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Titzinella und der Zauberstab

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Als der Herrgott das Land Lilliput erschaffen hatte, musste er schon sehr müde gewesen sein! Alles gelang ihm zierlicher und kleiner. Die Menschen, die Häuser, ja selbst die Sonne und der Mond waren ihm winziger geraten, als in der großen anderen Welt.
Titzinella, ein junges Mädchen aus Lilliput, das Anfang des Jahres in das ererbte Haus ihrer Urgroßmutter eingezogen war, fand beim Stöbern auf dem Dachboden eine alte Teekanne und einen ihr unbekannten Stab, mit dem sie nichts anzufangen wusste. Das Fundstück war aus Silber und mit goldenen Sternchen verziert. Der Stab gefiel ihr, deshalb nahm sie ihn mit in ihr Wohnzimmer und legte ihn ins Regal.
Die Bewohner kannten Titzinella nur aus der Ferne, wenn sie mit der alten Teekanne zum Fluss ging, um Wasser für ihre Blumen zu holen.
„Ein sonderbares Mädchen“, tuschelten sie und steckten die Köpfe zusammen.
Und dann kam der Heilige Abend.
Der einzige Tag im Jahr, der erst mit dem Dunkelwerden richtig begann. Es schneite schon seit Tagen und Lilliput drohte im Schnee zu ersticken.
Titzinella betrat ihr Wohnzimmer. Der Tannenbaum war geschmückt mit goldenen Nüssen, Sternen, Engelchen aus Stanniol und Lärchenzapfen. Er sah festlich aus. Sie zündete die Kerzen an, ging eine Weile hinaus in den dunklen Flur und wartete. Dann rief sie: „Kling, kling“, machte die Türe wieder auf und stand überwältigt vor der glitzernden Pracht. Staunend umrundete sie den Christbaum und betrachtete alles, was sie sich selbst beschert hatte. Die Uhr, das Buch, die Süßigkeiten. Nach einer Weile löschte sie wieder die Kerzen. Im Dunkeln saß sie am Fenster und starrte auf die dicht fallenden Flocken.
Plötzlich schossen funkelnde Sternchen durch den Raum, als würden hundert Wunderkerzen auf einmal angezündet werden und eine Stimme fragte: „Findest du das normal Titzinella, was du hier tust? Bescherst dich selbst. Sitzt alleine im Dunkeln und grübelst vor dich hin! Heute ist das Fest der Liebe! Ich beobachte dich schon lange, deshalb möchte ich dir eine Freude machen und dir drei Wünsche erfüllen!“
Titzinella bekam es mit der Angst zu tun. Sie griff nach dem Lichtschalter und blickte sich suchend um.
„Wer spricht mit mir? Wer bist du?“, rief sie ängstlich.
Wieder schossen leuchtende Sterne durch das Zimmer.
„Ich bin es, der Stab, den du vom Speicher geholt, geputzt und poliert hast. Ich bin ein Zauberstab. Danke auch, dass du mich vom Dachboden gerettet hast. Im Winter habe ich da oben gefroren, im Sommer geschwitzt. Und dann diese stickige Luft. Es war kaum auszuhalten!“
„Ich besitze einen Zauberstab?“, fragte Titzinella verwundert und lachte laut auf. „Und ich habe drei Wünsche frei, sagst du? Dann zeig mal, was du kannst!“
Sie brauchte nicht lange, um zu überlegen.
„Heute Abend würde ich gerne durch die größte, weihnachtlich geschmückte Stadt von Lilliput schlendern. Außerdem hätte ich gerne einen hübschen Begleiter dazu!“
„Das sind aber erst zwei Wünsche“, sagte der Zauberstab.
„Den dritten überlege ich mir noch“, lachte Titzinella.
In dem Moment klopfte es an der Haustüre. Als sie öffnete, stand ein hübscher, junger Mann vor ihr. Er war kaum größer als sie.
„Ich bin Jonathan, der Lieferservice. Heute liefere ich nichts. Mein Auftrag lautet Ware abzuholen und zu begleiten. Bist du Titzinella?“
„Ja. Die Ware bin ich“, lächelte sie und hakte sich bei ihm ein. Bevor sie das Haus verließen, warf sie noch einen Blick ins Regal. Der Zauberstab war verschwunden.
Jonathan und Titzinella schlenderten Arm in Arm durch die weihnachtlich erhellten Straßen. Der Weihnachtsrummel war noch in vollem Gange. Es roch nach Glühwein und Lebkuchen. Bunte Karussells drehten sich im Kreis. Weihnachtslieder tönten durch den Nachthimmel. Sie bewunderten die hauchdünnen Christbaumkugeln, die wie Seifenblasen aus Glas aussahen, das goldenes Lametta, die bunten Kerzen und sie kauften ein silbernes Glöckchen.
„Kling, kling“, sagte Jonathan und da wusste Titzinella, wem sie sich anvertraut hatte. Am Ende des Weihnachtsmarktes brannten nicht nur die Kerzen, sondern auch zwei Herzen.
„Nun, Titzinella, wie ist dein dritter Wunsch?“, wollte Jonathan wissen, als sie zu Hause waren.
„Legst du mich wieder ins Regal oder verbannst du mich für immer auf den Speicher? Du hast doch schon längst bemerkt, dass der Zauberstab und ich ein und das gleiche Wesen sind! Entscheide dich, um Mitternacht ist die Zauberkraft verbraucht!“
Titzinella überlegte nicht lange.
„Bleib!“, sagte sie und zwei kleine Menschen fielen sich glücklich in die Arme.
Zwei Jahre später gingen sie zu dritt mit der alten Teekanne an den Fluss, um Wasser zu holen. Wieder steckten die Bewohner die Köpfe zusammen und tuschelten.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch immer im Lande Lilliput.

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