Seit Jahrhunderten und seit Generationen wird in Schweden das Midsommarfest gefeiert. So gab es Zeiten, in denen es nur an Wochenenden gefeiert wurde, es gab aber auch Zeiten, in denen es die vollen 12 Tage gefeiert wurde, die dem Fest auch zustehen, denn in den Urzeiten hatte es dieselbe Bedeutung wie die andere Kehrtwendung der Sonne im Winter.
In der kleinen Ortschaft Tandsjöborg am See Tandsjön hat sich vor sehr langer Zeit einmal eine sehr merkwürdige Geschichte zugetragen. Es war die Nacht vor Midsommar und die Menschen bereiteten sich auf das Midsommarfest vor. Der Schulmeister gab den Kindern, wie schon immer, am Freitag schulfrei, das Sägewerk und auch die kleine Teerfabrik schlossen an diesem Tag, da noch viel für das Fest vorzubereiten war.
Es war üblich, dass die Menschen das Fest gemeinsam begingen. So war es auch dieses Jahr: Die beiden Schwestern Åsa und Silja begannen am Morgen, wie auch in den letzten Jahren, damit, die ersten jungen Kartoffeln zu waschen und zu bürsten, der Hering wurde vorbereitet, Sauerrahm, Schnittlauch, Knäckebrot und der Käse bereitgestellt. Agda, die alte Großmutter von Silja, half nach ihren Möglichkeiten und Kräften. Die beiden Töchter von Åsa und Silja waren schon am Morgen verschwunden, ohne einen Ton zu sagen. Åsa und Silja sagten dazu nichts und lächelten sich nur an. Sie waren ja auch einmal jung und sie wussten genau, was ihre beiden Töchter jetzt anstellten. Es war ein uraltes Ritual, das man im Norden schon praktizierte, seit das Land besiedelt war. Natürlich suchten die beiden Kräuter und sammelten Tau von speziellem Klee und Kräutern. Der Tau diente dazu, sich und seine Haustiere, also ihre Katze Minka, gesund zu halten, vielleicht war er auch für die Bullor (Brötchen), die damit gebacken wurden und die es am nächsten Morgen geben sollte, aber die Kräuterkörbchen hatten einen anderen Zweck. Hier sammelten die beiden schweigend verschiedene Kräuter: Johanniskraut, Ringelblume, Baldrian, Eisenkraut, Frauenmantel, Beifuß und Rotklee. Wenn man die Kräuter unter sein Kopfkissen legt, dann träumt man als Frau, oder besser Mädchen, von seinem zukünftigen Mann, falls man den Traum nicht bis zum Morgen wieder vergisst. Wichtig ist es dabei, keinen Ton bei der Sammlung von sich zu geben, denn sonst wirkt der Zauber nicht. Die Männer hatten dieses Jahr eine andere Aufgabe, es sollte eine neue Midsommarstange oder auch Maibaum, wie er manches mal genannt wird, besorgt werden, dazu waren Ivar und Vidar schon früh aufgebrochen und suchten einen schönen und großen Baum, der nicht zu dick war, denn schließlich sollte er ja ein paar Jahre an derselben Stelle stehen. Sie wollten den Stamm dann entasten und an der vereinbarten Stelle der geplanten Feier auf die große Wiese am Ufer legen, damit er am Nachmittag gemeinsam geschmückt und errichtet werden konnte.
Was viele aber nicht ahnten, und jetzt beginnt die Geschichte spannend zu werden, war der Platz, der für ihre Feier ausgewählt war, ein Elfenhügel.
Nun sollte man wissen, dass sich die Schleier der mystischen und der für uns realen Welt zu zwei Zeitpunkten im Jahr etwas lüften und sich die Welten dann näher kommen. Die erste Zeit im Jahr ist die Zeit zwischen Midsommar und dem Fest des heiligen Petrus. In dieser Zeit können die Feen ohne Probleme ihre mystische Welt verlassen und in die unsrige gelangen, und hier ihr Unwesen treiben. Dabei sind sie nicht zu unterschätzen. Wenn man weiß, dass man sich Orten des Feenreichs nähert, kann man Feen entweder durch Geschenke günstig stimmen, sie mit Milch und Honig bestechen oder sie einfach abwehren, indem man gewisse Mittel anwendet, die noch den alten Leuten bekannt sind, die Feen aber nicht gerade mit Freude verzücken.
Es geschah das, was wohl geschehen sollte und keiner ahnte es. Åsas und Siljas Töchter suchten ja ihre Kräuter und Pflanzen, wozu auch Johanneskraut zählte und gerade darauf sollte man in der Midsommarnacht tunlichst nicht treten, denn so öffnet sich das Portal für Menschen in das Reich der Elfen und Feen. Als sie dann durch ihre schweigende Suche auch noch unachtsam zwischen Stein- und Pilzkreise traten, war das Reich der Feen und Elfen dann wirklich offen wie ein Scheunentor. Sie begannen bald darauf eine schöne, unwirkliche und überirdische Musik von der Lichtung zu hören, auf der sie Midsommar feiern wollten. Nachdem sie mit ihrer Kräutersuche fertig waren, eilten sie auf die Lichtung, um zu sehen, was geschehen war. Auch Agda, Åsa und Silja wollten sich nach der Ursache der Musik umsehen und kamen auf der Lichtung mit ihren Körben an, in denen das vorbereitete Essen verpackt war. Zu ihrem großen Erstaunen lag eine wunderschöne Midsommarstange auf der Wiese am Strand des Tandsjön, die sogar mit Mustern verziert war, nur von ihren Männern war weit und breit nichts zu sehen. Agda fiel auf, dass es gar keine christliche Stange war, wie sie heutzutage aufgestellt werden, sondern eine alte Stange, an der die Kreuzstange fehlte und die Kränze direkt hingen.
Nun sind schwedische Frauen meist so, dass sie auch gern mit anpacken können und so meinte Åsa nur: „Die Stange können wir auch selbst aufstellen, da müssen wir nicht auf unsere Männer warten, so kann unsere Feier auch früher beginnen.“ Kaum stand die Stange, da wurde die überirdische Musik lauter und auf einmal befanden sie sich mit anderen Menschen auf der Wiese und tanzten um die Stange, auch ihre beiden Männer waren dabei. So begann die Midsommarfeier mit Tänzen, Musik und Spielen. In den Pausen wurde gegessen und vor allen Dingen gab es zwischendurch immer auch Trinklieder und ein paar Nubbe. Da meinte Silja: „Sieh einmal genau hin, das sind gar nicht unsere Männer. Diese Wesen schweben ja über dem Boden.“ Da erschrak Åsa und blickte zu Agda, die nur nickte und die beiden zu sich heranwinkte: „Kommt mit mir mit, wir müssen jetzt ruhig bleiben.“ Kaum waren sie hinter den Büschen verschwunden, da suchte Agda etwas Farn und rieb den beiden damit über ihre und über die Augen von Åsa und Silja.
„Es ist ein altes Mittel, das nach den Worten meiner eigenen Großmutter durch die Farnpollen Feenzauber sichtbar machen soll. Wir sollten uns jetzt ruhig verhalten und warten, was der neue Tag bringen wird.“
Als die drei zur Feier zurückkehrten, wussten sie, dass die Farnpollen wirklich wirkten, alle diejenigen, die zuvor wie ihre Nachbarn oder ihre Männer aussahen, sahen jetzt wie Feen und andere mystische Wesen aus. Ihren Töchtern sagten sie jedoch nichts, damit es ruhig blieb. Damit lief die Feier ab wie jede Midsommarfeier und als die Sonne tiefer sank, legte man sich zur Ruhe.
Wie erging es aber nun Ivar und Vidar? Die beiden waren ja früh aufgebrochen. Die Suche nach einem schönen Baum, der sich als Stange eignete, hatte sich etwas hingezogen. Doch am Mittag hatten sie einen geeigneten Baum gefunden, gefällt und entastet. Danach haben sie den Baum um die Querstange erweitert und zum Hügel getragen. Jetzt suchten sie Åsa und Silja, doch die beiden waren nicht zu finden, auch zuhause war alles leer, denn sie wollten die Stange ja gemeinsam aufrichten und schmücken, dann mit der Midsommarfeier beginnen. Als auch Agda nicht zu finden war, da beschlossen die beiden erst einmal zu hause abzuwarten, wann sie zurück kamen.
Am nächsten Morgen wurden Agda, Åsa und Silja früh wach und sahen sich erneut um. Sie waren wirklich in einer anderen Welt und auch Zeit gestrandet. Die Lichtung mit der schönen Midsommarstange lag auf einem Hügel, den sie jetzt als Feenhügel erkannten und wurde von der Morgensonne beschienen, aber rundherum war alles in Nebel gehüllt. Als sie etwas weiter liefen, merkten sie, dass ihre Häuser gar nicht mehr an der gewohnten Stelle standen, sie waren einfach verschwunden. Am Ufer des Tandsjön stand eine alte Fischerhütte, die wie neu erbaut aussah, aber in ihrer Welt schon vor Jahren zusammengefallen war. Agda meinte nur: „Ja, wir sind in einer anderen Welt und Zeit, jetzt müssen wir zusehen, wie wir wieder in unsere Welt zurückkommen können.“ „Wie wollen wir das anstellen?“, fragte Silja. „Lasst mich etwas nachdenken. Was helfen kann, ist Weinkraut, das man in seiner Tasche tragen soll, aber das wächst hier nicht. Das Einzige was mir noch einfällt ist ein altes Mittel, von dem ich aber nicht weiß, ob es wirkt. Wir sollten unsere Kleider linksherum tragen, dann soll jeder Feenzauber von uns abprallen. Außerdem sollten wir Beifuß sammeln und in das Feuer werfen, wenn es gegen Abend wieder brennt, unsere Ahnen hatten noch einen anderen Namen für das Kraut, kennt ihr den noch?“ Es gab ein Kopfschütteln von Åsa und Sila. „Beifuß hieß früher auch >>Teufelsflucht<< “, setzte Agda fort, „wann hat der Zauber eigentlich begonnen?“ „Als wir die Midsommerstange aufgestellt haben“, meinte Åsa. „Gut, dann sollten wir die Stange verbrennen, am besten heute Abend, wenn alle wieder schlafen“, meinte Silja. So geschah es dann auch. Erst zogen sie ihre Kleider auf links herum an und feierten noch einen Tag mit den Elfen, damit gab es keinen neuen Feenzauber mehr, der auf sie einwirken konnte. Nachdem sich die Feen und Elfen wieder zur Ruhe begaben, warfen sie den ganzen Beifuß, den sie tagsüber abwechselnd gesammelt hatten, in die Flammen. Selbst die Midsommarstange verbrannten sie, indem sie an deren Fuß ein weiteres Feuer gelegt hatten. Daraufhin versteckten sich alle in der alten Fischerhütte am Ufer des Tandsjön. Der Rauch des Beifuß hüllte bald alles auf dem Hügel bis zum Ufer ein.
Am nächsten Morgen wurden sie von einem leichten Nieselregen geweckt. Die Hütte war verschwunden und sie lagen im Freien auf ein paar vermoderten, von der Hütte übrig gebliebenen, Brettern. Sie konnten aufatmen, der Feenzauber war gebrochen und der Beifußrauch hatte den ganzen Hügel gereinigt. Als sie nach Hause eilten, wurden sie schon von ihren Männern begrüßt, die sich ernsthaft Sorgen gemacht hatten, ihnen die Geschichte aber gar nicht glauben wollten.
Es gab in diesem Jahr auf alle Fälle keine weitere Midsommarfeier mehr und auch den Hügel mieden sie in den Folgejahren.
Erklärung:
Früher glaubte man, dass die Natur in der Mittsommernacht magisch wird. Am Midsommarwochenende tanzen die Elfen auf den Wiesen und die Trolle stehen hinter den Bäumen und beobachten sie dabei. Der Morgentau, der in der Midsommarnacht fällt, kann kranke Tiere und Menschen heilen. Deshalb wurde er immer in einer kleinen Flasche gesammelt. Er wurde auch zum Backen benutzt, um das Brot und die Brötchen besonders groß zu bekommen. Tatsächlich wird er mit Sicherheit viele natürliche Hefen beinhalten. Eine Midsommarstange oder Maibaum wird in Dalarna meist für mehrere Jahre errichtet. Heute hat sie meistens eine Kreuzform, mit seitlich angebundenen Ringen. Früher war es aber einfach nur eine Stange, an der Ringe übereinander befestigt waren.
Unter Nubbe versteht man einen Schnaps oder Schnäpschen, die zu Midsommarfeiern, begleitet durch Trinklieder, in nicht gerade kleinen Mengen, getrunken werden.
Zum Räuchern mit Beifuß: Bis weit in das Mittelalter stand Beifuß im Ruf, dämonenfeindlich zu sein, er bekam deshalb den Namen „Teufelsflucht“. Ritter von Perger schrieb in den „Deutsche Pflanzensagen“ von 1864: „Der Teufel fürchtet den Beifuß, und wo Beifußwurzeln an das Haus genagelt sind, können keine bösen Geister herein und das Gebäude ist vor Feuersgefahr geschützt.“
Über den Beifuß gibt es aber noch weitere Aussagen. Seit Urzeiten, und das nicht nur auf Europa begrenzt, kann festgestellt werden, dass räuchernde Heiler und Schamanen mit Beifuß viele Krankheitsgeister ver- und austreiben. Bei einer Beifußräucherung lässt sich auch die Aura von Personen reinigen und die Raumatmosphäre verändern. Er kann auch verwendet werden, um Heilrituale zu eröffnen.
Räucherbüschel aus Beifuß werden hergestellt, indem man im Sommer Blütentriebe bricht, zum Trocknen aufhängt und danach bindet.
Wenn es in einem Raum oder Haus Streit gab oder sogar Gespenster an einem Ort umgehen sollen, so kann man den Raum oder das Gebäude durch eine Beifußräucherung mit diesen Büscheln davon befreien und reinigen.
von: Larissa Tjärnväg
aus: Kalle-Nisses Träume und Erzählungen – Juni – / Copyright 2016-2023 – WeyTeCon Förlag – Årjäng