Dem blauen Kaiser, der ein sehr grosses Reich hatte, ward einst eine Tochter geboren. Die liess er in eine abgelegene Kammer bringen und daselbst bewachen, dass sie von niemand gesehen wurde; nur die Amme durfte zu ihr. Das Mädchen aber wuchs heran zu einer schönen Jungfrau. Da kam eines Tages ein Vöglein an ihr Fenster und pickte fort und fort an den Scheiben, bis die Kaisertochter das Fenster öffnete, sogleich huschte das Vöglein in die Kammer und setzte sich in eine Ecke. Das Mädchen freute sich über die Maßen, gewann das Vöglein lieb und fütterte es mit den besten Bissen, die ihm die Amme gab.
Einst als es einen tiefen Schnee geschneit hatte, stand die Kaisertochter am Fenster und sah hinaus auf den Hof, wo, während sie noch schlief, Schweine geschlachtet worden waren. Da sprach sie: „Gibt es wohl in der Welt einen Menschen, der so weiss wäre wie der Schnee und so rot wie das Blut?“ Kaum aber hatte sie ausgeredet, so rief das Vöglein: „So rot wie Blut und so weiss wie Schnee ist des weissen Kaisers Sohn.“ „Ach könnt ich ihn nur einmal sehen,“ erwiderte die Kaisertochter, „ich würde ihn lieben wie mein eigen Herz.“ Da rief das Vöglein: „Du sollst ihn sehen, wenn du mir folgen willst. Drehe eine seidene Schnur und binde sie an meinen rechten Fuss; heute abend ist beim roten Kaiser ein grosses Fest, dahin wollen wir gehen, sobald die Sonne untergegangen ist.“ Und die Kaisertochter drehte eine seidene Schnur, die hatte die Eigenschaft, unsichtbar zu sein und unsichtbar zu machen, wer sie berührte. Und sie machten sich auf den Weg, Als sie vor dem Palast des roten Kaisers ankamen, sprach das Vöglein: „Sobald ich an der Schnur zupfe, sollst du sogleich kommen, sonst wird es übel sein.“ Die Kaisertochter versprachs. Wie sie nun bei dem Fest erschien, wandten sich ihr alle Blicke zu, und der Sohn des weissen Kaisers sprach und tanzte mit ihr, und sie gewannen einander sehr lieb. Als sie eben wieder tanzen wollten, zupfte das Vöglein an der unsichtbaren Schnur, und flugs verliess die Kaisertochter das Fest und eilte nach Hause.
Am Morgen, als sie das Vöglein fütterte, sprach sie: „Könnte ich ihn nur noch einmal sehen.“ Da antwortete das Vöglein: „Du sollst ihn sehen nach Sonnenuntergang.“ Da war beim schwarzen Kaiser ein noch grösseres Fest und herrschte grosse Freude. Nur der Sohn des weissen Kaisers sass traurig in einer Ecke. Wie aber – die Kaisertochter eintrat und er sie erblickte, ward er munter, sprach und tanzte mit ihr, bis das Vöglein zupfte. Da wollte sie sich losreissen. Er aber hielt sie fest und wollte sie nicht lassen. Da zupfte das Vöglein zum zweitenmal, und weinend eilte die Kaisertochter hinweg und nach Hause. Am Morgen als sie das Vöglein fütterte, sprach sie wieder: „Könnte ich ihn nur noch einmal sehen.“ Und das Vöglein antwortete: „Du sollst ihn sehen nach Sonnenuntergang.“ Es war aber abends ein noch grösseres Fest beim weissen Kaiser und herrschte wieder grosse Freude. Nur der Sohn des weissen Kaisers sass traurig in einer Ecke. Wie aber die Kaisertochter eintrat und er sie erblickte, ward er munter,, sprach und tanzte mit ihr, bis das Vöglein zupfte. Da wollte sie sich losreissen, er aber hielt sie noch fester, bis sie, als das Vöglein zum drittenmal zupfte, endlich loskam. Da zürnte ihr das Vöglein, schalt sie, und führte sie nicht nach Hause, sondern weit weg in die Wüste. Da iiess es sie allein, und die Kaisertochter wusste nicht, wie sie sich nach Hause finden sollte. Als sie lange, lange umhergeirrt war, traf sie eines Tages einen Schweinehirten; bei dem wollte sie dienen, aber er mochte sie nioht, weil sie so schön und herrisch aussah und gab ihr nur ein wenig von seinem Aschenkuchen. Als er aber sah, mit welcher Gier sie den Aschenkachen verschlang, erbarmte er sich ihrer, nahm sie als Magd an und Iiess sie die Schweine hüten, während er daheim lag und schlief.
Eines Abends, als sie nach Hause kam, sprach sie zur Schweinehirtin : „Richt mir ein Bad an, Mutter, damit ich meinen Leib wasche “ Und die Hirtin, der sie lieb war wie ein eigen Kind, tats und stellte zwei grosse Mulden nebeneinander, in der einen kaltes und in der andern warmes Wasser. Wie sich nun die Kaisertochter gewaschen hatte und anfing, ihre goldenen Haare zu kämmen, fiel von ihrem Haupte links Gold, und rechts Silber in die Mulden bis sie voll waren. Da nahm sie von dem Gold, kaufte Wagen und Kleider, und fuhr nach der Stadt, wo der weisse Kaiser wohnte. Da erfuhr sie, wie der Sohn des Kaisers seit Jahr und Tag krank darniederliege und keinen Menschen vor sich lasse, also dass seine Eltern grosse Trauer trügen. Als sie das hörte, verkleidete sie sich als eine alte Frau, liess sich vor den Kaiser führen, und bat um die Erlaubnis, zu dem Kranken gehen und mit ihm allein zu reden, das werde ihn gesund machen. Gern willigte der Kaiser ein. Aber als die Kaisertochter in das Zimmer trat, lag der Kranke mit dem Angesicht gegen die Wand gekehrt, regungslos im Bett, als ob er tot wäre. Sie schloss die Türe hinter sich ab, warf die hässlichen Kleider von sich und rief: „Könnte ich dich nur noch einmal sehen.“ Sogleich erkannte sie der Kranke und genas zur Stunde, rief Vater und Mutter und das ganze Hausgesinde herbei, und sprach: „Um ihretwillen war ich krank und wäre gestorben, hätte ich sie nicht wiedör gefunden. Von nun an aber wird mein Herz nie mehr traurig sein.“ Und er nahm sie zum Weib und lebten glücklich bis an ihr Ende.
Quelle:
(Rumänische Märchen)