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Ein Elternpaar hatte drei Söhne, zwei waren gescheit, oder bildeten sich wenigstens ein, dies zu sein, der dritte, jüngste, Hans, war der dumme, aber der Liebling seiner Mutter, daher auch oft der Gegenstand des Neides seiner Brüder. Als letztere ziemlich herangewachsen waren, beschlossen sie, gemeinschaftlich die Welt zu sehen und draußen ihr Glück zu machen; sie sprachen daher zu ihrem Vater: »Vater, gib jedem von uns zehn Taler, wir wollen hinaus in die Welt, wollen fremde Städte und Länder sehen, und unser Glück machen.« Und zur Mutter sprachen sie: »Mutter, gib uns einen Ranzen voll Brot und Speck, wir wollen eine weite Reise tun.«
»Es ist gut, wenn die Jungen fortkommen und sich draußen etwas versuchen, wir wollen sie ziehen lassen!« sprach die Mutter zum Vater, und so wurde der Brüder Wunsch erfüllt.
Wie die Brüder zu ihrer Reise zurüsteten, sahe es Hans, und wie er ihren Entschluß vernahm, so sagte er: »Will auch mit! Will auch zehn Taler, will auch einen Ranzen voll Speck und Brot! Auch in die Welt!«
»Du wirst etwas Rechtes draußen sehen und gewinnen, dummer Hans!« grollte der Vater, und die Mutter schrie: »Ach, mein Goldkind! Bleibe daheim und nähre dich redlich!«
Aber der Hans wollte einmal, und da half kein Zureden; er erhielt, was die Brüder erhalten hatten, und wanderte mit ihnen von dannen.
»Dümmeres gibt es gar nicht, als daß der dumme Hans sich uns aufgepackt hat! Der konnte doch wahrlich daheim bleiben! Der wird was Gescheites erleben! Wir wollen tüchtig drauf losschreiten, daß er uns nicht nachkommt, da wird er schon von selbst umkehren«, sprachen die Brüder auf ihrem Wege untereinander, als bereits Hans, der jüngste, ein Stückchen zurückgeblieben war, weil er nicht so große Schritte machen konnte, als seine zwei älteren Brüder.
Hans ließ die Brüder noch eine Strecke hinlaufen. Auf einmal schrie er: »Heida! Holla! Was ist das? Was liegt da? Ach der Schatz!«
Die Brüder, als sie den Hans so rufen hörten, blieben stehen, sahen sich um, sahen, wie ihr Bruder sich bückte, und Zeichen der Verwunderung über etwas machte, was dort lag, dann sprachen sie zueinander: »Schau, der Hans hat etwas gefunden, daran wir, ins Gespräch vertieft, vorüber gingen, geschwinde zurück!«
Eilend liefen die älteren Brüder zu ihrem Hans zurück, und sahen nach dem Schatz, den Hans gefunden hatte es lag aber nichts dort, als eine Glasschlacke, die in der Sonne blitzte.
»Einfältiger, dummer Hans!« schalten die getäuschten Brüder. »Mein « sprach Hans: »ist’s kein Demant? Tut mir leid!«
Nach einer Weile waren die Brüder dem kleineren und schwächeren Hans wieder eine gute Strecke vorgeschritten, und er konnte nicht nachkommen, weil er sich als bequemes Muttersöhnchen im Gehen niemals sonderlich geübt hatte. Da schrie er abermals: »Hei! Holla! Aber das ist was! He! Kommt all daher! Ach, die Pracht! Ach, die Pracht!« und dabei machte er Freudensprünge um einen Punkt.
Die Brüder glaubten, der Hans habe jetzt wirklich etwas gefunden, und liefen zu ihm. zurück. Als sie aber die Stelle erreichten, war es ein großer Schwarm Goldkäfer, die zufällig auf einen Punkt zusammengeklumpt da lagen und schalten den Hans noch härter. Der Hans aber machte sein dümmstes Gesicht, und sagte: »Ich dachte, es wäre ein Haufen Kudaten. Ist’s nichts? Tut mir leid.« Er hatte aber beidemale nur gerufen, um wieder bei den Brüdern zu sein, ohne seine Schritte verdoppeln zu müssen, und sie einzuholen.
Leider ließ sich dieses zweimal erprobte Kunststück nicht fortsetzen. Als Hans nach einer Strecke Weges in einem Walde abermals zurückgeblieben war, und wieder bei einem vorgeblichen Funde stehen blieb, und schrie, so taten seine Brüder, als hörten sie es nicht und gingen selbander ihres Weges, und waren bald hinter den Waldbäumen, ihrem Bruder aus dem Gesichte.
»Lauft hin!« sprach Hans: »so kann ich desto besser ausruhen!« Und setzte sich auf einen Stein, und öffnete seinen Ranzen, und aß Brot und Speck, trank auch einmal, denn die Mutter hatte ihm vorsorglich eine gefüllte Bulle in den Ranzen geschoben, dann legte er an einer bequemen Stelle den Ranzen unter den Kopf, und machte ein Schläfchen. Da der Hans Ausgehen nicht gewohnt, und sehr müde geworden war, so dauerte sein Schläfchen etwas lange, und als er endlich daraus erwachte, begann es schon Abend zu werden.
O weh, o weh! dachte Hans. Ist es schon so spät! Wo soll ich nun hin, bei der Nacht und im Walde? Räuber können kommen und mir meine zehn Taler nehmen. Wölfe können kommen, und mir mein übriges Brot samt Speck fressen, und hinterdrein mich dazu. Das wird nicht gut. Hans, Hans! Wärst du doch zu Hause bei der Mutter geblieben!
Es wurde schnell dunkel, und Hans fürchtete sich, weiter zu gehen. Wo ich alleweil bin, ist außer mir niemand sprach er zu sich selbst und ich tue mir nichts. Gehe ich aber weiter, so könnte ich auf jemand stoßen, der mir was tut. Hier steht eine dicke Eiche, da will ich hinaufsteigen, und mich oben in das Geäste setzen; da sucht mich kein Räuber, und Wölfe klettern nicht.
Gedacht, getan, Hans kletterte auf den Baum, und sah sich droben ein wenig um. Siehe, da erblickte er ganz nahe ein stattliches Haus, dessen Zimmer von Lichtern erhellt waren.
»O ich dummer Hans!« rief Hans. »Konnte ich nicht noch ein paar Schritte gehen, und in dem schönen Gasthofe einkehren? Potz Blitz! Wenn man zehn Taler in der Tasche hat, braucht man da ein Nachtquartier auf Waldbäumen zu suchen?« Eilend kletterte Hans vom Baume wieder herab, und schritt nach dem Hause zu, dessen Lichter ihm bald entgegen schimmerten. Bald stand er vor dem Hause, es war hell und groß, nur nichts Lebendes ließ sich sehen. Hans fand die Türe offen, alles hell von brennenden Kerzen, auch die Türen einer Reihe von Zimmern standen geöffnet, aber nirgend ein Mensch, auch kein Hund und keine Katze. Indessen stand in einem der Zimmer ein gedeckter Tisch, darauf standen eine Flasche voll Wein, und Teller voll Weißbrot, Pfannkuchen, kalten Braten, Butter, Käse u. dgl. In einem Zimmer gleich daneben stand eine schöne Wiege, und in der Wiege lag ein K nein, kein Kind, sondern ein sehr schöner Kalbskopf, auf seidenen Kissen. Hans schielte hin, und murmelte: »Ein prächtiger Kalbskopf! Schade, daß selbiger nicht gebraten ist. Zu dem hätt ich just Appetit.« Jetzt öffnete der Kalbskopf seine Augen und Hans erschrak, er hatte nicht gedacht, daß derselbe lebendig sei.
»Schönen guten Abend«, sagte der Kalbskopf und ganz erschrocken stammelte Hans: »Großen Dank!«
Er war noch so unbekannt mit der Welt, der gute Hans, hatte noch nie einen Kalbskopf reden gehört.
»Sei schön willkommen!« sprach der Kalbskopf weiter. »Mir wird die Zeit so gräßlich lang. Setze dich, iß, trink, mache dir’s bequem dort steht ein Himmelbette, da kannst du schlafen, wenn du aber munter bist, da kannst du mir erzählen, wie es draußen in der Welt zugeht.«
Ich? dachte Hans, und erschrak aufs neue. Ich soll von der Welt erzählen? Das werden rührende Geschichten werden. Wenn ich nun nichts weiß da tut mir das Ding am Ende etwas. Ob es wohl ein ganzes Kälbchen ist, oder nur ein Kopf? Ob es wohl aus der Wiege herausspringen kann? Beißen wird es doch nicht dazu sieht es zu gutmütig aus.
Hans setzte sich und aß und ließ sich’s trefflich wohl schmecken, doch quälten ihn über dem Essen, Gedanken was noch nie bei ihm der Fall gewesen war.
Wie fang ich’s nur an dachte Hans: daß ich nicht gegen die Höflichkeit verstoße? Wie tituliere ich den Kalbskopf? Ich kann nicht unterscheiden, ob es ein Er ist oder eine Sie? Ob schon verheiratet oder noch ledig? Er scheint noch ziemlich jung zu sein. Soll ich zu ihm oder zu ihr sagen: Euer oder Ihre Gnaden? Ich werde gewiß etwas Dummes machen, so oder so.
Trotz dieser schweren Gedanken ließ sich’s Hans doch außerordentlich gut schmecken, und als die Mahlzeit gehalten war, kam es zu keiner Abendunterhaltung zwischen ihm und dem Kopfe, denn Hans war wieder müde und legte sich in das Himmelbette, und schlief bis in den andern Tag hinein. Der Kalbskopf nahm das nicht übel; er hatte eine bewunderungswerte Geduld. Am andern Morgen fand Hans seine Kleider gereinigt, und sein Frühstück neben der Wiege des Kalbskopfes, der ihm freundlich guten Morgen sagte, und seine Ohren mit vieler Anmut bewegte. Nun aber sollte Hans erzählen, und machte den Versuch, und siehe, es ging besser, als er geglaubt. Er begann zunächst von sich, denn jeder Mensch ist der Mittelpunkt seiner Welt, von seiner Mutter, von dem Vater, den Brüdern, den Muhmen und Vettern und von deren Kindern; von dem Hause seiner Eltern, deren Viehstande, wie viele Ziegen, Enten, Hühner, wie viele Singvögel; dann vom Gärtchen, von dessen Bäumen, Beeten und Blumen.
Hans hatte an dem Kalbskopf den gütigsten Zuhörer. Bisweilen schien es Hans, als glänze eine Träne in dessen großen blaßblauen Augen, und als atme er tiefer auf, fast wie wenn ein Mensch seufzt. Ein Wort gab das andere, nie stockte die Unterhaltung. Hans schilderte bis ins einzelne das Dorf, in dem sein Elternhaus stand, die Häuser, die Kirche, die Schule, den Kirchhof, die Grabsteine, den Pfarrer, den Schulzen, dann die Flur des Dorfes, den Bach, die nächsten Berge.
Hans war über sich selbst verwundert, daß er so vieles wußte. Darüber verging mancher Tag. Dann fielen ihm auch alle Märchen ein, welche ihm die Großmutter, als diese noch lebte, und er noch ein kleiner Junge gewesen war, erzählt hatte, und dann die Mutter von verzauberten Prinzen und Prinzessinnen, von Zauberfrauchen und Hexenmännlein, von verwünschten Schlössern und gläsernen Bergen. Das alles hörte der Kalbskopf mit großem Wohlgefallen an, besonders schien er sich zu freuen, wenn die Märchen schilderten, wie die verzauberten Prinzen und Prinzessinnen ihre Erlösung gefunden. Und dabei sorgte der Kalbskopf auf das eifrigste dafür, daß es Hansen niemals an Trank und Speise mangle, und daß er sich und sein Gedächtnis durch allzuvieles Erzählen ja nicht zu sehr anstrenge. Immer mehr fiel dem Hans ein; er erzählte von den Gespenstern, die es gebe, von Feuermännern und Irrwischen, vom wilden Jäger und von dem Erdmännlein, von der Nixe im Bache und dem weißen Fräulein am alten Schloßberge in der Nähe seines Dorfes. Endlich fiel dem Hans ein, daß er ja auch musikalisch sei, und ein Instrument bei sich habe, das er zur Unterhaltung trefflich zu spielen verstehe. Hans packte dieses Musikinstrument, das sehr sorglich verwahrt war, aus es war eine Maultrommel, und als Hans die ersten Töne darauf anschlug, machte der Kalbskopf ganz große Augen, und drückte durch Wedeln mit den blonden Ohren seinen stillen Beifall aus.
Lange Zeit erfreute sich Hans der Gastlichkeit des Kalbskopfes und der stets unsichtbar bleibenden Bedienung des Hauses, und dachte: es ist gut, daß ich nichts von der Dienerschaft sehe, da brauche ich auch kein Trinkgeld zu geben, wenn ich wieder fortgehe denn der Gedanke an das Fortgehen war dem Hans doch allmählich gekommen. Er kannte keine andere Welt als die kleine seines Heimatortes; sie füllte seine Seele und den Kreis seiner Ideen aus, und da er täglich nur von ihr sprach, mit allen Gedanken nur in ihr lebte, so war es kein Wunder, daß eine stille Heimatsehnsucht im Herzen Hansens erwachte.
Der Kalbskopf besaß ungleich mehr seelenkundlichen Scharfblick, als die überklugen Menschen insgemein Kalbsköpfen zutrauen und zugestehen wollen, und nahm daher eines Tages, als Hans wieder vom Daheim erzählte und dabei ein jammeriges Gesicht machte, das verständige Wort: »Mein guter Gastfreund«, sprach er: »Du sehnst dich heim; ich begreife dieses Gefühl und ehre dasselbe. Reise heim ich will dich ausstatten aber kehre wieder. Dort steht ein Stab, schlage mit ihm auf jene Lade, und wähle dir aus den darin liegenden Anzügen den schönsten aus dort jene Türe verschließt den Stall. Öffne sie mit dem Stabe, und wähle dir das beste Roß. Dort in jener Kiste liegt Geld und ein Zauberpfeifchen; wenn du verirrt bist, und du pfeifst darauf, so kommen Tiere gesprungen, und laufen dir voran, und zeigen dir den richtigen Weg.«
Hans staunte, und tat, wie ihm geheißen war.
Im stattlichsten Jagdjunkerkleide mit goldenen Tressen besetzt, auf stattlichem Schimmel, mit trefflichem Seitengewehr und gezogener Kugelbüchse ritt Hans von dannen, alle Taschen voll Geld, und das Pfeifchen an goldener Schnur um den Hals. Heilig und teuer versprach Hans dem Kalbskopfe, zu ihm zurück zu kommen. Ob Hans dem gastlichen Kalbskopf zum Abschiede einen Kuß gegeben, weiß man nicht so ganz bestimmt.
Wie ging es unterdessen Hansens klugen Brüdern? Die waren sehr froh, daß der dumme Hans sie nicht mehr belästigte; sie ließen sich’s recht gut schmecken, so lange Brot und Speck in ihren Ranzen vorhielten, und so lange in den Wirtshäusern die zehn Taler eines jeden ausreichten, was wirklich ohngefähr acht Tage dauerte. Dann aber sprachen sie zueinander: »Die Welt ist doch zu groß, als daß wir sie ganz kennen lernen könnten. Wie wär es, wenn wir umkehrten? Es ist doch überall nicht besser, als daheim. Wir haben in diesen acht Tagen eine ziemliche Anzahl fremder Städte und noch mehr Länder gesehen, es sieht fast ein Land aus, wie das andere. Wir haben zwar kein sonderliches Glück gemacht, aber wir hätten doch vielleicht etwas finden können. Daß uns hier außen nichts vom Glücke begegnete, ist ein Beweis der alten Wahrheit, daß nur in der Heimat eines jeglichen der wahre Schatz seines Glückes ruht. Eilen wir, diesen Schatz wieder aufzusuchen.«
Als die Brüder heim kamen, sah sie der Vater finster an, und sagte: »Ihr seid die wahren Helden, ihr Landläufer ihr! Ihr Herrgottstagediebe! Zwanzig Taler habt ihr durchgebracht, und für zehn Taler Kleider und Schuhe zerrissen. Jetzt arbeitet dafür! Nicht einen Groschen geb ich euch, bis ihr mir das an euch zum Fenster hinausgeworfene Geld ersetzt habt!«
Die Mutter aber rief: »Ihr Rangen! Wo habt ihr meinen Hans, mein Goldkind? Wie könnt ihr euch nur unterstehen, ohne meinen Hans über unsere Schwelle zu schreiten?«
Es hielt den Brüdern sehr schwer, die zürnende Mutter zu bedeuten, daß Hans mit Absicht immer hinter ihnen zurückgeblieben sei, ganz sicher, um sich abzusondern.
Die Brüder mußten fürchterlich arbeiten, denn dreißig Taler wollen verdient sein.
Nach einiger Zeit entstand gegen Abend im Dorfe ein kleiner Auflauf. Es ritt ein vornehmer Junker hindurch, angetan wie ein Prinz. Die Leute dachten, es wäre der König selbst, und reise inkognito, ohne alle Bedienung.
Alles lief an die Fenster, vor die Türen, ein heller Haufe lief hinterdrein. Da fielen blanke Guldenstücke auf den Weg nun war es der König, und alles schrie vivat! und schlug sich um die Geldstücke. Vor Hansens Elternhause hielt der schmucke junge Reitersmann, und stieg vom Rosse. Eine ganze Schar von Jungen drängte sich herbei, bei dem vermeinten Prinzen Stallmeister- oder Bereiterdienste zu tun.
Hansens Eltern traten ehrerbietig vor ihr Häuslein. Was konnte bei ihnen der fremde Herr wollen? Die Brüder kamen von der Arbeit, und sahen Mistfinken ähnlicher als Goldammern. Ihre Mäuler blieben offen stehen vor Verwunderung, als der Fremde erst ihrer Mutter, dann ihrem Vater um den Hals fiel, und sie herzte und küßte, und hernach rief: »Na, Michel, na Velten! Patschhand! Ihr kennt am Ende euern Hans alle nicht mehr?« und ihnen die Hände bot.
Es war der Hans und kein Prinz und kein König. »Der dumme Hans ist wieder da, ist reich geworden, und wirft mit Geld um sich, der Hans Narr!« lief die Rede durchs Dorf. Die Alten freuten sich, die Brüder zogen mit scheelem Neide Hansens schönes Pferd in den Stall, und flüsterten miteinander: »Wir müssen uns tot schinden, um dem Vater die armseligen dreißig Taler wieder zu verdienen; der Hans, der Glückspilz, der gar nicht mit Gelde umzugehen weiß, wirft es auf die Gasse. Wir wollen ihm heute nacht das Geld wegnehmen, es ist ihm doch nicht nütze. Überhaupt ist nicht recht einzusehen, was so ein Dummer auf der Welt tut?«
In der Nacht kamen die Brüder in die Kammer, wo Hans schlief. Hans war aber nicht so dumm, als seine Brüder dachten. Als die Diebe in die Kammer brachen, schoß er dem einen ein kleines Kügelchen in das dicke Fleisch, und gab dem zweiten mit dem Hirschfänger einen hübschen Zirkumflex. Darauf wurde Lärm, und der Vater stand auf, und als er sah, was vorgegangen, so nahm er im Zorne seine Peitsche, und hieb auf die verwundeten Buben los, daß sie laut auf heulten und den Himmel für eine Baßgeige ansahen, vor dem Bruder aber sich gar nicht wieder sehen ließen.
Hans letzte und labte sich mit seinen Eltern, außerdem aber gefiel es ihm nicht mehr so recht daheim; er beschenkte seine Eltern reichlich, sattelte sich selbst sein Pferd und ritt von dannen. Er wollte wieder nach dem Waldhause, zum gastlichen Kalbskopfe, da gab es nicht Neid, nicht Habsucht, nicht Verkennung, nicht Raubsucht, aber zu essen und zu trinken vollauf, und gute Unterhaltung, denn der Kalbskopf wußte auch zu sprechen, und drückte sich noch dazu außerordentlich gewählt aus, woraus Hans schloß, daß derselbe eine sehr gute Erziehung erhalten haben müsse.
Hans ritt ins Blaue hinein, und bald wußte er keinen Weg mehr, aber da half das Pfeifchen trefflich. Ein Pfiff, und es kam ein Hase oder ein Fuchs, oder ein Vogel, liefen und flogen vor dem Pferde her, und als der Wald erreicht war, sprangen muntere Rehe voran, und so wurde das Schloß ohne Gefahr und Abenteuer wieder gewonnen. Der Kalbskopf rief Hans, als dieser zu ihm eintrat, ein herzliches »Willkommen!« entgegen, und drückte seine Freude aus, Hans wieder zu sehen.
»Du kommst zu rechter Zeit, mein braver Freund!« sprach der Kalbskopf. »Mit großer Sehnsucht erwartete ich dich, denn wenn die gute Stunde, der ich entgegenharre, ungenützt verstrichen wäre, so würdest du mich nicht wieder gefunden haben, und alle meine Hoffnung wäre dann zunichte gewesen.«
Hans horchte hoch auf bei diesen ihm rätselhaften Worten, und der Kalbskopf fuhr fort: »Habe genau Acht auf das, was ich dir sage, denn von diesen Anordnungen hängt mein Glück ab, und vielleicht auch dein Glück. Gehe jetzt einmal in die Küche, dort steht ein Hackblock, und in der Speisekammer daneben liegt ein scharf geschliffenes Beil. Nimm dieses Beil und lege dasselbe auf den Hackblock dann komme wieder zu mir herein.«
Hans befolgte dies Geheiß pünktlich. Wenn ich weiter nichts tun soll, dachte er, so hat es ja gute Wege. Bald hatte er das Gebot erfüllt, und trat wieder in das Zimmer, welches der Kalbskopf bewohnte. »Nicht wahr, mein guter Freund«, rief dieser ihm entgegen: »das war ein sehr leichtes Stück Arbeit? aber nun kommt das schwerere.
Jetzt nimm diese Wiege, in der ich ruhe, und trage sie samt mir in die Küche, und stelle sie neben den Hackblock.«
»Auch das, mit Vergnügen!« sagte Hans, und trug die Wiege in die Küche. Sie war zwar etwas schwerer, als Hans dem Anscheine nach geglaubt hatte, aber Hans hatte Kraft.
»Jetzt aber, bester Freund«, sprach wieder der Kalbskopf: »jetzt kommt das schwerste Stück jetzt erschrick nicht. Jetzt decke mich auf.«
Hans räumte die seidenen Kissen hinweg o weh da endigte der Hals des Kalbskopfes in einen armsdicken Schlangenleib, der hing am Kopf, wie ein scheußliches Gewächs, und war blau, wie ein Darm voll Blut.
»Jetzt hebe mich aus der Wiege auf den Block, und haue mir mit dem Beile diesen abscheulichen Wurmzopf ab, der an mir hängt.« Hans schauderte, und stammelte: »So soll ich dich töten, du guter, einziger Kalbskopf? Deinesgleichen lebt zum zweiten Male in der Welt nicht mehr!«
»Mache nur frisch zu!« versetzte der Kalbskopf. »Es wird dir gut gelohnt.«
Hans gehorchte, nicht ohne Scheu und Zagen. Er legte den Kopf, er hob das Beil, er zielte gut, er führte den Hieb und siehe, es floß kein Tropfen Blut, der Schlangenleib schwand, der Kalbskopf verwandelte sich in ein holdes Mädchenantlitz, und aus der Wiege hob sich’s, eine Feengestalt von bezaubernder Anmut, und stieg heraus, und fiel Hans um den Hals. »Du hast mich erlöst, du Guter, Reiner, Treuer! Nun nimm dir was du willst! Das Schloß und die Schätze, und mich dazu, wenn ich dir gefalle.«
Jetzt wimmelte das Schloß von Dienerschaft, alle diese war verzaubert gewesen, alle jubelten über ihr neugeschenktes Dasein.
»Meine gnädigste Prinzessin!« nahm der erstaunte Hans das Wort. »Du bist mir schon als Kalbskopf äußerst appetitlich erschienen, so aber bist du mir noch tausendmal lieber. Ich nehme Dich!«
Hans wurde sehr glücklich er begabte seine Eltern, verzieh seinen Brüdern, heiratete die schöne erlöste Prinzessin, und lebte mit ihr in einer frohen und genußreichen Einsamkeit weder er noch seine Gemahlin sehnten sich in die sogenannte große Welt, und falls sie beide nicht gestorben sein sollten, so dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit zu vermuten sein, daß sie heute noch leben.
»Es ist gut, wenn die Jungen fortkommen und sich draußen etwas versuchen, wir wollen sie ziehen lassen!« sprach die Mutter zum Vater, und so wurde der Brüder Wunsch erfüllt.
Wie die Brüder zu ihrer Reise zurüsteten, sahe es Hans, und wie er ihren Entschluß vernahm, so sagte er: »Will auch mit! Will auch zehn Taler, will auch einen Ranzen voll Speck und Brot! Auch in die Welt!«
»Du wirst etwas Rechtes draußen sehen und gewinnen, dummer Hans!« grollte der Vater, und die Mutter schrie: »Ach, mein Goldkind! Bleibe daheim und nähre dich redlich!«
Aber der Hans wollte einmal, und da half kein Zureden; er erhielt, was die Brüder erhalten hatten, und wanderte mit ihnen von dannen.
»Dümmeres gibt es gar nicht, als daß der dumme Hans sich uns aufgepackt hat! Der konnte doch wahrlich daheim bleiben! Der wird was Gescheites erleben! Wir wollen tüchtig drauf losschreiten, daß er uns nicht nachkommt, da wird er schon von selbst umkehren«, sprachen die Brüder auf ihrem Wege untereinander, als bereits Hans, der jüngste, ein Stückchen zurückgeblieben war, weil er nicht so große Schritte machen konnte, als seine zwei älteren Brüder.
Hans ließ die Brüder noch eine Strecke hinlaufen. Auf einmal schrie er: »Heida! Holla! Was ist das? Was liegt da? Ach der Schatz!«
Die Brüder, als sie den Hans so rufen hörten, blieben stehen, sahen sich um, sahen, wie ihr Bruder sich bückte, und Zeichen der Verwunderung über etwas machte, was dort lag, dann sprachen sie zueinander: »Schau, der Hans hat etwas gefunden, daran wir, ins Gespräch vertieft, vorüber gingen, geschwinde zurück!«
Eilend liefen die älteren Brüder zu ihrem Hans zurück, und sahen nach dem Schatz, den Hans gefunden hatte es lag aber nichts dort, als eine Glasschlacke, die in der Sonne blitzte.
»Einfältiger, dummer Hans!« schalten die getäuschten Brüder. »Mein « sprach Hans: »ist’s kein Demant? Tut mir leid!«
Nach einer Weile waren die Brüder dem kleineren und schwächeren Hans wieder eine gute Strecke vorgeschritten, und er konnte nicht nachkommen, weil er sich als bequemes Muttersöhnchen im Gehen niemals sonderlich geübt hatte. Da schrie er abermals: »Hei! Holla! Aber das ist was! He! Kommt all daher! Ach, die Pracht! Ach, die Pracht!« und dabei machte er Freudensprünge um einen Punkt.
Die Brüder glaubten, der Hans habe jetzt wirklich etwas gefunden, und liefen zu ihm. zurück. Als sie aber die Stelle erreichten, war es ein großer Schwarm Goldkäfer, die zufällig auf einen Punkt zusammengeklumpt da lagen und schalten den Hans noch härter. Der Hans aber machte sein dümmstes Gesicht, und sagte: »Ich dachte, es wäre ein Haufen Kudaten. Ist’s nichts? Tut mir leid.« Er hatte aber beidemale nur gerufen, um wieder bei den Brüdern zu sein, ohne seine Schritte verdoppeln zu müssen, und sie einzuholen.
Leider ließ sich dieses zweimal erprobte Kunststück nicht fortsetzen. Als Hans nach einer Strecke Weges in einem Walde abermals zurückgeblieben war, und wieder bei einem vorgeblichen Funde stehen blieb, und schrie, so taten seine Brüder, als hörten sie es nicht und gingen selbander ihres Weges, und waren bald hinter den Waldbäumen, ihrem Bruder aus dem Gesichte.
»Lauft hin!« sprach Hans: »so kann ich desto besser ausruhen!« Und setzte sich auf einen Stein, und öffnete seinen Ranzen, und aß Brot und Speck, trank auch einmal, denn die Mutter hatte ihm vorsorglich eine gefüllte Bulle in den Ranzen geschoben, dann legte er an einer bequemen Stelle den Ranzen unter den Kopf, und machte ein Schläfchen. Da der Hans Ausgehen nicht gewohnt, und sehr müde geworden war, so dauerte sein Schläfchen etwas lange, und als er endlich daraus erwachte, begann es schon Abend zu werden.
O weh, o weh! dachte Hans. Ist es schon so spät! Wo soll ich nun hin, bei der Nacht und im Walde? Räuber können kommen und mir meine zehn Taler nehmen. Wölfe können kommen, und mir mein übriges Brot samt Speck fressen, und hinterdrein mich dazu. Das wird nicht gut. Hans, Hans! Wärst du doch zu Hause bei der Mutter geblieben!
Es wurde schnell dunkel, und Hans fürchtete sich, weiter zu gehen. Wo ich alleweil bin, ist außer mir niemand sprach er zu sich selbst und ich tue mir nichts. Gehe ich aber weiter, so könnte ich auf jemand stoßen, der mir was tut. Hier steht eine dicke Eiche, da will ich hinaufsteigen, und mich oben in das Geäste setzen; da sucht mich kein Räuber, und Wölfe klettern nicht.
Gedacht, getan, Hans kletterte auf den Baum, und sah sich droben ein wenig um. Siehe, da erblickte er ganz nahe ein stattliches Haus, dessen Zimmer von Lichtern erhellt waren.
»O ich dummer Hans!« rief Hans. »Konnte ich nicht noch ein paar Schritte gehen, und in dem schönen Gasthofe einkehren? Potz Blitz! Wenn man zehn Taler in der Tasche hat, braucht man da ein Nachtquartier auf Waldbäumen zu suchen?« Eilend kletterte Hans vom Baume wieder herab, und schritt nach dem Hause zu, dessen Lichter ihm bald entgegen schimmerten. Bald stand er vor dem Hause, es war hell und groß, nur nichts Lebendes ließ sich sehen. Hans fand die Türe offen, alles hell von brennenden Kerzen, auch die Türen einer Reihe von Zimmern standen geöffnet, aber nirgend ein Mensch, auch kein Hund und keine Katze. Indessen stand in einem der Zimmer ein gedeckter Tisch, darauf standen eine Flasche voll Wein, und Teller voll Weißbrot, Pfannkuchen, kalten Braten, Butter, Käse u. dgl. In einem Zimmer gleich daneben stand eine schöne Wiege, und in der Wiege lag ein K nein, kein Kind, sondern ein sehr schöner Kalbskopf, auf seidenen Kissen. Hans schielte hin, und murmelte: »Ein prächtiger Kalbskopf! Schade, daß selbiger nicht gebraten ist. Zu dem hätt ich just Appetit.« Jetzt öffnete der Kalbskopf seine Augen und Hans erschrak, er hatte nicht gedacht, daß derselbe lebendig sei.
»Schönen guten Abend«, sagte der Kalbskopf und ganz erschrocken stammelte Hans: »Großen Dank!«
Er war noch so unbekannt mit der Welt, der gute Hans, hatte noch nie einen Kalbskopf reden gehört.
»Sei schön willkommen!« sprach der Kalbskopf weiter. »Mir wird die Zeit so gräßlich lang. Setze dich, iß, trink, mache dir’s bequem dort steht ein Himmelbette, da kannst du schlafen, wenn du aber munter bist, da kannst du mir erzählen, wie es draußen in der Welt zugeht.«
Ich? dachte Hans, und erschrak aufs neue. Ich soll von der Welt erzählen? Das werden rührende Geschichten werden. Wenn ich nun nichts weiß da tut mir das Ding am Ende etwas. Ob es wohl ein ganzes Kälbchen ist, oder nur ein Kopf? Ob es wohl aus der Wiege herausspringen kann? Beißen wird es doch nicht dazu sieht es zu gutmütig aus.
Hans setzte sich und aß und ließ sich’s trefflich wohl schmecken, doch quälten ihn über dem Essen, Gedanken was noch nie bei ihm der Fall gewesen war.
Wie fang ich’s nur an dachte Hans: daß ich nicht gegen die Höflichkeit verstoße? Wie tituliere ich den Kalbskopf? Ich kann nicht unterscheiden, ob es ein Er ist oder eine Sie? Ob schon verheiratet oder noch ledig? Er scheint noch ziemlich jung zu sein. Soll ich zu ihm oder zu ihr sagen: Euer oder Ihre Gnaden? Ich werde gewiß etwas Dummes machen, so oder so.
Trotz dieser schweren Gedanken ließ sich’s Hans doch außerordentlich gut schmecken, und als die Mahlzeit gehalten war, kam es zu keiner Abendunterhaltung zwischen ihm und dem Kopfe, denn Hans war wieder müde und legte sich in das Himmelbette, und schlief bis in den andern Tag hinein. Der Kalbskopf nahm das nicht übel; er hatte eine bewunderungswerte Geduld. Am andern Morgen fand Hans seine Kleider gereinigt, und sein Frühstück neben der Wiege des Kalbskopfes, der ihm freundlich guten Morgen sagte, und seine Ohren mit vieler Anmut bewegte. Nun aber sollte Hans erzählen, und machte den Versuch, und siehe, es ging besser, als er geglaubt. Er begann zunächst von sich, denn jeder Mensch ist der Mittelpunkt seiner Welt, von seiner Mutter, von dem Vater, den Brüdern, den Muhmen und Vettern und von deren Kindern; von dem Hause seiner Eltern, deren Viehstande, wie viele Ziegen, Enten, Hühner, wie viele Singvögel; dann vom Gärtchen, von dessen Bäumen, Beeten und Blumen.
Hans hatte an dem Kalbskopf den gütigsten Zuhörer. Bisweilen schien es Hans, als glänze eine Träne in dessen großen blaßblauen Augen, und als atme er tiefer auf, fast wie wenn ein Mensch seufzt. Ein Wort gab das andere, nie stockte die Unterhaltung. Hans schilderte bis ins einzelne das Dorf, in dem sein Elternhaus stand, die Häuser, die Kirche, die Schule, den Kirchhof, die Grabsteine, den Pfarrer, den Schulzen, dann die Flur des Dorfes, den Bach, die nächsten Berge.
Hans war über sich selbst verwundert, daß er so vieles wußte. Darüber verging mancher Tag. Dann fielen ihm auch alle Märchen ein, welche ihm die Großmutter, als diese noch lebte, und er noch ein kleiner Junge gewesen war, erzählt hatte, und dann die Mutter von verzauberten Prinzen und Prinzessinnen, von Zauberfrauchen und Hexenmännlein, von verwünschten Schlössern und gläsernen Bergen. Das alles hörte der Kalbskopf mit großem Wohlgefallen an, besonders schien er sich zu freuen, wenn die Märchen schilderten, wie die verzauberten Prinzen und Prinzessinnen ihre Erlösung gefunden. Und dabei sorgte der Kalbskopf auf das eifrigste dafür, daß es Hansen niemals an Trank und Speise mangle, und daß er sich und sein Gedächtnis durch allzuvieles Erzählen ja nicht zu sehr anstrenge. Immer mehr fiel dem Hans ein; er erzählte von den Gespenstern, die es gebe, von Feuermännern und Irrwischen, vom wilden Jäger und von dem Erdmännlein, von der Nixe im Bache und dem weißen Fräulein am alten Schloßberge in der Nähe seines Dorfes. Endlich fiel dem Hans ein, daß er ja auch musikalisch sei, und ein Instrument bei sich habe, das er zur Unterhaltung trefflich zu spielen verstehe. Hans packte dieses Musikinstrument, das sehr sorglich verwahrt war, aus es war eine Maultrommel, und als Hans die ersten Töne darauf anschlug, machte der Kalbskopf ganz große Augen, und drückte durch Wedeln mit den blonden Ohren seinen stillen Beifall aus.
Lange Zeit erfreute sich Hans der Gastlichkeit des Kalbskopfes und der stets unsichtbar bleibenden Bedienung des Hauses, und dachte: es ist gut, daß ich nichts von der Dienerschaft sehe, da brauche ich auch kein Trinkgeld zu geben, wenn ich wieder fortgehe denn der Gedanke an das Fortgehen war dem Hans doch allmählich gekommen. Er kannte keine andere Welt als die kleine seines Heimatortes; sie füllte seine Seele und den Kreis seiner Ideen aus, und da er täglich nur von ihr sprach, mit allen Gedanken nur in ihr lebte, so war es kein Wunder, daß eine stille Heimatsehnsucht im Herzen Hansens erwachte.
Der Kalbskopf besaß ungleich mehr seelenkundlichen Scharfblick, als die überklugen Menschen insgemein Kalbsköpfen zutrauen und zugestehen wollen, und nahm daher eines Tages, als Hans wieder vom Daheim erzählte und dabei ein jammeriges Gesicht machte, das verständige Wort: »Mein guter Gastfreund«, sprach er: »Du sehnst dich heim; ich begreife dieses Gefühl und ehre dasselbe. Reise heim ich will dich ausstatten aber kehre wieder. Dort steht ein Stab, schlage mit ihm auf jene Lade, und wähle dir aus den darin liegenden Anzügen den schönsten aus dort jene Türe verschließt den Stall. Öffne sie mit dem Stabe, und wähle dir das beste Roß. Dort in jener Kiste liegt Geld und ein Zauberpfeifchen; wenn du verirrt bist, und du pfeifst darauf, so kommen Tiere gesprungen, und laufen dir voran, und zeigen dir den richtigen Weg.«
Hans staunte, und tat, wie ihm geheißen war.
Im stattlichsten Jagdjunkerkleide mit goldenen Tressen besetzt, auf stattlichem Schimmel, mit trefflichem Seitengewehr und gezogener Kugelbüchse ritt Hans von dannen, alle Taschen voll Geld, und das Pfeifchen an goldener Schnur um den Hals. Heilig und teuer versprach Hans dem Kalbskopfe, zu ihm zurück zu kommen. Ob Hans dem gastlichen Kalbskopf zum Abschiede einen Kuß gegeben, weiß man nicht so ganz bestimmt.
Wie ging es unterdessen Hansens klugen Brüdern? Die waren sehr froh, daß der dumme Hans sie nicht mehr belästigte; sie ließen sich’s recht gut schmecken, so lange Brot und Speck in ihren Ranzen vorhielten, und so lange in den Wirtshäusern die zehn Taler eines jeden ausreichten, was wirklich ohngefähr acht Tage dauerte. Dann aber sprachen sie zueinander: »Die Welt ist doch zu groß, als daß wir sie ganz kennen lernen könnten. Wie wär es, wenn wir umkehrten? Es ist doch überall nicht besser, als daheim. Wir haben in diesen acht Tagen eine ziemliche Anzahl fremder Städte und noch mehr Länder gesehen, es sieht fast ein Land aus, wie das andere. Wir haben zwar kein sonderliches Glück gemacht, aber wir hätten doch vielleicht etwas finden können. Daß uns hier außen nichts vom Glücke begegnete, ist ein Beweis der alten Wahrheit, daß nur in der Heimat eines jeglichen der wahre Schatz seines Glückes ruht. Eilen wir, diesen Schatz wieder aufzusuchen.«
Als die Brüder heim kamen, sah sie der Vater finster an, und sagte: »Ihr seid die wahren Helden, ihr Landläufer ihr! Ihr Herrgottstagediebe! Zwanzig Taler habt ihr durchgebracht, und für zehn Taler Kleider und Schuhe zerrissen. Jetzt arbeitet dafür! Nicht einen Groschen geb ich euch, bis ihr mir das an euch zum Fenster hinausgeworfene Geld ersetzt habt!«
Die Mutter aber rief: »Ihr Rangen! Wo habt ihr meinen Hans, mein Goldkind? Wie könnt ihr euch nur unterstehen, ohne meinen Hans über unsere Schwelle zu schreiten?«
Es hielt den Brüdern sehr schwer, die zürnende Mutter zu bedeuten, daß Hans mit Absicht immer hinter ihnen zurückgeblieben sei, ganz sicher, um sich abzusondern.
Die Brüder mußten fürchterlich arbeiten, denn dreißig Taler wollen verdient sein.
Nach einiger Zeit entstand gegen Abend im Dorfe ein kleiner Auflauf. Es ritt ein vornehmer Junker hindurch, angetan wie ein Prinz. Die Leute dachten, es wäre der König selbst, und reise inkognito, ohne alle Bedienung.
Alles lief an die Fenster, vor die Türen, ein heller Haufe lief hinterdrein. Da fielen blanke Guldenstücke auf den Weg nun war es der König, und alles schrie vivat! und schlug sich um die Geldstücke. Vor Hansens Elternhause hielt der schmucke junge Reitersmann, und stieg vom Rosse. Eine ganze Schar von Jungen drängte sich herbei, bei dem vermeinten Prinzen Stallmeister- oder Bereiterdienste zu tun.
Hansens Eltern traten ehrerbietig vor ihr Häuslein. Was konnte bei ihnen der fremde Herr wollen? Die Brüder kamen von der Arbeit, und sahen Mistfinken ähnlicher als Goldammern. Ihre Mäuler blieben offen stehen vor Verwunderung, als der Fremde erst ihrer Mutter, dann ihrem Vater um den Hals fiel, und sie herzte und küßte, und hernach rief: »Na, Michel, na Velten! Patschhand! Ihr kennt am Ende euern Hans alle nicht mehr?« und ihnen die Hände bot.
Es war der Hans und kein Prinz und kein König. »Der dumme Hans ist wieder da, ist reich geworden, und wirft mit Geld um sich, der Hans Narr!« lief die Rede durchs Dorf. Die Alten freuten sich, die Brüder zogen mit scheelem Neide Hansens schönes Pferd in den Stall, und flüsterten miteinander: »Wir müssen uns tot schinden, um dem Vater die armseligen dreißig Taler wieder zu verdienen; der Hans, der Glückspilz, der gar nicht mit Gelde umzugehen weiß, wirft es auf die Gasse. Wir wollen ihm heute nacht das Geld wegnehmen, es ist ihm doch nicht nütze. Überhaupt ist nicht recht einzusehen, was so ein Dummer auf der Welt tut?«
In der Nacht kamen die Brüder in die Kammer, wo Hans schlief. Hans war aber nicht so dumm, als seine Brüder dachten. Als die Diebe in die Kammer brachen, schoß er dem einen ein kleines Kügelchen in das dicke Fleisch, und gab dem zweiten mit dem Hirschfänger einen hübschen Zirkumflex. Darauf wurde Lärm, und der Vater stand auf, und als er sah, was vorgegangen, so nahm er im Zorne seine Peitsche, und hieb auf die verwundeten Buben los, daß sie laut auf heulten und den Himmel für eine Baßgeige ansahen, vor dem Bruder aber sich gar nicht wieder sehen ließen.
Hans letzte und labte sich mit seinen Eltern, außerdem aber gefiel es ihm nicht mehr so recht daheim; er beschenkte seine Eltern reichlich, sattelte sich selbst sein Pferd und ritt von dannen. Er wollte wieder nach dem Waldhause, zum gastlichen Kalbskopfe, da gab es nicht Neid, nicht Habsucht, nicht Verkennung, nicht Raubsucht, aber zu essen und zu trinken vollauf, und gute Unterhaltung, denn der Kalbskopf wußte auch zu sprechen, und drückte sich noch dazu außerordentlich gewählt aus, woraus Hans schloß, daß derselbe eine sehr gute Erziehung erhalten haben müsse.
Hans ritt ins Blaue hinein, und bald wußte er keinen Weg mehr, aber da half das Pfeifchen trefflich. Ein Pfiff, und es kam ein Hase oder ein Fuchs, oder ein Vogel, liefen und flogen vor dem Pferde her, und als der Wald erreicht war, sprangen muntere Rehe voran, und so wurde das Schloß ohne Gefahr und Abenteuer wieder gewonnen. Der Kalbskopf rief Hans, als dieser zu ihm eintrat, ein herzliches »Willkommen!« entgegen, und drückte seine Freude aus, Hans wieder zu sehen.
»Du kommst zu rechter Zeit, mein braver Freund!« sprach der Kalbskopf. »Mit großer Sehnsucht erwartete ich dich, denn wenn die gute Stunde, der ich entgegenharre, ungenützt verstrichen wäre, so würdest du mich nicht wieder gefunden haben, und alle meine Hoffnung wäre dann zunichte gewesen.«
Hans horchte hoch auf bei diesen ihm rätselhaften Worten, und der Kalbskopf fuhr fort: »Habe genau Acht auf das, was ich dir sage, denn von diesen Anordnungen hängt mein Glück ab, und vielleicht auch dein Glück. Gehe jetzt einmal in die Küche, dort steht ein Hackblock, und in der Speisekammer daneben liegt ein scharf geschliffenes Beil. Nimm dieses Beil und lege dasselbe auf den Hackblock dann komme wieder zu mir herein.«
Hans befolgte dies Geheiß pünktlich. Wenn ich weiter nichts tun soll, dachte er, so hat es ja gute Wege. Bald hatte er das Gebot erfüllt, und trat wieder in das Zimmer, welches der Kalbskopf bewohnte. »Nicht wahr, mein guter Freund«, rief dieser ihm entgegen: »das war ein sehr leichtes Stück Arbeit? aber nun kommt das schwerere.
Jetzt nimm diese Wiege, in der ich ruhe, und trage sie samt mir in die Küche, und stelle sie neben den Hackblock.«
»Auch das, mit Vergnügen!« sagte Hans, und trug die Wiege in die Küche. Sie war zwar etwas schwerer, als Hans dem Anscheine nach geglaubt hatte, aber Hans hatte Kraft.
»Jetzt aber, bester Freund«, sprach wieder der Kalbskopf: »jetzt kommt das schwerste Stück jetzt erschrick nicht. Jetzt decke mich auf.«
Hans räumte die seidenen Kissen hinweg o weh da endigte der Hals des Kalbskopfes in einen armsdicken Schlangenleib, der hing am Kopf, wie ein scheußliches Gewächs, und war blau, wie ein Darm voll Blut.
»Jetzt hebe mich aus der Wiege auf den Block, und haue mir mit dem Beile diesen abscheulichen Wurmzopf ab, der an mir hängt.« Hans schauderte, und stammelte: »So soll ich dich töten, du guter, einziger Kalbskopf? Deinesgleichen lebt zum zweiten Male in der Welt nicht mehr!«
»Mache nur frisch zu!« versetzte der Kalbskopf. »Es wird dir gut gelohnt.«
Hans gehorchte, nicht ohne Scheu und Zagen. Er legte den Kopf, er hob das Beil, er zielte gut, er führte den Hieb und siehe, es floß kein Tropfen Blut, der Schlangenleib schwand, der Kalbskopf verwandelte sich in ein holdes Mädchenantlitz, und aus der Wiege hob sich’s, eine Feengestalt von bezaubernder Anmut, und stieg heraus, und fiel Hans um den Hals. »Du hast mich erlöst, du Guter, Reiner, Treuer! Nun nimm dir was du willst! Das Schloß und die Schätze, und mich dazu, wenn ich dir gefalle.«
Jetzt wimmelte das Schloß von Dienerschaft, alle diese war verzaubert gewesen, alle jubelten über ihr neugeschenktes Dasein.
»Meine gnädigste Prinzessin!« nahm der erstaunte Hans das Wort. »Du bist mir schon als Kalbskopf äußerst appetitlich erschienen, so aber bist du mir noch tausendmal lieber. Ich nehme Dich!«
Hans wurde sehr glücklich er begabte seine Eltern, verzieh seinen Brüdern, heiratete die schöne erlöste Prinzessin, und lebte mit ihr in einer frohen und genußreichen Einsamkeit weder er noch seine Gemahlin sehnten sich in die sogenannte große Welt, und falls sie beide nicht gestorben sein sollten, so dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit zu vermuten sein, daß sie heute noch leben.
[Bechstein: Neues deutsches Märchenbuch]