaiser hatte unter anderen unschätzbaren Gütern in einem seiner Gärten einen Wunderbaum, der alljährlich goldene Äpfel trug. Der Kaiser konnte sich aber nie recht darüber freuen, denn er mochte Wachen und Leute dazustellen wie er wollte, die Äpfel wurden ihm, sooft sie zu reifen anfingen, gestohlen. Dies verdroß ihn je länger je mehr; er schickte deshalb eines Tages nach seinen drei Söhnen und sagte zu den beiden älteren: »Rüstet euch zur Reise und laßt euch von meinem Schatzmeister mit Gold und Silber versehen, damit ihr in die Welt auszieht und überall bei Weisen und Gelehrten fragt, wer wohl der Dieb meiner goldenen Äpfel sei. Vielleicht könnt ihr mit euren Leuten sogar des Diebes habhaft werden und ihn mir überliefern!« Die Söhne des Kaisers waren über diesen Auftrag erfreut, denn sie wären schon längst gern in die Welt hinausgezogen; sie rüsteten sich daher schnell zur Reise, beurlaubten sich bei ihrem Vater und verließen die Stadt.
Hierüber war des Kaisers jüngster Sohn sehr betrübt, denn er wäre gar zu gern auch in die Welt hinausgezogen, aber sein Vater wollte es nicht haben, weil er sich von Jugend auf ziemlich blöde gezeigt hatte und man deshalb in Besorgnis war, es möchte ihm etwas zustoßen. Der Prinz drang aber so lange mit Bitten in seinen Vater, bis er zusagte und ihn ebenfalls mit Silber und Gold versehen ausziehen ließ. Doch gab er ihm die elendeste, Mähre, die man in seinen Ställen finden konnte, zum Reiseroß, denn nicht mehr hatte der blöde Prinz verlangt. So zog er, nachdem er sich von seinem Vater verabschiedet hatte, unter dem Gespötte des Hofes und der ganzen Stadt zum Tor hinaus ins Freie.
Als er bald darauf einen Wald erreichte, durch den ihn sein Weg führte, begegnete ihm ein hungriger Wolf, der vor ihm stehenblieb. Der Prinz fragte ihn, ob er Hunger habe, stieg, als der Wolf dies bejahte, vom Pferd und sagte: »Wenn du hungrig bist, so nimm mein Pferd und friß es!« Der Wolf ließ sich das nicht zweimal sagen, riß das Pferd nieder und fraß es ganz auf. Als der Prinz sah, wie wohl hierauf dem Wolf wurde, sprach er wieder zu ihm: »Nun, Freund, hast du mein Pferd gefressen, und mein Weg ist sehr weit, so daß ich zu Fuß nicht fortkommen könnte, wenn ich mich auch noch so sehr abmühte; es ist also billig, daß du mir als Pferd dienst und mich auf deinen Rücken nimmst.« – »Gut«, sagte der Wolf darauf, ließ den Prinzen aufsitzen und trollte sich in seinem Hundstrab fort. Unterwegs fragte der Wolf seinen Reiter, wohin er denn eigentlich reise, worauf ihm der Prinz die ganze Geschichte mit den gestohlenen Äpfeln in seines Vaters Garten erzählte und ihm auch sagte, wie seine Brüder bereits mit vielen Reisigen ausgezogen seien, um den Dieb zu suchen. Der Wolf, der aber kein wirklicher Wolf, sondern ein mächtiger Zauberer war, offenbarte hierauf, daß er ihm in dieser Sache leicht Aufschluß geben könnte, und als der Prinz hastig danach fragte, sagte er, der benachbarte Kaiser habe in seinem prachtvollsten Saal im offenen Käfig einen wunderbar schönen und zahmen Vogel, und eben dieser sei der Dieb der goldenen Äpfel. Derselbe sei so flink im Fluge, daß es kaum möglich sei, ihn bei seinem Diebstahl zu erwischen. Weiter gab der Wolf dem Prinzen den Rat, er solle sich nachts in den Palast dieses Kaisers schleichen und den Käfig samt dem Vogel stehlen. Nur vor einem solle er sich in acht nehmen, daß er nicht, während er mit dem Käfig herausgehe, an einer Wand streife.
Wie der Wolf geraten hatte, so tat der Prinz in der folgenden Nacht; als er aber einigen schlafenden Wächtern aus dem Wege treten wollte, streifte er trotz aller Vorsicht mit dem Rücken an der Wand, worauf sogleich die Wächter insgesamt erwachten, ihn ergriffen, prügelten und in Ketten legten. Darauf wurde er vor den Kaiser geführt, der ihn alsbald zum Tode verurteilte und bis zum Tage seiner Hinrichtung in einen finsteren Kerker werfen ließ.
Der Wolf, der vermöge seiner Zauberkunst natürlich im Augenblick wußte, was mit dem Prinzen vorgegangen war, verwandelte sich schnell in einen großen Herrn, seinen Schwanz aber in ein zahlreiches Gefolge. So fuhr er an den Hof des Kaisers, welcher den Gast wegen seines feinen, gebildeten Geistes und seiner guten Sitten während der Tafel sehr schätzen lernte. Es wurde von allerhand gesprochen, bis endlich der Fremde den Kaiser fragte, ob er viele Sklaven habe. Dieser bejahte es, indem er sagte: »Jawohl, nur zu viele! Diese Nacht noch ist mir einer gefangen worden, der so keck war, meinen Wundervogel stehlen zu wollen, und da ich ohnedies genug Sklaven zu füttern habe, so will ich diesen Schuft morgen hängen lassen.«
»Ei, das muß ein großer Dieb sein«, sprach hierauf der fremde Herr zum Kaiser, »der so unverschämt ist, daß er aus dem kaiserlichen Palast selbst den Wundervogel zu stehlen unternimmt, der gewiß über alle Maßen gut bewacht ist. Es wäre mir doch lieb, wenn ich diesen ungemeinen Gauner sehen könnte.« – »O warum nicht?« entgegnete der Kaiser hierauf und führte seinen Gast selbst in das Gefängnis, wo der arme Prinz, untröstlich über seine schlimme Lage, gefangensaß. Als der Kaiser mit seinem Gast wieder heraustrat, sprach dieser: »Mein hoher Kaiser, wie hab ich mich getäuscht! Ich glaubte einen rechten Kerl, von einem Dieb zu finden, während ich mir keinen elenderen Wicht denken kann, als den Ihr mir da gezeigt habt. Der wäre mir zu schlecht, als daß ich ihn hinrichten ließe; wenn ich über ihn zu verfügen hätte, er müßte mir irgendein schweres Unternehmen ausführen, bei dem das Leben auf dem Spiele steht. Machte er seine Sache gut, wohl! Ginge er zugrunde, so wär auch nichts verloren.« – »Euer Rat«, entgegnete der Kaiser, »ist gut, und in der Tat, ich hätte wohl einen solchen Dienst in Ausführung zu bringen. Mein Nachbar, auch ein mächtiger Kaiser, besitzt ein goldenes Pferd, welches er scharf bewachen läßt; dieses soll er stehlen und mir überbringen.«
Der Gefangene wurde hierauf aus seiner Haft entlassen und beauftragt, das goldene Pferd zu stehlen, ein Unternehmen, bei dem freilich auch wieder das Leben auf dem Spiel stand, so daß der arme Jüngling wenig gewonnen hatte. Indem er seines Weges zog, brach er in bittere Tränen aus, und es reute ihn sehr, daß er Haus und Reich seines Vaters verlassen hatte. Plötzlich aber sah er seinen Freund neben sich stehen, der zu ihm sprach: »Teurer Prinz, warum so niedergeschlagen? Ist der Fang mit dem Vogel nicht gelungen? Lasset Euch das nicht gereuen! Gings mit dem Vogel nicht, so seid Ihr vorsichtiger geworden, und um so besser wirds mit dem Pferde gehen.« Mit solchen und anderen Worten tröstete der Wolf den Prinzen, sprach ihm Mut zu und unterwies ihn wieder, wie er ja trachten solle, daß sowohl das Pferd als auch er die Wand nicht berührten, wenn er es heimlich herausführe, sonst erginge es ihm nicht besser als beim Vogel.
Nach einer ziemlich weiten Reise hatten sie die Grenze des Kaisertums überschritten und waren in das Land gekommen, welches der Herr des goldenen Pferdes beherrschte. Eines Abends spät hatten sie die Hauptstadt erreicht, und der Wolf riet, sogleich ans Werk zu gehen, bevor ihr Erscheinen die Aufmerksamkeit der Wächter errege. Sie schlichen also unverweilt in die kaiserlichen Stallungen, und zwar dahin, wo sie die meisten Wächter bemerkten, denn da vermutete der Wolf das goldene Pferd. Er drückte sich sachte durch eine Tür hinein indem er den Prinzen warten ließ, kam bald darauf wieder heraus und sagte zu ihm: »Mein Prinz, das Pferd ist über alle Maßen scharf bewacht, doch hab ich die Wächter alle bezaubert, und wenn Ihr sorgt, daß beim Herausführen die Wand weder von Euch noch vom Pferde gestreift wird, so ist keine Gefahr und gewonnenes Spiel!« Der Prinz, welcher sich vorgenommen hatte, recht vorsichtig zu sein, ging hierauf mutig ans Werk. Er fand, daß der Wächter, der es hinten beim Schweif halten sollte, im Sattel schlief, und ebenso der, welcher es bei den Zügeln hatte. Der Prinz faßte die Zügel und führte das Pferd bis unter die Tür, aber hier wehrte es einer Stechfliege, die auch bei Nacht keine Ruhe geben, und berührte mit dem Schweif einen der Türpfosten, worauf alle Wächter munter wurden, den Prinzen faßten, mit Peitschen und Gabeln unbarmherzig zurichteten, ihn dann in Ketten legten und ihn des Morgens vor den Kaiser brachten. Dieser machte nicht mehr Umstände mit ihm als der Herr des goldenen Vogels und ließ ihn in ein tiefes Gefängnis sperren, woraus man ihn am andern Morgen holen wollte, um ihm den Kopf abzuschlagen.
Als der Zauberer Wolf sah, daß auch dieser Versuch mißglückt war, verwandelte er sich wieder in einen großen Herrn mit seinem Gefolge und fuhr, in einem noch glänzenderen Zug als das erste Mal, an den Hof des Kaisers. Er wurde sehr freundlich aufgenommen, brachte nach Tisch die Rede wieder auf Sklaven und erbat sich im Verlaufe des Gesprächs wieder die Erlaubnis, den abscheulichen Dieb sehen zu dürfen, der es habe wagen können, aus den kaiserlichen Stallungen heraus des Kaisers teuersten Schatz stehlen zu wollen. Der Kaiser hatte nichts einzuwenden, und auch im übrigen gelang ihm alles ebenso wie beim Kaiser mit dem goldenen Vogel: Der Gefangene wurde freigegeben unter der Bedingung, daß er binnen drei Tagen das goldene Meermädchen fange, zu dem bis jetzt kein Sterblicher hatte gelangen können.
Höchst niedergeschlagen über diesen gefahrvollen Auftrag verließ der Prinz den dunklen Kerker; doch stieß er zu seiner großen Beruhigung bald wieder auf den Freund Wolf. Der tat, als ob er von nichts wüßte, und fragte den Prinzen, wie es ihm diesmal ergangen sei, worauf ihm dieser den ganzen Hergang des mißlungenen Diebstahls erzählte und zum Schluß auch die Bedingung, unter welcher ihn der Kaiser freigelassen hatte. Hierauf offenbarte der Wolf dem Prinzen, daß er ihm nun schon zum zweitenmal aus dem Kerker geholfen habe und daß er nur ihm vertrauen und seine Ratschläge genau befolgen solle, dann werde er gewiß in seinen Unternehmungen glücklich sein. Damit wandten sie ihre Schritte dem Meere zu, das sich nicht ferne von ihnen im hellen Sonnenschein unabsehbar ausbreitete. »Ich werde mich jetzt«, hub der Wolf wieder an, »in einen Kahn verwandeln und meine Eingeweide in die herrlichsten Seidenwaren. Wenn dies geschehen ist, so setzt Euch, mein lieber Prinz, keck hinein und steuert, meinen Schwanz in der Hand, ins Meer hinaus. Ihr werdet das goldene Meermädchen bald sehen. Laßt Euch aber, so lieb Euch Euer Leben ist, nicht verführen, ihm nachzugehen, wenn es Euch ruft, sondern sagt im Gegenteil zu ihm: ‚Käufer kommen zum Kaufmann, nicht aber der Kaufmann zum Käufer.‘ Darauf steuert dem Lande zu, und es wird Euch folgen, denn es wird seine Augen nicht mehr von den herrlichen Waren abwenden können, die Ihr im Kahn habt.«
Der Prinz versprach, dies alles getreulich zu erfüllen, worauf der Wolf sich in einen Kahn verwandelte, in dem statt häßlicher Gedärme herrliche seidene Bänder und Stoffe von den glühendsten Farben lagen. Der erstaunte Prinz setzte sich zu denselben in den Kahn und steuerte, den Schwanz des Wolfs haltend, keck ins Meer hinaus, dorthin, wo die Sonne ihr Gold auf die blauen Wellen streute. Bald sah er das goldene Meermädchen herauftauchen und auf sich zuschwimmen, er sah und hörte, wie es ihm winkte und rief; er entgegnete ihm aber mit lauter Stimme, wenn es etwas kaufen wolle, müsse es zu ihm kommen. So sprechend drehte er sein Wunderfahrzeug um und steuerte wieder dem Lande zu. Das Meermädchen rief ihm unaufhörlich zu, er solle stillhalten, er aber kehrte sich nicht daran, sondern fuhr, bis er den Sand des Ufers erreicht hatte. Hier legte er an und erwartete das Meermädchen, das ihm nachgeschwommen kam. Hätte er es früher gesehen, so hätte er gewiß seinem Winken nicht widerstanden und wäre ihm selbst in des Meeres Tiefe gefolgt; auf keinen Fall aber hätte er es mit so kaltem Blut am Meeresufer erwartet, denn es war so außerordentlich schön, wie Sterbliche gar nicht sein können. Es hatte den Kahn bald erreicht und sich über Bord geschwungen, um recht nach Herzenslust unter den herrlichen Waren aussuchen zu können. Der Prinz aber sprang auf es zu, schloß es heftig in seine Arme und bedeckte die Wangen und Lippen mit tausend Küssen, indem er ihm erklärte, daß es nun sein sei. Zugleich verwandelte sich der Kahn wieder in einen Wolf, worüber das Meermädchen so erschrak, daß es ängstlich seine Arme um den Prinzen schloß.
So war das goldene Meermädchen glücklich gefangen, und es fügte sich auch bald willig in sein neues Los, da es sah, daß es weder den Wolf noch den Prinzen zu fürchten habe. Es saß auf dem Rücken des ersteren, und hinter ihm der Prinz. So kamen sie zu dem Kaiser mit dem goldenen Pferd, der Prinz stieg ab und half auch dem Meermädchen herunter, um es vor den Kaiser zu geleiten. Sowohl vor dem schönen Mädchen als auch vor dem mächtigen Wolf, der diesmal seinen Prinzen nicht verließ, machten die Wachen ehrerbietig Platz, und bald standen alle drei vor dem höchst erstaunten Kaiser. Als dieser von dem Prinzen erfahren hatte, wie er in den Besitz des goldenen Meermädchens gekommen sei, sah er wohl, daß dem Jüngling eine höhere Macht zur Seite stehe, und nahm den Gedanken an den Besitz des überaus schönen Meermädchens gar nicht mehr auf, sondern sagte im Gegenteil zu dem Prinzen: »Lieber Jüngling, verzeiht mir, daß ich Euch in ein so schmachvolles Gefängnis habe werfen lassen, als Ihr zuerst nehmen wolltet, was nur Euch und keinem anderen gebührte. Nehmt von mir das goldene Pferd als ein Geschenk und als einen Beweis meiner Hochachtung vor Eurer Macht, die wirklich größer ist, als ich begreifen kann, da es Euch gelungen ist, dem Meere diese übergroße Schönheit zu entführen, zu der bis jetzt kein Sterblicher hat gelangen können.« Hierauf setzte man sich zur Tafel, bei welcher der Prinz seine wunderbare Geschichte nochmals erzählen mußte, zum Erstaunen aller Anwesenden. Mancher hätte sie wohl nicht geglaubt, wenn nicht der Wolf in Wirklichkeit bei der Tafel gesessen wäre und mit seinen grimmigen Blicken jeden Ungläubigen an die Wahrheit der Sache gemahnt hätte.
Der Prinz, voll Sehnsucht nach seiner Heimat, wünschte nach aufgehobener Tafel seine Reise fortzusetzen und beurlaubte sich daher vom Kaiser, der ihm alsbald das goldene Pferd vorführen ließ. Der Prinz hob sein Meermädchen hinauf, schwang sich hinter es, und im Fluge ging es fort dem anderen Kaisertume zu, wo der Kaiser vom goldenen Vogel herrschte. Der Wolf war dem Prinzen immer nebenher, ohne daß er irgendeinen anderen Schritt gegangen wäre als seinen gewöhnlichen Hundstritt. Der Ruf von des Prinzen Abenteuern war ihnen schon vorangeeilt, und der Kaiser vom goldenen Vogel stand bereits auf dem Altan, um seine mächtigen Gäste zu erwarten. Als sie in den Schloßhof einritten, waren sie höchlich erstaunt, daß sie alles so schön geschmückt und zum festlichen Empfang bereit fanden. Als der Prinz und das goldene Mädchen, voran der Wolf, die Treppen im Palaste hinaufstiegen, kam ihnen der Kaiser entgegen und führte sie in den Saal. Sogleich erschien ein Diener mit dem goldenen Käfig, worin der goldene Vogel war. Der Kaiser machte damit dem Prinzen ein Geschenk und entschuldigte sich angelegentlich, daß er so hart mit ihm verfahren sei; es wäre nicht geschehen, wenn er ihn gekannt hätte. Der goldene Vogel gehöre zum goldenen Pferd, und diese beiden wieder nur dorthin, wo eine solche überirdische Schönheit herrsche. Mit diesen Worten verneigte er sich sehr höflich vor dem schönen Meermädchen, reichte ihm die Hand und führte es zur Tafel, wo eben aufgetragen ward. Der Prinz folgte mit seinem Freunde Wolf, der ihn aufforderte, nicht lange zu bleiben, im übrigen sich neben den Prinzen zur Tafel setzte, unbekümmert darum, daß niemand ihn aufgefordert hatte. Natürlich traute sich keiner, dem mächtigen Freunde des Prinzen etwas zu sagen, um so weniger, als sich der Wolf bei Tisch überaus artig benahm.
Nach der Tafel beurlaubten sich der Prinz und sein Meermädchen wieder, bestiegen ihr Goldroß und setzten nunmehr die Reise nach ihrer Heimat fort. Unterwegs sagte der Wolf zum Prinzen: »Teurer Prinz, wie ganz anders nehmt Ihr Euch aus auf diesem Goldroß und im Besitz des goldenen Wundervogels und einer so schönen Jungfrau als damals, wo Ihr auf Eurer Mähre die Stadt Eures Vaters verließt! Mein Weg führt mich jetzt fort von Euch, und ich muß Euch Lebewohl sagen, tue es aber mit Freuden, da ich Euch in den glücklichsten Umständen verlasse!« Der Prinz war über diese Worte traurig und wollte den Wolf nicht fortlassen; der aber blieb bei seinem Sinn und trollte sich rechts ab in ein Dickicht, indem er noch rief: »Wenn Ihr im Unglück seid, mein Prinz, will ich schon Eurer Wohltätigkeit gedenken.« Dies waren des treuen Wolfs letzte Worte, und der Prinz konnte sich über das Scheiden seines Freundes kaum der Tränen enthalten. Als er aber sein geliebtes Meermädchen anschaute, wurde er bald wieder froh und lenkte das Goldroß ruhig durch einen Wald weiter.
Auch an dem Hof seines Vaters waren die wunderbaren Abenteuer des einst so geringgeachteten Kaiserssohnes schon bekanntgeworden. Seine älteren Brüder, die auf den Dieb der goldenen Äpfel vergeblich Jagd gemacht hatten, waren über das Glück des Jüngsten in großen Zorn geraten und übereingekommen, ihn meuchlerisch umzubringen. Der Wald, durch den der Prinz eben ritt, diente ihnen zum Versteck, und es dauerte nicht lang, so fielen sie über ihn her, erschlugen ihn und nahmen Pferd und Vogel mit sich fort. Das Mädchen aber war nicht von der Stelle zu bewegen, denn seit es das Meer verlassen hatte, kannte es nichts höheres, als mit ihrem Prinzen leben oder sterben.
Der Leib des Erschlagenen war bereits verwest, und nur noch das verbleichte Knochengerippe lag neben dem unglücklichen Meermädchen, das nichts tun konnte, als salzige Tränen über den Verlust seines Geliebten weinen, so daß es schon fast ganz aufgelöst war. Da erschien der alte Freund Wolf und sprach zu ihm: »Mädchen meines Prinzen, getraust du dich, die Gebeine deines Geliebten ganz so zu legen, wie sie im Leben waren?« – »O ja!« rief das Meermädchen, sprang auf und tat so. »Gut«, sprach der Wolf, »jetzt nimm Laubwerk, und Blumen und decke sie drauf!« Als dies geschehen war, blies der Wolf über das Ganze hin, und vor dem freudetrunkenen Meermädchen lag sein geliebter Prinz in ruhigem Schlummer. »Nun wecke ihn, wenn du willst«, sprach der Wolf. Da küßte das Meermädchen die Narben auf des Prinzen Stirn, die Male der Wunden, die ihm die meuchlerischen Brüder geschlagen hatten, und er erwachte. Vor übergroßer Freude dachten sie beide lange Zeit nicht an das Pferd und an den Vogel, unterdessen aber kehrte dem Meermädchen, sowie der Kummer von ihm wich, seine Schönheit zurück. Nach einiger Zeit mahnte der Wolf, dem der Prinz ebenfalls um den Hals gefallen war, zur Heimreise, und wieder wie früher setzte sich der Prinz mit seinem geliebten Meermädchen auf den Rücken des treuen Tiers.
Des Vaters Freude war überaus groß, als er seinen jüngsten Sohn umarmte, an dessen Rückkehr er längst gezweifelt hatte. Auch an dem Wolf und dem herrlichen, goldenen Meermädchen hatte er große Freude, und wiederholt mußte der Prinz erzählen, wie jener ihm zum Besitz der schönen Braut verholfen hatte. Sehr traurig wurde aber der alte Vater, als er hörte, wie schändlich die älteren Brüder ihren jüngeren erschlagen hatten. Er ließ sie sogleich rufen, und als sie kamen, erblaßten sie zum Tod vor ihrem Bruder, den sie längst vermodert glaubten. In der Verwirrung konnten sie auch gar nicht leugnen, als der Vater sie fragte, warum sie so gefrevelt hatten, sondern gestanden sogleich, daß es nur um des Wundervogels und des goldenen Pferdes willen geschehen sei. Da entbrannte der Zorn des Vaters, und er befahl, sie beide aufzuhängen. Bald hernach ließ er das prächtigste Hochzeitsfest begehen, durch welches der jüngste Prinz und das Meermädchen Mann und Frau wurden. Nach der Feierlichkeit wünschte der Wolf seinem Prinzen alles Glück und beurlaubte sich zum Schmerze des Kaisers, des Prinzen und der jungen Kaiserin, um wieder in seine Wälder zu kommen.
So endeten die Abenteuer des Prinzen mit seinem Freund Wolf.

[Rumänien: Arthur und Albert Schott: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat]

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